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Aktuelle Version vom 16. Dezember 2022, 06:08 Uhr
Der Begriff H. hat im Recht mehrere Bedeutungen. Er dient zum einen als Synonym für „Schuld“ und meint dann entweder wie diese die Pflicht des Schuldners, dem Gläubiger eine Leistung zu erbringen, d. h. etwas zu tun, zu dulden oder zu unterlassen (§ 241 Abs. 1 BGB) oder er meint die Verantwortlichkeit für ein bestimmtes eigenes oder fremdes Verhalten oder einen Umstand und die daraus resultierenden Rechtsfolgen. Auch wird der Ausdruck H. in einen begrifflichen Gegensatz zur Schuld gesetzt und meint dann nicht das Leistensollen, sondern das Einstehenmüssen des Schuldners für den Fall, dass er seine Leistungspflicht nicht erfüllt, also den Zwang, dem er in Form von Zwangsvollstreckungs- und sonstigen Maßnahmen des Gläubigers zur Durchsetzung seines Anspruchs unterworfen ist.
1. Haftung als Schuld
In einigen Normen des BGB bedeutet „haften“ nichts anders als „schulden“ oder „zur Leistung verpflichtet sein“, so wenn es heißt, dass mehrere als Gesamtschuldner „haften“. Weitaus häufiger wird „H.“ enger i. S. v. „Verantwortlichkeit“ für Verhaltensweisen, Risiken und Gefahren verstanden und meint insb. Schadensersatz zu leisten. Je nachdem ob sich die Pflicht aus unerlaubter Handlung oder Verletzung vertraglicher Pflichten ergibt, wird von deliktischer oder von vertraglicher H. gesprochen. Bei der deliktischen H. wird weiter nach einzelnen H.s-Tatbeständen unterschieden (H. des Aufsichtspflichtigen, Tierhalters usw., §§ 832–839a BGB), bei der vertraglichen H. nach den einzelnen Pflichtverletzungen (H. wegen Unmöglichkeit, Verzugs, Sach- und Rechtsmängeln oder Schutzpflichtverletzung).
Daneben dient der Begriff zur Bezeichnung der Verhaltensform oder Umstände, für die der Schuldner verantwortlich gemacht wird. Haften bedeutet hier neben „Verantwortlichsein“ so viel wie „Vertreten-“ bzw. „Einstehenmüssen“. Man spricht auch von H.s-Maßstab. Vertraglich wird grundsätzlich für Vorsatz und Fahrlässigkeit gehaftet (§ 276 Abs. 1, 3 BGB), wobei das Verschulden bzw. Vertretenmüssen widerleglich vermutet wird (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB). Unter besonderen Umständen ist die H. entweder auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit (z. B. §§ 300 Abs. 1, 521, 599 BGB) oder auf eigenübliche Sorgfalt beschränkt (§§ 277, 690, 708, 1359, 1664, 2131 BGB). In anderen Fällen ist sie verschärft, d. h. es wird verschuldensunabhängig gehaftet: so etwa der Schuldner, der eine Garantie abgegeben oder ein Beschaffungsrisiko übernommen hat (§ 276 Abs. 1 BGB) oder – für Zufall – der Schuldner während des Verzugs (§ 287 Abs. 2 BGB). Vertraglich hat ein Schuldner auch für das Verschulden der Personen, derer er sich bei der Erfüllung seiner Pflichten bedient (Erfüllungsgehilfen, § 278 BGB), und eine juristische Person für das Verschulden ihrer Organe (§ 31 BGB) einzustehen.
Die deliktische H. setzt ebenfalls grundsätzlich Verschulden, also Vorsatz oder Fahrlässigkeit, ausnahmsweise auch nur Vorsatz bzw. Absicht (§ 826 BGB) voraus. Für Zufall haftet derjenige, der einem anderen eine Sache durch unerlaubte Handlung entzogen hat (§ 848 BGB). Manchmal wird das Verschulden widerleglich vermutet (z. B. §§ 831, 832, 833 S. 2, 834, 836 f. BGB). Juristische Personen haften auch deliktisch für das Verschulden ihrer Organe (§ 31 BGB). Darüber hinaus kennt das Deliktsrecht anders als das Vertragsrecht keine H. für fremdes Verschulden. Dies gilt auch im Fall der „Haftung für Verrichtungsgehilfen“ (§ 831 BGB), in dem der Geschäftsherr nicht für das Verschulden seiner Gehilfen, sondern für vermutetes eigenes Verschulden bei deren Auswahl, Unterweisung und Überwachung haftet.
In den Fällen der Gefährdungs-H. knüpft die Verantwortlichkeit an der Betriebsgefahr einer Sache oder Einrichtung an. Ungeachtet ihrer Gefährlichkeit ist die Benutzung der Sache oder Einrichtung gestattet, im Gegenzug soll aber derjenige, der den Nutzen hat, die Lasten tragen, wenn sich die Betriebsgefahr realisiert und ein anderer geschädigt wird. Beispiele sind die H. des Fahrzeughalters (§ 7 Abs. 1 StVG), des Halters eines Luxustiers (§ 833 BGB) oder die Produkt-H. (§ 1 ProdHaftG).
2. Haftung als Rechtszwang
Erst durch H. als Rechtszwang, dem der Schuldner im Fall der Nichterfüllung seiner Pflicht unterworfen ist, wird das mit der Schuld begründete Leistensollen durchsetzbar. H. in diesem Sinn schafft die privatrechtliche Grundlage für das Zwangsvollstreckungsrecht und ist nicht etwa nur dessen Folge. Im modernen Schuldrecht sind Schuld und H. regelmäßig vereint, ist eine Leistungspflicht also grundsätzlich im Weg der Zwangsvollstreckung durchsetzbar. In der Vergangenheit war dies nicht immer der Fall. So stand im römischen Recht die H., d. h. der Zugriff des Gläubigers auf den Schuldner am Anfang der Entwicklung und trat das Leistensollen, die Schuld, erst im weiteren Verlauf zur H. hinzu. Im germanischen Rechtskreis wurde ursprünglich ein Leistungsversprechen erst durchsetzbar, wenn durch ein weiteres Geschäft die H. begründet wurde.
Mit Blick auf den rechtshistorischen Befund ist am Anfang des 20. Jh. eine Dichotomie von Schuld und H. angenommen und die Ansicht vertreten worden, es gebe auch im geltenden Recht Schulden ohne H. und H. ohne Schuld. Das hat sich nicht durchsetzen können. Als Schulden ohne H. wurden und werden z. T. die Naturalobligationen oder unvollkommenen Verbindlichkeiten wie Spiel und Wette (§§ 762 ff. BGB) angeführt, da sich aus ihnen kein durchsetzbarer Anspruch ergibt, der Gläubiger eine gleichwohl erfolgte Leistung jedoch behalten darf. Nach dem BGB begründen derartige Rechtsverhältnisse aber gerade keine Verbindlichkeit bzw. Schuld i. S. d. Gesetzes (s. z. B. § 762 BGB).
Der Rechtszwang äußert sich vornehmlich in der Zwangsvollstreckung, die der Gläubiger mit Hilfe des Staats (Gericht, Gerichtsvollzieher) betreibt. Die unterschiedlichen Arten bestimmen sich nach dem Objekt, das der Zwangsvollstreckung unterworfen ist. Die ursprüngliche H. mit Leib und Leben (leibliche H.) ist aus dem modernen Recht verschwunden. Dies heißt aber nicht, dass das moderne Zwangsvollstreckungsrecht nur noch die H. mit dem Vermögen kennt. Es sieht vielmehr unterschiedliche Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung vor: Die Herausgabe von Sachen wird durch gewaltsame Wegnahme erzwungen (§§ 883 ff. ZPO), die Vornahme vertretbarer Handlungen durch Festsetzung von Zwangs- bzw. Ordnungsgeld (§ 887 ZPO), die unvertretbarer Handlungen durch Zwangs- bzw. Ordnungshaft (§§ 888 ff. ZPO) und die Pflicht zur Abgabe einer Willenserklärung durch Fiktion der geschuldeten Erklärung (§ 894 ZPO).
Nur bei Ansprüchen auf Geld hat der Gläubiger die Möglichkeit, gewaltsam auf das Vermögen des Schuldners zuzugreifen. I. d. R. unterliegt das gesamte Schuldnervermögen mit Ausnahme der unpfändbaren Sachen und Rechte der Zwangsvollstreckung („unbeschränkte“ oder „persönliche Vermögens-H.“). Ist dies nicht der Fall, liegt eine beschränkte H. vor. Bei der bloß „rechnerisch beschränkten H.“ ist allerdings in Wirklichkeit nicht die H., sondern nur die Schuld auf eine bestimmte Summe beschränkt, für die der Schuldner mit seinem gesamten Vermögen haftet. Bei einer „echten H.s-Beschränkung“ kann der Gläubiger im Weg der Zwangsvollstreckung nur auf bestimmte Vermögensteile oder ein Sondervermögen des Schuldners zugreifen. Paradebeispiel ist die Beschränkung der H. des Erben auf den Nachlass (§§ 1975–1992 BGB). Nach nahezu einhelliger Auffassung können H.s-Beschränkungen ebenso wie die Beschränkung der Zwangsvollstreckung auf bestimmte Vollstreckungsmaßnahmen auch rechtsgeschäftlich vereinbart werden. Umstritten ist allerdings, wie sich die Abrede auswirkt, ob sie eine Vollstreckung unzulässig oder bei abredewidriger Vollstreckung schadensersatzpflichtig macht.
Neben die Vermögens-H. kann aufgrund Rechtsgeschäfts oder gesetzlicher Anordnung (§§ 562, 647 BGB) die Sach-H. mit einer besonderen Sicherung durch dingliche Verwertungsrechte an bestimmten beweglichen (Pfandrecht) oder unbeweglichen Sachen (Grundpfandrechte) treten. Diese Rechte wirken grundsätzlich auch gegen dritte Personen, können von Dritten von vornherein für fremde Schulden begründet werden und gewähren dem Gläubiger jeweils ein bevorzugtes Befriedigungsrecht (vgl. etwa § 805 ZPO). Sie werden deshalb zumeist bestellt, wenn dem Gläubiger die Vermögens-H. allein nicht zur Sicherung seines Anspruchs ausreicht. Die zusätzliche Sicherung einer Forderung durch dingliche Verwertungsrechte ist nach allgemeiner Ansicht die einzig zulässige Form, die Vollstreckbarkeit des Anspruchs über das ansonsten vorgesehene Maß hinaus auszudehnen.
Literatur
I. Ebert: Haftung, in: HdRG, Bd. 2, 22012, 658–660 • H. F. Gaul u. a.: Zwangsvollstreckungsrecht, 122010 • F. Dorn: Begriff des Schuldverhältnisses und Pflichten aus dem Schuldverhältnis, in: M. Schmoeckel u. a. (Hg.): Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd. 2, Teilbd. 1, 2007, § 241, Rdnr. 40–52 • W. Ogris: Schuld und Haftung, in: HdRG, Bd. 4, 1990, 1505–1510 • J. Gernhuber: Das Schuldverhältnis, 1989, 63–88 • K. Larenz: Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. 1, 141987, 21–26 • W. Zeiss: Haftung, in: StL, Bd. 2, 71986, 1160–1165 • L. Enneccerus: Haftung, in: H. Lehmann (Hg.): Recht der Schuldverhältnisse, Bd. 1, 151958, 9–13.
Empfohlene Zitierweise
F. Dorn: Haftung, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Haftung (abgerufen: 24.11.2024)