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Version vom 16. Dezember 2022, 06:06 Uhr
Das „Acquired Immune Deficiency Syndrome“ – kurz AIDS – bezeichnet eine Kombination von Krankheitssymptomen, die nach einer Infektion mit dem HI-Virus zur Zerstörung des Immunsystems führen. Lebensbedrohliche opportunistische Infektionen und maligne Tumore gehören zum Krankheitsbild. Am 1.12.1981 wurde AIDS als eigenständige Krankheit anerkannt. Seit Beginn der Epidemie starben ca. 36 Mio. Menschen. AIDS ist in vielen Teilen der Welt eine der häufigsten Todesursachen.
1. Entstehung
Virologen vermuten, dass das mit dem HI-Virus verwandte, bei bestimmten Affenarten vorhandene, SI-Virus vor 1930 durch Verletzungen bei der Jagd auf Schimpansen übertragen wurde. Die älteste Blutprobe, die HIV-1-Antikörper enthält, wurde 1959 in Léopoldville (Demokratische Republik Kongo) von einem erwachsenen Mann genommen. 1981 berichtete Michael Gottlieb in der Juni-Ausgabe des „Morbidity and Mortality Weekly Report“ (hg. v. der US-Gesundheitsbehörde) über die Häufung einer seltenen Form von Lungenentzündung mit starkem Pilzbefall bei Patienten mit einer schwerwiegenden Immunschwäche. Bald wurde angesichts der mehrheitlich homosexuellen Männer unter den Erkrankten die sexuelle Übertragung der neuen Immunschwächekrankheit vermutet und von „Gay Related Immune Deficiency“ bzw. „Gay People’s Immune Deficiency Syndrome“ gesprochen. Weitere Untersuchungen zeigten jedoch, dass die Immunschwäche auch bei Blutern, Empfängern von Bluttransfusionen und heterosexuellen Drogenabhängigen auftrat, weshalb neben der sexuellen von einer parenteralen Übertragung ausgegangen wurde. Am 27.7.1982 verständigten sich die führenden Forschungsinstitute unter Leitung des amerikanischen Centers for Disease Control, die diagnostizierte Immunschwäche als Acquired Immune Deficiency Syndrome (AIDS) zu bezeichnen.
In Deutschland berichtete erstmals „Der SPIEGEL“ am 31.5.1982 über AIDS und charakterisierte die Krankheit als „Homosexuellen-Seuche“. 1982 wurde in New York die erste Gruppe zur Unterstützung von Menschen mit AIDS gegründet. 1983 entstand die AIDS-Hilfe in Berlin. 1985 fand in Atlanta die erste Welt-AIDS-Konferenz statt. Mit Rock Hudson verstarb 1985 der erste Prominente an AIDS. Obwohl 1987 bereits in 113 Ländern HIV-Infektionen diagnostiziert waren, galt AIDS anfänglich als Krankheit von Randgruppen, die häufig kriminalisiert und stigmatisiert wurden. 1987 gründete die WHO das Global Program on HIV/AIDS, aus dem 1996 UNAIDS entstand. 1988 wurde ebenfalls von der WHO der 1. Dezember zum Welt-AIDS-Tag erklärt. Aus Protest gegen die Diskriminierung von HIV-Infizierten wurde 1990 auf der AIDS-Konferenz in San Francisco das Red Ribbon etabliert, die als rote Schleife ein Jahr später zum Symbol für den Kampf gegen AIDS wurde.
2. Aktuelle Zahlen
Nach Angaben von UNAIDS waren 2014 weltweit ca. 36,9 Mio. Personen HIV-positiv. Seit 2000 infizierten sich rund 38,1 Mio. Menschen mit HIV und ca. 25,3 Mio. starben. Im selben Zeitraum sank die Ansteckungsrate um 35 %. 2014 steckten sich zwei Mio. Personen neu an, während 2000 die Zahl der Neuinfizierten noch bei 3,1 Mio. Personen lag. Die Zahl der Neuinfektionen bei Kindern ging 2014 im Vergleich zu 2000 um 58 % zurück, von 520 000 auf 220 000. Die Sterblichkeitsrate sank um 42 %, d. h. 2014 starben weltweit 1,2 Mio. Menschen an AIDS, während es 2005 ca. zwei Mio. AIDS-Tote waren. Von den 36,9 Mio. Erkrankten hatten im Juni 2015 global 15,8 Mio. Zugang zu antiretroviralen Therapien. Ein Jahr zuvor waren es 13,6 Mio. Die Zahl derer, die mit Medikamenten versorgt werden, steigt weltweit. 2014 wurden 41 % aller HIV-infizierten Erwachsenen therapiert (im Vergleich zu 23 % im Jahr 2010). Im selben Zeitraum stieg die Zahl der Kinder in Behandlung von 14 % auf 32 %.
3. Übertragung und Infektion
Übertragen wird das HI-Virus durch Körperflüssigkeiten. Ungeschützter Geschlechtsverkehr und die Benutzung kontaminierter Spritzen bei intravenösem Drogenkonsum sind die häufigsten Ansteckungswege. Wie hoch das Infektionsrisiko beim Geschlechtsverkehr ist, hängt von der Viruslast in der Samenflüssigkeit, im Scheidensekret und im Blut ab. Diese ist in der ersten Zeit nach der Ansteckung besonders hoch, nimmt danach ab und steigt in späten Phasen der Erkrankung erneut stark an. Daneben besteht ein Risiko von 10–30 %, dass eine HIV-positive Mutter während der Schwangerschaft oder bei der Geburt das Virus an ihr Kind weitergibt. Allerdings kann durch antiretrovirale Medikamente (2014: Versorgung bei 73 %), die Geburt durch Kaiserschnitt und den Verzicht auf Stillen das Übertragungsrisiko auf unter 1 % gesenkt werden. War während der ersten Jahre nach Entdeckung des HI-Virus das Risiko einer Ansteckung durch Bluttransfusionen noch sehr hoch (ca. 90 %), tendiert es durch die Routineüberwachung der Blutspenden heute gegen Null.
Nachzuweisen ist die HIV-Infektion über Such- und Bestätigungstests, die frühestens drei bis sechs Wochen nach einem Risikokontakt Antikörper im Blut anzeigen. Grundsätzlich dürfen HIV-Tests nur mit Zustimmung der zu testenden Person durchgeführt werden.
4. Krankheitsverlauf und Therapie
Zwei bis sechs Wochen nach Ansteckung treten meist grippeähnliche Symptome (Fieber, Müdigkeit, Unwohlsein, Kopf- und Gelenkschmerzen, Appetitverlust, Übelkeit etc.) auf. In der daran anschließenden Zeit (Latenzphase) vermehrt sich das Virus, ohne dass körperliche Symptome auftreten. Nach durchschnittlich neun bis elf Jahren treten sogenannt AIDS-definierende Erkrankungen auf, die das durch das HI-Virus geschwächte Immunsystem angreifen. Ohne Behandlung stirbt der Erkrankte.
1996 wurde erstmals eine hochaktive antiretrovirale Therapie (HAART) aus mindestens drei verschiedenen Medikamenten zur Behandlung der HIV-Infektion eingesetzt. Diese Kombinationstherapie rekonstruiert das Immunsystem und verhindert den Ausbruch von AIDS. Ohne dass eine vollständige Beseitigung des HI-Virus und damit eine Heilung erreicht werden könnte, steigert die Behandlung sowohl die Lebensqualität als auch die Lebenserwartung. Einmal begonnen muss sie lebenslang weitergeführt werden und ist nur mit einer sehr hohen Compliance erfolgreich.
Aufgrund der sich entwickelnden Resistenzen sowie des relativ schnell mutierenden HI-Virus müssen Patienten nach einer gewissen Zeit Zugang zu Präparaten der zweiten und dritten Therapielinie erhalten, die jedoch höhere Kosten verursachen. Medikamente der ersten Generation kosteten anfänglich über 10 000 US-Dollar pro Patient im Jahr und sanken ab 2001 mit der Einführung der sogenannten Kombitablette durch den indischen Generikahersteller Cipla auf 300 US-Dollar. Derzeit liegt der Preis bei ca. 115 US-Dollar. Allerdings empfahl die WHO aufgrund der toxischen Belastung bereits 2006 die Umstellung auf die zweite Therapielinie, die zu diesem Zeitpunkt in der günstigsten Variante bei 300 US-Dollar lag. Die Preise der dritten Therapielinie liegen deutlich höher und betragen mindestens 1.500 US-Dollar in den Entwicklungs- und ca. 10.000 US-Dollar in den Schwellenländern, in denen inzwischen 75 % der Armen leben.
Mit Blick auf die weltweite AIDS-Epidemie haben sich die Originalhersteller antiretroviraler Medikamente bereit erklärt, ärmere Länder zu Sonderkonditionen zu beliefern, freiwillig Lizenzen an Generikahersteller zur Nachproduktion ihrer Präparate zu geben oder auf die Verfolgung von Patentrechten diesen gegenüber zu verzichten. Außerdem haben mehrere Originalanbieter für den internationalen Vertrieb ein abgestuftes Preissystem eingeführt, das insb. Afrika begünstigt, wo die Mehrheit der HIV-Infizierten lebt. D. h. Medikamente werden dort zum Selbstkostenpreis abgegeben, der die Kosten für die Herstellung, die Vertriebslogistik und die Überwachung der Arzneimittelsicherheit deckt, nicht jedoch in die Refinanzierung der Forschungs- und Entwicklungskosten für das jeweilige Präparat einzahlt. In den Ländern des globalen Südens werden ca. 20 % aller HIV-Medikamente von Originalanbietern geliefert, ca. 80 % von Generikaherstellern. Zivilgesellschaftliche Akteure, die sich darum bemühen, dass das Menschenrecht auf ein gesundes Leben nicht zu einer Frage von Armut und Reichtum wird, kritisieren den noch unzureichenden Zugang von Entwicklungs- und Schwellenländern zu Angeboten der dritten Therapielinie und fordern, weitere Medikamente an den 2010 gegründeten Medicines-Patentpool zu lizenzieren, damit möglichst viele Zugang zu preisgünstigen Therapien bekommen.
5. Verbreitung
Besonders verbreitet ist HIV/AIDS in Afrika südlich der Sahara. 25,8 Mio. der insgesamt 36,9 Mio. HIV-Infizierten (2014) leben hier, wobei 41 % (10,7 Mio.) Zugang zu antiretroviralen Therapien haben. 2014 kam es zu 1,4 Mio. Neuinfektionen; 790.000 Menschen starben infolge von AIDS. Die Epidemie hat neben Stigmatisierung, Diskriminierung und Ausgrenzung nicht nur viel menschliches Leid über die betroffenen Familien gebracht, sondern auch dazu geführt, dass tragende gesellschaftliche Strukturen zerbrechen, Armut und Hunger zunehmen, die Bildungschancen für Kinder, v. a. für AIDS-Waisen, sinken und erreichte wirtschaftliche Erfolge zunichte gemacht werden.
Die desaströse Entwicklung von HIV/AIDS in dieser Region ist durch viele Faktoren begünstigt: Während in Nordamerika und Europa sehr bald nach Bekanntwerden der Krankheit bewusstseinsbildende Kampagnen gestartet wurden, war AIDS in den meisten Ländern Afrikas ein Tabuthema, über das es in der Öffentlichkeit kaum seriöse Informationen gab. Ebenso erkannten einige Regierungen die mit HIV/AIDS gegebenen drängenden Herausforderungen nicht bzw. zu spät und verstanden die von der WHO empfohlenen Programme als neokolonialistischen Versuch der Einflussnahme von außen (Kolonialismus), so dass sich das Virus jahrelang ungehindert ausbreiten konnte. Südafrikas Präsident Thabo Mbeki z. B. berief Peter Duesberg, der als einer der wenigen Forscher die Existenz des HI-Virus und den Zusammenhang von HIV und AIDS leugnet, in seine Beraterkommission für Gesundheitsfragen und begünstigte durch sein politisches Agieren in der Post-Apartheid-Ära ein Klima der Ignoranz und Unbekümmertheit, in dem abstruse Behauptungen positive Resonanz fanden, wie z. B. dass Heilung von AIDS durch Sex mit einer Jungfrau möglich sei. Andererseits förderten sozio-kulturelle und ökonomische Faktoren wie Wanderarbeit, Polygamie, das öffentliche Schweigen über Sexualität und damit verbunden über Ansteckungswege, die geringe sexuelle Selbstbestimmung der Frau, häusliche und sexualisierte Gewalt, Prostitution und die Kriminalisierung von Homosexualität die rasche Ausbreitung des Virus.
6. Bekämpfung
Wie die Erfahrungen gerade in den Hochprävalenzländern zeigen, wird AIDS am besten durch die Minderung des Risikoverhaltens und der Risikoverhältnisse (Risiko) bekämpft. Armut ist oft die größte Gefahr, sich mit HIV zu infizieren und an AIDS zu sterben. Denn infolge der Risikoverhältnisse, in denen arme Menschen leben und die sie zu erhöhtem Risikoverhalten veranlassen, sind sie überproportional gefährdet, sich zu infizieren und zu erkranken. Außerdem haben sie nicht im selben Maße Zugang zu den neuesten Therapien. Frauen weisen ein um den Faktor 1,2 erhöhtes Infektionsrisiko auf. Viele sind gezwungen, sich zu prostituieren (Prostitution), und riskieren dabei stark gesundheitsgefährdende sexuelle Praktiken. Außerdem haben sie in vielen Ländern weniger Bildungschancen, keine (sexuellen) Selbstbestimmungsrechte und gelten – besiegelt durch die Zahlung von Brautpreis oder Mitgift – als Besitz des Mannes. Die weltweit zunehmende Feminisierung der Armut korreliert mit der erhöhten Vulnerabilität von Frauen in Bezug auf HIV/AIDS. Der „Bericht über die menschliche Entwicklung 2003“ bezeichnet HIV/AIDS als den „größten Schlag für die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte“ (UNDP 2003: 53) und zeigt auf, dass AIDS eine Krankheit der Armut ist und zwar als Ursache und Wirkung.
Entscheidend für den erfolgreichen Kampf gegen AIDS sind neben dem politischen Willen, entspr. Rahmenbedingungen zu gewähren und Maßnahmen zu ergreifen, zielgruppen- und kulturspezifische Informationskampagnen, die zu einer Verhaltensänderung i. S. verantwortlich gelebter Sexualität und zur Reduzierung der Armut führen.
Eine Schlüsselfunktion in diesem Maßnahmenpaket kommt dabei der Prävention zu. Als wirksamster Schutz vor einer HIV-Ansteckung wurden in der ersten Zeit unter der englischen Abk. „ABCD“ – Enthaltsamkeit (abstinence), Treue (be faithful) und die Nutzung von Kondomen (condoms) – propagiert. Werden diese drei Punkte nicht eingehalten, sind die Erkrankung und der Tod vorprogrammiert (death). Kondome, so der Tenor dieser Argumentationskette, sind weder das beste noch das einzige Mittel, um sich zu schützen. Diese nach dem Prinzip der Gradualität konstruierte Formel stellte für viele Lebensrealitäten eine Überforderung dar; zudem stieß die Verwendung von Kondomen auf Kritik in Teilen der Zivilgesellschaft. Die katholische Kirche etwa betrachtet Kondome nicht als unter bestimmten Umständen zu billigendes und damit erlaubtes Mittel des Lebensschutzes und nimmt daran Anstoß, dass in politischen Programmen so getan wird, als seien Kondome die Lösung des Problems. Aufgrund der Kritik an ABCD entwickelte sich eine neue, unter der Abk. „SAVE“ bekannte Formel:
S steht für safer practises, womit alle Praktiken bezeichnet werden, die eine Ansteckung mit HIV verhindern, an oberster Stelle Enthaltsamkeit und Treue. Gleichzeitig muss situativ passend für den jeweiligen Kontext über alle Formen der Prophylaxe informiert und der Zugang dazu ermöglicht werden. A (available medication) beschreibt nicht nur den Zugang zu antiretroviralen Therapien, sondern alle gesundheitsrelevanten Maßnahmen, die zur Prävention und zur Behandlung der HIV-Infizierten helfen und diesen eine bessere Lebensqualität sowie Lebensverlängerung ermöglichen. V (voluntary counselling and testing) zielt auf eine Verminderung der Neuinfektionen. Denn Menschen, die sich beraten und testen lassen, wissen um ihren Status und können sich und andere besser schützen. Nach wie vor werden die meisten Neuinfektionen von Menschen verursacht, die ihren Status nicht kennen. E steht für empowerment through education und unterstreicht, dass der Zugang zu allen relevanten und richtigen Informationen die Voraussetzung für eine reife moralische Entscheidung und ein verantwortetes Verhalten ist.
Alle Studien haben gezeigt, dass die Länder die höchsten Infektions- und Todesraten haben, in denen HIV tabuisiert und totgeschwiegen wurde. Diese Tatsache wurde in der Aussage konzentriert: „Wer über AIDS. schweigt, stirbt!“ Deshalb lautet das Motto, das gerade auch von den Kirchen mit ihren zahlreichen Initiativen der ganzheitlichen Sorge um HIV-Infizierte und AIDS-Kranke in einem Milieu der Stigmatisierung und Diskriminierung geteilt wird: „Das Schweigen brechen!“
HIV/AIDS konfrontiert die Weltgesellschaft über die medizinisch-therapeutischen Aspekte hinaus mit weitreichenden ethischen Fragen, die sich jenseits von Kriminalisierung, Benachteiligung, Ausgrenzung und Schuldzuweisung im Spannungsgefüge von Risikoverhalten und Risikoverhältnissen bewegen. Darauf aufmerksam zu machen, ist in Kooperation mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren ein starkes Anliegen der Weltreligionen. Entgegen der Rede von „AIDS als Strafe Gottes“ engagieren sie sich im Bereich der vorurteilsfreien, ganzheitlichen Sorge um Infizierte wie Erkrankte. Anwaltschaftlich üben sie insb. in Fragen der Armutsbekämpfung, der Achtung der Menschenrechte einschließlich derer von sexuellen Minderheiten und der gerechten Verteilung sowie Zugangsbedingungen zu günstigen Therapien für alle, die Behandlung brauchen, mit Erfolg Druck auf politische Verantwortungsträger aus. Sie betonen, dass überall, wo HIV/AIDS sehr verbreitet ist, die Ungerechtigkeit und die Verletzung der Würde des Menschen (Menschenwürde) am größten sind.
Weltweit werden viele HIV-Infizierte und AIDS-Erkrankte in kirchlichen Einrichtungen behandelt. Als vorbildlich gelten deren Unterstützungsleistungen, die in den sogenannten „home based care-Programmen“ kultur- und gendersensibel direkt vor Ort durchgeführt werden. Die Ortskirchen Afrikas haben eine Theologie im Angesicht von HIV/AIDS entwickelt, in deren Mittelpunkt die Aussage steht: „Der Leib Christi ist HIV-positiv“! Aufgabe der Kirche ist es demnach, heilende Gemeinschaft für alle zu sein und sich um den Leib Christi zu sorgen, der HIV/AIDS hat. Bischof Frank Nubuassah von Francistown/Botswana sagt: „Nichts hat in den letzten Jahren die Kirche vor so große Herausforderungen gestellt wie die tödliche Immunkrankheit AIDS. Sie hat uns vor Augen geführt, wie häufig wir das Gebot, Gott und unsere Schwestern und Brüder zu lieben, missachten. Wir Christen sind herausgefordert, aufzustehen und … zu sagen, dass AIDS keine Strafe Gottes ist. … Wenn wir die Kranken … als Teil des gebrochenen Leibes Christi, der der Liebe und Fürsorge bedarf, willkommen heißen, zeigen wir der Welt das leidenschaftlich liebende Antlitz Gottes. Das ist nicht die Zeit, andere zu verurteilen, sondern zusammen zu stehen und den Leib Christi zu heilen.“ (Heidemanns/Moerschbacher: 7 ff.)
7. Ausblick
Heute mag der Eindruck entstehen, AIDS sei aufgrund des erreichten medizinischen Fortschritts – nach UNAIDS wurden zwischen 2002 bis 2014 ca. 10 Mio. Neuinfektionen abgewendet und 7 Mio. Todesfälle verhindert – kein prioritäres Thema mehr auf der politischen Agenda; in den Industrieländern breiten sich aufgrund des gesicherten Therapiezugangs sowohl Sorglosigkeit als auch ein erhebliches Wissensdefizit aus. Die Bemühungen um die HIV-Prävention, Pflege, Betreuung und Unterstützung von AIDS-Kranken sowie der Kampf gegen Stigmatisierung und Diskriminierung dürfen aber nicht reduziert werden. 2010 proklamierte UNAIDS: „Zero new infections, zero discrimination, zero Aids related deaths“! Die UNO verpflichtete sich in den MDGs, bis 2015 allen Zugang zu HIV-Prävention, Behandlung, Betreuung und Pflege bereitzustellen. Dieses Ziel wurde nicht erfüllt. Deshalb wird in „The Global Goals for Sustainable Development“ (2015) verbindlich das Ende von AIDS, Tuberkulose und Malaria für 2030 angezielt (Nachhaltigkeitsziele). D. h. alle sollen Zugang zu Tests und Behandlung haben, alle HIV-Infizierten antiretrovirale Medizin bekommen, niemand mehr an AIDS sterben, kein Baby mit HIV zur Welt kommen und die HIV-Infizierten sollen in Würde, ohne Diskriminierung und Stigmatisierung leben. Um dieses Ziel zu erreichen, muss nach Auskunft der Welt-AIDS-Konferenz von Melbourne (2014) folgendes Etappenziel verlässlich bis 2020 umgesetzt werden: 90 % aller Infizierten sollen getestet sein, 90 % behandelt werden und bei 90 % soll das Virus unter die Nachweisgrenze im Blut gesenkt sein.
Literatur
HIV-Arbeitskreis Südwest/Deutsche AIDS-Hilfe (Hg.): HIV und AIDS: Ein Leitfaden für Ärzte, Helfer und Betroffene, 32014 • A. Berner-Rodoreda/R. Of: HIV-positiv … und wie damit leben?, 2013 • A. Gerth u. a. (Hg.): Religionen im Kampf gegen HIV/Aids, 2009 • K. Heidemanns/M. Moerschbacher (Hg.): Gott vertrauen? Aids und Theologie im südlichen Afrika, 2005 • UNDP: Bericht über die menschliche Entwicklung 2003, 2003 • S. Weinreich/C. Benn: Aids – eine Krankheit verändert die Welt. Daten – Fakten – Hintergründe, 2003 • J. F. Keenan u. a. (Hg.): Catholic Ethicists on HIV/Aids, 2000. • Aktionsbündnis gegen AIDS e.V, URL: www.aids-kampagne.de, abger. am 08.09.2016 • UNAIDS (Hg.): Data tools, URL: www.unaids.org, abger. am 08.09.2016
Empfohlene Zitierweise
S. Rappel: AIDS, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/AIDS (abgerufen: 24.11.2024)