Vatikanstadt: Unterschied zwischen den Versionen

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Mit der Besetzung Roms durch italienische Truppen am 20.9.1870 war der Kirchenstaat untergegangen. Davon blieben zwar sowohl der völkerrechtliche Status des [[Heiliger Stuhl|Heiligen Stuhl]] wie auch faktisch die Hoheit des Papstes über den Vatikan (welche Italien einseitig durch das Garantiegesetz von 1871 zu respektieren versprach) unberührt, gleichwohl verfügte der Hl. Stuhl nicht mehr über eine souveräne territoriale Basis für seine Sendung. Diese sog.e „römische Frage“ wurde erst durch den Lateranvertrag vom 11.2.1929 gelöst.
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Mit der Besetzung Roms durch italienische Truppen am 20.9.1870 war der Kirchenstaat untergegangen. Davon blieben zwar sowohl der völkerrechtliche Status des [[Heiliger Stuhl|Heiligen Stuhl]] wie auch faktisch die Hoheit des Papstes über den Vatikan (welche Italien einseitig durch das Garantiegesetz von 1871 zu respektieren versprach) unberührt, gleichwohl verfügte der Hl. Stuhl nicht mehr über eine souveräne territoriale Basis für seine Sendung. Diese sogenannte „römische Frage“ wurde erst durch den Lateranvertrag vom 11.2.1929 gelöst.
 
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Mit dem Lateranvertrag im engeren Sinne (wird hingegen im weiteren Sinne die Pluralform verwendet, sollen auch das gleichzeitig abgeschlossene [[Konkordat]] sowie ein Finanzabkommen einbezogen werden) bezweckten die Vertragspartner – der Hl. Stuhl und Italien&nbsp;– eine „endgültige Regelung ihrer gegenseitigen Beziehungen vorzunehmen“ und „dem Heiligen Stuhl eine dauernde tatsächliche und rechtliche Lage“ zu verbürgen, die „ihm Gewähr für die völlige Unabhängigkeit bei der Erfüllung seiner hohen Aufgabe in der Welt bietet“. Zu diesem Zweck – „Sicherstellung völliger und sichtbarer Unabhängigkeit“ – wurde dem Hl. Stuhl „eine unstreitige Souveränität auch auf internationalem Gebiet“ (Präambel) verbürgt und zu diesem Zweck die V. (bzw. „Vatikanstaat“/„Stato della Città del Vaticano“) „geschaffen“ (Art.&nbsp;3 Abs.&nbsp;1). Aus dieser Formulierung wird deutlich, dass die V. nicht etwa den Kirchenstaat von 1870 fortsetzt (dieser ist vielmehr durch Debellation untergegangen), sondern konstitutiv neu errichtet wurde (die entsprechenden italienischen Verben lauten <I>costituire</I> und <I>creare</I>). Beide Parteien erklärten die sogenannte „römische Frage“ für „endgültig und unwiderruflich (…) beigelegt“ (Art.&nbsp;26 Abs.&nbsp;1).
 
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Seit Anbeginn verfügt die V. über ein „Grundgesetz“ (lex fundamentalis). Die aktuell geltende Version datiert aus dem Jahr 2000. Die Rolle des [[Papst|Papstes]] entspricht derjenigen, die er kraft seines Jurisdiktionsprimats in der Kirche ausübt: Ihm steht die Fülle der gesetzgebenden, ausführenden und richterlichen Gewalt zu (Art.&nbsp;1 Abs.&nbsp;1), er vertritt die V. nach außen (Art.&nbsp;2). Auch wenn er jederzeit seine Gewalt selbst ausüben oder sie anderen Instanzen übertragen kann (Art.&nbsp;3 Abs.&nbsp;1, Art.&nbsp;16), werden die Staatsfunktionen im Regelfall von bes.n Organen wahrgenommen:
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Seit Anbeginn verfügt die V. über ein „Grundgesetz“ (lex fundamentalis). Die aktuell geltende Version datiert aus dem Jahr 2000. Die Rolle des [[Papst|Papstes]] entspricht derjenigen, die er kraft seines Jurisdiktionsprimats in der Kirche ausübt: Ihm steht die Fülle der gesetzgebenden, ausführenden und richterlichen Gewalt zu (Art.&nbsp;1 Abs.&nbsp;1), er vertritt die V. nach außen (Art.&nbsp;2). Auch wenn er jederzeit seine Gewalt selbst ausüben oder sie anderen Instanzen übertragen kann (Art.&nbsp;3 Abs.&nbsp;1, Art.&nbsp;16), werden die Staatsfunktionen im Regelfall von besonderen Organen wahrgenommen:
 
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Das geltende materielle Recht in der V. ergibt sich aus dem Gesetz Nr.&nbsp;LXXI über die Rechtsquellen vom 1.10.2008. Nach dessen Art.&nbsp;1 ist das kanonische Recht ([[Kirchenrecht]]) die „erste Rechtsquelle“ (Abs.&nbsp;1), wohingegen das vatikanische Grundgesetz sowie die sonstigen vatikanischen Gesetze „Hauptquellen des Rechts“ darstellen (Abs.&nbsp;2–3). Außerdem sind die Bestimmungen des allg.en internationalen Rechts sowie das vom Hl. Stuhl gezeichnete Vertragsrecht zu berücksichtigen (Abs.&nbsp;4). Ergänzend dazu findet die jeweils geltende italienische Gesetzgebung Anwendung (Art.&nbsp;3, zum spezifischen ordre public-Vorbehalt der kirchlichen und vatikanischen Rechtsordnung: Abs.&nbsp;2), namentlich im Zivil-, Straf-, Verfahrens- und Verwaltungsrecht.
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Das geltende materielle Recht in der V. ergibt sich aus dem Gesetz Nr.&nbsp;LXXI über die Rechtsquellen vom 1.10.2008. Nach dessen Art.&nbsp;1 ist das kanonische Recht ([[Kirchenrecht]]) die „erste Rechtsquelle“ (Abs.&nbsp;1), wohingegen das vatikanische Grundgesetz sowie die sonstigen vatikanischen Gesetze „Hauptquellen des Rechts“ darstellen (Abs.&nbsp;2–3). Außerdem sind die Bestimmungen des allgemeinen internationalen Rechts sowie das vom Hl. Stuhl gezeichnete Vertragsrecht zu berücksichtigen (Abs.&nbsp;4). Ergänzend dazu findet die jeweils geltende italienische Gesetzgebung Anwendung (Art.&nbsp;3, zum spezifischen ordre public-Vorbehalt der kirchlichen und vatikanischen Rechtsordnung: Abs.&nbsp;2), namentlich im Zivil-, Straf-, Verfahrens- und Verwaltungsrecht.
 
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Aktuelle Version vom 16. Dezember 2022, 06:13 Uhr

Mit der Besetzung Roms durch italienische Truppen am 20.9.1870 war der Kirchenstaat untergegangen. Davon blieben zwar sowohl der völkerrechtliche Status des Heiligen Stuhl wie auch faktisch die Hoheit des Papstes über den Vatikan (welche Italien einseitig durch das Garantiegesetz von 1871 zu respektieren versprach) unberührt, gleichwohl verfügte der Hl. Stuhl nicht mehr über eine souveräne territoriale Basis für seine Sendung. Diese sogenannte „römische Frage“ wurde erst durch den Lateranvertrag vom 11.2.1929 gelöst.

1. Entstehung durch Lateranvertrag

Mit dem Lateranvertrag im engeren Sinne (wird hingegen im weiteren Sinne die Pluralform verwendet, sollen auch das gleichzeitig abgeschlossene Konkordat sowie ein Finanzabkommen einbezogen werden) bezweckten die Vertragspartner – der Hl. Stuhl und Italien – eine „endgültige Regelung ihrer gegenseitigen Beziehungen vorzunehmen“ und „dem Heiligen Stuhl eine dauernde tatsächliche und rechtliche Lage“ zu verbürgen, die „ihm Gewähr für die völlige Unabhängigkeit bei der Erfüllung seiner hohen Aufgabe in der Welt bietet“. Zu diesem Zweck – „Sicherstellung völliger und sichtbarer Unabhängigkeit“ – wurde dem Hl. Stuhl „eine unstreitige Souveränität auch auf internationalem Gebiet“ (Präambel) verbürgt und zu diesem Zweck die V. (bzw. „Vatikanstaat“/„Stato della Città del Vaticano“) „geschaffen“ (Art. 3 Abs. 1). Aus dieser Formulierung wird deutlich, dass die V. nicht etwa den Kirchenstaat von 1870 fortsetzt (dieser ist vielmehr durch Debellation untergegangen), sondern konstitutiv neu errichtet wurde (die entsprechenden italienischen Verben lauten costituire und creare). Beide Parteien erklärten die sogenannte „römische Frage“ für „endgültig und unwiderruflich (…) beigelegt“ (Art. 26 Abs. 1).

Italien erkennt das „volle Eigentum sowie die ausschließliche, uneingeschränkte souveräne Gewalt und Jurisdiktion des Heiligen Stuhles über den Vatikan“ an (Präambel), spezifiziert durch die Wendung „wie er gegenwärtig besteht“ (Art. 3 Abs. 1). Daneben wird dem Hl. Stuhl das volle Eigentum an namentlich aufgeführten Immobilien (Patriarchalbasiliken San Giovanni in Laterano, Santa Maria Maggiore, San Paolo fuori le Mura, die Ville Pontificie in Castel Gandolfo sowie verschiedene Paläste in Rom) zugesichert. Zwar bleiben diese italienisches Staatsgebiet, erhalten aber die vom Völkerrecht für die diplomatischen Vertretungen auswärtiger Staaten anerkannten Privilegien (Art. 13–15). Der Hl. Stuhl hält im Regelfall den Petersplatz (der freilich der Polizeigewalt Italiens untersteht) sowie die „in der Vatikanstadt und im Lateranpalast befindlichen Schätze der Kunst und Wissenschaft“ für die Öffentlichkeit zugänglich (Art. 3 Abs. 2, Art. 18). Italien gewährleistet den Anschluss der V. an die notwendige Infrastruktur (Art. 6) und verbürgt den störungsfreien Ablauf von Konklave und Konzil (Art. 21).

2. Die Vatikanstadt als Staat und sein Verhältnis zum Hl. Stuhl

Der Charakter der V. als Staat (dementsprechend auch als Subjekt des Völkerrechts) ist in der Staatspraxis einhellig, im wissenschaftlichen Schrifttum ganz überwiegend anerkannt. Sie erfüllt die Anforderungen der staats- wie völkerrechtlich bedeutsamen Drei-Elemente-Lehre:

a) das Staatsgebiet wird durch das 44 ha große Gebiet des von Mauern umfassten Vatikanischen Hügels sowie der Petersbasilika und des Petersplatzes umschrieben,

b) das Staatsvolk besteht (Stand: 1.2.2019) aus den gut 600 Inhabern der vatikanischen Staatsbürgerschaft (nach dem Gesetz Nr. CXXXI über Bürgerrecht, Aufenthalt und Zugang vom 22.2.2011 steht sie von Rechts wegen den in der V. oder in Rom residierenden Kardinälen, den Diplomaten des Hl. Stuhls sowie denjenigen zu, die aufgrund ihres Amtes oder ihrer Aufgaben zum Aufenthalt in der V. verpflichtet sind; es handelt sich demnach um eine „funktionelle“ Staatsbürgerschaft, welche an die aktuelle Wahrnehmung einer Aufgabe zugunsten des Hl. Stuhls gebunden ist),

c) die Staatsgewalt wird vom Papst als Oberhaupt der V. ausgeübt und findet ihre nähere Regelung im „Grundgesetz des Vatikanstaates“ vom 26.11.2000.

Staatstheoretisch gesehen ist die V. ein „atypischer“ Staat: Ihre raison d’être besteht nicht um ihrer selbst (oder ihrer Bürger) willen, sondern sie steht im Dienst eines anderen (Völker-)Rechtssubjekts, des Hl. Stuhls. Sie ergänzt für diesen jene Elemente der „völligen und sichtbaren Unabhängigkeit“ (Präambel Lateranvertrag), an denen es ihm selbst mangelt, derer er aber doch zur Erfüllung seiner Sendung bedarf. Diese strikt institutionelle Zweckbestimmung der V. ist Grundlage wie Bedingung ihrer Existenz; diese steht und fällt mit der Ausübung der Souveränität und Jurisdiktion des Hl. Stuhls über sie.

Kraft ihrer Völkerrechtssubjektivität nehmen sowohl Hl. Stuhl wie V. am völkerrechtlichen Verkehr teil. Wer konkret in Erscheinung tritt, bemisst sich nach der in Rede stehenden Materie: Besteht ein überwiegender Bezug zum geistlichen Heilsauftrag der Kirche, handelt der Hl. Stuhl, sind staatlich-gebietsbezogene Vorgänge betroffen, hingegen die V. So ist diese Mitglied im Weltpostverein oder im Internationalen Fernmeldeverein. Die V. ist Signatarstaat des Fernmeldevertrags von 1973 und hat 2010 eine Währungsvereinbarung mit der EU zur Einführung des Euro abgeschlossen.

3. Innere Ordnung der Vatikanstadt

Seit Anbeginn verfügt die V. über ein „Grundgesetz“ (lex fundamentalis). Die aktuell geltende Version datiert aus dem Jahr 2000. Die Rolle des Papstes entspricht derjenigen, die er kraft seines Jurisdiktionsprimats in der Kirche ausübt: Ihm steht die Fülle der gesetzgebenden, ausführenden und richterlichen Gewalt zu (Art. 1 Abs. 1), er vertritt die V. nach außen (Art. 2). Auch wenn er jederzeit seine Gewalt selbst ausüben oder sie anderen Instanzen übertragen kann (Art. 3 Abs. 1, Art. 16), werden die Staatsfunktionen im Regelfall von besonderen Organen wahrgenommen:

a) die gesetzgebende Gewalt (Art. 3 und 4) durch die Päpstliche Kommission für den Staat der V. unter Leitung eines Kardinalpräsidenten;

b) die ausführende Gewalt (Art. 5–14) durch den Kardinalpräsidenten als „Präsident des Governatorats“…, der vom Generalsekretär und Vizegeneralsekretär unterstützt wird, wobei nach Art. 6 „in wichtigeren Fällen“ das Einvernehmen mit dem Staatssekretariat herzustellen ist (Einzelheiten zu Behördenaufbau, Zuständigkeiten und Verfahrensabläufen s. Gesetz Nr. CCLXXIV über die Regierung des Vatikanstaates vom 25.11.2018);

c) die richterliche Gewalt (Art. 15–20) wird in Zivil- und Strafsachen von den spezialgesetzlich (Gesetz Nr. CXIX vom 21.11.1987 sowie Gesetz Nr. LCVII vom 24.6.2008) bestellten Organen (Einzelrichter/Kollegium in erster, Appellationsgerichtshof in zweiter, Kassationsgerichtshof in dritter Instanz) ausgeübt, während für Verwaltungsstreitigkeiten nur die Möglichkeit einer Verwaltungsbeschwerde besteht (Art. 17), und Arbeitsrechtsstreitigkeiten in die Kompetenz des Zentralen Arbeitsbüros des Apostolischen Stuhls fallen (Art. 18).

Das geltende materielle Recht in der V. ergibt sich aus dem Gesetz Nr. LXXI über die Rechtsquellen vom 1.10.2008. Nach dessen Art. 1 ist das kanonische Recht (Kirchenrecht) die „erste Rechtsquelle“ (Abs. 1), wohingegen das vatikanische Grundgesetz sowie die sonstigen vatikanischen Gesetze „Hauptquellen des Rechts“ darstellen (Abs. 2–3). Außerdem sind die Bestimmungen des allgemeinen internationalen Rechts sowie das vom Hl. Stuhl gezeichnete Vertragsrecht zu berücksichtigen (Abs. 4). Ergänzend dazu findet die jeweils geltende italienische Gesetzgebung Anwendung (Art. 3, zum spezifischen ordre public-Vorbehalt der kirchlichen und vatikanischen Rechtsordnung: Abs. 2), namentlich im Zivil-, Straf-, Verfahrens- und Verwaltungsrecht.