Empirismus

E. (englisch empiricism) vom griech. empeiría (Erfahrung, Erlebnis) bezeichnet in der Erkenntnistheorie die Annahme, dass Wissen oder die Rechtfertigung von Wissen gänzlich oder zumindest zum wesentlichen Teil aus der Erfahrung stammt. Wahre Erkenntnis ist in diesem Sinne erst zeitlich und logisch nach Erfahrung möglich, weshalb diese Vorstellung in der Geschichte der Philosophie häufig mit der metaphorischen Bezeichnung des Verstandes als „leerer Tafel“ (tabula rasa) in Verbindung gebracht wird. In seiner verbreitetsten Form, besonders im Anschluss an John Locke, darf der E. mit dem Sensualismus gleichgesetzt werden, da diese Konzeptionen allein die sinnliche Erfahrung als Ursprung von Wissen annimmt. Nach dem E. im strengen Sinne ist Erkennen nur eine gesteigerte Form der Wahrnehmung, da die Vernunft in ihrem Arbeiten immer auf sinnliche Erfahrungsobjekte angewiesen ist und über diese nur in bescheidenem Ausmaß hinauszugehen vermag. Die Annahme, dass alles Wissen in der Erfahrung beginne, bedeutet jedoch nicht zwingend, dass man nicht mittels Verstandestätigkeit zu weiterem, von den Sinneserkenntnissen abgeleitetem Wissen gelangen könnte. Wird diese Möglichkeit, über die äußeren und inneren Sinneserscheinungen hinaus zu weiterem Wissen gelangen zu können, prinzipiell abgestritten, dann steigert sich der E. zum Positivismus.

Grundlagen des E. lassen sich bereits in der Antike vorfinden. So beschreibt etwa Empedokles das gesamte menschliche Erkennen als Mischung bzw. Loslösung von Elementen. Eine sinnliche Erkenntnis entstehe dann, wenn sich ablösende Elemente der Umwelt durch die Sinnesorgane in den Körper eindringen, wo sie dann den Denkprozess anstoßen. Denken sei damit rein physische Veränderung, die durch Sinneswahrnehmungen ausgelöst werde. Ähnlich argumentieren die Atomisten Leukipp und Demokrit, die den menschlichen Verstand als sich bewegende Atome begreifen, die durch Sinneswahrnehmung in Bewegung gebracht würden. Protagoras habe, wie Platon berichtet, allein das sinnlich Wahrnehmbare und die auf diesem beruhende Meinung als Wissen zugelassen. Die Stoiker betonen im Anschluss an die genannten Philosophen die Rolle der Sinneserfahrung, erweitern aber den durch die Vernunft zugänglichen Bereich. Aus den sinnlichen Eindrücken würden die allgemeinen Begriffe abstrahiert, die Zustimmung zu derartigen Begriffen führe zu Urteilen, die, wenn sie in Form von Schlüssen zur Anwendung kommen, Wissen begründeten. In den Schlüssen könne der Verstand letztendlich über die sinnlich wahrnehmbare Welt hinausgelangen, so dass in der Stoa das Problem der Verhältnisbestimmung von Vernunfttätigkeit und sinnlicher Wahrnehmung seine für das Mittelalter prägenden Konturen erhält.

Das Verhältnis der mittelalterlichen Philosophen bestimmt sich maßgeblich durch die vorherrschende Konzeption der menschlichen Erkenntniskraft als immateriellem Vermögen. Erkenntnisprozesse als physische, durch die Sinne ausgelöste Veränderungen, wie Empedokles sie beschrieben hatte, spielen im Mittelalter somit kaum eine Rolle. Dennoch behält die sinnliche Erfahrung in verschiedenen mittelalterlichen Denkschulen den Status des Ausgangspunktes und der Ermöglichungsbedingung von Wissen. Die Metapher des Verstandes als tabula rasa wird besonders durch die arabische Philosophie tradiert. So beschreibt Ibn Sina (Avicenna) im Anschluss an Al Farabi den Verstand als reine Potenzialität, der erst durch empirische Bekanntschaft mit äußeren Objekten in Akt versetzt werde und der in diesem Akt, durch Abstraktion und Vergleich, zu universellen Begriffen gelangen könne. Die verschiedenen Erkenntnismodelle innerhalb der christlichen Philosophie behandeln weniger die Frage, ob Verstand und Vernunft (Vernunft – Verstand) durch äußere Sinneseindrücke bewegt werden, sondern mehr die epistemische Frage, ob das immaterielle Erkenntnisvermögen selbst etwas zur Erkenntnis beisteuert, was inhaltlich nicht aus den Sinneseindrücken gewonnen werden kann und somit über diese hinausführt. Diese Frage kulminiert seit dem ausgehenden 12. Jh. in der Auseinandersetzung zwischen den sogenannten Universalienrealisten und den sogenannten Nominalisten. Die Universalienrealisten gehen davon aus, dass ein jedes Ding neben seinen individuellen Eigenschaften ein universelles Wesen besitzt, das erlaubt, Allgemeinbegriffe zu Recht von den Dingen auszusagen. Die Nominalisten hingegen sehen in Begriffen reine Erzeugnisse der menschlichen Vernunft, die nur Namen für ähnliche Dinge sind. Während der Universalienrealismus voraussetzt, dass der Intellekt in seinem Erkennen über die singulären Sinneseindrücke hinausgreifen und zu verallgemeinerbaren Begriffen gelangen kann, bestreitet der Nominalismus somit die Realität universeller Begriffe jenseits des menschlichen Denkens. Indem der Nominalismus Begriffe nur als subjektive Produkte eines je individuellen Verstandes gestattet, leugnet er ihren objektiven Wert und muss infolgedessen das Wahrheitskriterium von Aussagen (Wahrheit), die über reine Tautologien hinausgehen, in der Erfahrung suchen (s. a. Sprachphilosophie).

In der Neuzeit wird der E. insb. durch Francis Bacon bekannt. Jedes Wissen entstehe durch vollständige Induktion, d. h. man müsse bei den wahrnehmbaren Einzeldingen beginnen und von dort, ohne Mittelbegriffe zu überspringen, bis zur Erkenntnis der allgemeinen Prinzipien vordringen. Erst von dort ausgehend könnte die Metaphysik mit deduktiven Mitteln ihre Arbeit beginnen (Methode). Thomas Hobbes radikalisiert das Modell Bacons. Nach T. Hobbes seien Begriffe die Summe vieler Einzelerfahrungen und Urteilbildung sei ein Addieren oder Subtrahieren einzelner Sinneseindrücke. Vollständig ausgebildet wird der E. schließlich durch J. Locke, für den Denken nichts anderes als aktive Umbildung der Sinneserfahrung ist. Aus der sinnlichen Wahrnehmung gewinne der Verstand Ideen, die er beliebig trennen und verbinden könne, die er aber nicht ursprünglich erzeuge. David Hume kritisiert diesen Ansatz, indem er ihn konsequent zu seinem logischen und absurden Ende führt. So bemerkt er, dass die Sinneseindrücke eben nur unsere Eindrücke und nicht das Wesen der Dinge sind, wodurch der E. J. Lockes zum vollständigen Skeptizismus heranwächst. Vermittelt durch Étienne Bonnot de Condillac, der den Ansatz J. Lockes vereinfacht und systematisiert, wird der E. in die französische Aufklärungsphilosophie (Aufklärung) eingeführt, erreicht dort aber nie dieselbe führende Stellung wie in der britischen Philosophie.

Die Diskussion um Angemessenheit und Funktionsweise des E. als spezielle Erkenntnistheorie ist ein genuiner Teil der theoretischen Philosophie, entfaltet von dort aus aber, insoweit E. als Methode zur Anwendung kommt, einen Einfluss bis in die Moralphilosophie (Ethik), insofern nämlich die beobachtbaren Handlungsfolgen als Kriterium des Sittlichen bestimmt werden. Nicht zufällig entsteht der Utilitarismus, der Vorläufer in den Lehren Demokrits und Epikurs findet, in der empiristisch geprägten britischen Philosophie. So konstruiert Jeremy Bentham, der als zentrale Gründungsfigur des Utilitarismus gilt, die Moralphilosophie auf dem von ihm als zentralem Axiom benannten Prinzip der größtmöglichen Glücklichkeit (Glück) der größtmöglichen Anzahl von Menschen. In diesem Kontext spricht der Utilitarismus von Lust, Freude oder Nutzen, der das beobachtbare Ziel sowohl der moralisch-rechtlichen als auch der politischen Ordnung sein solle.

Innerhalb der politischen Philosophie tritt der E. mit Blick auf die mögliche Diskrepanz zwischen Erwartungen und beobachtbaren Ergebnissen in Erscheinung. So führt bspw. T. Hobbes aus, dass Menschen sich auch im vorstaatlichen Naturzustand an moralische Regeln oder geschlossene Verträge halten könnten. Sie täten dies aber nur so lange, bis sie erlebten, dass sie selbst einen Nachteil erfahren, weil andere Menschen diese Regeln oder Verträge brechen, ohne dass sie dafür zur Rechenschaft gezogen werden könnten. In der politischen Philosophie des 20. Jh. tritt das Begriffspaar „Erwartung-Beobachtung“ bei Fragen der politischen Lenkung hervor. So spricht bspw. Karl Popper die Empfehlung aus, dass sich politische Akteure nur schrittweise kleiner Maßnahmen bedienen sollten, da die Wirkungen politischer Eingriffe auf Wirtschaft und Gesellschaft schwer oder gar nicht vorhersagbar seien. Man solle daher die Ergebnisse kleinschrittiger Maßnahmen Stück für Stück beobachten und könne sie erst dann, bei Eintreten des intendierten Ergebnisses, fortführen bzw. bei Misserfolg zurücknehmen.