Demoskopie: Unterschied zwischen den Versionen

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Es ist auffällig, dass sich die Umfrageforschung überall dort entfaltet, wo ein freies Staatswesen entsteht, während sie meist sofort unter Druck gerät, sobald ein bis dahin demokratisches System autoritäre Züge entwickelt. Eine freie Umfrageforschung ist für eine demokratische Gesellschaft ebenso wichtig wie eine freie {{ #staatslexikon_articlemissing: Presse | Pressefreiheit }}. Nur sie dokumentiert unmittelbar und ohne den Umweg über Interpretationen durch Journalisten, Chronisten, Analytiker oder gar staatliche Instanzen, wie ein Volk denkt und fühlt. Sie ist damit ein wichtiges Korrektiv gegenüber dem Staat, dessen {{ #staatslexikon_articlemissing: Propaganda | Propaganda }} sie widerlegen kann, und auch gegenüber dem [[Journalismus]], denn sie unterzieht dessen Weltdeutung einer unabhängigen Prüfung.
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Es ist auffällig, dass sich die Umfrageforschung überall dort entfaltet, wo ein freies Staatswesen entsteht, während sie meist sofort unter Druck gerät, sobald ein bis dahin demokratisches System autoritäre Züge entwickelt. Eine freie Umfrageforschung ist für eine demokratische Gesellschaft ebenso wichtig wie eine freie [[Pressefreiheit|Presse]]. Nur sie dokumentiert unmittelbar und ohne den Umweg über Interpretationen durch Journalisten, Chronisten, Analytiker oder gar staatliche Instanzen, wie ein Volk denkt und fühlt. Sie ist damit ein wichtiges Korrektiv gegenüber dem Staat, dessen [[Propaganda]] sie widerlegen kann, und auch gegenüber dem [[Journalismus]], denn sie unterzieht dessen Weltdeutung einer unabhängigen Prüfung.
 
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Version vom 15. August 2021, 11:41 Uhr

1. Bedeutung des Begriffs

Mit D. werden zusammenfassend die Methode der Repräsentativumfrage und die auf diese Methode spezialisierten Institutionen, bes. die privatwirtschaftlich finanzierten Umfrageinstitute, bezeichnet. Der Begriff ist eine vom amerikanischen Sozialforscher Stuart Dodd 1946 in der Fachzeitschrift POQ vorgeschlagene Kombination der griechischen Wörter demos („das Volk“) und skopein („betrachten“). Der Begriff ist, geprägt vom Institut für D. Allensbach, nur in Deutschland in die Alltagssprache eingegangen. Analog spricht man auch von Meinungsforschung. In der Sozialwissenschaft hat sich der präzisere Begriff Umfrageforschung durchgesetzt. Die D. ist heute eines der wichtigsten Instrumente der empirischen Sozialforschung, also der auf Beobachtungen und Messungen gegründeten Sozialwissenschaft (Sozialwissenschaften). Sie spielt außerdem eine wesentliche Rolle in der Markt- und Medienforschung sowie als Informationsquelle für die Politik.

2. Geschichte

Wesentliche Grundelemente der D. sind die Standardisierung des Erhebungsverfahrens, also die Befragung der ausgewählten Personen mit einem im Wortlaut festgelegten Fragebogen, die Analyse der Ergebnisse im Aggregat, also die Betrachtung der Befragten als Gruppe unter bewusster Vernachlässigung individueller Besonderheiten und die Auswahl der Befragten nach dem Prinzip der Repräsentativität auf der Grundlage der Logik der Zufallsstatistik. Diese drei Kernelemente der Meinungsforschung wurden das erste Mal Anfang des 20. Jh. systematisch zusammengeführt, doch sie finden sich einzeln bereits in vielen statistischen Erhebungen aus früherer Zeit wieder.

Die Versuche, die Meinungsbildung der Bevölkerung zu aktuellen Fragen durch die standardisierte Befragung einer großen Zahl von Menschen nachzuzeichnen, gehen bis ins frühe Mittelalter, erste Ansätze, statistische Prinzipien auf Menschen anzuwenden, sogar bis in die Antike zurück. Das AT berichtet über eine von David durchgeführte Volkszählung (2 Sam 24). Im Römischen Reich fanden regelmäßig statistische Erhebungen der Bevölkerung statt, darunter die in der Weihnachtsgeschichte des Lukas-Evangeliums überlieferte Volkszählung (Lk 2, 1–3). Im 18. Jh. beschäftigten sich die sog.en „Moralstatistiker“ mit der von Jahr zu Jahr gleichbleibenden Zahl von scheinbar willkürlichen Handlungen wie Selbstmorden, Verbrechen, Geburten usw. Nach und nach setzte sich die Erkenntnis durch, dass auch aus sehr individuellen Motiven gespeiste Handlungen – bezogen auf die Gesellschaft als Ganzes – berechenbaren statistischen Gesetzmäßigkeiten folgten.

Das Element, das die Umfrageforschung und mit ihr weite Teile der Sozialwissenschaften schließlich revolutionierte, war aber der Gedanke, das Prinzip der Zufallsstatistik zur Grundlage der Auswahl der Befragten zu machen. Die erste Erhebung dieser Art führte der britische Wirtschaftswissenschaftler Arthur Bowley 1912 durch. Ihren Durchbruch erlebte die moderne, auf Repräsentativstichproben gegründete Sozialforschung aber, als die amerikanischen Forscher George Gallup, Elmo Roper und Archibald Crossley dieses Verfahren für Wahlprognosen zur amerikanischen Präsidentschaftswahl 1936 anwandten.

3. Methodische Grundprinzipien

Obwohl Ergebnisse von Repräsentativumfragen zum selbstverständlichen Bestandteil der Berichterstattung in Zeitungen und Fernsehen geworden sind, erscheint die Umfragemethode vielen Menschen nach wie vor rätselhaft. Wie soll es möglich sein, 1000 oder 2000 Personen zu befragen und daraufhin mit hoher Sicherheit zu schließen, was eine ganze Millionenbevölkerung denkt? Die Antwort auf die Frage liegt in der Auswahl der Befragten. Sie erfolgt nicht willkürlich, sondern auf der Grundlage fester Regeln, die sicherstellen, dass die Gruppe derer, die befragt werden, für die Gesamtbevölkerung repräsentativ ist; d. h., dass sie in ihren Meinungen und Verhaltensweisen mit der Gesamtbevölkerung weitgehend übereinstimmt und deswegen ihre Antworten im Interview auf die Gesamtbevölkerung verallgemeinert werden können. Bei der Auswahl der Befragten macht man sich die Logik der Wahrscheinlichkeitsrechnung zunutze. Es werden – vereinfacht ausgedrückt – die gleichen Regeln angewandt, mit deren Hilfe sich auch berechnen lässt, wie wahrscheinlich ein Lottogewinn oder eine Sechs im Würfelspiel ist. Dabei gilt der Grundsatz, dass jede Person der Bevölkerung oder jedes Mitglied der Personengruppe, über die die Umfrage etwas aussagen soll (Grundgesamtheit), die gleiche Chance haben muss, in die Stichprobe zu gelangen. Ist nach diesem Prinzip verfahren worden, kann die Wahrscheinlichkeitsrechnung angewandt werden, um abzuschätzen, innerhalb welcher Toleranzen das gefundene Ergebnis für die Gesamtbevölkerung verallgemeinert werden kann. Dabei bestimmt in erster Linie die absolute Zahl der Interviews die Genauigkeit des Ergebnisses, nicht welcher relative Anteil der Gesamtheit in die Untersuchung einbezogen wurde. Darum muss bspw. in der Schweiz mit 8 Mio. Einwohnern und in Deutschland mit rund 80 Mio. Einwohnern die gleiche Zahl von Personen befragt werden, um die gleiche Genauigkeit der Ergebnisse zu erreichen. Ergibt eine Umfrage unter 1 000 repräsentativ ausgewählten Personen, dass 35 % eine Fernsehdiskussion gesehen haben, dann rechnet man für dieses Ergebnis in der Schweiz wie in Deutschland mit einer Genauigkeit von +/– 3 Prozentpunkten bei einem Signifikanzniveau von 95 %. Das bedeutet: Würde man die Untersuchung hundert Mal wiederholen, dann würde das Ergebnis in 95 dieser Wiederholungsuntersuchungen nicht mehr als 3 Prozentpunkte von 35 entfernt liegen. Man folgert: Das Ergebnis liegt mit großer Wahrscheinlichkeit auch nicht mehr als +/– 3 Prozentpunkte vom wirklichen Wert entfernt, der sich bei einer Vollerhebung, also der Befragung der gesamten Bevölkerung ergeben hätte, und nennt dies Repräsentationsschluss.

Für die Bildung repräsentativer Stichproben bieten sich zwei Verfahren an. Beim Random-Verfahren (at random: zufällig) wird die Stichprobe nach dem Lotterieprinzip aus der Grundgesamtheit ausgewählt, um die theoretischen Bedingungen zur Berechnung der statistischen Toleranzgrenzen zu erfüllen. Damit eine solche Auswahl getroffen werden kann, muss die Grundgesamtheit physisch oder symbolisch (z. B. Abonnentendatei, Adressenlisten, Listen von Telefonanschlüssen) vollständig erreichbar sein. Das Random-Auswahlverfahren wird in aller Regel bei telefonisch durchgeführten Umfragen angewandt, auch bei vielen Studien zur Wahlforschung.

Das zweite Verfahren zur Bildung einer repräsentativen Stichprobe, das Quotenverfahren, setzt voraus, dass von der Grundgesamtheit einige wichtige Proportionen bekannt sind, z. B. die Verteilung nach Altersgruppen, Berufsgruppen, Ortsgrößen. Solche Informationen über die Zusammensetzung der Bevölkerung werden in Deutschland regelmäßig und mit einer hohen Genauigkeit vom StBA ermittelt. Nach diesen Daten werden Quoten berechnet, die auf die Interviewer verteilt werden. D. h., den Interviewern wird vorgeschrieben, welche Merkmale die von ihnen interviewten Personen aufweisen müssen: Welches Geschlecht sie haben, welcher Altersgruppe und welchen Berufskreisen sie angehören und welche Größenklasse der Wohnort des Befragten haben muss. Zusammengenommen bilden alle an die Interviewer einer Umfrage versandten Quotenanweisungen in der Zusammensetzung der vorgeschriebenen Merkmale ein verkleinertes, maßstabgetreues Abbild der Gesellschaft. Dieses Verfahren kommt bei den meisten mündlich-persönlichen (face-to-face) Repräsentativumfragen zum Einsatz.

In der Marktforschung spielen heute Online-Umfragen eine große Rolle, meistens auf der Grundlage großer Datenbanken mit den Kontaktadressen befragungswilliger Personen (access panel). Auch die akademische Grundlagenforschung arbeitet, v. a. aus Kostengründen, viel mit der Methode der Online-Befragung. Für die gesellschaftspolitische Forschung sind Umfragen über das Internet dagegen nach wie vor von untergeordneter Bedeutung, weil sie, wie auch schriftliche Umfragen, nicht auf verlässlichen bevölkerungsrepräsentativen Stichproben beruhen und damit die Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse nicht gewährleistet werden kann.

4. Die Rolle der Demoskopie in der Demokratie

Die D. sieht sich in der öffentlichen Diskussion oft dem Vorwurf ausgesetzt, sie störe den demokratischen Prozess, weil ihre Ergebnisse – v. a. die von Wahlumfragen – die Meinungsbildung der Bevölkerung beeinflussten, so dass die Bürger dann bei der Wahlentscheidung nicht mehr ihren „wahren“ Präferenzen folgten. Als Konsequenz aus dieser Vermutung ist in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt ein Verbot der Veröffentlichung von Wahlumfragen in den letzten Wochen vor einem Wahltermin gefordert worden.

Doch zum einen konnte eine solche Wirkung von Wahlumfragen auf das Wählerverhalten in zahlreichen Untersuchungen bisher nicht belegt werden, zum anderen stellt sich die Frage, ob eine Informationsquelle allein schon deswegen illegitim ist, weil sie die Meinungsbildung der Bürger beeinflussen könnte. Wenn dies der Fall wäre, müsste jegliche Medienberichterstattung über den Stand des Wahlkampfes vor einer Wahl verboten werden.

Ein Verbot der Veröffentlichung von Wahlumfragen vor dem Wahltermin widerspräche nicht nur dem im Grundgesetz verankerten Recht auf Informationsfreiheit, sondern es würde die einzige verlässliche Informationsquelle zur politischen Stimmung in der Bevölkerung aus dem öffentlichen Raum entfernen und das Feld Gerüchten und – nicht selten interessegeleiteten – Spekulationen überlassen. Damit wäre ein solches Verbot nicht nur rechtlich inakzeptabel, sondern auch demokratietheoretisch höchst problematisch, denn es wäre nicht mit dem Ideal einer Wahlentscheidung informierter Bürger vereinbar.

Es ist auffällig, dass sich die Umfrageforschung überall dort entfaltet, wo ein freies Staatswesen entsteht, während sie meist sofort unter Druck gerät, sobald ein bis dahin demokratisches System autoritäre Züge entwickelt. Eine freie Umfrageforschung ist für eine demokratische Gesellschaft ebenso wichtig wie eine freie Presse. Nur sie dokumentiert unmittelbar und ohne den Umweg über Interpretationen durch Journalisten, Chronisten, Analytiker oder gar staatliche Instanzen, wie ein Volk denkt und fühlt. Sie ist damit ein wichtiges Korrektiv gegenüber dem Staat, dessen Propaganda sie widerlegen kann, und auch gegenüber dem Journalismus, denn sie unterzieht dessen Weltdeutung einer unabhängigen Prüfung.