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Aktuelle Version vom 16. Dezember 2022, 06:12 Uhr
Symbole sind optische, akustische, rituelle oder gedankliche Zeichen, die auf einen aus ihrer konkreten Erscheinung nicht ohne weiteres wahrnehmbaren Sinngehalt verweisen. Durch Symbole erschließt der Mensch als „animal symbolicum“ (Cassirer 1990: 51) die Welt, er verwendet sie zu den verschiedensten Zwecken, die sich als „Ausdruck“, „Darstellung“ und „Bedeutung“ zusammenfassen lassen. S. erfüllen als integraler Teil des Staatszeremoniells alle diese Funktionen: Zunächst sind sie schlicht (zu-)ordnende Kennzeichen des Staats, und zwar ganz allgemein im internationalen Verkehr und spezifisch für das Ausüben von Hoheitsgewalt. Ferner repräsentieren sie den Staat und machen ihn, insb. als „substitutive Bildakte“ (Bredekamp 2015: 194) oder entsprechende „Tonakte“ (van Leeuwen 1999: 92), sinnlich wahrnehmbar. Schließlich kommt den S.n eine herausgehobene Bedeutung für die „sachliche Integration“ (Smend 1994: 160) des Staates und die „Staatspflege“ (Krüger 1977) zu.
1. Genealogie und Theorie der Staatssymbole
Die zeitgenössische Alltagssprache kontrastiert das „bloß“ Symbolische mit dem rechtlich Relevanten, die Ordnung der Welt durch „symbolische Kommunikation“ (Stollberg-Rilinger 2004) erscheint fremd und vergangen. Doch gerade im modernen Verfassungsstaat sind die S. Recht. Damit bilden sie – neben den Verkehrszeichen – die letzte relevante Teilmenge des ehemals reichen Kreises der Rechtssymbole. Deren gegenüber dem sprachlich gefassten Rechtssatz spezifische, „komplementäre“ (Habermas 2001: 62) Wirkung liegt in „besonders elastischer Repräsentation eines Wertgehalts“ (Smend 1994: 164), letztlich in ihrer „Poesie“ als „dunkle, heilige und historische bedeutung; mangelte diese, so würde der allgemeine glaube daran und seine herkömmliche Verständlichkeit fehlen“ (Grimm 1816: 75).
Der moderne Staat hat dementsprechend keine neue Symbolsprache erfunden, sondern sich des vorgefundenen symbolischen und heraldischen Instrumentariums bedient – prototypisch: Flagge, Wappen, Siegel, Hymne, Orden, Nationalfeiertag und Hauptstadt, im weiteren Sinne auch Denkmale und repräsentative Gebäude.
Insb. die visuellen S. wurzeln als Feld- und Herrschaftszeichen in antiken bis archaischen Zeiten, bis heute ist ihr Erscheinungsbild und ihre Formensprache, insb. ihre Tiersymbolik von einer bemerkenswerten globalen Konstanz geprägt. Ihre Transposition zu S.n setzte zunächst die Entkoppelung des Staatsoberhaupts und des Staats als juristische Person voraus, aus der die bis heute gegenwärtige (etwa Art. 1 der Japanischen Verfassung von 1946) und das Völkerrecht prägende Auffassung des Staatsoberhaupts als verkörpertes Symbol „seines“ Staates folgt.
Mit dem republikanischen Verfassungsstaat der Moderne treten Verfassungen selbst als nüchtern im „Verbalismus“ (Isensee 1992: 238) existierendes Textsymbol, bisweilen aber auch als „Ikone der Revolution“ (Schulz 2015: 196) in den Kreis des S.s ein. Dies gilt im besonderen Maße für die Verfassung der USA von 1787 und die Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen von 1789.
2. Staatssymbole der BRD
Art. 22 Abs. 2 GG bestimmt die Farben schwarz-rot-gold zur Bundesflagge. Bis 2006 war die Bundesflagge das einzige von Verfassungs wegen bestimmte S., was deren herausgehobene Bedeutung kennzeichnet. Seitdem tritt gemäß Art. 22 Abs. 1 GG die Bundeshauptstadt Berlin hinzu.
Alle anderen S. wurden durch – i. d. R. im BGBl verkündete – präsidentielle Akte in Gestalt von Anordnungen, Erlassen, Bekanntmachungen, Proklamationen gestiftet. Bundeswappen und -siegel sowie die Standarte des Bundespräsidenten übernehmen die Bild- und Formensprache ihrer Weimarer Vorgänger und führen die Tradition des Adlers als Herrschaftszeichen fort. Für die Bestimmung der Nationalhymne hat sich die bemerkenswerte Form des Briefwechsels zwischen Bundespräsident und Bundeskanzler (1952: Theodor Heuss/Konrad Adenauer, 1991: Richard von Weizsäcker/Helmut Kohl) etabliert. Deren letzter bestimmte endgültig die dritte Strophe des – erstmals 1922 durch Reichpräsident Friedrich Ebert proklamierten – Deutschlandlieds zur Nationalhymne der BRD.
Die in der Staatspraxis gelebte Symbolverantwortung des Bundespräsidenten ist keine ausdrückliche Kompetenz, sondern fließt aus seiner Integrationsfunktion als Staatsoberhaupt. In der parlamentarischen Demokratie (Parlament) des GG kann die Regelung der S. daher freilich jederzeit auch durch förmliches Gesetz erfolgen; eingedenk des Vorbehalts des Gesetzes muss sie das auch, soweit in Grundrechte eingegriffen wird. So flankiert das Ordensgesetz etwa den Stiftungserlass des Bundespräsidenten über den Verdienstorden der BRD durch Regelungen zum Entzug der Auszeichnung etc.; analog regelt das Flaggenrechtsgesetz die punktuelle Pflicht Privater zum Führen der Bundesflagge. § 90a StGB schließlich stellt die Verunglimpfung des S.s unter Strafe.
Die oftmals beklagte zeitgenössische nüchterne Distanz gegenüber den klassischen S.n – bei gleichzeitiger Tendenz zur Apotheose des GG als S. – kann als Kontrast zu dem bis in den alltäglichen Lebensvollzug ausgetragenen Weimarer Flaggenstreit auch als ein Ausdruck errungener republikanischer Normalität verstanden werden. Die Formlosigkeit staatlicher Selbstdarstellung ist allerdings kein Ausdruck gereifter Demokratie und Rechtsstaatlichkeit (Rechtsstaat), sondern unter dem Aspekt der Symbolklarheit geradewegs deren Gegenteil.
Literatur
M. Llanque: Die Weimarer Reichsverfassung und ihre Staatssymbole, in: H. Dreier/C. Waldhoff (Hg.): Das Wagnis der Demokratie. Eine Anatomie der Weimarer Reichsverfassung, 2018, 87–110 • H. Bredekamp: Der Bildakt, 2015 • D. Schulz: Verfassungsbilder. Die visuelle Inszenierung konstitutioneller Rechtsordnung, in: ders./M. Llanque (Hg.): Verfassungsidee und Verfassungspolitik, 2015, 191–200 • P. Goodrich: Legal Emblems and the Art of Law, 2013 • P. Häberle: Nationalhymnen als kulturelle Identitätselemente des Verfassungsstaates, 22013 • H. Bredekamp: Staat, in: U. Fleckner/M. Warnke/H. Ziegler (Hg.): Hdb. der politischen Ikonographie, Bd. 2, 22011, 373–380 • P. Häberle: Nationalflaggen, 2008 • J. Hartmann: Staatszermoniell, 32007 • W. Gephart: Recht als Kultur, 2006 • H. Hattenhauer: Deutsche Nationalsymbole. Geschichte und Bedeutung, 42006 • E. Klein: Die Staatssymbole, in: HStR, Bd. 1, 32004, § 19 • B. Stollberg-Rilinger: Symbolische Kommunikation in der Vormoderne, in: ZHF 31/4 (2004), 489–527 • J. Habermas: Symbolischer Ausdruck und rituelles Verhalten, in: G. Melville (Hg.): Institutionalität und Symbolisierung, 2001, 53–68 • T. van Leeuwen: Speech, Music, Sound, 1999 • R. Smend: Verfassung und Verfassungsrecht, in: ders. (Hg.): Staatsrechtliche Abhandlungen, 31994, 119–276 • J. Isensee: Staatsrepräsentation und Verfassungspatriotismus. Ist die Republik der Deutschen zu Verbalismus verurteilt?, in: J.-G. Gauger/J. Stagl (Hg.): Staatsrepräsentation, 1992, 223–241 • E. Cassirer: Versuch über den Menschen, 1990 • P. Häberle: Feiertage als kulturelle Identitätselemente des Verfassungsstaates, 1987 • H. Krüger: Von der Staatspflege überhaupt, in: H. Quaritsch (Hg.): Die Selbstdarstellung des Staates, 1977, 21–50 • P. E. Schramm: Herrschaftszeichen und Staatssymbolik. Beiträge zu ihrer Geschichte vom 3. bis zum 16. Jahrhundert, 3 Bde., 1954 ff. • E. Cassirer: Das Symbolproblem und seine Stellung im System der Philosophie, in: ZAAK 21/2 (1927), 295–312 • J. Grimm: Von der Poesie im Recht, in: Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft, Bd. 2 (1816), 25–99.
Empfohlene Zitierweise
H. Grefrath: Staatssymbole, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Staatssymbole (abgerufen: 23.11.2024)