Zwangsvollstreckung: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 14. November 2022, 06:02 Uhr

1. Vollstreckung als Rechtsdurchsetzung

Die Rechtstatsachenforschung ergibt, dass vertragliche wie gesetzliche Pflichten grundsätzlich erfüllt werden. Die Rechtstreue ist die Regel. Unterbleibt aber die Erfüllung doch – aufgrund rechtlicher Differenzen, wegen gestörter Liquidität oder aus sachfremden Gründen –, so darf der Anspruchsinhaber die Dinge nicht selbst in die Hand nehmen („Verbot der Selbsthilfe“). Er ist für die Rechtsdurchsetzung vielmehr darauf angewiesen, einen sog.en Vollstreckungstitel zu erwirken, also v. a. ein stattgebendes Urteil (§ 704 ZPO) der staatlichen Gerichte oder einen Prozessvergleich (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), der seinen Anspruch verbindlich feststellt. Damit befasst sich im Zivilprozessrecht das sog.e Erkenntnisverfahren. Duldet die Rechtsdurchsetzung nicht den mit einem gewöhnlichen Zivilprozess („Hauptsacheverfahren“) verbundenen Aufschub, so kann der Anspruchsinhaber gerichtlich einen Titel im Eilverfahren erwirken („Arrest, einstweilige Verfügung“ – §§ 916–945b ZPO).

Leistet der Verpflichtete auch jetzt noch nicht, so muss sich der Anspruchsinhaber (= Gläubiger) an die staatlichen Vollstreckungsorgane wenden, also an den örtlich zuständigen Gerichtsvollzieher oder das Vollstreckungs-, ausnahmsweise das Prozessgericht. Geht es um Durchsetzung von Zahlungsansprüchen, so pfändet bzw. beschlagnahmt das Organ Vermögensteile des Anspruchsgegners (= Schuldners) und führt sie der Verwertung zu. Der Erlös gebührt (nach Abzug von Kosten und Gebühren) dem Gläubiger, sofern seine eigene Forderung nicht geringer ist. Geht es um die Durchsetzung anderer Ansprüche, etwa gerichtet auf Herausgabe, auf Erteilung einer Auskunft oder auf Unterlassung, so nimmt der Gerichtsvollzieher dem Schuldner die zurückgehaltene Sache weg oder aber das Gericht erzeugt beim Schuldner geeigneten Erfüllungsdruck durch (ggfs. wiederholte) Verhängung von Zwangs- bzw. Ordnungsgeldern.

2. Haftungsrealisierung

Betreibt der Gläubiger die Vollstreckung von Zahlungsansprüchen, so sind dem Pfändungszugriff Grenzen gesetzt. Die Pfändung von Arbeitseinkommen („Forderungspfändung“) etwa muss das monatliche Existenzminimum des Schuldners, also seinen realistischen Mindestbedarf beachten. Ein weitergehender, den Schuldner zusätzlich beeinträchtigender Pfändungsbeschluss wird nicht gewährt (§§ 850–850i ZPO). Ebenso dürfen dem Schuldner die Gegenstände nicht genommen werden, die er zur Berufsausübung benötigt (§ 811 Nr. 5 ZPO). Auch solche von bes.r persönlicher Bedeutung sind von Pfändung und Verwertung ausgenommen (§ 811 Nr. 10–13 ZPO).

Hat der Schuldner Vermögensgegenstände in einem bestimmten Zeitraum vor Vollstreckungszugriff an einen Dritten übertragen („verschoben“) und bleibt die Pfändung so (teilweise) ohne Erfolg, so kann der Gläubiger nach den Regeln des AnfG auf diese Gegenstände auch beim Dritten zugreifen. Betreiben mehrere Gläubiger die Z. gegen denselben Schuldner, so geht die zeitlich frühere Pfändung der zeitlich späteren vor (Prioritätsprinzip). Reicht das Vermögen des Schuldners nicht mehr aus, um alle fälligen Forderungen zu bedienen, so sieht die Rechtsordnung die quotenmäßige Befriedigung im Kollektivverfahren vor, also im Verfahren nach der InsO (Insolvenz). Damit findet eine Umstellung von prioritärer auf egalitäre Gläubigerbefriedigung statt.

3. Geschichte

Die heutige Z. beruht auf den Normen der ZPO von 1877, des ZVG von 1897 sowie des AnfG von 1879, neu gefasst 1994. Die beinah durchweg als Vermögenshaftung ausgestaltete Vollstreckung hat in früherer Zeit, v. a. in archaischen Rechten, auch den Zugriff auf den Schuldner persönlich erlaubt. Schuldknechtschaft, Verkauf in die Sklaverei und der berüchtigte Schuldturm waren zulässige Instrumente. Während die Maßnahmen meist unmittelbar einer Erlöserzielung dienen sollten, verfolgte der Gläubiger mit der Haft im Schuldturm das Ziel, Familie und Freunde des Schuldners zur Ablösung zu bewegen.

4. Europäisierung

Die Z. ist immer weniger eine allein nationale Angelegenheit. Durch Staatsverträge und durch unterstützende Rechtsregeln in den jeweiligen Fremdrechtsordnungen ist der Zugriff aus Deutschland auf Vermögen im Ausland schon immer möglich gewesen. Die EU hat jedoch in den vergangenen Jahren verschiedene Verordnungen erlassen, die für die Mitgliedsstaaten respektive ihre Bürger die grenzüberschreitende Vollstreckung von Forderungen im Unionsraum erheblich erleichtern. Von bes.r Bedeutung sind die Brüssel-Ia-VO von 2012 sowie die Kontenpfändungs-VO 2014 zur grenzüberschreitenden Forderungspfändung.