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Version vom 20. November 2019, 16:39 Uhr
1. Begriffsbestimmung, Ziele, Träger
Traditionell ist A. „der Teilbereich der allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, der schwerpunktmäßig auf die Landwirtschaft und die mit ihr verbundenen Wirtschaftsbereiche und Bevölkerungsgruppen“ (Henrichsmeyer/Witzke 1991: 13) und in jüngerer Zeit auch über die Landwirtschaft (Land- und Forstwirtschaft) hinaus auf die Entwicklung ländlicher Räume ausgerichtet ist. Wichtige Teilbereiche sind die Markt-, Preis- und Einkommenspolitik, die Agrarstrukturpolitik, die Agrarumweltpolitik, die ländliche Entwicklungspolitik, die Agrarsozialpolitik und die landwirtschaftliche Bodenmarktpolitik. Die A. in Deutschland wird wesentlich durch die Gemeinsame A. (GAP) der EU bestimmt.
Die gesetzlich proklamierten Ziele sind in Deutschland zwar im LWG seit 1955 unverändert niedergelegt; die tatsächlichen haben sich aber im Zeitablauf verändert. Der Agrarbericht der Bundesregierung führt folgende Ziele auf: a) vitale ländliche Räume mit wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Entwicklungsperspektiven (Ökologie), b) leistungs- und wettbewerbsfähige Land- und Ernährungswirtschaft (Ernährung), c) umwelt- und ressourcenschonende, dem Tierwohl verpflichtete Wirtschaftsweise, d) Beitrag zur Sicherung der Welternährung (BMEL 2015a).
Die wichtigsten agrarpolitischen Entscheidungsträger sind auf EU-Ebene die Europäische Kommission, der für Landwirtschaft zuständige Rat der Europäischen Union („Agrarministerrat“) und das Europäische Parlament, auf Bundes- und Länderebene der Bundestag, der Bundesrat und die Landtage sowie die für Landwirtschaft zuständigen Ministerien. Zudem kommt im Bereich der Agrarumweltpolitik den Umweltministerien wichtige Bedeutung zu. Die A. ist damit durch ausgeprägte Mehrebenenverflechtung (Mehr-Ebenen-Regieren) gekennzeichnet. Bei den agrarpolitischen Einflussträgern hat seit den 1990er Jahren eine Pluralisierung stattgefunden. Die nach wie vor einflussreichen landwirtschaftlichen Berufsverbände haben tendenziell an Einfluss verloren, da Umwelt-, Tierschutz- und Verbraucherverbände (Interessengruppen, Zivilgesellschaft) an Bedeutung gewonnen haben.
2. Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU
Die GAP wurde in den letzten Jahrzehnten von einer einkommensorientierten und marktverzerrenden Agrarpreispolitik hin zu einer wettbewerbsorientierten Politik mit direkten, flächengebundenen Einkommenstransfers an Landwirte (Direktzahlungen) sowie freiwilligen agrarstrukturellen, agrarumweltpolitischen und regionalpolitischen Fördermaßnahmen (Politik zur Entwicklung ländlicher Räume) weiterentwickelt. Markt-, Preis- und Einkommenspolitik in Form von Direktzahlungen bilden heute die sog.e 1. Säule der GAP. Als 2. Säule wird die „Politik zur Entwicklung ländlicher Räume“ bezeichnet, ein „Hybrid aus Agrar-, Umwelt- und Regionalpolitik“ (Weingarten/Fährmann/Grajewski 2015: 25).
Zur Regelung der Agrarmärkte wurden in den 1960er Jahren Marktordnungen geschaffen. Kennzeichnend für diese waren zumeist hoher Außenschutz, hohe Mindesterzeugerpreise und staatliche Aufkäufe zur Preisstützung sowie Exportsubventionen, um Überschüsse auf dem Weltmarkt absetzen zu können. Seit 1992 hat sich die GAP grundlegend gewandelt. Die Preisstützung wurde sukzessive reduziert, und Preise wurden an das Weltmarktpreisniveau angeglichen. Zum Ausgleich wurden Direktzahlungen eingeführt. Auf diese entfielen 2014 in der EU mit 41,6 Mrd. € über 70 % aller EU-Agrarausgaben. Exportsubventionen wendet die EU seit 2011 nicht mehr an. Zugenommen hat in den letzten Jahrzehnten die Bedeutung von Maßnahmen zur ländlichen Entwicklung. Auf sie entfiel 2014 über ein Fünftel der Ausgaben.
In der Finanzperiode 2014–2020 sind die nun „begrünten“ Direktzahlungen weiterhin das wichtigste politische Instrument. Auf sie entfallen 73 % des gesamten EU-Agrarhaushalts bzw. in Deutschland bis 2020 jährlich rund 4,9 Mrd. € oder ca. 285 €/ha, darunter ca. 178 €/ha für die Basisprämie als Einkommensgrundsicherung und ca. 86 €/ha für die Greening-Prämie. Diese stellt eine „Zahlung für dem Klima- und Umweltschutz förderliche Landbewirtschaftungsmethoden“ dar (BMEL 2015b: 35). Hierfür müssen Landwirte drei Bedingungen erfüllen, die sich auf die Vielfalt der angebauten Kulturen, den Erhalt von Dauergrünland und die Nutzung von mindestens 5 % der Ackerflächen des Betriebs als ökologische Vorrangflächen beziehen.
Die Politik zur ländlichen Entwicklung soll zu folgenden drei Zielen beitragen: „a) Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft, b) Gewährleistung der nachhaltigen Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen und Klimaschutz, c) Erreichung einer ausgewogenen räumlichen Entwicklung der ländlichen Wirtschaft und der ländlichen Gemeinschaften“ (Art. 4 der VO (EU) Nr. 1305/2013). Diese Ziele werden durch sechs Prioritäten untersetzt. Von diesen sind vier stark auf die Landwirtschaft (Wettbewerbsfähigkeit, Umweltwirkungen) ausgerichtet und nur die Priorität 6 (Soziale Eingliederung, Armutsbekämpfung [[[Armut]]] und wirtschaftliche Entwicklung) adressiert ländliche Entwicklung in umfassenderem Sinne. An EU-Mitteln stehen für die von den Bundesländern erstellten Programme zur ländlichen Entwicklung für die Finanzperiode 2014 bis 2020 rund 8,3 Mrd. € zuzüglich 1,1 Mrd. € aus der Umschichtung aus der 1. Säule zur Verfügung. EU, Bund und Länder wenden in Deutschland insgesamt rund 16,8 Mrd. € an öffentlichen Mitteln auf. Dem Bund kommt insb. über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (Bundesmittel 2015: 620 Mio. €) eine koordinierende und mitfinanzierende Rolle zu.
3. Weitere Politikbereiche
Die Agrarumweltpolitik in Deutschland wird geprägt durch das diesbezügliche Ordnungsrecht (z. B. im Dünge- und Pflanzenschutzbereich), für das oftmals ein Vollzugsdefizit beklagt wird, aber auch durch anreizorientierte Agrarumweltmaßnahmen, an denen Landwirte freiwillig teilnehmen können, und durch Beratung (Umweltpolitik).
Die Agrarsozialpolitik liegt nahezu ausschließlich in der Kompetenz der Mitgliedstaaten. In Deutschland erfolgt die Absicherung im Alter, bei Erwerbsunfähigkeit, Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Unfall für landwirtschaftliche Unternehmer, deren Ehegatten und mitarbeitende Familienangehörige nicht im Rahmen der allg.en Sozialversicherungssysteme (Sozialversicherung), sondern durch Sondersysteme. Diese unterstützte der Bund 2015 mit 5,4 Mrd. €, um strukturwandelbedingte Defizite auszugleichen. Zugleich stellt die Agrarsozialpolitik aber auch eine der wenigen nationalen Möglichkeiten dar, Einkommenspolitik für Landwirte zu betreiben (Sozialpolitik).
Ziele und Instrumente der landwirtschaftlichen Bodenmarktpolitik (Boden) werden intensiv diskutiert. Im Mittelpunkt steht das Gesetz über Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur und zur Sicherung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe (Grundstücksverkehrsgesetz).
Neben der A. haben weitere Politikfelder (Policy) zunehmend an Bedeutung für die Landwirtschaft und damit indirekt auch für die A. gewonnen. So hat die Energiepolitik dazu geführt, dass 2014 auf 19 % der Ackerfläche in Deutschland Pflanzen zur Energieerzeugung angebaut wurden. Angesichts schwindender gesellschaftlicher Akzeptanz der derzeitige Nutztierhaltung wird Tierschutzpolitik (Tierschutz) wichtiger. Die Klimapolitik (Klimawandel) wird zukünftig verstärkt auch die Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft in den Blick nehmen. Die Technologiepolitik beeinflusst über die Förderung oder Hemmung neuer Technologien die Wettbewerbsfähigkeit (Wettbewerb) der Landwirtschaft. Auf die Entwicklung ländlicher Räume nimmt eine Vielzahl raumwirksamer (Raum) Politikmaßnahmen (Raumordnung und Landesplanung) Einfluss.
4. Fazit
Die A. in Deutschland wird wesentlich durch die GAP der EU bestimmt, die über die Zeit deutliche Änderungen erfahren hat; Reformen, die grundsätzlich positiv zu sehen sind. Die GAP-Reform von 2013/14 gilt aus wissenschaftlicher Sicht dagegen als vertane Chance. Der von vielen Wissenschaftlern empfohlene schrittweise Ausstieg aus dem Direktzahlungssystem und der Ausbau der gezielten Honorierung öffentlicher Güter erfolgten nicht. Die „Begrünung“ der Direktzahlungen wird zwar zu geringen positiven Auswirkungen auf die Biodiversität und den Klimaschutz führen. Mit gezielteren, regional zugeschnittenen Maßnahmen ließe sich bei gleichem Finanzmitteleinsatz ein deutliches Mehr an Umwelt- und Klimaschutzleistungen (Umweltschutz) erzielen. Die Diskussionen um die Ausgestaltung der GAP nach 2020 nehmen zunehmend Fahrt auf.
Literatur
P. Weingarten: Agrarpolitik, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hg.): Handwörterbuch der Stadt- und Raumentwicklung, 52015, 34–41 • A. Tietz, R. Grajewski: Abschnitt VI: EU-Förderung der ländlichen Entwicklung in Deutschland ab 2014: zwischen Kontinuität und Wandel, in: H. Karl/G. Untiedt (Hg.) Handbuch der regionalen Wirtschaftsförderung: 67. Lfg., 2016 • Wissenschaftlicher Beirat Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlicher Verbraucherschutz und Wissenschaftlicher Beirat Waldpolitik beim BMEL: Klimaschutz in der Land- und Forstwirtschaft sowie den nachgelagerten Bereichen Ernährung und Holzverwendung, 2016 • Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) (Hg.): Agrarpolitischer Bericht der Bundesregierung 2015, 2015a • Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) (Hg.): Umsetzung der EU-Agrarreform in Deutschland, 2015b • J. Swinnen (Hg.): The Political Economy of the 2014–2020 Common Agricultural Policy: An Imperfect Storm, 2015 • P. Weingarten/B. Fährmann/R. Grajewski: Koordination raumwirksamer Politik: Politik zur Entwicklung ländlicher Räume als 2. Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik. In: H. Karl (Hg.): Koordination raumwirksamer Politik, 2015, 23–49 • Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (Hg.): Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung, 2015 • F. Isermeyer: Künftige Anforderungen an die Landwirtschaft – Schlussfolgerungen für die Agrarpolitik, 2014 • A. Tietz: Überregional aktive Kapitaleigentümer in ostdeutschen Agrarunternehmen: Bestandsaufnahme und Entwicklung, 2014 • U. Koester: Grundzüge der landwirtschaftlichen Marktlehre, 42010 • W. Henrichsmeyer/H. P. Witzke: Agrarpolitik Bd. 1: Agrarökonomische Grundlagen, 1991. • Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Bodenmarktpolitik“: Landwirtschaftliche Bodenmarktpolitik: Allgemeine Situation und Handlungsoptionen. Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Bodenmarktpolitik“, 2015 • S. Möckel u. a.: Rechtliche und andere Instrumente für vermehrten Umweltschutz in der Landwirtschaft, 2014 • B. Forstner u. a.: Analyse der Vorschläge der EU-Kommission vom 12. Oktober 2011 zur künftigen Gestaltung der Direktzahlugnen im Rahmen der GAP nach 2013, 2012 • Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Hg.): EU-Agrarpolitik nach 2013: Plädoyer für eine neue Politik für Ernährung, Landwirtschaft und ländliche Räume, 2010 • J. Swinnen (Hg.): The perfect storm: The political economy of the Fischler reforms of the common agricultural policy, 2008
Empfohlene Zitierweise
P. Weingarten: Agrarpolitik, Version 22.10.2019, 17:30 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Agrarpolitik (abgerufen: 24.11.2024)