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W. Gebhardt: Milieu, Version 14.08.2021, 13:00 Uhr, in: Staatslexikon<sup>8</sup> online, URL: {{fullurl:Milieu}} (abgerufen: {{CURRENTDAY2}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})
 
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Version vom 15. August 2021, 11:52 Uhr

M.s bezeichnen größere Gruppen von Menschen mit ähnlichen wertgestützten Überzeugungen, Mentalitäten und Prinzipien der Lebensführung. Diese verfügen i. d. R. über eine erhöhte Binnenkommunikation und jeweils spezifische Distinktionsstrategien, um sich von anderen M.s abzugrenzen. In der historischen Wahlforschung hat Mario Rainer Lepsius für das Kaiserreich und die Weimarer Republik sog.e sozialmoralische M.s unterschieden, um die Bindung an bestimmte Parteien zu erklären, so ein konservatives, ein sozialdemokratisches, ein liberal-protestantisches und ein katholisches M. In der Soziologe wurde der Begriff des M.s als soziales M. von Theodor Geiger (1932) in die Sozialstrukturanalyse eingeführt. Das M.-Konzept ist ein mehrdimensionales Modell und verbindet äußere, primär ökonomisch bestimmte Verhältnisse (Soziallagen) mit inneren, primär kulturell geprägten Formen der Lebensgestaltung (Lebensstile). Als solches ist es eine Ergänzung der in der Soziologie dominierenden Schicht- und Klassenmodelle, die der Komplexität und Dynamik moderner Gesellschaften immer weniger gerecht werden.

Inzwischen gibt es mehrere konkurrierende M.-Modelle. Was sie eint, ist, dass sie weiterhin die zur Erfassung der Soziallage relevanten Indikatoren (formaler Bildungsgrad, Berufsstatus und Einkommen) erheben. Sie differieren v. a. darin, wie sie versuchen, die Dimension der wertgestützten Überzeugungen, Mentalitäten und Formen der Lebensführung empirisch zu fassen. Hier unterscheiden sich primär wissenschaftlich ausgerichtete Konzepte, die ihren Schwerpunkt v. a. auf Formen der Alltagsästhetik und wertgestützte Lebensziele und -philosophien legen (wie bspw. Gerhard Schulzes Studie über „Die Erlebnisgesellschaft“ [1992] mit der Unterscheidung von Niveau-, Harmonie-, Selbstverwirklichungs-, Integrations- und Unterhaltungs-M.), von denen aus der Markt- und Meinungsforschung (Demoskopie), die primär an spezifischen Konsummustern interessiert sind. Letztere, insb. das Heidelberger Sinus-Institut, erheben inzwischen regelmäßig – auch international – die M.-Struktur von Gesellschaften und identifizieren dementsprechend immer wieder neue M.s (so z. B. – neben dem eher traditionellen M. der bürgerlichen Mitte, dem konservativ-etablierten und dem liberal-intellektuellen M. – das expeditive, das adaptiv-pragmatische und das hedonistische M.).

M.-Modelle sind allerdings nicht nur relevant für die Konsum- und Marktforschung, inzwischen werden sie auch im Rahmen der Erziehungswissenschaften (z. B. für die soziale Verortung von Erziehungsstilen) aber auch in der Gesundheitsforschung (z. B. zur Erarbeitung zielgruppenspezifischer Präventionsprogramme) sowie für die Beratung von Verbänden, Parteien und Kirchen genutzt. So will der BDKJ als Mitauftraggeber der Sinus-Jugendstudien die Ergebnisse für die Entwicklung auf die Bedürfnisse der jeweiligen M.s abgestimmter pastoraler Konzepte einsetzen.