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<h2 class ="headline-w-margin">2. Verfassungsrechtliche Grundlagen und Verfassungspolitik seit 1969</h2> | <h2 class ="headline-w-margin">2. Verfassungsrechtliche Grundlagen und Verfassungspolitik seit 1969</h2> |
Version vom 15. August 2021, 11:43 Uhr
1. Legaldefinition und begriffliches Umfeld
G. ist ein bundesstaatsrechtlicher Begriff. Gemäß der Legaldefinition in Art. 91a I GG sind G. Aufgaben der Bundesländer, deren Erfüllung für die Gesamtheit bedeutsam ist und bei denen die Mitwirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich ist. Konkret werden die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur und die Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes genannt. Die Mitwirkung des Bundes ist dem Grunde nach obligatorisch, mögen auch Kriterien wie „bedeutsam“ und „erforderlich“ dem Bund eine Einschätzungsprärogative eröffnen. Für jede der beiden G. enthält ein Bundesgesetz nähere Aussagen; zur Höhe der Bundesbeteiligung an den Zweckausgaben äußert sich Art. 91a III GG, der, was die Mittelbereitstellung für einzelne Haushaltsjahre und Projekte betrifft, auf die Haushaltspläne von Bund und Ländern verweist. Der Begriff G. kommt weiterhin in der Überschrift des Abschnitts VIIIa des GG (Art. 91a bis 91e) vor, in dem es neben den in Art. 91a geregelten G. im engeren Sinne um das wechselseitig kompetenzübergriffige Zusammenwirken von Bund und Ländern bei der Wissenschafts- und Forschungsförderung und im Bildungswesen geht; gemäß dem hierfür einschlägigen Art. 91b GG sind Grundlage der dem Grunde nach fakultativen Zusammenarbeit Verwaltungsvereinbarungen, in denen die Kostentragung geregelt wird (G. im weiteren Sinne).
G. sind Durchbrechungen des bundesstaatlichen Prinzips eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung von Bund und Ländern und des sog.en Verbots der Mischverwaltung. Die einschlägigen Regelungen sind darum restriktiv auszulegen. Bei G. im engeren Sinne erhält der Bund Mitplanungs-, Mitverwaltungs- und Mitfinanzierungskompetenzen im Aufgabenbereich der Länder. Wichtig ist die Verknüpfung von Verwaltungs- und Finanzierungskompetenzen; dies unterscheidet G. von reinen Finanzierungskompetenzen des Bundes, die im X. Abschnitt des GG geregelt sind.
G. stehen in einem Zusammenhang mit der ebenfalls in Abschnitt VIIIa des GG (Art. 91c und 91d, ergänzend Art. 108 IV) vorgesehenen Verwaltungszusammenarbeit, also der Kooperation bei der Wahrnehmung je eigener Aufgaben von Bund und Ländern in den Bereichen informationstechnische Systeme und Netze sowie Verwaltungsbenchmarking. Sie stehen weiter im Zusammenhang mit der finanziell gewichtigen Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Art. 91e, Arbeitsgemeinschaften, Optionskommunen). G. unterscheiden sich von punktueller Amts- und Rechtshilfe (Art. 35 GG), von faktischen Aufgabenüberschneidungen (z. B. Kreuzung von Bundes- und Landesstraße), von Zusammenarbeit in Organisationsformen des Privatrechts und von bloßen Finanzhilfen des Bundes für die Länder, insb. nach Art. 104b GG und als Bundesergänzungszuweisungen gemäß Art. 107 II 5 GG. Was Agrar- und Regionalförderung betrifft, ist noch auf Förderprogramme und Beihilfenaufsicht der EU hinzuweisen, weiterhin auf die Dienstleistungs-Richtlinie; die Förderprogramme gemäß Art. 91a GG und die entspr.en Förderprogramme der EU sind synchronisiert. G. ist aber kein europarechtlicher Begriff.
2. Verfassungsrechtliche Grundlagen und Verfassungspolitik seit 1969
Das Rechtsinstitut G. gibt es seit der Finanzreform vom Mai 1969 (21. Gesetz zur Änderung des GG). Damals ist versucht worden, den schon vorher vorhandenen finanziellen Einfluss des Bundes auf die Kompetenzsphäre der Länder, insb. die sog.e Fondswirtschaft, gemäß dem Leitbild eines kooperativen Föderalismus zu konstitutionalisieren, d. h. rechtlich zu legitimieren, zu ordnen und zugl. zu begrenzen. Diese Verfassungslage hatte, von einer marginalen Ergänzung der G. im 27. Gesetz zur Änderung des GG im Juli 1970 abgesehen, ca. 35 Jahre Bestand.
Der verfassungsändernde Gesetzgeber hatte das Thema erst bei der Föderalismusreform I im August 2006 wieder auf der Agenda, dann und danach aber insgesamt viermal. 2006 wurde die Rahmenplanung für G. im engeren Sinne aufgegeben und wurden weiter die Bundeskompetenzen im Hochschul- und Bildungsbereich zurückgedrängt (dies im Zusammenhang mit der Streichung der Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes für das Hochschulwesen), mit einer bis 2019 reichenden Übergangsregelung für den Hochschulbereich in Art. 143c I GG – dies alles waren bei der Föderalismusreform I bes. umstrittene Punkte. Unverändert blieben insoweit die Bundeskompetenzen für außeruniversitäre Einrichtungen und Vorhaben (etwa MPGes oder DFG); eingeschränkt wurden sie mit Blick auf Hochschulen, weiter bei Forschungsbauten und Großgeräteanschaffung (früher Ausbau und Neubau von Hochschulen einschließlich der Hochschulkliniken). Von der gemeinsamen Bildungsplanung ist nur noch die Zusammenarbeit bei der Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich übrig geblieben. An die Stelle der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung ist die GWK getreten.
2009 sind die Art. 91c und 91d GG hinzugekommen (über deren Erforderlichkeit als Ausnahme vom Grundsatz der eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung und vom sog. Verbot der Mischverwaltung man sich in der rechtswissenschaftlichen Literatur nicht einig ist), 2010 ist Art. 91e GG hinzugekommen. 2014 wurde die 2006 verfügte Zurückdrängung des Bundes im Hochschulbereich teilweise wieder zurückgenommen. Ob eine Teilrevision auch im Bildungsbereich (Stärkung der Rolle des Bundes) erfolgen soll, ist Gegenstand verfassungspolitischer Diskussion. Insgesamt handelt es sich um ein schönes, wenn auch etwas technokratisch versalzenes Beispiel für Heinrich Triepels klassische These vom beständigen Hin und Her unitarischer und föderaler Tendenzen in einem Bundesstaat.
Die Kritik an G. ist seit ihrer Entstehung lautstark und hat die Enquete-Kommission Verfassungsreform des Deutschen Bundestages 1976 dazu gebracht, grundlegende Änderungen zu fordern. Von einem konsequent föderalistischen Standpunt handelt es sich um den „Sündenfall par excellence“ (Hillgruber 2004: 843): Verantwortlichkeiten im Verhältnis von Bund und Ländern würden verwischt, die Bundesländer und ihre Haushaltsautonomie würden geschwächt, die Exekutive dominiere über die Legislative, insb. auf Länderebene, die Aufgabenwahrnehmung erfolge technokratisch und für den Bürger intransparent. Auf der anderen Seite belegen Politik- und Rechtsvergleichung, dass föderale Systeme ohne G. nicht auskommen.
Bei der 2017 beschlossenen erneuten Reform der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern wurden Art. 91c GG um einen Absatz 5 erweitert und die faktische Bedeutung von Art. 91b GG gestärkt.
3. Die Funktion der Art. 91a-e GG und finanzielle Schwerpunkte
In den Art. 91a bis 91e GG wird vier Mal auf ausführende Bundesgesetze und zwölf Mal auf Verwaltungsvereinbarungen verwiesen. Die Verfassung macht wenig inhaltliche Vorgaben, die über die Benennung von G. als umgrenzte Verwaltungsmaterie hinausgehen. Ihre Funktion besteht in Freistellungen vom föderalen Trennungsprinzip, in der Begründung von Staatsaufgaben und in deren Aktualisierung und von Gesetzgebungskompetenzen und –pflichten, in Verfahrensvorgaben und der Zuweisung von Finanzierungslasten. Finanziell geht es um Folgendes, wobei die aktuellen Zahlen sich aus dem Finanzbericht der Bundesregierung (mit etwas Mühe) erschließen lassen und die Bundesbeteiligung hinter der nach Art. 104a Abs. 3, Art. 104b oder Art. 107 Abs. 2 Satz 5 GG zurückbleibt. Das Schwergewicht liegt bei Art. 91e GG, es folgt, ebenfalls im zehnstelligen Mrd.-Bereich, Art. 91b GG, auf Platz drei liegen die legaldefinierten G. des Art. 91a GG, knapp im Mrd.-Bereich und europaverstärkt, Art. 91c (was die Zusammenarbeitskosten betrifft) und, bes., Art. 91d GG rangieren auf den hinteren Plätzen. Diese Reihenfolgen mögen sich ändern; G. sind aktualisierungsbedürftiges Verfassungsrecht.
Literatur
B. Ehrenzeller: Der Bildungsföderalismus auf dem Prüfstand, in: VVDStRL, Bd. 73, 2014, 7–34 • A. Wallrabenstein: Der Bildungsföderalismus auf dem Prüfstand, in: VVDStRL, Bd. 73, 2014, 41–73 • J. Hellermann: Kooperativer Föderalismus in Gestalt der Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a ff. des Grundgesetzes, in: I. Härtel (Hg.): Hdb. Föderalismus, Bd. 2, 2012, 339–363 • C. Hillgruber: Klarere Verantwortungsteilung von Bund, Ländern und Gemeinden?, in: JZ 59/17 (2004), 837–846 • J. A. Frowein: Gemeinschaftsaufgaben im Bundesstaat, in: VVDStRL, Bd. 31, 1973, 13–47 • I. von Münch: Gemeinschaftsaufgaben im Bundesstaat, in: VVDStRL, Bd. 31, 1973, 51–84 • H. Triepel: Unitarismus und Föderalismus im Deutschen Reiche, 1907.
Empfohlene Zitierweise
M. Heintzen: Gemeinschaftsaufgaben, Version 22.10.2019, 17:30 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Gemeinschaftsaufgaben (abgerufen: 23.11.2024)