Freie Berufe
Aus berufssoziologischer Perspektive werden Dienstleistungen den f.n B.n zugerechnet, wenn die Erbringung der Dienstleistung überwiegend persönlich und eigenverantwortlich im Interesse des Auftraggebers und unter Berücksichtigung des Allgemeinwohls durch den Berufsangehörigen erfolgt, die Ausübung der Tätigkeit eine hohe Qualifikation voraussetzt und einen intellektuellen Charakter beinhaltet. Da diese Kriterien jedoch wenig trennscharf sind, muss die Abgrenzung von freiberuflichen und gewerblichen Tätigkeiten letztlich im Hinblick auf das verfolgte Erklärungsziel vorgenommen werden. Eine allgemeingültige Definition existiert nicht.
Auch in der Rechtsprechung wird der Begriff des f.n B.s in Abhängigkeit von den Rechtsfolgen unterschiedlich verwendet. Im Steuerrecht listet § 18 Abs. 1 EStG Kriterien auf, die für das Vorliegen einer freiberuflichen Tätigkeit maßgeblich sind. Dort erfolgt auch eine – nicht abschließende – Auflistung von selbständigen Tätigkeiten, die den f.n B.n zuzurechnen sind. Zu diesen sogenannten Katalogberufen gehören u. a. Anwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Architekten, Ingenieure, Ärzte und Zahnärzte. Letztlich entscheiden die Steuerbehörden aber im Einzelfall, ob eine gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit vorliegt. Davon abweichend werden in § 1 Abs. 2 PartGG f. B. genannt, denen die Rechtsform der Partnerschaftsgesellschaft offensteht.
1. Quantitative Bedeutung der Freien Berufe für die Wirtschaft
Das IFB in Nürnberg führt offizielle Statistiken und Angaben der Berufsverbände zusammen, um ein möglichst vollständiges Bild der f.n B. in Deutschland zu zeichnen: Demnach waren 2015 rund 1,3 Mio. Personen in den f.n B.n selbständig tätig. Davon übten 31 % einen f.n Heil-B. aus, 27 % waren in f.n rechts-, wirtschafts- und steuerberatenden B.n tätig, weitere 24 % gingen einem f.n Kultur-B. nach und 18 % gehörten einem f.n technischen und naturwissenschaftlichem B. an. Darüber hinaus bestanden mehr als 4,7 Mio. sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse im Bereich der f.n B., was einem Anteil von 10 % an der gesamten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung entsprach. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie beziffert den Beitrag der f.n B. zum BIP in 2015 auf rund 10 %.
2. Gesellschaftliche Bedeutung und Regulierung der Freien Berufe
Den von den f.n B.n wahrgenommenen Aufgaben wird im Allgemeinen eine bes. gesellschaftliche Relevanz zugesprochen. So tragen bspw. die Heilberufe zum Funktionieren des Gesundheitssystems bei. Die rechtsberatenden Berufe leisten einen Beitrag zur Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und sichern zusammen mit den steuer- und wirtschaftsberatenden Berufen durch ihre Tätigkeiten den reibungslosen Ablauf des Wirtschaftsprozesses. Und die Architektur- und Ingenieurberufe schützen die Gesellschaft vor möglichen Gefährdungen durch fehlerhafte Bauwerke und technische Einrichtungen.
Der Allgemeinwohlbezug sowie die Informationsasymmetrie zwischen dem Anbieter freier Berufsdienstleistungen und dem Nachfrager werden zur Begründung zahlreicher Sonderregeln für die f.n B. herangezogen. Die Regulierung der einzelnen Berufsgruppen weist dabei allerdings große Unterschiede auf. Während einige Berufe, etwa im künstlerischen oder wissenschaftlichen Bereich, nicht bzw. kaum reguliert sind, gelten für andere, wie z. B. die wirtschaftsberatenden und Heilberufe, häufig spezifische Berufsgesetze und die Verpflichtung einer Berufskammer beizutreten, der die Berufsaufsicht übertragen ist. Obwohl viele f. B. Gebührenordnungen kennen, variiert deren Verbindlichkeitsgrad z. T. erheblich. Einige Professionen unterliegen unterschiedlich starken Werbebeschränkungen. Auch die Zusammenarbeit der f.n B. und die Möglichkeiten einer Kapitalbeteiligung sind je nach Profession sehr unterschiedlich geregelt.
3. Die Regulierung der Freien Berufe auf dem Prüfstand
Die Sonderregeln für die f.n B. werden seit einiger Zeit dahingehend kritisch hinterfragt, ob die jeweilige Regulierung den Gemeinwohlbezug der f.n B. stärkt oder ein Wettbewerbshindernis zulasten der Allgemeinheit darstellt.
3.1. Deregulierungsbestrebungen der Europäischen Kommission
Mit der 2006 in Kraft getretenen Dienstleistungsrichtlinie wurde eine Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte in den EU-Mitgliedstaaten und eine Vertiefung des Binnenmarktes (Europäischer Binnenmarkt) angestrebt. Dazu mussten Mindeststandards für Erbringung von Dienstleistungen definiert werden. Ein wesentlicher Schritt hierbei war die Verabschiedung der Berufsqualifikationsrichtlinie 2005 und berufsspezifischer Richtlinien, in der u. a. Mindestanforderungen für die Ausübung von freiberuflichen Tätigkeiten im Binnenmarkt festgelegt wurden. Allerdings sieht die Europäische Kommission auch 10 Jahre nach Umsetzung der Dienstleistungs- und Berufsqualifizierungsrichtlinie weiterhin erhebliche Wettbewerbshemmnisse.
3.2. Ökonomische Einordnung der Deregulierungsdebatte
Während die Kommission die Vorteile der Deregulierung hauptsächlich mit makroökonomischen Studien untermauert, erscheint eine differenzierte Überprüfung der Regulierungen im Einzelfall mit Hilfe des mikroökonomischen Instrumentariums erstrebenswert. Dabei ist insb. zu überprüfen, ob die vorliegenden Informationsasymmetrien zulasten der Nachfrager und der daraus resultierende Vertrauensgutcharakter von freiberuflichen Dienstleistungen eine spezifische Regulierung rechtfertigen. Die damit verbundenen ökonomischen Probleme wurden erstmals 1970 von George Akerlof beschrieben und werden in der Literatur zu Vertrauensgütern diskutiert. Einen Überblick über den aktuellen Stand der Theorie und deren Synthese gibt die Arbeit von Uwe Dulleck und Rudolf Kerschbamer (2006). In den letzten Jahren werden zunehmend Experimente im Labor und Feld durchgeführt, um ein besseres Verständnis der Ökonomie von Vertrauensgütern und den institutionellen Voraussetzungen für eine effiziente Bereitstellung dieser Güter zu gewinnen.
Allerdings liegen noch keine gesicherten Erkenntnisse speziell für die f.n B. vor. Hier besteht weiterhin erheblicher Forschungsbedarf.
3.3. Weitere Aspekte der Deregulierungsdebatte
Die Debatte um die Deregulierung bestimmter f.r B. kann nicht ausschließlich auf ökonomische Argumente verkürzt werden. So ist z. B. die Verschwiegenheitspflicht der Ärzte, Anwälte (Rechtsanwalt), Steuerberater und Wirtschaftsprüfer von hoher gesellschaftspolitischer Relevanz. Hierauf muss Rücksicht genommen werden, wenn etwa die Zusammenarbeit von Angehörigen dieser Berufe mit anderen Berufsgruppen geregelt wird, um die als notwendig erachteten Schutzräume nicht zu zerstören. Darüber hinaus kann es gesellschaftlich erwünscht sein, dass bestimmte f. B. dem unmittelbaren Einfluss des Staates bei der Berufsausübung entzogen sind. Dies gilt etwa für Anwälte, die ihre Mandanten u. a. auch gegen den Staat vertreten. Daher erscheint auch eine grundsätzliche Ablehnung der subsidiären Ausübung der Berufsaussicht durch Berufskammern mit dem Hinweis auf Wettbewerbshindernisse zu kurz gegriffen.
Literatur
U. Dulleck/R. Kerschbamer/M. Sutter: The economics of credence goods: On the role of liability, verifiability, reputation and competition, in: AER 101/2 (2011), 526–555 • U. Dulleck/R. Kerschbamer: On doctors, mechanics, and computer specialists: The economics of credence goods, in: JEL 44/1 (2006), 5–42 • G. Akerlof: The Market for „Lemons“: Quality Uncertainty and the Market Mechanism, in: QJE 84/3 (1970), 488–500.
Empfohlene Zitierweise
O. Arentz, A. Wambach: Freie Berufe, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Freie_Berufe (abgerufen: 21.11.2024)