Arbeits- und Berufssoziologie: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 8. Juni 2022, 08:12 Uhr
In der Arbeits- (A.) und Berufssoziologie (B.) geht es um die Bedeutung der Formen Arbeit und Beruf für Individuen, Organisationen und gesellschaftliche Teilbereiche und genauer: um eine soziologische Beschreibung dieser Verhältnisse. Sowohl in der A. als auch in der B. werden als Formen der Erwerbsarbeit sowohl Tätigkeiten mit geringen als auch solche mit hohen Qualifikationsanforderungen untersucht. Es geht hier um empirische und theoretische Analysen, die sich nicht nur auf die Tätigkeiten auf der Ebene der Facharbeiter und Fachangestellten beschränken, sondern auch noch um den Bereich der hochqualifizierten akademischen Berufe wie Professionen und Wissensarbeit, aber auch solche neuen Arbeitsformen wie die des Arbeitskraftunternehmers.
Dabei unterscheidet sich der Arbeitsbegriff (Arbeit) deutlich vom Berufsbegriff (Beruf). Man kann heute vieles als Arbeit fassen, was gar nichts mehr mit Erwerb zu tun hat und eher in den Bereich der Freizeit gehört, wie etwa Eigenarbeit, Beziehungsarbeit, Betreuungsarbeit oder Konsumarbeit. Gleichwohl ist das Thema der A. im Wesentlichen die bes.e Form der Erwerbsarbeit. Beim Berufsbegriff kommt als zusätzliches Moment zum einen immer auch die Form der Ausbildung/Qualifizierung für die (berufliche) Arbeit hinzu und zum anderen kann man von Berufen erst sprechen, wenn sich „Arbeit in ausdifferenzierter Rollenstruktur (…) konstituiert“ (Luckmann/Sprondel 1972: 13). Berufe lassen sich so gesehen als „die soziale Organisation der Arbeit“ (Luckmann/Sprondel 1972: 17) beschreiben oder anders: als berufliche Organisation des Arbeitens.
In einem allgemeinen Sinne kann man die Arbeit als eine Form beschreiben, die auf der einen Seite Mühe, also Arbeit ist und auf der anderen Seite Entlohnung der Arbeit (Baecker 2002; Lohn). Der Berufsbegriff legt diese Form Arbeit zugrunde, ist aber zugleich immer auch mehr. Die beiden Seiten der Arbeit bilden die eine Seite der Form Beruf ergänzt um Qualifikation als deren andere Seite, oder anders: für jede angestrebte berufliche Tätigkeit muss ausgebildet werden und die Mühe, Last aber auch Freude der ausgeübten Arbeit müssen entsprechend entlohnt werden. Formtheoretisch ist der Beruf in diesem Sinne eine Form mit zwei Seiten, von der Innenseite, dem ‚erlernten Beruf‘ soll durch Kreuzung der Grenze der Form der ‚ausgeübte Beruf‘ (die Außenseite der Form) erreicht werden. In diesem Sinne kann man den Beruf in Anlehnung an die klassische Formulierung von Max Weber, der den Beruf definiert als „jene Spezifizierung, Spezialisierung und Kombination von Leistungen einer Person […], welche für sie Grundlage einer kontinuierlichen Versorgungs- oder Erwerbschance ist“ (Weber 1985: 80), als Form der qualifizierten Erwerbsarbeit bestimmen.
Wer heute über die Form der qualifizierten Erwerbsarbeit nachdenkt, der bleibt nicht mehr bei der klassischen Steigerungsformel „Arbeit, Beruf, Profession“ (Hartmann 1968) stehen, sondern unterscheidet im Bereich der hochqualifizierten akademischen Tätigkeiten professionelle Arbeit und die sog.en Wissensberufe wie Experten, Ratgeber und Berater. Der Begriff der Wissensberufe ist ein Steigerungsbegriff, in der modernen Wissensgesellschaft tendiert immer mehr Arbeit zur Wissensarbeit. Demgegenüber haben wir es beim Begriff der Profession mit einem exklusiven Begriff zu tun, Professionen können immer nur sehr wenige Berufe sein. Professionen sind in der Moderne akademische Berufsgruppen, die lebenspraktische Probleme von Klienten im Kontext einzelner gesellschaftlicher Teilbereiche wie dem Gesundheits-, dem Rechts-, dem Religions- und dem Erziehungssystem in Interaktionssituationen (Interaktion) mit Klienten stellvertretend deuten, verwalten und bearbeiten. Die Professionellen wie Ärzte, Rechtsanwälte, Seelsorger und Lehrer fungieren dabei als verberuflichte Leistungsrollen dieser Sozialsysteme (Soziale Rolle), denen sowohl bei der Ausdifferenzierung der Systeme (Systemtheorie) wie auch bei deren Erfüllung der Leistung für andere Funktionssysteme der Gesellschaft eine bes.e Bedeutung beigemessen werden kann.
Obwohl sich die neuen Wissensberufe deutlich von den klassischen Professionen unterscheiden, kann man in Bezug auf die Form der Wissensbasierung beider beruflichen Gruppen auch eine Gemeinsamkeit markieren. Auch die Handlungslogik der zunehmenden Wissensberufe ist nicht die einer technisch-instrumentellen Anwendung von wissenschaftlichem Regelwissen; wie das Wissen der Professionen ist auch das Expertenwissen der Wissensberufe interpretationsbedürftig, kontingent und im Handeln immer wieder neu zu reproduzieren.
Ganz gleich aber von welcher Form der Arbeit man ausgeht, wird in den Massenmedien und der Wissenschaft seit den 1980er Jahren eine Debatte über eine Krise bzw. einem Ende von Arbeit und Beruf geführt, womit zwar nicht ausgesagt wird, dass der Erwerbsgesellschaft gleich die (berufliche) Arbeit ausgehen würde, wohl aber wird das Ende der sog.en Vollzeiterwerbsarbeitsgesellschaft prognostiziert. Die Veränderungen, die wir gegenwärtig in der Arbeitswelt beobachten können, zeigen gleichwohl auch noch nicht das von vielen heraufbeschworene Ende der Berufsform überhaupt an. Auch in Zeiten, in denen wir in Wissenschaft, Politik und Wirtschaft über das so genannte bedingungslose Grundeinkommen diskutieren, werden Personen für Arbeit, die ihnen ihren Lebensunterhalt sichern soll, ausgebildet und Organisationen (Organisation) müssen für die ausgeübte Arbeit, auf die sie angewiesen sind, bezahlen. Was sich aber vor allem verändert, ist das Verhältnis von Ausbildung und Arbeit/Erwerb und damit ein inhaltlicher Wandel des Berufs. Im Übergang zur Wissensgesellschaft, in der immer mehr Arbeit zur reflexiven Wissensarbeit wird, muss sich das Bildungssystem darauf einstellen, dass mehr und mehr Personen mit überfachlichen Kompetenzen und entwicklungsoffenen Qualifikationspotentialen gesucht werden.
Obwohl in zunehmenden Maße andere Formen von Arbeit an Bedeutung gewinnen, wird die berufliche Erwerbsarbeit auch weiterhin die dominante Form des Arbeitens bleiben. Die Veränderungen, die wir gleichwohl in der Arbeitswelt beobachten können, scheinen denn auch eher ein neues und sich immer schneller wandelndes Mischungsverhältnis anzudeuten; und zwar auf der einen Seite im Rahmen beruflicher Erwerbstätigkeit selber, auf der anderen Seite aber auch im Verhältnis der Erwerbsorientierung zu gemeinschaftsorientierten Tätigkeiten oder solchen im persönlich-familiären Bereich.
Allerdings ist der Schwerpunkt sowohl der A. als auch der B. immer noch die bes.e Form der Erwerbsarbeit: Die A. zum einen untersucht dabei schwerpunktmäßig die Verwertungsseite der erworbenen beruflichen Qualifikationen und fragt etwa danach, was in der Wirtschaft für berufliche Qualifikationen und Kompetenzen erwartet werden. Und die B. zum anderen beginnt schon bei der Entstehungsseite beruflicher Qualifikationen, wobei es um die Frage geht, wie Personen im Bildungssystem (Bildung) erfolgreich auf eine Arbeits- und Erwerbskarriere vorbereitet werden können. Obwohl nun aber eine gelungene Bildungskarriere eine wichtige Voraussetzung für eine entsprechende Arbeits- und Erwerbskarriere ist, kann sie diese nicht sicherstellen, und das schon allein deshalb nicht, weil das Wirtschaftssystem die Formen Arbeit und Beruf anders berücksichtigt als das Erziehungssystem. Dass man mit geringen Qualifikationen weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat als mit herausragenden Hochschulzertifikaten, versteht sich von selbst. Gleichwohl kennt jeder die Fälle, wo Personen mit gleichwertigen Bildungszertifikaten ungleiche Chancen auf eine Arbeits- und Erwerbskarriere haben.
Das in der beruflichen Aus- und Weiterbildung (Berufliche Bildung) vermittelte und angeeignete Wissen ist neben seiner Bedeutung für Personen zugleich das Kapital der Organisationen in der Gesellschaft. Aber wie dieses Kapital jeweils auf der anderen Seite der Form eingelöst werden kann, folgt keiner kausalen Logik, was nicht zuletzt daran liegt, dass Erziehung und Wirtschaft in der Moderne geradezu als Gegensatzpaar ausformuliert worden sind. Die Unsicherheit, ob der Erfolg in Wissensinvestitionen von beruflicher Arbeit bzw. Arbeit in Organisationen kalkulierbar ist, gehört damit zum Risiko von Berufsinhabern und Organisationen.
Literatur
T. Kurtz: Social inequality and the sociology of work and occupations, in: Int. Rev. Sociol. 19/3 (2009), 387–399 • T. Kurtz: Die Berufsform der Gesellschaft, 2005 • D. Baecker: Die gesellschaftliche Form der Arbeit, in: ders. (Hg.): Archäologie der Arbeit, 2002, 203–245 • H. Daheim: Berufliche Arbeit im Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, in: T. Kurtz (Hg.): Aspekte des Berufs in der Moderne, 2001, 21–38 • G. G. Voß, H. J. Pongratz: Der Arbeitskraftunternehmer. Eine neue Grundform der Ware Arbeitskraft? in: KZfSS 50/1 (1998), 131–158 • R. Stichweh: Professionen in einer funktional differenzierten Gesellschaft, in: A. Combe/W. Helsper (Hg.): Pädagogische Professionalität. Untersuchungen zum Typus pädagogischen Handelns, 1996, 49–69 • M. Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, 1985 • R. Dahrendorf: Wenn der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgeht, in: J. Matthes (Hg.): Krise der Arbeitsgesellschaft?, 1983, 25–37 • U. Beck, M. Brater, H. Daheim: Soziologie der Arbeit und der Berufe. Grundlagen, Problemfelder, Forschungsergebnisse, 1980 • T. Luckmann, W. M. Sprondel: Einleitung, in: dies. (Hg.): Berufssoziologie, 1972, 11–21 • H. Hartmann: Arbeit, Beruf, Profession, in: SozW 15/3–4 (1968), 193–216.
Empfohlene Zitierweise
T. Kurtz: Arbeits- und Berufssoziologie, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Arbeits-_und_Berufssoziologie (abgerufen: 23.11.2024)