Piraterie

1. Begriffs- und Entwicklungsgeschichte

Eine für das heutige Rechtsverständnis noch immer prägende Definition der P. wird Cicero zugeschrieben: Piraten seien „hostes humani generis“, „Feinde der Menschheit“. In seinem Werk „De officiis“ findet sich indes nur die Wendung vom „communis hostis omnium“ (off. 3.107), dem „gemeinen“ oder „gemeinsamen Feind aller“. Verbreitet hat sich die menschheitsbezogene Formulierung seit der Hochphase der P. im 17. und 18. Jh. Hier werden auch Sir Edward Coke, der große Jurist des elisabethanischen Zeitalters, oder Alberico Gentili, der „De Jure Belli ac Pacis Libri Tres“ (1625) von Hugo Grotius maßgeblich mitbeeinflusste, als Urheber genannt. Was die der Definition zugrunde liegende Idee so modern macht, ist ihre universalistische Stoßrichtung. P. ist als Verbrechen gegen die Menschheit gedacht, deshalb gemeinsame Angelegenheit aller Staaten und – völkergewohnheitsrechtlich (Gewohnheitsrecht) anerkannt – universeller Jurisdiktion unterworfen. Von Piraten unterschieden wurden bis in die Mitte des 19. Jh. die Freibeuter (Privateers wie Sir Francis Drake oder Henry Morgan). Sie durften, durch einen offiziellen Kaperbrief ihres Souveräns legitimiert, in Kriegszeiten feindliche Schiffe angreifen und Beute nehmen. Erst die „Pariser Seerechtsdeklaration“ von 1856 setzte der legalen Kaperei ein Ende. Zu Beginn des 20. Jh. hatte, bedingt durch den Ausbau der Dampfschifffahrt und das moderne Flottenwesen, die klassische See-P. weitgehend ihre Bedeutung verloren. Die verbleibenden Fälle suchte der Völkerbund durch eine Kodifikation der maßgeblichen völkerrechtlichen Standards zu sanktionieren, was jedoch scheiterte. Ein privater Entwurf der Harvard Law School aus dem Jahre 1932 diente der Völkerrechtskommission erst nach dem Zweiten Weltkrieg als Grundlage für ihren Entwurf (1956), der zunächst im „Genfer Übereinkommen über die Hohe See“ (1958) normativ verbindlichen Niederschlag fand und 1982 in das SRÜ überging. Neben der See-P. hat die Luft-P. mit Aufkommen der zivilen Luftfahrt eigenständiges Gewicht gewonnen.

2. Die völkerrechtliche Dimension

(See-)P. stellt ein völkerrechtliches Delikt (Völkerrecht) dar. Das SRÜ beinhaltet die heute maßgeblichen Regelungen zu ihrer Bekämpfung (Art. 100–107) und adressiert explizit auch die Luft-P. Das Übereinkommen greift den Gedanken der „hostes humani generis“ auf. Es stellt damit klar, dass Piraten nicht den Schutz der sonst auf Hoher See geltenden Freiheit der Meere genießen. Im Gegenteil: Neben der Sklaverei ist die Seeräuberei das wohl einzige gewohnheitsrechtlich anerkannte crime of universal jursidiction. Nach Art. 101 SRÜ umfasst P. im Wesentlichen jede rechtswidrige Gewalttat durch die Besatzung oder die Fahrgäste eines privaten Schiffes oder Luftfahrzeugs, wenn sie sich gegen „ein anderes Schiff oder Luftfahrzeug oder gegen Personen oder Vermögenswerte an Bord dieses Schiffes oder Luftfahrzeugs“ richtet, überdies zu privaten Zwecken und auf Hoher See oder einem anderen Ort, der keiner staatlichen Hoheitsgewalt untersteht, begangen wird. Mit dieser Definition sind mehrfache Restriktionen verbunden. Zunächst müssen stets zwei Schiffe beteiligt sein, die Meuterei oder Straftaten an Bord nur eines Schiffes sind ausgenommen. Weiterhin schließt die Begrenzung überwiegend politisch motivierte Angriffe wie Terrorakte („maritimer Terrorismus“) aus. Schließlich sind nur Angriffe auf Hoher See und in der ausschließlichen Wirtschaftszone erfasst, nicht aber in territorialer Souveränität unterfallenden Gewässern, wo Piraten ebenfalls regelmäßig aktiv sind oder Zuflucht (vor Verfolgung) suchen. Deshalb erweitert ein völkerrechtlich nicht bindender, aber praktisch bedeutsamer Definitionsvorschlag der IMO den Anwendungsbereich des Art. 101 SRÜ um den bewaffneten Raubüberfall gegen Schiffe, so dass auch Angriffe in staatlichen Hoheitsgewässern, Binnengewässern und Häfen erfasst werden (IMO, Assembly-Res. A. 1025[26], Annex, paragraph 2.1–2.2, 2010). Weitere ergänzende Regelungen enthält etwa die „Convention for the Suppression of Unlawful Acts against the Safety of Maritime Navigation“ (1988). Dabei ist zu beachten, dass an Terrorismus und P. jeweils unterschiedliche Rechtsfolgen geknüpft sind. Nur die P. unterfällt dem Weltrechtsprinzip (universal jurisdiction), nur auf Hoher See haben Staaten weitreichende Interdiktionsrechte. Terroristische Taten sind nur dann universell verfolgbar, wenn entsprechende völkervertragliche Strafverfolgungsrechte (oder gar -pflichten) existieren. Was effektive P.-Bekämpfung bei all dem stets erfordert, ist die in Art. 100 SRÜ normierte Verpflichtung zur Zusammenarbeit der Staaten.

3. Die Perspektive des nationalen und des europäischen Rechts

Völkerrechtliche Regelungen entfalten umso größere Wirkkraft, wenn sie in nationales Recht implementiert werden und nationale Gerichte sich als Treuhänder bei der Durchsetzung völkerrechtlicher Rechte und Pflichten verstehen. Eine Resolution des UN-Sicherheitsrates (SC Res. 2015 [2011]) enthält deshalb die Aufforderung an alle Staaten, P. auch in der nationalen Gesetzgebung zu kriminalisieren. Für die BRD trägt dem z. B. § 316c StGB (Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr) Rechnung. § 4 StGB erklärt das deutsche Strafrecht unabhängig vom Recht des Tatorts für Taten auf deutschen Schiffen oder in deutschen Luftfahrzeugen für anwendbar. Zum Zwecke der Strafverfolgung denkbar ist auch eine Überstellung der Täter an die Justiz eines Staates in der räumlichen Nähe zum Tatort, sofern zwischen Entsende- und Empfängerstaat eine entsprechende Vereinbarung getroffen wurde (transfer agreement) und der entsprechende Staat rechtsstaatliche sowie menschenrechtliche Mindeststandards garantiert. Das GG ermöglicht auch jenseits reiner Verteidigungszwecke Auslandseinsätze der Bundesmarine zur Piratenbekämpfung (siehe Art. 87 a Abs. 2 GG). Solche Einsätze bedürfen jedoch parlamentarischer Zustimmung (Parlamentsvorbehalt) und sind wiederum an enge rechtsstaatliche und menschenrechtliche Grenzen gebunden. Schließlich ist auch die EU als regionale Verantwortungsgemeinschaft ein wichtiger Akteur bei der Bekämpfung von P. Den Rechtsrahmen dazu hält die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik als Teil der GASP (z. B. Art. 43 Abs. 1 EUV) vor.

4. Aktuelle Anwendungsfälle

Das wichtigste aktuelle Beispiel völkerrechtlich angeleiteter P.-Bekämpfung unter Mitwirkung der EU und ihrer Mitgliedstaaten gibt seit der Jahrtausendwende der Einsatz an der Ostküste Somalias (Operation Atalanta). Hier finden die Maßnahmen nicht auf Hoher See, sondern in somalischen Hoheitsgewässern statt. Da diese multinationale Operation die Souveränität Somalias berührt, bedurfte es als Rechtsgrundlage einer Einladung der Übergangsregierung sowie einer Ermächtigung aller mit Somalia kooperierender Staaten durch den UN-Sicherheitsrat nach Kapitel VII der UN-Charta (Res. vom 2.6.2008).