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Version vom 15. August 2021, 11:43 Uhr
Der Begriff G. wird zum einen in der EMRK, zum anderen – ohne in den EU-Verträgen ausdrücklich genannt zu werden – für die zur Herstellung des Binnenmarkts dort gewährleisteten Rechte verwendet (Europäischer Binnenmarkt). Die Unterscheidung zwischen Menschenrechten und G. in der EMRK von 1950 sollte deutlich machen, dass die Vertragsparteien die G. als die Konsequenz der Menschenrechte und diese als Basis für die Entwicklung der G. ansehen. Von den in der EMRK erfassten Rechten erfasst der Begriff G. speziell die Freiheitsrechte (persönliche Freiheit; Gedanken-, Gewissens- [ Gewissen, Gewissensfreiheit ] und Religionsfreiheit; Meinungsäußerungsfreiheit; Versammlungs– und Vereinigungsfreiheit). Die G. des Binnenmarktes (Personenfreizügigkeit einschließlich Arbeitnehmerfreizügigkeit und Niederlassungsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit, Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit), Warenverkehrsfreiheit) werden im deutschsprachigen Schrifttum (im Englischen fundamental freedoms) wegen ihrer grundlegenden Bedeutung für den Binnenmarkt als Kernstück der EU und wegen der Begründung von Individualrechten so genannt, was auch vom EuGH aufgegriffen wurde.
EU-G. haben als Individualrechte Grundrechtsgehalte und daher Gemeinsamkeiten mit EU-Grundrechten (Europarecht, Grundrechte). Als Freiheitsrechte haben beide Überschneidungen (Personenverkehrsfreiheiten als wirtschaftliche G. und Berufsfreiheit und Recht zu arbeiten bzw. unternehmerische Freiheit, Art. 15 bzw. Art. 16 EuGRC). Sie unterscheiden sich aber in ihrer Wirkrichtung und in ihren Funktionen (G. zur Herstellung des Binnenmarkts durch Beseitigung der durch Binnengrenzen verursachten Hindernisse; Grundrechte zur Gewährleistung von Freiheitsrechten). Dies hat praktische Folgen. Während alle EU-G. an (wenngleich weit verstandene) zwischenstaatliche Sachverhalte anknüpfen, berechtigen die EU-Grundrechte alle, die vom Anwendungsbereich des Unionsrechts (Primärrecht oder Sekundärrecht) erfasst werden, auch wenn der Sachverhalt im Übrigen keinen grenzüberschreitenden Bezug aufweist (z. B. neben den Grundrechten der EuGRC Art. 157 AEUV: Verbot von Diskriminierungen von Männern und Frauen im Arbeitsleben). G. verpflichten in erster Linie die Mitgliedstaaten zur Beseitigung der von ihnen errichteten Mobilitätshindernisse, aber auch die Unionsorgane, insb. bei der Rechtsetzung. Um ihre Effektivität zu gewährleisten, binden sie Private (sog.e Drittwirkung) jedenfalls dann, wenn deren Maßnahmen staatlichen Maßnahmen (Gesetzen) vergleichbare Wirkung haben (z. B. Regeln von Sportverbänden wie UEFA, EuGH, Rs. C-415/93 – Bosman; Gewerkschaften, EuGH, Rs. C-438/05 – Viking Line). Unionsgrundrechte verpflichten die Union und ihre Organe, aber auch die Mitgliedstaaten bei der (vom EuGH weit verstandenen) Durchführung des Rechts der Union (Art. 51 Abs. 1 EuGRC). EU-G. und EU-Grundrechte können wechselseitig Schranken begründen (z. B. Fall EuGH, Rs. C-112/00 – Schmidberger: Demonstration mit Brennerblockade [Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit als Schranke der G. des freien Waren- bzw. Dienstleistungsverkehrs]; Fall EuGH, Rs. C-368/95 – Vereinigte Familiapress [Medienvielfalt als Schranke der Warenverkehrsfreiheit, bei deren Beschränkung wiederum die Pressefreiheit zu beachten ist]). Kollisionen zwischen diesen prinzipiell gleichrangigen Rechten müssen durch das Bemühen um praktische Konkordanz gelöst werden.
Literatur
D. Ehlers: Allgemeine Lehren der Grundfreiheiten, in: D. Ehlers (Hg.): Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 42014, § 7 • R. Streinz: Grundrechte und Grundfreiheiten, in: HGR, Bd. 6/1, 2010, § 151 • T. Kingreen: Grundfreiheiten, in: A. von Bogdandy/J. Bast (Hg.): Europäisches Verfassungsrecht. Theoretische und dogmatische Grundzüge, 22009, 705–748.
Empfohlene Zitierweise
R. Streinz: Grundfreiheiten, Version 22.10.2019, 17:30 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Grundfreiheiten (abgerufen: 27.11.2024)