Klerikalismus: Unterschied zwischen den Versionen

K (Klerikalismus)
 
K (Klerikalismus)
Zeile 32: Zeile 32:
 
</div>
 
</div>
 
<p id="quotation1">
 
<p id="quotation1">
K. Unterburger: Klerikalismus, Version 11.11.2020, 09:00 Uhr, in: Staatslexikon<sup>8</sup> online, URL: {{fullurl:Klerikalismus}} (abgerufen: {{CURRENTDAY2}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})
+
K. Unterburger: Klerikalismus, Version 04.01.2021, 09:00 Uhr, in: Staatslexikon<sup>8</sup> online, URL: {{fullurl:Klerikalismus}} (abgerufen: {{CURRENTDAY2}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})
 
</p>
 
</p>
 
</div>
 
</div>
 
</div>
 
</div>
 
{{ #staatslexikon_track_view: {{ARTICLEPAGENAME}} }}
 
{{ #staatslexikon_track_view: {{ARTICLEPAGENAME}} }}

Version vom 4. Januar 2021, 11:22 Uhr

K. ist ein pejorativer Begriff, der eine inversive Tendenz kirchlicher Amtsträger charakterisiert, ihre Stellung zu ihrem persönlichen Vorteil zu gebrauchen, anstatt der Kirche und den Gläubigen zu dienen. Seit Beginn seines Pontifikats 2013 hat Papst Franziskus sich dem Kampf gegen den K. verschrieben (vgl. EG 102). Damit ist eine ekklesiologische Reformidee des Papstes verbunden, die die Kirche von K., Narzissmus und Karrierismus reinigen möchte und hinter zahlreichen Einzelmaßnahmen seines Pontifikats steht. Damit bündelt der Papst eine lange historische Vorgeschichte mit mehreren Schichten.

Historische Voraussetzung ist die Ausbildung des Klerus als eines eigenen kirchlichen Standes im zweiten und dritten Jh.; in diesem Prozess wurden Ämter zusammengefasst und gegen Laien abgegrenzt, zugl. wurden alttestamentliche Konzeptionen des levitischen Priestertums (Priester) auf geweihte Amtsträger übertragen; schließlich partizipierten diese ab dem 4. Jh. an der Rechtsstellung von Kultpersonal im Römischen Reich. Immunitäten und Klerusprivilegien wurden seit der gregorianischen Reform noch einmal grundsätzlicher eingefordert; im Kampf um die priesterliche Reinheit als Garant der Heilsvermittlung wurden Kleriker und Laien scharf distinguiert. Seit dem Spätmittelalter setzte eine Tradition der Kleruskritik ein – ein Zeichen, dass der Klerus zunehmend an gesteigerten normativen Ansprüchen und Erwartungen gemessen wurde. Kritisiert wurden fast immer ein nunmehr empfundenes Defizit an Bildung bei Klerikern, deren zunehmendes Pochen auf Immunität von weltlichen Abgaben und weltlicher Gerichtshoheit, deren Abgabenforderungen, sowie eine Lebensweise, die in den Augen der Kritiker zu wenig den kanonischen Erfordernissen entsprach. Jedenfalls galt zeitgeschichtlich die Unzufriedenheit mit den Klerikern vielfach als entscheidender Wurzelboden für die Ausbreitung reformatorischen Gedankenguts (Reformation). Kleruskritik blieb im Katholizismus sozialgeschichtlich durch die Existenz einer breiten unterpfarrlichen Schicht gespeist, die vielfach erhebliche Anstrengungen unternehmen musste, ihren Lebensunterhalt zu sichern. Seit der Aufklärung kam eine kleruskritische Strömung von außen hinzu, die den Einfluss der Kirche auf das öffentliche Leben bekämpfte und die Kirche streng dem Staat unterordnen wollte. Dies ist die Wurzel eines spezifisch liberalen Anti-K. in den europäischen Kulturkämpfen des 19. Jh., der auch in das sozialistische und das ultranationalistisch-rassistische Milieu diffundierte.

Innerkirchlich verband sich die K.-Kritik hingegen meist mit einer Kritik am politischen Katholizismus; Kirche und Klerus sollten in geringerem Maße auf die eigenen Privilegien schauen und weniger dezidiert ihre Autorität für konkrete politische und gesellschaftliche Positionen einsetzen. In seinen v. a. in Ansprachen entwickelten Reformprogramm gab Papst Johannes XXIII. auch die Zielvorstellung einer strikteren Scheidung „beider Seiten des Tiber“ vor, was in der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils von der legitimen Autonomie der zeitlichen Ordnungen (GS 36) konkretisiert wurde; zudem wurde der Dienstcharakter des Amtes gegenüber dem Volk Gottes betont (LG 18). Auf dieser Basis forderten Reformströmungen nach dem Konzil eine Entklerikalisierung des kirchlichen Lebens; zugl. wurden im Konzil Akzente gesetzt, an die Papst Franziskus wieder bewusst anknüpft. Sukzessive hat die K.-Kritik seither aber auch eine Erweiterung ins Psychologische erfahren. Das Beharren auf eigenen Privilegien und Vorrechten von Klerikern sei getragen von unreifen, narzisstischen psychischen Strukturen, die wiederum durch kirchliche Karrieremuster und Machtstrukturen geprägt seien. Diese Diagnose konkretisierte sich in der Debatte um das Buch „Kleriker. Psychogramm eines Ideals“ Eugen Drewermanns seit 1989, steht aber auch im Hintergrund der Diskussionen um die zahlreichen aufgedeckten Missbrauchsfälle durch Kleriker im 21. Jh.