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Aktuelle Version vom 14. November 2022, 05:56 Uhr
K. ist das Recht, das den Kapitalmarkt (Geld- und Kapitalmarkt) regelt. Diese Definition ist aber trügerisch, denn der Begriff des Kapitalmarkts ist unter Ökonomen umstritten und der Kapitalmarkt wird durch eine Vielzahl von Rechtsnormen beeinflusst. K. wird besser als die Gesamtheit der Lehren, Grundsätze und Normen verstanden, die den Individualschutz der Anleger und den Funktionenschutz des Kapitalmarkts verfolgen. Das K. ist in Deutschland erst in den 1970er Jahren aus dem Anlegerschutz entstanden, damals setzte auch die Entwicklung vom Aktien- und Börsenrecht zum K. ein. Seine Ursprünge hat das K. in den USA, dort in den 1930er Jahren in Antwort auf die Weltwirtschaftskrise mit der securities regulation und der SEC. Seither hat sich das K. national und international stürmisch entwickelt. Die Bedürfnisse und immer wieder auftretende Missstände führen zu einer zunehmend engmaschigen Regulierung durch Gesetzgeber, Gerichte und Kapitalmarktaufsichtsbehörden. Heute umfasst das K. allein in Deutschland nach einer jüngsten kleinen Gesetzestextsammlung an die 1 000 Seiten, und die Zahl der Judikate ist Legion.
Regelungsziel des K.s ist es, die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für einen funktionierenden Kapitalmarkt zu schaffen. Die Allokationseffizienz des Kapitalmarkts setzt eine hinreichende Informationsversorgung voraus. Nur so können die Transaktionen am Kapitalmarkt rasch und kostengünstig durchgeführt werden (operationale Effizienz). Darüber hinaus ist ein funktionierender Anlegerschutz Voraussetzung dafür, dass die Kapitalanleger das für ihre Anlagebereitschaft notwendige Vertrauen fassen (institutionelle Effizienz). Der Kapitalanlegerschutz kann institutionell oder individuell sein. Individuell bedeutet, dass der einzelne Anleger Schadensersatzansprüche hat, etwa bei falschen Angaben in Emissionsprospekten (Prospekthaftung) oder unrichtigem Anlagerat der Banken (Haftung für Rat und Auskunft). Institutioneller Schutz des Anlegerpublikums funktioniert ohne Einzelansprüche etwa durch Vorschriften über Publizität oder für Börsen und Absatzmärkte.
Zentrales Regelungsinstrument ist die kapitalmarktrechtliche Publizität, die neben die herkömmliche Rechnungslegungspublizität der Kapitalgesellschaften getreten ist und für die Anleger durch haftungsbewehrte Aufklärungs- und Beratungspflichten aktualisiert wird. Die Verfassung von Märkten wird durch das Börsenrecht und für den Markt für Unternehmenskontrolle durch das Übernahmerecht geregelt. Hinzu treten Verhaltensregeln für die Kapitalmarktteilnehmer (v. a. für die Emittenten und die Finanzmarktintermediäre), Regeln für bestimmte Anlageprodukte (Finanzinstrumente) und vielfältige Kapitalanlegerschutzregeln. Überwölbt wird dies durch die Kapitalmarktaufsicht.
Das WpHG ist das Grundgesetz des K.s. Es regelt u. a. die Aufgaben und Befugnisse der Kapitalmarktaufsichtsbehörde (BaFin in Frankfurt), die Ratingagenturen, die Publizität von Emittenten und Unternehmen und die Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten der Wertpapierdienstleistungsunternehmen samt der Haftung für falsche und unterlassene Kapitalmarktinformationen. Das Börsengesetz regelt den Betrieb und die Organisation der Börsen, die Börsenzulassung und die Ermittlung von Börsenpreisen. Daneben gibt es zahlreiche weitere kapitalmarktrechtliche Gesetze und Rechtsverordnungen wie Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, Wertpapierprospektgesetz und Vermögensanlagegesetz. Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz erlaubt es, Schadensersatzansprüche wegen fehlerhafter Kapitalmarktinformation in Musterverfahren zu bündeln. Für die US-amerikanischen class actions, die für Anwälte dort ein regelrechtes Geschäftsmodell darstellen, hat sich der deutsche K.s-Gesetzgeber nicht erwärmen können.
Das europäische K. wird immer wichtiger. So ist seit Ende der 1970er Jahre das Börsenrecht durch europäische Richtlinien angeglichen worden. Solche Richtlinien geben den Mitgliedstaaten der EU nur bestimmte Regelungen vor, die diese dann in nationales Recht umsetzen müssen (Mindestharmonisierung und gegenseitige Anerkennung). Die Entwicklung hat zu einer erheblichen Annäherung der K.e in Europa geführt, auch wenn v. a. bei der Durchsetzung und in Einzelheiten noch vielfach Unterschiede bestehen. Die EU ist deshalb neuerdings dazu übergegangen, in bestimmten Bereichen unmittelbar geltendes europäisches K. zu setzen, so ab 2017 das Insiderrecht und das Recht der Marktmanipulation. Leider wird der Brexit dazu führen, dass die auf dem Gebiet der Finanzmarktregulierung führende europäische Nation aus diesem Verbund ausscheidet. Was das für die beiderseitigen Beziehungen, aber auch für die Weiterentwicklung des europäischen K.s bedeutet, bleibt abzuwarten. Sicher ist jedoch, dass die EU wie schon bei der europäischen Bankenunion (2014) auf dem seit 2015 eingeschlagenen Weg zu einer europäischen Kapitalmarktunion fortschreiten wird. Ob es dabei zu einer europäischen Kapitalmarktaufsicht kommen wird, ist derzeit unsicher.
Literatur
Kapitalmarktrecht. Textausgabe mit Sachverzeichnis, 32016 • S. Kalss/M. Oppitz/J. Zollner: Kapitalmarktrecht, 22015 • P. Buck-Heeb: Kapitalmarktrecht, 72014 • N. Moloney: EU Securities and Financial Markets Regulation, 32014 • R. Veil (Hg.): Europäisches Kapitalmarktrecht, 22014 • E. Schwark/D. Zimmer (Hg.): Kapitalmarktrechts-Kommentar, 42010 • H. Merkt: Kapitalmarktrecht, in: S. Grundmann u. a., (Hg.): FS für Klaus J. Hopt zum 70. Geburtstag am 24. August 2010. Unternehmen, Markt und Verantwortung, Bd. 2, 2010, 2207–2245 • K. J. Hopt: 50 Jahre Anlegerschutz und Kapitalmarktrecht: Rückblick und Ausblick, in: WM Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 63/40 (2009), 1873–1881 • Ders.: Vom Aktien- und Börsenrecht zum Kapitalmarktrecht? Teil 2, in: ZHR 141/5 (1977), 389–441.
Empfohlene Zitierweise
K. Hopt: Kapitalmarktrecht, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Kapitalmarktrecht (abgerufen: 23.11.2024)