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Version vom 14. November 2022, 06:01 Uhr
Der am 10.1.1920 offiziell ins Leben getretene V. war eine frühe Staatenorganisation und Vorgänger der Vereinten Nationen, nach deren Gründung er sich am 19.4.1946 freiwillig auflöste. Als Idee blickte der im V. angestrebte Zusammenschluss aller Nationen auf verschiedene W urzeln zurück, die bis zur Philosophie der Aufklärung und hier bes. Immanuel Kant reichen, von dem auch die Wortschöpfung eines V.s als Gemeinschaft aller (republikanischen) Staaten (Republikanismus) stammte. Im 19. Jh. waren erste internationale Organisationen zunächst für Technik-, Verkehrs- oder Wirtschaftsfragen begründet worden, bevor mit dem Ersten Weltkrieg die Forderung nach einem universalen, auch politische Fragen von Krieg und Frieden regulierenden Staatenbund auf fruchtbaren Boden fiel. In zahlreichen Ländern wurde über einen V. als notwendige Reaktion auf die Schrecken des Weltkrieges nachgedacht. Allerdings waren es auf der Pariser Friedenskonferenz von 1919/20 allein die Siegermächte, welche die am 28.4.1919 verabschiedete Satzung des V.s bestimmten und für alle Unterzeichner der Friedensverträge verbindlich machten. Diese Einbettung des V.s in den Friedensschluss nach 1918 sorgte in der Folge für große Zwistigkeiten und wirkte sich auf die angestrebte Universalität stark hemmend aus. Obwohl zu den Signatarstaaten gehörend, wurde Deutschland bspw. mit Blick auf seine angenommene Verantwortung für den Kriegsausbruch die Mitgliedschaft bis 1926 verwehrt. Die USA lehnten einen Beitritt wegen vermeintlich unübersehbarer Bündnisverpflichtungen ab, auch wenn der amerikanische Präsident Woodrow Wilson zu den prominentesten Fürsprechern eines V.s gehört hatte. Andere Staaten, so 1934–40 die Sowjetunion, traten dem V. mit bestenfalls strategischem Interesse bei.
Die Satzung des V.s sah die Einrichtung mehrerer internationaler Organe am Sitz des Bundes in Genf vor:
a) die jährlich zusammentretende Bundesversammlung, an der alle Mitgliedstaaten gleichberechtigt teilnehmen konnten;
b) den V.-Rat, der aus vier bis fünf ständigen und bis zu zwölf nicht-ständigen Mitgliedern bestand, wobei dessen (moderate) exekutive Kompetenzen durch den Zwang zur einstimmigen Beschlussfassung stark relativiert wurden;
c) ein ständiges Sekretariat, dessen Personalstärke und Aufgabenfelder über die Zeit stark anwuchsen.
Daneben war der V. mit vielen internationalen Organisationen und Verbänden verknüpft; zu den wichtigsten zählen die ebenfalls 1919/20 begründete Internationale Arbeitsorganisation (ILO), der unter Beteiligung des V.s im Jahr 1922 ins Leben gerufene IGH in Den Haag oder das 1926 in Paris etablierte Internationale Institut für geistige Zusammenarbeit.
Zu den primären Aufgabenfeldern des V.s gehörte die Festigung der internationalen Zusammenarbeit zum Zweck der Friedenssicherung. Der Erfolg seiner Initiativen zur unmittelbaren Kriegsverhütung, Mediation, Abrüstung usw. blieb allerdings begrenzt. Auch wenn es in den 1920er Jahren gelang, einige Konflikte zu entschärfen, zeigte sich der V. in zahlreichen Krisen, zumal wenn die Interessen der im V.-Rat vertretenen Großmächte berührt waren, wenig handlungsfähig. Eine zögerliche Haltung wie in der Mandschurei-Krise 1931 oder im Abessinien-Krieg 1935/36 begünstigte ebenso wie der Fehlschlag der Genfer Abrüstungskonferenz 1932–34 den Eindruck eines bloßen Debattierclubs ohne Durchsetzungskraft. Trotzdem führt die Annahme eines gescheiterten V.s in die Irre. V. a. um das Sekretariat entstand ein universal ausgerichtetes, weitgespanntes Netzwerk (halb-)staatlicher und privater Akteure und Organisationen, deren Spielraum in internationalen Angelegenheiten jenseits der traditionellen Diplomatie beträchtlich war. In vielen Bereichen institutionalisierte der V. erstmals nachhaltige Strukturen der zwischenstaatlichen Kooperation, so in der Bewältigung von Hunger- und Flüchtlingskrisen („Nansen-Büro“), in der Seuchenbekämpfung, Gesundheitsvorsorge oder wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Eine bes. Bedeutung besaß der V. auch für die Dekolonisierung, da sein Mandatssystem, welches zur Verwaltung der im Ersten Weltkrieg übernommenen deutschen und osmanischen Kolonien (Kolonialismus) eingerichtet worden war, die nationale Eigenständigkeit dieser Territorien vorbereiten und begleiten sollte. Zwar wurde nur der Irak auf diese Weise unabhängig (1932), aber es war damit eine Entwicklung zur allg.en Selbstbestimmung und Dekolonisierung vorgezeichnet, die nach 1945 und unter Aufsicht der Vereinten Nationen unausweichlich wurde.
Literatur
S. Pedersen: The Guardians. The League of Nations and the Crisis of Empire, 2015 • P. Clavin: Securing the World Economy. The Reinvention of the League of Nations, 1920–1946, 2013 • J. Wintzer: Deutschland und der Völkerbund, 1918–1926, 2006 • F. S. Northedge: The League of Nations. Its Life and Times, 1920–1946, 1986.
Empfohlene Zitierweise
M. Payk: Völkerbund, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/V%C3%B6lkerbund (abgerufen: 22.11.2024)