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Version vom 4. Januar 2021, 11:22 Uhr
Seit ihrer Renaissance vor wenigen Jahrzehnten gilt die M. als ein zeit- und kulturübergreifendes Institut der friedlichen Streitbeilegung. Dem Grundgedanken zufolge geht es um Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien, die von einer Vertrauensperson – dem Mediator – unterstützt werden. Der Mediator wirkt als neutraler Mittler ohne sachbezogene Entscheidungsgewalt.
Mit dem Ordnungsprojekt der Neuzeit, dem Glauben an allg.e Gesetze und universale Rechte, war die M. – abgesehen vom internationalen Verkehr – als traditionelle Befriedungsform in den Hintergrund getreten. Dies änderte sich, als gegen Ende des 20. Jh. zunehmend die Unzulänglichkeiten eines abstrakten, komplexen Rechtssystems empfunden wurden. Seitdem sehen Teile der Wirtschaft und eines engagierten Bürgertums in der M. einen neuen, praxisgerechteren Weg des Interessenausgleichs.
Diese Erwartungen wurden indes erst in Ansätzen erfüllt. Die Anzahl der Fälle, in denen professionelle Mediatoren zum Einsatz kommen, ist gering. Der M.s-Markt ist ein Ausbildungsmarkt. Es gibt weder einen eigenständigen Berufsstand noch eine Disziplin. Die Lehre beschränkt sich mehrheitlich auf einen Katechismus auf dem Niveau von nicht akademischen Schulungsprogrammen. Anliegen der zahllosen M.s-Vereine ist die Erhaltung von Claims auf dem Ausbildungsmarkt.
Dennoch hat der Gedanke der M. in den westlichen Gesellschaften Fuß gefasst. Die Prinzipien der M. sind dem aristotelischen Gerechtigkeitshabitus (Gerechtigkeit) nachempfunden, der auf Mitte, Vermittlung und Ausgleich angelegt ist. Ergänzt werden sie durch die vernunftrechtliche Idee des Vertrags und der Autonomie des Subjekts, die das heutige Gerechtigkeitsgefühl ebenfalls prägen.
Seit Erlass des MediationsG im Jahr 2012 wird das M.s-Verständnis der deutschen Öffentlichkeit v. a. durch rechtliche Kategorien bestimmt. Als maßgeblich erweisen sich bereits die in § 1 MediationsG angeführten Legaldefinitionen. So erklärt der Gesetzgeber in Abs. 1 „M.“ zu einem außergerichtlichen, vertraulichen und strukturierten Verfahren, bei dem Parteien mithilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben. Laut Abs. 2 ist der „Mediator“ eine unabhängige und neutrale Person ohne Entscheidungsbefugnis, die die Parteien durch die M. führt.
Das Verfahren der M. regeln die §§ 2 ff. MediationsG als ein planvoll strukturiertes Vorgehen. Der Gesetzgeber folgt der herrschenden Annahme, wonach die Beachtung eines bestimmten Ablaufs für den Erfolg einer Verhandlung wesentlich sein soll. Diese Struktur wird üblicherweise mit einem Phasenmodell beschrieben:
Nach der eröffnenden Erläuterung des Verfahrens durch den Mediator benennen die Parteien die wesentlichen Themen ihres Konfliktes und bringen die dazu erforderlichen Informationen ein. Sodann werden die Parteien durch den Mediator veranlasst, ihre ursächlichen, mit den Themen zusammenhängenden Interessen herauszufinden. Sind sich die Parteien der jeweiligen Interessenlage bewusst geworden, folgt eine möglichst offene und kreative Ausarbeitung denkbarer Lösungswege (Optionen) für die individuelle Konfliktlage. Anschließend verhandeln die Parteien über eine der herausgearbeiteten Optionen und lösen auf dieser Basis den Konflikt im beiderseitigen Interesse. Diese Lösung können sie in einer rechtsverbindlichen Abschlussvereinbarung niederlegen. Der Mediator übernimmt üblicherweise eine unterstützende Rolle, etwa indem er die vorgetragenen Themen, Interessen und mögliche Optionen visualisiert.
Jeder dieser einzelnen Phasen der M. unterliegt den fünf M.s-Prinzipien, der Neutralität, Selbstveranwortlichkeit, Freiwilligkeit, Informiertheit und Vertraulichkeit, deren Einhaltung der Mediator fortwährend zu beachten hat.
Die Vorschriften über die M. haben Eingang in die Verfahrensordnungen der verschiedenen Gerichtsbarkeiten gefunden. Nach § 253 Abs. 3 ZPO soll die Klageschrift auch die Angabe enthalten, ob der Klageerhebung der Versuch einer M. oder eines anderen Verfahrens der außergerichtlichen Konfliktbeilegung vorausgegangen ist.
Nach § 278a ZPO kann das Gericht eine M. oder ein anderes Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung vorschlagen. Entspr.e oder auf die ZPO verweisende Vorschriften finden sich in §§ 54, 54a ArbGG, § 202 S. 1 SGG, § 173 S. 1 VwGO, § 155 FGO, §§ 23, 36a FamFG. Damit hat die Option einer strukturierten konsensualen Konfliktlösung endgültig Einzug in das Justizsystem gehalten.
Für die Konfliktkultur und das Rechtspflegesystem ist die Entwicklung der außergerichtlichen Streitbeilegung von größter Bedeutung. Der Anwaltschaft eröffnet sie die Möglichkeit, ihre Mandanten „rechtsgestaltend, konfliktvermeidend und streitschlichtend“ zu begleiten, was ihrem Auftrag i. S. v. § 1 Abs. 3 BORA gerecht wird. Bei den Gerichten werden unnötige Prozesse vermieden, so dass diese in ihrer Kernkompetenz, der effektiven streitigen Verfahrensführung, gestärkt werden.
Eine Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung erfolgte zudem durch das VSBG. Mit seinem Inkrafttreten bekamen Verbraucher und Unternehmer alternative Möglichkeiten der Konfliktbeilegung an die Hand. Die Ermöglichung konsensualer Streitbeilegung in Verbrauchersachen eröffnete auch der M. ein neues Arbeitsfeld.
Eine Möglichkeit zur Aus-und Fortbildung von Mediatoren wurde durch die ZMediatAusbV geregelt, die zum 1.9.2017 in Kraft getreten ist. Ab diesem Tag kann sich als zertifizierter Mediator bezeichnen, wer eine den Anforderungen der ZMediatAusbV entspr.e Ausbildung erfolgreich beendet hat. Grundsätzlich ist die Berufsbezeichnung „Mediator“ rechtlich nicht geschützt. Sie kann von jedem ohne Nachweis von Qualifikationen geführt werden. Unter diesem Aspekt erscheint es stimmig, dass die ZMediatAusbV keine Leistungskontrollen verlangt. Teile der Literatur schlussfolgern aus diesem Umstand die gesetzgeberische Einstufung der Mediatorentätigkeit als sog.en Talentberuf, dessen wesentliche Fähigkeiten nur begrenzt trainierbar und somit auch nur bedingt überprüfbar erscheinen.
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz als Verordnungsgeber sieht die Qualitätssicherung und Markttransparenz für den Verbraucher als wesentliche Zielkriterien der neuen ZMediatAusbV. Die Bezeichnung „zertifizierter Mediator“ nach § 5 Abs. 2 MediationsG soll einen Anreiz für angehende oder praktizierende Mediatoren schaffen, bestimmte Mindeststandards für die Aus- und Fortbildung nachzuweisen und ihre Vergleichbarkeit ermöglichen.
Die Regelungen des Gesetz- und Verordnungsgebers haben einen bedeutenden Beitrag zur Anerkennung der M. in Deutschland geleistet. M. wurde dadurch kein Rechtsinstitut, aber es entstanden zahlreiche Übergänge, die M. mit dem Rechtssystem verknüpften oder mediative Gedanken in das Recht integrierten. Dies bedeutet nicht, dass der Gesetzgeber jenseits der Frage der rechtlichen Behandlung über die M. als soziale Institution entschieden hat – wenn auch der autoritative Nimbus der staatlichen Regelungen einen anderen Eindruck vermitteln mag. Die begriffliche und qualitative Bestimmung der M. wie die Erarbeitung ihrer Theorie und die Durchsetzung der Praxis ist ungeregelt und bleibt eine Angelegenheit der Zivilgesellschaft.
Literatur
R. Greger/H. Unberath/F. Steffek: Recht der alternativen Konfliktlösung. Mediationsgesetz, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 22016 • P. Röthemeyer: Die Zertifizierung nach der ZMediatAusbV, in: ZKM 19/6 (2016), 195–204 • A. Trossen (Hg.): Mediation (un)geregelt, 2014 • K. von Schlieffen u. a.: Mediation und Streitbeilegung, Verhandlungstechnik und Rhetorik, 2006.
Empfohlene Zitierweise
K. Schlieffen: Mediation, Version 04.01.2021, 09:00 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Mediation (abgerufen: 27.11.2024)