Hoffnung: Unterschied zwischen den Versionen

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J. Rahner: Hoffnung, Version 11.11.2020, 09:00 Uhr, in: Staatslexikon<sup>8</sup> online, URL: {{fullurl:Hoffnung}} (abgerufen: {{CURRENTDAY2}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})
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J. Rahner: Hoffnung, Version 04.01.2021, 09:00 Uhr, in: Staatslexikon<sup>8</sup> online, URL: {{fullurl:Hoffnung}} (abgerufen: {{CURRENTDAY2}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})
 
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Version vom 4. Januar 2021, 11:21 Uhr

Als vor 500 Jahren Thomas Morus’ „Utopia“ erschien, war dieser namensgebende Gründungsmythos mit seiner die Menschheitsträume wahr werden lassenden Utopie einer gerechten, friedlichen Gesellschaft mit demokratisch gewählter Regierung, die Arbeit zur Selbstverwirklichung und auf Gemeinwohl bezogen kennt, aber keine Klassenunterschiede, in der das Geld abgeschafft ist und das Militär allenfalls humanitären Interventionen dient, mehr als ein Glanzstück phantastischer Literatur. Es war eine provozierende Gegenerzählung, eine „Kriegserklärung“ an die gesellschaftliche Realität der heraufdämmernden Neuzeit. T. Morus erfindet eine, geschichtsphilosophische Entwürfe einer klassenlosen Gesellschaft bis weit ins 20. Jh. hinein inspirierende, ja das „Prinzip Hoffnung“ (Bloch 1968) ins Konkrete durchspielende Utopie, die das theologische Tiefenpotential christlicher H. in einem säkularen Korrelat provozierend zur Geltung bringt: Wenn Unglück und Elend der Welt „zum Himmel schreien“, ist dies alles andere als Ausdruck göttlicher Weisheit. Man darf sich daher nicht mit dem Ist-Zustand abfinden, sondern dem Elend ist der Krieg zu erklären, weil es, wenn es anders gehen kann, anders gehen muss. Auch christlich geschieht Erlösung nicht erst im Himmel, sondern beginnt bereits hier auf Erden; eine „Theologie der Hoffnung“ (Moltmann 1964) gründet im Hier und Jetzt.

500 Jahre danach scheint indes die letzte der drei großen Menschheitsfragen – Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? –, die für Immanuel Kant die Frage nach dem Menschsein des Menschen auf den Punkt bringen, weitestgehend aus dem Blick geraten. Von großen Utopien spricht heute keiner mehr, denn sie haben entweder ihre Unschuld verloren oder sind allesamt „mausetot“ (Assheuer 2016: 45), weil die Wirklichkeit und ihre Notwendigkeiten den Eindruck von „Alternativlosigkeit“ erwecken. Der Traum vom besseren Leben, davon, dass die Welt einmal ganz anders sein und werden könnte, irgendwann, irgendwo, ist der Geschichtsmüdigkeit der späten Moderne und damit jener „kulturellen Amnesie“ (nach Johann Baptist Metz) erlegen, die J. B. Metz als atmosphärische Signatur heutigen Lebensgefühls treffend beschreibt.

Die je „größere H.“ scheint auch Christen gehörig ausgetrieben. Hatte man in Sachen „H. und Zukunft“ in vergangenen Jahrhunderten zu viel gewusst und dabei auf die subtile Einprägsamkeit jener Bilder von Himmel und Hölle gesetzt, die bis heute unsere Vorstellungen wie unsere Phantasie anregen, so zeichnet sich die zeitgenössische Eschatologie eher durch eine gewisse Verlegenheit, gar Sprachlosigkeit aus. Die Religionskritik hat den christlichen Blick in die Zukunft mit so vielen Fragezeichen versehen, dass ihr die Ausrufezeichen abhanden gekommen sind. Doch droht mit diesem Sprachverlust in Sachen „H.“ die Idee selbst verloren zu gehen. Denn er trifft heute auf das alltagspraktische Lebensprinzip des Carpe diem! The Taste of now! Was zunächst an Friedrich Nietzsches Vision der lebensbejahenden Wende zum ewigen „Augenblick“ oder Albert Camus’ Vorstellung vom Glück des Sisyphos erinnert, dient aber in der durchkommerzialisierten Spätmoderne nur dazu, „H.“ in marktgerechte Portionen „Sehnsucht“ umzupacken und so ihr systemkritisches Provokationspotential stillzulegen.

Denn christlich inspirierte H. ist zwar notwendig immer erdverbunden und geschichtlich konkret. Doch erwartet sie auch das „überraschend Andere“ – das, was kein Auge je gesehen und kein Ohr je gehört hat, was keinem Menschen je in den Sinn gekommen ist. Christliche H. geht an unseren Sehnsüchten nach gelingendem Leben etc. nicht vorbei, sie nimmt sie auf, freilich um sie zugl. zu überbieten. Dabei gründet das eschatologische Versprechen auf Zukunft hin nicht in dem, was als Kommendes verheißen wird, sondern in dem, was als unvordenklich, kreativ-schöpferisch und heilsgeschichtlich bereits Geschehenes erinnert wird. Im „Schon“ des bereits erfahrenen Heils und in der Erinnerung daran kann und darf das Zukünftige neu – als verheißenes „Noch-Nicht“ – erhofft werden. Das bindet christliche H. an die konkrete Geschichte und die Welt hier und jetzt als ihren eigentlichen „Bewährungsort“, und das begründet ihre Sprengkraft. So heißt es in einem Kirchenlied von Kurt Marti: „Der Himmel, der kommt, grüßt schon die Erde, die ist“. Die eigentliche Herausforderung christlicher H. besteht im kreativen Ernstnehmen dieses unaufhebbaren „Zwischen“ – zwischen „schon“ und „noch nicht“. In diesem „Zwischen“ spielt sich die ganze Dramatik von Geschichte, von Heil und Unheil, von Gut und Böse, spielt sich eben christliche H. ab. Das macht ihre innere Dynamik und Unabschließbarkeit, aber auch ihren herausfordernden Charakter aus. Daraus gewinnt sie ihr gegenwartskritisches Potential, weil sie die Alternative zum Gegebenen als Prinzip pflegt.

Doch stellt die Frage nach der Begründung dieser H. die Frage nach Gott in all ihrer Konkretheit. Die zunehmende Sprachlosigkeit in Sachen H. ist heute mit einer ungestillten Sehnsucht konfrontiert, dass am Ende alles gut sein möge, deren Erfüllung man sich aber nicht mehr vorzustellen wagt. Christliche H. provoziert hier mit der Zusage, dass sich die Lücke zwischen dem, was ist, und dem, was als Erhofftes sein könnte, nicht durch unser Zutun, sondern nur durch das liebende Tun eines ganz Anderen schließen wird. „Heute meinen wir ja oft, der Gottesgedanke verdanke sich einer Art Wunschdenken und sei tendenziell deshalb schon falsch. Ich glaube aber, dass sich gerade in dem unverschämten Optimismus der Erlösungshoffnung die Stärke des Gottesgedankens erweist“ (Tetens 2017: 20). Christen bekennen die Lebensgeschichte eines Menschen, Jesus von Nazaret, als geschichtlichen Ort, an dem sich der Anker der H. festmacht. Es ist jener Akt göttlicher Solidarität und Würdigung, der sich genau dort vollzieht, wo der Mensch in seinem Menschsein und seiner Würde bedroht ist bzw. diese ihm durch die Macht des Bösen endgültig verweigert erscheint. So bleibt im Modus der H. – I. Kant würde sagen: im Postulat Gottes – hier das entscheidende „Humanum“ bewahrt. Wo die H. auf Zukunft verloren geht, droht am Ende das Menschsein und seine Würde verloren zu gehen. H. aber schult und stärkt den Möglichkeitssinn der Menschen, der aus dem prophetischen Potential der Differenzerfahrung eines „noch nicht“, aber vielleicht doch Möglichen, die Dynamik zur Veränderung der Gegenwart gewinnt.