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Version vom 4. Januar 2021, 11:22 Uhr
I. Organisation und Ideologie der „Parteien neuen Typs“
Abschnitt druckenAls Schöpfer der neuartigen k.n P. darf Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, gelten, sowohl in theoretischer als auch in organisatorischer Hinsicht. Im zeitlichen Umfeld des im Exil stattfindenden Zweiten Parteitages der russischen Sozialdemokratie (1903) formulierte er erste wichtige Grundsätze zur Schaffung eines solchen Parteityps. Dabei stützte er sich einerseits auf verabsolutierte frühe Aussagen von Karl Marx und als zentralistisch gedeutete zeitgenössische Organisationsstrukturen der deutschen Sozialdemokratie, sowie andererseits auf Traditionen und Vorbilder der russischen revolutionären Intelligentsja und ihrer linksterroristischen Organisationen (z. B. „Narodnaja Wolja“). In mehreren Schriften formte er ab 1902 (z. B. „Was tun?“ [Lenin 1955]) das Bild einer „Partei neuen Typs“, die sich grundsätzlich vom klassischen Typus der westeuropäischen Sozialdemokratie unterschied. Als kennzeichnend erwies sich der Avantgardecharakter, d. h., die von einen Vortrupp von meist intellektuellen Berufsrevolutionären geführte Organisation, in der das revolutionäre Bewusstsein den einzelnen Mitgliedern vermittelt und der Parteiapparat mit Hilfe des „Demokratischen Zentralismus“ von oben nach unten beherrscht werden sollten. W. I. Lenins Parteiprinzip – eine von Berufsrevolutionären elitär, straff und zentralistisch geführte Organisation mit dem Ziel der revolutionären Überwindung (Revolution) des bestehenden Systems – war daher keine Plattform für „intellektuelle Debatten“, sondern „für die Organisation einer proletarischen Diktatur“ (Talmon 2013: 472). Auch wenn es bei der Herausbildung solcher Prägungen die bes.n russischen Verhältnisse (absolutistische Zarenherrschaft mit repressivem Verfolgungsapparat) zu berücksichtigen gilt, musste die Etablierung einer Diktatur des Proletariats (Diktatur des Proletariats) gerade im bäuerlich geprägten Russland ahistorisch erscheinen. Überdies wirkte der Charakter der neuen Partei – nach Rosa Luxemburg die diktatorische Führung durch das ZK – für den Charakter eines solchen Staates präjudizierend. Ebenso zeitnah (1903/04) wie weitsichtig sah Leo Trotzki den neuen Staat als Parteidiktatur unter Führung eines ZK voraus.
Unter Führung W. I. Lenins und eines Stamms treuer Gefolgsleute kristallisierte sich unmittelbar nach dem Zweiten Parteitag der russischen Sozialdemokratie eine innerparteiliche Organisation heraus, in der diese Prinzipien Schritt für Schritt realisiert wurden. Die – im Gegensatz zu den sozialdemokratisch-westeuropäisch geprägten Menschewiki (Minderheitler) – selbst als Bolschewiki (Mehrheitler) auftretende Organisation rekurrierte auf Abstimmungserfolge auf dem zurückliegenden Parteitag, konnte sich aber einer tatsächlichen Mehrheit nie sicher sein. Deswegen vollzog sie 1912 endgültig den Bruch mit den Menschewiki und bildete eine eigenständige „Partei neuen Typs“. Nach der Februarrevolution 1917 legalisierte und rekonstruierte sich die Partei als Russische Sozialdemokratische Arbeiterpartei (Bolschewiki) mit W. I. Lenin an der Spitze. Im Oktober 1917 vermochte sie durch einen militärischen Handstreich die prekären Machtverhältnisse zuerst in der Hauptstadt Petrograd und wenig später in Russland zu ihren Gunsten zu wenden. Dabei und mit Blick auf die Sicherung der Macht erwiesen sich der Avantgardecharakter der Partei und ihr Zentralismus als entscheidender Vorteil: Die „Partei neuen Typs“ prägte nun tatsächlich den von ihr usurpierten „Staat neuen Typs“. Im März 1918 in KPR umbenannt, nahm sie von Anfang an die „führende Rolle“ in Staat und Gesellschaft ein. Parteileitung (ZK und Politbüro) und Staatsleitung (Rat der Volkskommissare) wurden personell miteinander verzahnt. Die Staatsverwaltung wurde „gesäubert“, den Interessen der K.n P. untergeordnet und dienstbar gemacht. Neue, von der Partei kontrollierte „Massenorganisationen“ (wie Staatsgewerkschaften und Staatsjugend) wurden geschaffen, die als „Transmissionsriemen“ in die Gesellschaft wirken sollten. Mit dem System der Kadernomenklatur schuf sich die neue Staatspartei alsbald ein Instrument, mit dem sie alle wichtigen Funktionen im Parteiapparat, in den staatlichen Verwaltungen und in den Massenorganisationen mit eigenen, als zuverlässig geltenden Kadern besetzen konnte. Zudem begründete sie mit den „Sonderkommissionen“ (Tscheka), Revolutionstribunalen und der Roten Armee neue repressive Herrschaftsinstrumente. Anlässlich der (zeitlich befristeten) Einführung der marktwirtschaftlich orientierten „Neuen Ökonomischen Politik“ wurde von W. I. Lenin 1921 nun auch jegliche Plattformbildung innerhalb der K.n P. strikt unterbunden. Politbüro und ZK der K.n P. versuchten ihren totalitären Anspruch (Totalitarismus), den ideologisch motivierten Umbau der Gesellschaft in Richtung einer klassenlosen Gesellschaft, auch mit den Mitteln der geistigen Indoktrination (etwa mit einem Bildungs- und Parteischulsystem) durchzusetzen. Im dafür ausformulierten ideologischen Grundgerüst, dem Marxismus-Leninismus, wurde die führende Rolle der K.n P. als bewusster und organisierter Vortrupp der Arbeiterklasse festgeschrieben, die selbst wiederum ihre „historische Mission“ zu erfüllen hatte.
Bereits im Frühjahr 1920 hatte sich W. I. Lenin zu dieser neuen Art der „Oligarchie“ (LW 31: 30) offen bekannt, als er über die Stellung von Partei und Parteiführung in Staat und Gesellschaft erklärte, dass die „Diktatur […] durch das in den Sowjets [Räten] organisierte Proletariat verwirklicht“ werde, „dessen Führer die Kommunistische Partei der Bolschewiki“ (LW 31: 32) sei. Letztendlich entscheide aber nicht die Partei als Ganzes, sondern die Parteiführung: „Keine einzige wichtige politische oder organisatorische Frage wird in unserer Republik von irgendeiner staatlichen Institution ohne Direktiven des Zentralkomitees unserer Partei entschieden“ (LW 31: 32). W. I. Lenins Nachfolger Josef W. Stalin verengte diese Diktatur der Parteiführung auf die Form seiner persönlichen Diktatur.
Seit 1920 nahm die von W. I. Lenin und später von J. W. Stalin geführte K. P. zudem Kurs auf eine Transformation der schon bestehenden außerrussischen K.n P. und verschiedener linkssozialistischer Parteien zur „Partei neuen Typs“ der UdSSR. Auf dem Zweiten Kongress der Kommunistischen Internationale (KI) im Sommer 1920 wurden ihnen deren Prinzipien oktroyiert: Die 21 Bedingungen für die Aufnahme in die KI umfassten neben der Einführung des Organisationsprinzips des „Demokratischen Zentralismus“ u. a. auch die „Säuberung“ der Partei von „opportunistischen“ Elementen sowie eine periodische Wiederholung derartiger „Säuberungen“. Die so umgeformten, bolschewisierten außerrussischen k.n P. waren nunmehr perspektivisch in der Lage, den eigenen nationalen Staat nach dem Vorbild der UdSSR zu transformieren. Die Voraussetzungen einer solchen Transformation schuf in Osteuropa nach 1945 die Rote Armee; vornehmlich aus eigener Kraft agierten die nationalen k.n P. u. a. in China und Jugoslawien. Davon unabhängig verabschiedeten sich mehrere westeuropäischen k. P. (v. a. die K. P. Italiens) von leninschen Prinzipien und Leitvorstellungen (DDP), während die k. P. der Bundesrepublik (DKP) sich ebenso strikt zu diesen Prinzipien bekannte wie die SED als Staatspartei der DDR.
Literatur
H. Altrichter: Stalin. Der Herr des Terrors, 2018 • G. Koenen: Die Farbe Rot. Ursprünge und Geschichte des Kommunismus, 2017 • M: Schmeitzner: Lenin und die Diktatur des Proletariats. Begriff – Konzeption – Ermöglichung, in: Totalitarismus und Demokratie 14/1 (2017), 17–69 • J. L. Talmon: Die Geschichte der totalitären Demokratie, Bd. 3, 2013 • W. Ruge: Lenin. Vorgänger Stalins, 2010 • D. Priestland: Weltgeschichte des Kommunismus, 2009 • L. T. Lih: Lenin Rediscovered. What is to be Done?, 2006 • R. Service: Lenin, 2002 • R. Luxemburg: Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie, in: dies.: Gesammelte Werke, Bd. 1, 2. Halb-Bd. 1970, 422–444 • L. Trotzki: Unsere politischen Aufgaben, in: ders.: Schriften zur revolutionären Organisation, 1970, 7–134 • D. Geyer: Lenin in der russischen Sozialdemokratie. Die russische Arbeiterbewegung im Zarenreich als Organisationsproblem der revolutionären Intelligenz 1890–1903, 1962 • W. I. Lenin: Brief an einen Genossen über unsere organisatorischen Aufgaben, in: LW, Bd. 6, 1956, 223–244 • W. I. Lenin: Was tun? Brennende Fragen unserer Bewegung, in: LW, Bd. 5, 1955, 355–551 • J. W. Stalin: Fragen des Leninismus, 1951.
Empfohlene Zitierweise
M. Schmeitzner: Kommunistische Parteien, I. Organisation und Ideologie der „Parteien neuen Typs“, Version 04.01.2021, 09:00 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Kommunistische_Parteien (abgerufen: 22.11.2024)
II. Geschichte
Abschnitt drucken1. Internationale Umsetzung
Spätestens 1928 war der Prozess der Gleichschaltung und politischen Unterordnung der k.n P. unter die Linie der Kommunistischen Internationale (KI) weitgehend abgeschlossen. In der Sowjetunion wurde innerparteiliche Opposition bald auch mit Hilfe der Geheimpolizei verfolgt und unter Josef W. Stalin die „Einheit der Partei“ immer rücksichtsloser durchgesetzt. Höhepunkt waren die Moskauer Schauprozesse ab 1936. Die KI wurde 1943 aufgelöst, die meisten nationalen k.n P. haben sich den Zielen der sowjetischen Politik unterstellt und den Stalinismus vorbehaltlos unterstützt.
In Ablehnung dieser Politik standen kleinere unabhängige und oppositionelle k. P., die sich zum Teil an den Vorstellungen Leo Trotzkis orientierten (Trotzkismus) oder linksradikale Positionen vertraten. Als Sonderfälle wären die 1921 gegründete KPCh zu betrachten oder die aus der KP Koreas hervorgegangene Partei der Arbeit Koreas.
2. Deutschland
In historischer Perspektive zählt die 1919 von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gegründete KPD zu den international bedeutendsten k.n P. Mit der KAPD und der KPD existierten zeitweise kleinere k. P. Nachdem sich die Hoffnung auf schnelle revolutionäre Veränderungen in Deutschland nach 1918/19 als illusionär erwiesen hatte, entwickelte sich die KPD zum dauerhaften fundamentaloppositionellen Faktor innerhalb der Weimarer Republik mit teilweise bedeutenden Wahlergebnissen und regional unterschiedlich starker Verankerung v. a. in der Arbeiterschaft. 1933 wurde die Partei verboten. Die gewählten Reichstagsabgeordneten konnten ihre Mandate nicht mehr ausüben und wurden zum Teil verhaftet. Protagonisten der illegalen Partei fanden sich trotz großer Rückschläge immer wieder im Widerstand zusammen. Viele von ihnen wurden verfolgt und oft auch ermordet. Eine große Zahl der in die UdSSR Geflohenen fiel dort der Stalin’schen Repression zum Opfer. 1945 wurde die KPD in allen vier Besatzungszonen wiedergegründet. In der DDR ging sie nach Vereinigung mit der SPD in der SED auf.
Die KPD verlor in der frühen Bundesrepublik im Klima des Kalten Krieges und wegen ihrer engen Anlehnung an die DDR und die UdSSR stetig an Einfluss und Unterstützung. Das 1956 erfolgte Verbot ist bis heute umstritten. Die 1968 gegründete DKP konnte trotz erheblicher verdeckter finanzieller Zuwendungen aus der DDR bei Wahlen kaum politisch reüssieren. Nach 1989/90 setzte ein Erosionsprozess ein, der die weiterhin marxistisch-leninistisch geprägte Partei auf zuletzt wenige tausend Mitglieder schrumpfen ließ.
3. Europa nach 1945
Nach 1945 stand ein erheblicher Teil Europas unter der Herrschaft k.r P. sowjetischen Vorbildes. Einen von der UdSSR unabhängigen Kurs verfolgten die Kommunisten in Jugoslawien und Albanien. Einzelne, auch sowjettreue westeuropäische k. P. verfügten v. a. in Frankreich und Italien bis in die 1980er Jahre über eine beachtliche Massenbasis. In den 1970er Jahren drängten reformorientierte Kräfte (v. a. in der italienischen KP) auf eine neue ideologische und strategische Ausrichtung (Eurokommunismus), was in einzelnen Ländern zu Parteispaltungen führte. International haben sich nach 1989/90 viele der einstigen pro-sowjetischen k.n P. Westeuropas und der k.n P. Osteuropas zu sozialistischen bzw. (links-)sozialdemokratischen Parteien gewandelt, sind zu Splitterparteien geschrumpft oder in breiten Linksbündnissen aufgegangen. Lediglich in einigen Ländern der „Dritten Welt“ spielen orthodoxe k. P. heute noch eine gewisse Rolle. Im Gefolge der Studentenbewegung der späten 1960er Jahre entstanden in Deutschland und anderen westlichen Staaten neue kommunistische bzw. marxistisch-leninistische Parteien meist stalinistischer und maoistischer (Maoismus) Ausrichtung („K-Gruppen“), die allerdings kaum größere Anhängerschaft erreichen konnten und gegenwärtig, so weit nicht aufgelöst, nur als unbedeutende und isolierte Splitterparteien existieren.
Literatur
J. Foschepoth: Verfassungswidrig! Das KPD-Verbot im Kalten Bürgerkrieg, 2017 • M. Bois: Kommunisten gegen Hitler und Stalin: Die linke Opposition der KPD in der Weimarer Republik, 2015 • A. Malycha/P. J. Winters: Die Geschichte der SED. Von der Gründung bis zur Linkspartei, 2009 • D. Priestland: Weltgeschichte des Kommunismus, 2009 • A. Vatlin: Die Komintern, 2009 • U. Backes/P. Moreau (Hg.): Communist and Post-Communist Parties in Europe, 2008 • H. Weber/A. Herbst: Deutsche Kommunisten. Biografisches Lexikon, 1918 bis 1945, 2004 • K. M. Mallmann: Kommunisten in der Weimarer Republik, 1997 • G. Fülberth: KPD und DKP 1945–1990, 1990 • D. Peukert: Die KPD im Widerstand. Verfolgung und Untergrundarbeit an Rhein und Ruhr, 1980 • H. Duhnke: Die KPD von 1933 bis 1945, 1972 • H. Dewar: Kommunistische Parteien, in: SDG, Bd. 3, 1969, 792–805.
Empfohlene Zitierweise
C. Kopke: Kommunistische Parteien, II. Geschichte, Version 04.01.2021, 09:00 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Kommunistische_Parteien (abgerufen: 22.11.2024)