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Version vom 16. Dezember 2022, 06:08 Uhr
Globaler Umweltprotest im telemedialen Zeitalter seit 1970
G. ist eine trans- und international agierende NGO, die sich seit den frühen 1970er Jahren weltweit für den Schutz der Umwelt und der natürlichen Lebensgrundlagen einsetzt. Sie verfolgt das Ziel, Medienöffentlichkeit für Umweltprobleme und Umweltzerstörung herzustellen, umweltpolitische und -rechtliche Veränderungen zu erzielen sowie Regierungen, Konzerne und Gesellschaft breit für Umweltbelange zu sensibilisieren. Mit Stand von 2016 stützt sich G. auf über drei Mio. finanziell fördernde Mitglieder und verfügt über 60 Büros und Repräsentationen mit teils nationalen, teils überregionalen Zuständigkeiten. Mit in den letzten Jahren kontinuierlich steigenden Einnahmen (2016: ca. 342 Mio. Euro) gehört G. zu den größten international tätigen NGOs überhaupt.
1. Entstehung, Organisation und Aktionsformen
G. hat seine Wurzeln in der nordamerikanischen Protest- und Alternativkultur der frühen 1970er Jahre. Die Gründung der Organisation im Jahr 1971 im kanadischen Vancouver geht zurück auf eine Gruppe von Friedensaktivisten, die auf einem Fischkutter gegen Atomwaffentests der USA vor der Küste Alaskas protestierten. Weitere Proteste gegen Atomversuche, Walfang und die Robbenjagd in der Arktis folgten. Berichterstattung über die teils spektakulären Protestaktionen machte G. international bekannt; ab 1974 folgte die Gründung neuer Gruppen in Neuseeland, Australien, Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden, 1980 auch in Deutschland. Seit den 1990er Jahren expandierte G. in Osteuropa, Südamerika und im Pazifik, dann verstärkt in Asien und seit 2008 auch in Afrika. Die globale Standortpolitik folgte dabei immer auch dem Entwicklungsgrad nationaler Medienlandschaften sowie dem Mobilisierungs- und Spendenpotenzial der jeweiligen Gesellschaften.
Konflikte über die zukünftige Ausrichtung und Struktur der Organisation führten im Oktober 1979 zur Gründung von „G. International“ als Stiftung nach niederländischem Recht mit Sitz in Amsterdam. Dieser obliegt als Dachorganisation die Koordination der Regional- und Länderbüros, die Planung internationaler Kampagnen sowie die Kontrolle von Haushalt und Finanzen. Im Zuge dieser Strukturreformen wurde die ursprünglich konsensual und basisdemokratisch ausgerichtete Praxis der einzelnen G.-Gruppen ersetzt durch vertikale, hierarchische, professionelle und effizienzorientierte Entscheidungsstrukturen. Ein aktivistisches Abenteuer- und Heldenimage sowie die von der Organisation selbst betriebene Assoziation mit dem indianischen Mythos der Regenbogenkrieger verliehen G. allerdings ein alternativkulturelles Image auch dann noch, als sich die Organisation längst von der „Hippiebewegung zum Ökokonzern“ (Zelko 2014) transformiert hatte.
Neben der finanziellen Unabhängigkeit von Parteien, Staaten und Konzernen sind für G. charakteristisch die über mehrere Jahre angelegten thematischen Kampagnen, konfrontative direkte Aktionen, Gewaltlosigkeit, spektakuläre Visualität und strategische Medienorientierung, sowie eine hohe Affinität zum Meer als die Kontinente verbindendem, globalem Aktionsraum. Neben den ozeanbasierten Kampagnen der Anfangsjahre thematisierte G. seit den frühen 1980er Jahren die Umweltprobleme fortgeschrittener Industriegesellschaften und deren Externalisierung in die Ozeane und in die Länder der Südhalbkugel. Seit Anfang der 1990er Jahre bildet der Kampf gegen den Klimawandel und die Abkehr von fossilen Brennstoffen einen handlungsleitenden Rahmen. Gegenstand von Kampagnen waren zuletzt auch Ernährungssicherheit, nachhaltige Landwirtschaft (Nachhaltigkeit) sowie fortgesetzter Einsatz gegen Giftstoffe, u. a. in Konsumprodukten. Verbindende Grundlage aller Kampagnen ist die moralische Anwaltschaft für den Schutz globaler Gemeingüter, nämlich von Ozeanen und maritimer Fauna über Wälder, Atmosphäre, Klima bis hin zum planetarischen Ökosystem.
Die Globalisierung der Organisation, die Ausweitung der Aktionsfelder sowie das Mainstreaming des Umweltdiskurses erforderten seit den 1980er Jahren eine Diversifizierung der Aktionsformen. G. agierte auch als politischer Lobbyist (Lobby) und Berater, als umweltdiplomatischer Akteur und als Beobachter bei wichtigen internationalen Umweltabkommen. Punktuelle Kooperation mit Wirtschaftsunternehmen, eigene wissenschaftliche Forschung und Kommunikation vermittels eigener Medienkanäle gehören ebenso zum Handlungsrepertoire der Organisation wie Merchandising, Verbraucherschutz und Konsumberatung. Im Zuge der Kommunikationsrevolution von Internet und digital-basierten sozialen Medien lassen sich verstärkt Versuche der organisatorischen Enthierarchisierung und Flexibilisierung sowie der Mobilisierung und Inklusion der Basis (people power) beobachten.
2. Medialisierung, Globalisierung und Kosmopolitisierung des Umweltschutzes
Die Erfolge der weltweiten Kampagnentätigkeit von G. sind zahlreich. Sie beinhalten u. a. Selbstverpflichtungen von Staaten und Wirtschaftsunternehmen zur Einhaltung höherer Umweltstandards, ebenso durch langjährigen Kampagnendruck maßgeblich mitherbeigeführte internationale Abkommen und Umweltregime. Die kurz- und langfristigen Wirkungen von G.-Kampagnen auf ökologische Sensibilität und gesellschaftliches Konsumverhalten (Konsum, Konsumethik) werden sehr hoch veranschlagt. Doch gab es immer wieder auch Kritik an der Reduktion komplexer ökologischer Probleme auf punktuelle und visualisierbare Medienereignisse sowie am politisch-ökologischen Unternehmertum von G. ohne Anspruch auf die Ausweitung basisdemokratischer Partizipation.
Zu betonen ist das Mobilisierungspotenzial konfrontativer Verhaltensstile, das rechtsverändernde Potenzial zivilen Ungehorsams, sowie die von G. angestossene Professionalisierung im NGO-Bereich, bspw. bei Fundraising und Öffentlichkeitsarbeit. G. gilt als prominentes Beispiel einer durch NGOs vorangetriebenen Transnationalisierung von Politik jenseits etablierter Formen und Institutionen repräsentativer Willensbildung. Bei der Etablierung und Überwachung internationaler umweltpolitischer Normen und Verhaltensstandards spielte G. eine wichtige Rolle, ebenso bei der Schaffung themen- und ereignisbezogener Weltöffentlichkeit. Kaum zu überschätzen ist auch die prägende Wirkung von G. für das visuelle Framing globaler Umweltprobleme seit dem ausgehenden 20. Jh.: Schlauchbootfahrer und Schornsteinkletterer haben ikonischen Status mit hohem internationalem Wiedererkennungswert. Wie kaum eine andere NGO beförderte G. damit nicht allein die räumliche Globalisierung von Umweltpolitik, sondern auch deren moralische Kosmopolitisierung im planetarischen Rahmen.
Literatur
F. T. Furtak: Greenpeace International, in: ders. (Hg.): Internationale Organisationen. Staatliche und nicht-staatliche Organisationen in der Weltpolitik, 2015, 379–392 • F. Zelko: Greenpeace. Von der Hippiebewegung zum Ökokonzern, 2014 • R. Vandamme: Basisdemokratie als zivile Intervention. Der Partizipationsanspruch der Neuen Sozialen Bewegungen, 2000 • P. Wapner: Environmental Activism and World Civic Politics, 1996.
Empfohlene Zitierweise
B. Gißibl: Greenpeace, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Greenpeace (abgerufen: 14.11.2024)