Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Das am 1.1.1900 in Kraft getretene BGB vom 18.8.1896 begr.e in Deutschland die Rechtseinheit und enthält den überwiegenden Teil des allgemeinen, für jedermann geltenden Privatrechts. In der DDR wurde das BGB durch das Zivilgesetzbuch von 1975 abgelöst und durch den Einigungsvertrag vom 23.9.1990 wieder eingeführt. In der BRD gilt das BGB bis auf grundlegende Änderungen im Schuld- und Familienrecht im Wesentlichen unverändert weiter.
1. Allgemeine Voraussetzungen
Die Rechtseinheit gilt seit der Französischen Revolution als eine „notwendige Voraussetzung des nationalen Staates“ (Sten. Ber. RT 1867: 285) und als ein „Element der nationalen Einheit“ (Coing 1980: Rdnr. 19). Die Idee der Rechtsvereinheitlichung kam in Deutschland erst zu Beginn des 19. Jh. (Rheinbundzeit, Freiheitskriege) voll zum Durchbruch. Die Kodifikationsidee wurde bekämpft von der durch Friedrich Carl von Savigny begr.en Historischen Rechtsschule. Für diese galt das im Bewusstsein des Volkes lebende Recht (Gewohnheitsrecht) gegenüber der Jurisprudenz und der Gesetzgebung als vorrangige Rechtsquelle. Es wurde erzeugt „durch innere stillwirkende Kräfte“ (Savigny 1814: 14) und sollte der Willkür des Gesetzgebers entzogen sein, wenn anders das Rechtsleben nicht großen Schaden erleiden sollte. Die Wissenschaft wurde als Organ, der Jurist als Repräsentant der Volksüberzeugung angesehen, aber auf die Ausbildung des „technischen Elements“ (Jakobs 1983: 46) beschränkt. Erst die verstärkte Industrialisierung (Industrialisierung, Industrielle Revolution) und Mobilität der Bevölkerung hatten die Lebensverhältnisse innerhalb Deutschlands nach 1848 soweit vereinheitlicht, dass die breiten Schichten des Bürgertums (Bürger, Bürgertum) in der Schaffung der Rechtseinheit eine Hauptaufgabe des deutschen Nationalstaats sahen. Unter dem Einfluss von Georg Beseler hatte die deutsche Rechtswissenschaft nach 1850 ihre ablehnende Haltung gegenüber einer Kodifizierung des Zivilrechts (Privatrecht) aufgegeben.
1873 wurde auf Betreiben der Nationalliberalen und Preußens nach heftigen Widerständen der süddeutschen Staaten und Sachsens die Gesetzgebungskompetenz des Reichs auf das gesamte bürgerliche Recht (Privatrecht) ausgedehnt. Für den Gesetzgeber des BGB waren die „privatrechtlichen Ordnungsprobleme“ leitend, die sich aus der wirtschaftlichen Entwicklung und dem Programm des Liberalismus als politischer Bewegung ergaben. Auf der einen Seite kann man das BGB als Synthese der partikularen, oft deutschrechtlich beeinflussten Reformgesetzgebung einschließlich des ADHGB von 1861 bezeichnen, andererseits wurde das begrifflich-dogmatische Instrumentarium, das technische Element, von der Pandektenwissenschaft zur Verfügung gestellt. Ausgangspunkt dieser von F. C. v. Savigny begr.en wissenschaftlichen Strömung war das rezipierte römische Recht, aus dessen Quellen man allgemeine Prinzipien und ein allgemeines Begriffssystem des Privatrechts ableitete. Dieses System, das auf der individuellen Freiheit als zentralem Wert beruhte, hat einen stark formalen Charakter, da das Privatrecht „als Abgrenzung von Freiheitssphären der einzelnen“ (Coing 1980: Rdnr. 43) und weniger als Ordnung nach materialen, sittlichen Prinzipien oder praktisch-politischen Forderungen angesehen wurde. Das Recht hatte nach F. C. v. Savigny die „freie Entfaltung, ihrer jedem einzelnen Willen innewohnenden Kraft“ (Savigny 1840: 332) zu sichern, nicht aber die Gebote der Sittlichkeit selbst zu vollziehen.
2. Entstehungsgeschichte
Das bei der Ausarbeitung des BGB verfolgte Verfahren geht auf die Vorkommission des Bundesrats (1874) zurück, in der die Mittelstaaten über die Mehrheit verfügten. Das BGB sollte nach den Vorschlägen dieser Kommission „unter Berücksichtigung des geltenden Rechts das den Gesamtzuständen des Deutschen Reichs entspr. bürgerliche Recht in einer den Anforderungen der damaligen Wissenschaft gemäßen Form kodifizierend zusammenfassen“ (Jakobs/Schubert 1978: Bd. 1, 182). In der öffentlichen Diskussion wurde der erste BGB-Entwurf, der sich eng der pandektischen Methode anschloss, trotz scharfer Detailkritik als eine geeignete Grundlage für die weiteren Arbeiten anerkannt. Dies wird oft übersehen, da von den Kritiken im Wesentlichen heute nur noch die ablehnenden Schriften von Otto von Gierke (aus der Sicht des deutschen Rechts) und von Anton Menger (vom Standpunkt der Kathedersozialisten) präsent sind. Am 4.12.1890 berief der Bundesrat eine neue Kommission, die den Entwurf revidieren sollte. Ihr gehörten elf ständige Mitglieder (im Wesentlichen Juristen aus den sieben im Justizausschuss des Bundesrates vertretenen Staaten) und dreizehn nicht ständige Mitglieder (Vertreter von politischen Parteien und einigen Wirtschaftszweigen mit Ausnahme der Industrie und der Arbeiterschaft) an. Der erste Entwurf wurde inhaltlich nur soweit abgeändert, dass er für die bürgerlichen Parteien des Reichstags akzeptabel war. Der im Herbst 1895 fertiggestellte Entwurf wurde sogleich dem Bundesrat vorgelegt und im Januar 1896 dem Reichstag überwiesen, der ihn nach einer zweitägigen Generaldebatte an die XII. Kommission mit 21 Mitgliedern überwies. In deren Beratungen kamen v. a. die Forderungen des Zentrums und der Sozialdemokraten (SPD) zur Sprache (Schutz der wirtschaftlich Schwachen insb. im Dienstvertragsrecht; persönliches Eherecht). Ein Kompromiss zwischen Preußen und der Nationalliberalen Partei, dem Zentrum und der Reichspartei, der sich auf das Vereins- und Eherecht bezog, ermöglichte die endgültige Verabschiedung des BGB durch den Reichstag am 1.7.1896. Gegen den Entwurf stimmten die Sozialdemokraten. Um die bisherige Reichsgesetzgebung mit dem BGB zu harmonisieren und dessen einheitliche Anwendung sicherzustellen, folgten 1897/98 eine Neufassung des HGB und der Reichsjustizgesetze sowie als Nebengesetze zum BGB die Grundbuchordnung, das FGG (ersetzt durch das FamFG vom 17.12.2008, BGBl. I, 2586) und das ZVG. Das BGB hat die französische Rechtswissenschaft und das Schweizer Zivilrecht (1907/12) sowie die Zivilrechtskodifikationen von Japan (1898), Brasilien (1916), Thailand (1925), Peru (1936), Griechenland (1940/46) und China (1912) beeinflusst.
3. Inhalt des BGB
Der Allgemeine Teil fasst die für die folgenden Bücher des BGB einheitlichen Regeln zusammen, die allerdings ausnahmslos nur für das Schuld- und Sachenrecht (Schuldrecht; Sachenrecht) gelten. Kernstück des Allgemeinen Teils ist die Rechtsgeschäftslehre. Der Abschnitt über die juristischen Personen wird dem Anspruch, „allgemeine Aussagen über ihre Struktur zu machen, nicht gerecht“ (Säcker 2015: Bd. 1, Rdnr. 30), da er sich mit der Regelung des Idealvereins begnügt. Das Recht der Schuldverhältnisse hat sich nicht zuletzt wegen seiner allgemeinen Lehren und der Generalklausel des § 242 (Berücksichtigung von Treu und Glauben bei der Festlegung der Leistungspflichten) als sehr flexibel erwiesen. Das Immobiliarrecht schließt die neuere preußische Rechtsentwicklung ab, während das Mobiliarsachenrecht mit der weitgehenden Zulassung eines gutgläubigen Erwerbs auf das HGB von 1861 zurückgeht. Hierauf konnte die weitere Entwicklung, die zur Herausbildung des Vorbehalts- und Sicherungseigentums sowie der Sicherungsgrundschuld führte, aufbauen. Das Familienrecht trägt starke sozialkonservative Züge, ohne dass aber die auf Gottlieb Planck zurückgehende Verbesserung der Rechtsstellung der Frau übersehen werden sollte. Die Rechtsstellung des nichtehelichen Kindes wurde für einige Teile Deutschlands durch Übernahme der preußischen Mehrverkehrseinrede verschlechtert. Das Erbrecht lässt der Gestaltungsfreiheit des Erblassers einen weiten Spielraum. Das aus dem französischen Recht stammende eigenhändige Testament ist erst vom Reichstag beschlossen worden.
4. Bewertung des BGB und weitere Entwicklung
Das BGB vollendete nach der Kodifizierung des Gerichtsverfassungs- und Prozessrechts (1877) die Rechtseinheit und stellt insoweit eine herausragende politische und wissenschaftliche Leistung des 19. Jh. dar. Auf der anderen Seite führte die Rechtseinheit zu einem Bruch mit oft jahrhundertealten partikularen Rechtstraditionen bes. Süd- und Mitteldeutschlands, aber auch Altpreußens, da das BGB in erster Linie an das gemeine Recht norddeutscher Prägung (Kassel, Hannover) und die neuere preußische liberale Gesetzgebung anknüpfte. Nicht zuletzt diese Verdrängung von Rechtstraditionen musste dazu führen, dass das neue Zivilrecht eine Domäne der Juristen blieb. Die bleibende Leistung der Verfasser des BGB besteht darin, dass sie die dogmatischen Errungenschaften des 19. Jh. übernahmen und in ein noch heute tragfähiges, kodifikatorisches System, das begriffliche Klarheit und Rechtssicherheit verbürgt, gebracht haben. Das BGB ist eine Kodifikation „aus dem Geiste der Historischen Rechtsschule“ (Jakobs 1983: 24) und des auf diesem aufbauenden wissenschaftlichen Positivismus (Pandektenrecht). Nach den Intentionen der BGB-Verfasser sollte es der Wissenschaft und der Praxis bei der Weiterentwicklung der Rechtsdogmatik (Dogmatik) möglichst wenig Schranken setzen. Erst seit 1958/60 ist anerkannt, dass das BGB eine dem Geist der Historischen Rechtsschule verpflichtete, prinzipiengeleitete Kodifikation (rechtliche Gleichheit, gleiche rechtliche Freiheit, Schutz des Schwächeren) darstellt. Insgesamt ist das BGB weit von gesellschaftspolitischer Neutralität entfernt. Bereits G. Planck (Hauptredaktor des BGB) stellte 1899 fest, dass das Eigentum, das Erbrecht und die auf der Ehe sich gründende Familie die Grundlage der bestehenden Gesellschaftsordnung seien und die für das BGB maßgeblichen Institutionen bildeten. Die BGB-Verfasser haben ihre Hauptaufgabe darin gesehen, diese Grundlagen zu festigen, waren jedoch gleichzeitig offen für die sozialpolitischen Reformvorschläge, die auf den Schutz des Schwächeren, die soziale Freiheit und die Berücksichtigung des Gemeinschaftsgedankens zielten. Insoweit war das BGB die erste moderne, sozialpolitisch ausgerichtete Kodifikation. Zu berücksichtigen ist auch, dass das BGB niemals den Anspruch erhoben hat, den bestehenden Rechtszustand vollständig abzubilden. Vielmehr war den Verfassern des BGB bewusst, dass wichtige ordnungs- und sozialpolitische Probleme der Spezialgesetzgebung vorbehalten waren (Gewerbeordnung, Aktienrechtsnovelle, Abzahlungsgesetz).
Wegen seines hohen Abstraktionsgrades ist das BGB trotz der grundlegenden gesellschaftlichen Wandlungen seit 1900 bis heute die Grundlage des geltenden Zivilrechts (Privatrecht) geblieben. Neuregelungen waren nur notwendig aufgrund des gesellschaftlichen Wandels (Stellung der Frau, Ehescheidungs- und Kindschaftsrecht) und aus sozialpolitischen Rücksichten (Mietrecht). Als wichtigste Änderungen des BGB sind zu nennen: ErbbauVO vom 15.1.1918, EheG vom 6.7.1938 (1946 als Kontrollratsgesetz neu verkündet; 1976 Rückgliederung des Ehescheidungsrechts in das BGB), TestG vom 31.7.1938 (1953 in das BGB eingearbeitet), GleichberG vom 18.6.1957 (Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Ehe und im Kindschaftsrecht; Zugewinnausgleich), Gesetz zur Neuregelung des Volljährigkeitsalters vom 31.7.1974, 1. EherechtsG vom 14.6.1976 (Zerrüttung als einziger verschuldensunabhängiger Scheidungsgrund), AdG vom 3.7.1976 und Gesetz zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge vom 18.7.1979 (Elterliches Sorgerecht). 1990 wurde die Erwachsenenvormundschaft durch die Betreuung ersetzt und 1997 das Kindschaftsrecht erneut geändert (weitgehende Gleichstellung des nichtehelichen Kindes mit dem ehelichen Kind). 2001 wurden Teile des BGB – nicht immer in gelungener Weise – modernisiert (Neuordnung des Leistungsstörungsrechts, der Sach- und Rechtsmängelhaftung, des Verjährungsrechts sowie Einbeziehung von Spezialgesetzen, u. a. des AGBG und des VerbrKrG). Das Lebenspartnerschaftsrecht (2001) ist noch nicht Bestandteil des BGB In das BGB wurden neu übernommen das Reisevertragsrecht (1979), das Finanzdienstleistungsrecht (1999) und der ärztliche Behandlungsvertrag (2013).
Literatur
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Empfohlene Zitierweise
W. Schubert: Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/B%C3%BCrgerliches_Gesetzbuch_(BGB) (abgerufen: 21.11.2024)