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Version vom 14. November 2022, 05:55 Uhr

  1. I. Historische Entwicklung
  2. II. Gewerkschaften als Akteure im politischen System
  3. III. Sozialethische Begründung

I. Historische Entwicklung

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G. sind organisierte Zusammenschlüsse abhängig Beschäftigter in wirtschaftlichen Unternehmungen. Ökonomisch bilden sie Kartelle auf dem Arbeitsmarkt. Soziologisch vereinigen sie Berufsgenossen oder Arbeitskameraden in Betrieben oder über viele Betriebe hinweg zu einer kollektiven Kraft, deren Ressourcen in der Macht der großen Zahl oder in der Unverzichtbarkeit strategischer Qualifikationen und Prozesskenntnisse bestehen. Sie bilden soziale Kampfverbände im produktiven Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit und sind insofern Formen der Vergesellschaftung, die sich strukturell zuallererst im kapitalistischen Modus des Wirtschaftens finden. G. sind keine Organe des sozialen Protests oder Hort einer berufs- und branchenübergreifenden Solidarität.

G. entstanden zuerst in England seit Ende des 18. Jh., wo sie aus den älteren Gesellenvereinigungen herauswuchsen, wenig später in den USA, wo sie – wie in Großbritannien – bis Mitte des 19. Jh. als „Konspirationen“ verboten waren und gerichtlich verfolgt wurden.

Um 1890 klang die von Handwerkern geprägte Phase der Arbeiterbewegung aus. Überall formierten sich die ersten Arbeiterorganisationen nicht als Reaktion auf die frühe Industrialisierung (Industrialisierung, Industrielle Revolution), sondern als Folge der zunehmenden Kommerzialisierung der traditionellen Handwerksberufe. Kleine Handwerksmeister und Gesellen erfuhren, dass ihr Können auf den Märkten fortschreitend an Wert einbüßte, während das Kapital (Verleger, Großkaufleute) immer mehr den Wert der Arbeit diktierte und die „erlernte Kunstfertigkeit“ des Handwerkers zur Ware degradierte. Gesellen sahen sich zunehmend in eine lebenslange abhängige Lohnarbeiterexistenz gezwungen.

V. a. in Großbritannien und den USA bildeten sich G. entlang streng definierter Grenzen zwischen verschiedenen Berufsgruppen. Sie errichteten Barrieren gegen ethnische Gruppen (meist gegen die jeweils als letzte angekommenen Immigranten) und Ungelernte. Sie appellierten an das Gruppenethos der Mitglieder. Die Verankerung im selben Handwerk ermöglichte eine gemeinsame Interessenlage, die Bildung finanzieller Rücklagen und den Zugang zu Kenntnissen des metierspezifischen Arbeitsmarkts. Ziel war die Kontrolle über lokale Arbeitsmärkte mittels Durchsetzung von closed shop- oder union shop-Regeln, nach denen entweder nur G.s-Mitglieder für eine Arbeit in Frage kamen oder der Beitritt für alle neu eingestellten Arbeiter verpflichtend war. Organisierte Belegschaften wurden zu einer wirksamen Waffe in Arbeitskämpfen, da sie nicht durch ungelernte Streikbrecher ersetzt werden konnten.

Diese Art von G.s-Arbeit etablierte sich in Großbritannien und den USA in einigen der expandierenden frühen Industrien (Kohlebergbau, Eisen- und Stahlproduktion, Eisenbahnen, Metallverarbeitung, Textilindustrie, Druckgewerbe). Facharbeiter-G. waren erfolgreich, so lange die Unternehmen eine gewisse Größe nicht überschritten und der Wettbewerb unter einer großen Zahl von Firmen intensiv blieb.

In Deutschland wurden die Kräfte der kapitalistischen Kommerzialisierung ebenfalls sichtbar. Das betraf dies. Branchen wie in Westeuropa und den USA, allerdings auf unterschiedliche Weise. Obwohl Preußen an sich 1807–10 das Zunftsystem abschaffte, hielt sich hier wie in anderen Staaten die Zunfttradition, bis der Norddeutsche Bund im Jahr 1869 freien Handel durchsetzte. Dies hemmte die Kapitalisierung der Handwerksbetriebe. Dennoch schritt die Kommerzialisierung voran. Anstatt größere wirtschaftliche Einheiten (wie in Westeuropa oder den USA) hervorzubringen, führte sie aber zu einer großen Zahl kleinster Betriebe.

Diese Umstände waren ungünstig für eine Formierung von G. aus dem betrieblichen Umfeld. Es ist kein Zufall, dass sich die ersten G.s-Organisationen in Deutschland, die 1848 gegründeten Verbände der Drucker und der Zigarrenhersteller, in Berufszweigen etablierten, in denen das Wachstum der Betriebsgrößen dem amerikanischen und britischen am nächsten kam und die am wenigsten von der Zunfttradition beeinflusst waren. Den meisten deutschen Gewerbetreibenden erschienen G. jedoch als ein wenig attraktives Organisationsmodell, in dem sie die schlechtesten Eigenschaften der Zünfte verkörpert sahen. Daher konzentrierten sie sich zunächst auf die unter Kommerzialisierungsdruck stehenden handwerklichen Branchen, in denen eine G.s-Gründung von außen initiiert wurde. Das geschah in recht erratischer Weise unter Federführung der konkurrierenden sozialdemokratischen Strömungen. Entspr. schwach blieben die meisten deutschen G. bis zu ihrem vorläufigen Verbot unter dem Sozialistengesetz.

Ein Vergleich zwischen den USA (1883) und Deutschland (1877/78) zeigt, dass die Zahl der amerikanischen G.s-Mitglieder fünfmal höher war als die der deutschen (bei in etwa gleicher Bevölkerungszahl). In den USA fanden sich die größten Gruppen unter den Eisen- und Stahlarbeitern, im Kohlebergbau und bei den Zigarrenmachern, während keine der großen Industrien in Deutschland über einen nennenswerten gewerkschaftlichen Organisationsgrad verfügte. Im Jahr 1877 gehörten nur 1,5 % der Arbeiter in Handwerk und Industrie einer G. an.

Zudem führten die Auseinandersetzungen unter den Parteien zur Spaltung der Arbeiterorganisationen entlang ideologischer Konfliktlinien: sozialdemokratische „freie“ G., liberale Hirsch-Dunckersche Gewerkvereine, seit 1894 auch Christliche Gewerkvereine. Diese Spaltung stellte eine bis 1933 fortwährende Belastung für die G.s-Bewegung dar. Sie war eine Folge davon, dass die deutschen G. maßgeblich Kopfgründungen der Parteien waren, die v. a. 1869 mit Gewährung der Koalitionsfreiheit das weiterbestehende Unterstützungskassensystem der ehemaligen Gesellenschaften in die Hand zu bekommen und sich ein zusätzliches Rekrutierungspotenzial zu verschaffen suchten. In der Sozialdemokratie hatten die G. ihre Existenzberechtigung als eigenständige Arbeitervertretung noch lange nicht bewiesen; sie blieben bis in die späten 1870er Jahre als Organisationsform gefährdet.

Als erfolgreiche Gründung „von oben“ erwiesen sich dagegen die Christlichen Gewerkvereine, die v. a. in den Regionen mit vitalem katholischen Vereinswesen reüssierten. Hier war nicht die Zentrumspartei (Zentrum), sondern die katholische Kirche Initiatorin, die die sozialreformerischen Impulse der päpstlichen Enzyklika von 1891 (Sozialenzykliken) aufgenommen hatte und die Gewerkvereine als Bollwerk gegen die Sozialdemokratie und als wirtschaftsfriedliche Alternative zu den Freien G. präsentierte, um damit ihrem Ideal eines neoständischen Interessenausgleichs eine neue organisatorische Form zu geben. Die Christlichen G. beschlossen auf ihrem ersten Kongress in Mainz 1899 ein Grundsatzprogramm, das Interkonfessionalität und parteipolitische Neutralität propagierte. Der Schlüssel für das Gedeihen der G.s-Bewegung war letztlich ein hinreichendes Maß an politischer Unabhängigkeit in einem ideologisch und parteipolitisch gespaltenen Spektrum. Die G.s-Bewegung war in den späten Jahren des Sozialistengesetzes durch lokale Basisorganisationen in verschiedenen Wirtschaftszweigen belebt worden, die als politisch neutrale „Fachvereine“ firmierten. Angesichts der Machtlosigkeit der Sozialdemokratie war für die Freien G. der Aufbau einer unabhängigen Organisation erforderlich, zumal beider Klientel keineswegs identisch war: 1910 waren 20 % aller Industriearbeiter Mitglieder einer G., aber nur 7 % in der SPD. Unter den Gewerkschaftern waren etwas mehr als ein Drittel gleichzeitig Mitglieder bei den Sozialdemokraten.

Der entscheidende Unterschied zwischen der deutschen und der amerikanischen G.s-Bewegung vor dem Ersten Weltkrieg lag somit im Bereich der Strategie. Die deutschen G. vertrauten auf eine zentralisierte Organisation und gebündelte Finanzmittel. Während die einzelnen Werkstätten oder Fabrikbetriebe in den USA und Großbritannien die Basis der G.s-Organisation bildeten, waren die deutschen G. dort nur relativ schwach vertreten. Hier führten stattdessen landesweite Zentralverbände die einzelnen Branchen-G., die immer noch nach Berufsgruppen gegliedert waren und eher gelernte als ungelernte Arbeiter ansprachen. Der Durchbruch zu einer politisch unabhängigen zentralen Organisation wurde erreicht, als 1890 die Generalkommission als parteiunabhängiges strategisches Führungsgremium der Freien G. Deutschlands gegründet wurde.

Diese Entwicklung sorgte für ein kontinuierliches Wachstum der G. von der zweiten Hälfte der 1890er Jahre bis zum Ersten Weltkrieg. 1904 repräsentierten die Mitglieds-G. eine Mio. zahlende Mitglieder, weit mehr als die Christlichen Gewerkvereine und die Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine mit 300 000 bzw. 100 000 Mitgliedern. 1913 betrug die Mitgliederzahl der Freien G. mehr als 2,5 Mio. Der Schlüssel zum Erfolg war, dass die G. durch ihre zentralisierte Struktur Streikaktionen strategisch über ganz Deutschland koordinieren konnten. Die Zahl der Flächentarifverträge wuchs zwischen 1906 und 1913 von etwa 3 000 auf 13 500. Am Ende dieser Zeit gab es für zwei Mio. Arbeiter in Deutschland und ein Drittel aller G.s-Mitglieder solche Abkommen.

In der Weimarer Republik zeigten die Auseinandersetzungen des „Ruhreisenstreits“ von 1928, dass die G. und die Wahrung ihrer Rechte völlig von der Unterstützung des Staates abhängig geworden waren. Obwohl die Sozialdemokraten nur an vier der 21 Regierungen beteiligt waren, übten sie prägenden Einfluss auf die Arbeits- und Sozialgesetzgebung aus. Das Betriebsrätegesetz von 1920 institutionalisierte die Mitwirkung der G. bei Fragen der Tarifpartnerschaft auf Betriebsebene; die Betriebsräte blieben das wichtigste Verbindungsglied zwischen der G. und ihren Mitgliedern.

Der Nationalsozialismus zerbrach dieses leidlich funktionierende System. Einen Tag nach dem ersten reichsweiten Maifeiertag gingen die Nationalsozialisten am 2.5.1933 gegen die G. vor. Vom Widerstand im Untergrund abgesehen, wurden die deutschen Arbeitnehmerorganisationen kampflos zerschlagen. Der NS installierte seine eigenen Arbeiterorganisationen, die mit den enteigneten Geldern der G. ausgestattet wurden. Die DAF war jedoch kein Ersatz, sondern ein Instrument der Partei zur Kontrolle der Arbeiterschaft.

Die Bedeutung eines gesellschaftlichen Konsenses über Parteigrenzen hinweg für die Etablierung eines stabilen Systems von Tarifbeziehungen ist nirgendwo deutlicher geworden als in der BRD nach 1949. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen von Weimar und NS bekamen Interessenvertretungen in Tariffragen Verfassungsrang. Art. 9 Abs. 3 GG wurde zur Grundlage der „Tarifautonomie“, nach welcher der Staat den rechtlichen Rahmen schaffen soll, innerhalb dessen G. und Arbeitnehmerverbände freie Übereinkommen treffen mussten. Die Arbeitnehmerorganisationen erhielten das Recht auf Arbeitsniederlegungen verbrieft. Im Gegenzug mussten sie auf politische Streiks verzichten. Mit zentral organisierten Verbänden und dem bindenden Charakter der Tarifvereinbarungen für ganze Regionen trug die Tarifautonomie entscheidend dazu bei, dass die Verhandlungen nicht zersplittert geführt wurden. Dadurch nahm die Streikhäufigkeit stark ab. Zwischen 1955 und 1987 stechen nur fünf Jahre hervor, in denen mehr als 1 000 Tarifkonflikte durch Arbeitskämpfe ausgetragen wurden, während es in insgesamt 13 Jahren weniger als 100 Streiks gab. Der wirtschaftliche Aufstieg der BRD nach 1945 wurde von den friedlichsten Tarifbeziehungen in ganz Europa zweifellos befördert.

Nach Kriegsende hatte sich das Klima zwischen G. und Unternehmen einschneidend verändert. In der Schwerindustrie arbeiteten beide nun eng zusammen, um die Demontage von Produktionsanlagen durch die Alliierten zu verhindern. Dieser Widerstand war in den westlichen Besatzungszonen erfolgreich, während die UdSSR die Demontage in ihrer Zone durchsetzte. Die im Westen von Vertrauen und Kooperation geprägten Beziehungen zwischen Belegschaften und Unternehmensleitungen führten zur Wiederbelebung der Betriebsräte, die mit dem BetrVG (Betriebsverfassungsrecht) 1952 auch eine rechtliche Basis erhielten. Zudem bekamen Arbeitnehmerrepräsentanten ein Anrecht auf ein Drittel der Sitze im Aufsichtsrat von Kapitalgesellschaften. Das MitbestG (Mitbestimmung) von 1976 vergrößerte diesen Anteil noch einmal. Am weitesten ging das MontanMitbestG 1951, das Aufsichtsräte aus jeweils fünf Vertretern der Arbeitnehmer und Arbeitgeber und als elftes Mitglied eine neutrale Person fixierte („paritätische Mitbestimmung“). Ein Vertreter der G. war als Arbeitsdirektor Teil der Unternehmensleitung.

Der Zuwachs an Arbeitnehmerrechten ging mit der Expansion der G. Hand in Hand. Entscheidend hierfür war, dass der DGB, die Dachorganisation der 16 deutschen Industrie-G., 1949 als weltanschauliche Richtungen übergreifende Einheits-G. gegründet wurde (bei Fortbestehen anderer Arbeitnehmervertretungen und der DAG). Trotz der stets proklamierten parteipolitischen Neutralität tendierte der DGB in den folgenden Jahrzehnten meist zur SPD. Schon in den frühen 1950er Jahren übertraf die Mitgliederzahl die Marke von sechs Mio. Sie stieg kontinuierlich, bis sie 1981 mit acht Mio. ihren Höhepunkt erreichte. Bis weit in die 1970er Jahre waren die DGB-G. dabei stets männerdominiert; 1981 stellten Frauen ca. ein Fünftel der Mitglieder.

II. Gewerkschaften als Akteure im politischen System

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1. Gewerkschaftstypen

Die Vielfalt der modernen G. lässt sich anhand zweier Kriterien erfassen, aus denen verschiedene Einzeltypen und Kombinationsmöglichkeiten erwachsen. Erstens ist nach der Programmatik zu fragen, die bei Richtungs-G. an weltanschaulich nahestehenden Parteien orientiert ist. So etwa haben kommunistisch geprägte G. nach dem Muster der französischen CGT gerade in Westeuropa lange Tradition und sind in ihrer Entwicklung ohne ihre Mutterparteien nicht denkbar. Demgegenüber haben sich Einheits-G. nach dem Beispiel des ÖGB von diesen ideologischen Bindungen zumindest dem eigenen Anspruch nach gelöst, um in allen weltanschaulichen Milieus als Interessenvertreter der Arbeitnehmer akzeptiert werden zu können. Zweitens kann auch das Verhältnis zum Staat deutlich variieren: Einerseits können Arbeitnehmervertretungen als pluralistische G. verfasst sein, die ganz bewusst Distanz zur öffentlichen Hand halten und die Interessen ihrer Klientel als Pressure Group offensiv und streikbetont nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch gegenüber anderen G. sowie den Arbeitgebern vertreten. Diese Distanz kann insb. in Form des Syndikalismus ideologisch motiviert sein, wie etwa in Frankreich, aber auch weltanschaulich neutralen Charakter besitzen, wenn das gesamte System organisierter Interessenvertretung wie in den USA von vorherein sehr fragmentiert und auch ausgesprochen dezentral gestaltet ist. Demgegenüber gehen korporatistische G. enge Verbindungen mit Staat und Arbeitgebern ein, woraus dann auch ein anderer Aktionsstil resultiert: Im Tripartismus deutscher Prägung etwa dominiert der einvernehmliche Dialog der drei Parteien in Verhandlungsgremien. G. dieser Art agieren folglich auch wesentlich kompromissorientierter.

Damit ist klar, dass bestimmte Merkmalskombinationen funktionaler sind als andere: Korporatistische G. besitzen auch einen systematischen Hang zur Einheits-G., weil die Verhandlungslogik tripartistischer Gremien dann am besten funktioniert, wenn die Beteiligten mit einem Interessenvertretungsmonopol ausgestattet sind und Beschlüsse damit autoritativ mittragen können. Demgegenüber sind pluralistische G. häufig zugl. auch Richtungs-G., da sich die Distanz gegenüber dem Staat, anderen Arbeitnehmervertretungen und nicht zuletzt gegenüber den Unternehmern parteipolitisch-ideologisch am besten begründen lässt.

2. Organisationsmuster im Ausland

Im internationalen Vergleich variieren die Organisationsmuster der G. beträchtlich. Hier können nur typische Beispiele herausgegriffen werden, welche die Vielfalt spiegeln. In Österreich und mit gewissen Abstrichen auch in den skandinavischen Staaten ist die einheitsgewerkschaftliche Formierung der Arbeitnehmerinteressen weit fortgeschritten. So wurde der ÖGB nach 1945 in der Alpenrepublik als umschließender Einheitsverband für mehr als ein Dutzend unselbständiger, branchenspezifischer Einzel-G. gegründet und dies mit Unterstützung nicht nur der Linksparteien, sondern auch der konservativen ÖVP. Auch mit einem Organisationsgrad von 60 % der Arbeitnehmer im Jahr 1980 nahm der ÖGB im internationalen Vergleich zunächst eine prägnante Stellung ein; 2011 war dieser allerdings nicht zuletzt wegen der Umbrüche im Parteiensystem auf magere 28 % abgesackt.

Auch Dänemark verfügt mit den schon 1898 gegründeten Landsorganisationen über einen dominierenden gewerkschaftlichen Gesamtverband, der 1980 sogar einen Organisationsgrad von 75 % aufwies, allerdings im Unterschied zum ÖGB nur als Dachorganisation mehrerer Dutzend selbständiger Einzelorganisationen fungiert und zudem durch zwei weitere, allerdings wesentlich kleinere G.-Bünde (FTF, AC) Konkurrenz bekommen hat. 2011 war der landesweite gewerkschaftliche Organisationsgrad auch dort auf 67 % abgesunken.

Sehr hoch ist die gewerkschaftliche Formierung in Schweden, wo der Arbeiterverband „Landsorganisationen i Sverige“ und die Angestellten- und Beamten-G. TCO schon 1979 allein 85 % der Arbeitnehmer umfassten. Zwar war diese Höhe auch dort nicht zu halten, doch belief sich der landesweite Organisationsgrad 2011 noch auf respektable 70 %. Auch in Norwegen besitzt der dortige G.s-Bund „Landsorganisasjonen i Norge“ eine vergleichbar dominierende Position. Einheitsdachverbände weisen ansonsten noch Großbritannien mit dem TUC und Irland mit dem ICTU auf, die allerdings aufgrund ihrer lockeren Struktur nur wenig Einfluss auf die Mitgliedsorganisationen besitzen und im Falle des TUC auch mit (allerdings schwächeren) Konkurrenzorganisationen (GFTU, STUC) konfrontiert sind.

Kurzum: Die Existenz einer oder weniger Einheits-G. kann, wie in Österreich oder Schweden, auch zu einem hohen Organisationsgrad führen. Zwingend ist das allerdings nicht, sondern von weiteren Rahmenbedingungen abhängig, wie etwa einer konsensuellen politischen Kultur oder einem korporatistischen Politikstil (Korporatismus), die auch innerhalb eines Landes starken Veränderungen unterliegen können, wie das Beispiel Österreich erneut zeigt. Zudem variieren die gewerkschaftlichen Strukturmuster selbst sehr stark, von einer unitarischen Gesamtorganisation nach dem Muster des ÖGB bis hin zu sehr lockeren dachverbandlichen Gefügen in Form des TUC reichend.

In richtungsgewerkschaftlich geprägten Ländern, zu denen neben dem klassischen Beispiel Frankreich auch Belgien, Italien, die Niederlande und die Schweiz zählen, stellt sich die Frage der Einheitlichkeit dagegen von vornherein nicht. Dort stehen verschiedene große G. traditionell in einer bestimmten politischen bzw. religiösen Tradition. Neben der kommunistisch geprägten CGT sind in Frankreich noch die sozialistische CGT-FO und die christsoziale CFDT von größerer Bedeutung, banden allerdings schon 1979 zusammen lediglich 22 % aller Arbeitnehmer an sich. 2011 war der landesweite Organisationsgrad, also unter Berücksichtigung der daneben noch existierenden Vielfalt kleiner G., auf nur mehr 8 % gesunken!

Diese weltanschauliche Trias war in Italien bis zum Kollaps des alten Parteiensystems in den 90er Jahren mit der kommunistischen CGIL, der sozialistischen UIL und der christlichen CISL ebenfalls prägend, wobei auch hier neben diesen Großorganisationen eine Vielfalt kleinerer G. existiert. Seither haben sich die politischen Bindungen dieser dominierenden Arbeitnehmervertretungen durch die Neukonfiguration des dortigen Parteiensystems allerdings deutlich abgeschwächt. All dies weist auf ein generelles Muster richtungsgewerkschaftlicher Systeme hin: Sie bestehen insgesamt aus wesentlich mehr Einzel-G., sind im Schnitt deutlich fluider, und die wenigen großen Organisationen stehen auch noch mit vielen kleinen, oft nur einzelbetrieblich tätigen, in Konkurrenz.

3. Organisationsmuster in Deutschland

Auch in Deutschland existieren verschiedene G.s-Typen nebeneinander, wobei die Einheits-G. in Gestalt des DGB und seiner Mitgliedorganisationen klar dominieren. Mit dieser organisatorischen Grundsatzentscheidung wollte man gegen die richtungsgewerkschaftliche Vielfalt der Weimarer Republik gezielt einen Kontrapunkt setzen. Nicht zuletzt auf sie führten die G.s-Architekten der Nachkriegszeit die Zersplitterung der damaligen Arbeiterbewegung und damit ihren schwachen Widerstand gegen die Nationalsozialisten zurück – wobei allerdings gerade im Widerstand Fundamente der Korrektur gelegt worden sind.

Dem DGB gehören acht Einzel-G. an. Dabei dominieren IG Metall und ver.di, da sie fast drei Viertel der Mitglieder stellen. 2016 waren rund sechs Mio. Arbeitnehmer als Mitglieder von DGB-G. registriert. Dennoch verringerte sich der gewerkschaftliche Organisationsgrad in den letzten Jahrzehnten merklich. 1981 umfasste der DGB allein in Westdeutschland noch rund acht Mio. Mitglieder, 1991 nach der Integration ostdeutscher G. kurzzeitig fast zwölf Mio.

Allerdings bestanden bzw. existieren auch heute noch außerhalb des DGB G., die richtungsunabhängig verfasst sind. Zum einen galt dies für die 1950 gegründete und erst 2002 in ver.di aufgegangene DAG, zum anderen besteht mit dem 1955 entstandenen DBB eine mitgliedstarke Organisation, die die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst durchaus auch in Konkurrenz zu ver.di maßgeblich mitbestimmt.

Neben diesen einheitsgewerkschaftlich verfassten Organisationen existieren jedoch bis heute auch noch religiös geprägte Richtungs-G., die allerdings klar im Schatten der dominierenden DGB-G. stehen. Zusammengefasst sind sie im 1959 gegründeten CGB mit derzeit 14 Mitgliedsvereinigungen. Gedacht war und ist der CGB als christlich geprägtes Gegengewicht zum DGB, dessen SPD-freundlicher Kurs abgelehnt und dessen Selbstverständnis als überparteiliche Einheits-G. in Frage gestellt wird. Mit rund 300 000 Mitgliedern im Jahre 1983 bzw. rund 280 000 2016 spielen die christlichen G. aber weder arbeits- und sozialpolitisch noch tarifrechtlich eine signifikante Rolle. Denn die einzelnen Branchen werden entweder von den DGB-G. oder von anderen unabhängigen Organisationen dominiert.

4. Gewerkschaften und Staat im Ausland

Das Verhältnis zwischen G. und Staat wird von den Organisationsmustern der Arbeitnehmervertretungen selbst maßgeblich mitbestimmt. Deren korporatistische Einbindung in tripartistische Verhandlungsgremien wird leichter gelingen, wenn es die öffentliche Hand nur mit einem überschaubaren Set von Einheits-G. zu tun hat. Richtungsgewerkschaftlich geprägte Systeme sind dafür eher hinderlich, wobei dieser Zusammenhang aber nicht zu eindimensional bewertet werden darf. Denn auch das jeweilige Staatsverständnis und die politische Kultur prägen die Staat-Verbände-Beziehungen maßgeblich mit. Auch dafür gibt es typische Beispiele.

So haben G.s-Strukturen und politische Rahmenbedingungen in Frankreich in der Tat lange Zeit engere korporatistische Einbindungen der Arbeitnehmervertretungen verhindert. Gesetzlich wurde die Assoziationsfreiheit dort erst 1901 mit der Aufhebung des noch aus der Revolutionszeit stammenden koalitionsfeindlichen Loi Le Chapelier zugestanden. Erst seither konnte sich die moderne französische G.s-Bewegung richtig entfalten, wahrte aber nicht zuletzt aufgrund ihrer fragmentierten Struktur ein syndikalistisches und zum Staat bewusst auf Distanz gehendes Selbstverständnis. Dazu trug die öffentliche Hand allerdings auch nach 1901 mit einer ausgeprägt etatistischen Gesinnung (Etatismus) der administrativen Eliten bei, in der enge korporatistische Kooperation mit Interessengruppen keinen Platz besaß.

Allerdings hat sich diese Distanz gerade in der Gestaltung der Arbeitsbeziehungen seit Gründung der Fünften Republik 1958 merklich verringert. Zwar steuert der Staat diese Beziehungen im Unterschied zu Deutschland bis heute maßgeblich mit. Durch die offizielle staatliche Anerkennung großer G. als repräsentative Arbeitnehmervertretungen sowie deren Einbindung in die vom Arbeitsministerium geleitete tripartistische CNNC haben sich seit den 60er Jahren korporatistische Ansätze entwickelt, die jedoch aufgrund der gewerkschaftlichen Heterogenität brüchig bleiben. Auch der 1983 geschaffene und direkt dem Premierminister zugeordnete CNVA mit rund 70 ausgewählten Verbandsvertretern trägt erkennbar korporatistische Züge, ist jedoch ohne großes politisches Gewicht.

Vorherrschend korporatistisch verfasst sind demgegenüber bis heute die Staat-Verbände-Beziehungen in Österreich, wozu auch die ausgeprägt einheitsgewerkschaftliche Organisation der Arbeitnehmerorganisationen in Form des mit einem Repräsentationsmonopol ausgestatteten ÖGB maßgeblich beigetragen hat, in dem verschiedene parteipolitisch geprägte Fraktionen zwar präsent sind, aber organisationsintern zum Ausgleich gebracht werden. Auch hier darf dieser Zusammenhang nicht monokausal interpretiert werden. Denn die seit 1945 stark konsensuell geprägte Parteienkultur, die einen Kontrapunkt zur von Bürgerkriegswirren geprägten Zwischenkriegszeit setzen wollte, trug zu dieser korporatistischen Konzertierung maßgeblich bei. Ausdruck dessen ist auch die Pflichtmitgliedschaft der Arbeitnehmer (mit Ausnahme von Teilen der im öffentlichen Dienst Beschäftigten) in den Arbeiterkammern, die als öffentlich-rechtliche Körperschaften den Wirtschaftskammern der Unternehmer gegenüberstehen. Die österreichische Arbeitnehmerschaft ist also durch ÖGB und Kammern gleichsam doppelt korporatistisch formiert. Mit dem Erstarken der rechtspopulistischen FPÖ und nicht zuletzt durch gesamtgesellschaftliche Pluralisierungsprozesse ist dieser stark auf die beiden Großparteien SPÖ und ÖVP zugeschnittene Korporatismus mehr und mehr in die Kritik geraten.

5. Gewerkschaften und Staat in Deutschland

Auch in Deutschland ist die Einbindung der G. in korporatistische Arrangements mit Staat und Unternehmern ausgeprägt, wenngleich nicht so stark wie in Österreich. Zum einen kommt dies in den fortwährenden Anstrengungen der öffentlichen Hand zum Ausdruck, die Kontakte zu den repräsentativen Spitzenorganisationen und damit eben auch zu den G. in exklusiven Verhandlungsgremien zu institutionalisieren. Schon während der Großen Koalition von 1966 bis 1969 sollten die maßgeblichen wirtschaftlichen Spitzenverbände in Form einer „Konzertierten Aktion“ in die wirtschaftspolitische Planung einbezogen werden. Zu ihnen zählten auch der DGB und seine wichtigsten Mitglieds-G. sowie die DAG und der DBB. Dahinter stand der Wunsch der Regierung, die einzelnen Verbände zur Durchsetzung ihrer Maßnahmen in den jeweiligen Wirtschaftsbranchen oder zumindest als kommunikativen Transmissionsriemen zu nutzen. Zudem sollte auf die repräsentierten Tarifvertragsparteien mäßigend eingewirkt werden. Beschlusskompetenzen besaß die Konzertierte Aktion freilich nicht. Die in sie gesteckten Hoffnungen erfüllte sie jedoch nicht, zumal sie zuletzt ca. 100 Teilnehmer umfasste und damit faktisch handlungsunfähig wurde.

Trotzdem behielt die Idee systematischer wirtschaftspolitischer Koordination zwischen Staat und Spitzenverbänden ihre Attraktivität. Die aus der Wiedervereinigung resultierenden wirtschaftlichen Probleme verstärkten gerade von Seiten der G. die Versuche zu neuerlicher gesamtwirtschaftlicher Konzertierung, hatten sie doch mit erheblichen Organisationsproblemen in Ostdeutschland zu kämpfen. So war es nicht verwunderlich, dass die ersten Impulse zur Schaffung einer neuen Konzertierten Aktion aus den Reihen der Arbeitnehmerorganisationen kamen. Im Oktober 1995 schlug der Vorsitzende der IG Metall, Klaus Zwickel, erstmals vor, ein „Bündnis für Arbeit“ aus G., Unternehmerverbänden und der öffentlichen Hand einzurichten, um die bestehenden wirtschaftspolitischen Probleme gemeinsam zu bewältigen. Die SPD witterte darin eine politische Chance. Deshalb warb Gerhard Schröder im Bundestagswahlkampf 1998 mit dem Versprechen, das „Bündnis für Arbeit“ zu einem zentralen Projekt seiner Regierung zu machen. Schon im Dezember 1998 bildete sich das Gremium. Trotz einzelner arbeitsmarktpolitischer Erfolge scheiterte aber auch dieses Konzertierungsgremium im Jahr 2002 an unüberbrückbaren tarifpolitischen Gegensätzen zwischen G. und Arbeitgebern.

Neben diesem Hang zur Institutionalisierung tripartistischer Dialogforen zwischen Staat, G. und Arbeitgebern kennzeichnen den deutschen Korporatismus aber auch die weit reichenden selbstregulatorischen Aufgaben der Verbände, die vor allen Dingen im Prinzip der Tarifautonomie zum Ausdruck kommen: Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretungen sind ihm gemäß befugt, ohne staatliche Beteiligung branchenspezifische Tarifverträge abzuschließen. Auf Arbeitnehmerseite steht es dabei nur den anerkannten G. zu, als Vertragspartner zu fungieren. Auf Unternehmerseite sind es entweder Arbeitgeberverbände oder Einzelunternehmer, mit denen ggf. firmenspezifische Haustarifverträge abgeschlossen werden. Branchenweit ausgehandelte Tarifverträge verpflichten alle Mitglieder der beteiligten G. und Arbeitgeberverbände zu ihrer Übernahme.

6. Perspektiven

Künftig stehen G. vor mehreren großen Herausforderungen. Zum einen müssen sie noch stärker als bisher der ausgeprägten Organisationsmüdigkeit der Arbeitnehmer entgegenwirken. Zwar wäre es zu pauschal, diesen „Marsch aus den Institutionen“ nur den G. selbst anzulasten. Denn sowohl die Auflösung homogener sozialer Milieus mit einem entspr. einheitlichen Korpsgeist der Arbeiter als auch der durch politisch-kulturelle Modernisierungsprozesse ausgelöste Individualisierungstrend lassen es für den einzelnen Arbeitnehmer immer weniger wichtig erscheinen, sich fest an eine bestimmte G. zu binden. Gerade die ausgesprochen heterogenen Dienstleistungsbranchen sind davon gekennzeichnet. Trotzdem lässt sich dieser Entwicklung durch ein attraktives Angebot selektiver Anreize (Rechtsberatung, Prozessvertretung etc.), die als Servicepaket nur Mitgliedern zugutekommen, entgegenwirken. Hier gibt es durchaus noch Optimierungspotential.

Großen Nachholbedarf haben die G. auch bei der Supranationalisierung. Zwar haben die nationalen G. längst europäische Dachverbände gebildet. Mehr als lockere und damit wenig effektive Koordinationsgremien sind diese aber bis heute nicht. Auch auf nationaler Ebene ist gewerkschaftliche Arbeit immer noch zu sehr von der konkreten Tarifpolitik bestimmt, weswegen die zunehmenden arbeitsmarktpolitischen Entscheidungsprozesse in der EU nicht konsequent genug begleitet werden. Die Bewältigung dieses komplexen Szenarios organisatorischer und strategischer Probleme ist daher entscheidend für die Zukunftsfähigkeit der internationalen G.s-Bewegung.

III. Sozialethische Begründung

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In der sozialen Ordnung der BRD sind G. fest verankert. Seit den 1980er Jahren sind Mitgliedszahlen sowie Organisationsgrad und öffentliche Reputation jedoch rückläufig. Demgegenüber lässt sich in sozialethischer Perspektive die hohe gesellschaftliche Relevanz der G. bestätigen.

1. Gewerkschaften im Kapitalismus

In Gesellschaften mit einzelkapitalistisch verfassten Volkswirtschaften hat man sich darauf verständigt, die Allokation von Arbeitskraft marktförmig zu betreiben. Systemisch werden dadurch die Anbieter von Arbeitskraft in Konkurrenz untereinander getrieben und in ihrer Machtposition gegenüber den Arbeitgebern geschwächt. Indem sie sich in G. organisieren, setzen sie diese Konkurrenz für gemeinsame Interessen, insb. zur Aushandlung von Tarifverträgen, außer Kraft und gleichen so die Machtasymmetrie auf dem Arbeitsmarkt aus. Damit sind G. eine notwendige Bedingung, Arbeitsmärkte trotz der für sie konstitutiven Asymmetrie gesellschaftlich zuzulassen.

G. agieren nicht nur „vor Abschluss des Arbeitsvertrages“ auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch „nach Abschluss des Arbeitsvertrages“ in den Betrieben und Unternehmen. Dort nehmen sie über Vertrauensleute, Betriebsräte und Aufsichtsratsmitglieder an der gesetzlich festgeschriebenen Mitbestimmung teil. Zudem engagieren sich G. auf unterschiedlichen politischen Feldern, z. B. in der Sozialpolitik. Von Seiten staatlicher Politik wurden die G. in das für Deutschland typische korporatistische Arrangement (Korporatismus) eingebunden. Bewertet man dieses wegen seiner wirtschaftspolitischen und sozialintegrativen Wirkungen positiv, wird man auch die Rolle der G. anerkennen. In ihren unterschiedlichen Handlungsfeldern tragen G. maßgeblich dazu bei, die markt- und wettbewerbsförmige Volkswirtschaft unter gesellschaftlicher Kontrolle zu halten.

Hatte etwa Oswald von Nell-Breuning früher die Innovationskraft der G. herausgestellt, werden diese gegenwärtig häufig als „Bremsen“ der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung hingestellt. Tatsächlich haben sie sich im Interesse der Arbeitnehmer Änderungen in der sozialen Sicherung oder beim Arbeitsschutz entgegengestellt und damit den gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Wandel abgebremst. Gleichwohl sind G. nie nur Bremse, sondern immer auch Motor der Veränderung, wobei diese „janusköpfige“ Wirkung (Schroeder 2005: 123) mal mehr in der Richtung des einen, mal des anderen Extrems manifest wird. In der jüngeren Vergangenheit haben die G. als industriepolitische Bremsen maßgeblichen Anteil am Fortbestehen eines starken industriellen Bereichs, wodurch die deutsche Volkswirtschaft vergleichsweise unbeschadet durch die Krisen der letzten Jahrzehnte gebracht werden konnte.

Obgleich häufig mit anti-kapitalistischer Semantik auftretend, sind G. als Partei im Gegenüber von Kapital und Arbeit „Geschöpfe“ (Briefs 1927: 1108) der kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Wo man sie zu schwächen sucht, ist dies kein Zeichen der Stärke des Kapitalismus, sondern Ausdruck seiner Krise.

2. Arbeitnehmer- und Mitgliederinteressen

Rückläufige Mitgliederzahlen und abnehmender Organisationsgrad der Arbeitnehmer sind für die G. prekär. Als Gegenmacht können sie die Interessen der Arbeitnehmer nur dann wirksam vertreten, wenn sie diese als Mitglieder „haben“. Deren Interessen wiederum können sie nur als Interessenvertretung der Arbeitnehmer verfolgen. Beide Interessenlagen stehen nicht im Widerspruch, müssen gleichwohl in den G. aufwändig vermittelt werden.

In der Vermittlung von Arbeitnehmer- und Mitgliederinteressen dominieren zumeist die ersten, wie sich im Rückblick etwa auf die gewerkschaftliche Tarif- und Sozialpolitik zeigt. Zumindest über längere Zeitstrecken hinweg bewirkte die Tarifpolitik einen Ausgleich bei Löhnen und Gehältern: Die G. haben die partikularen Interessen einkommensstarker Mitglieder relativieren und unter den Mitgliedern anspruchsvolle Solidaritätszumutungen als Moment des gesellschaftlichen Gemeinwohls durchsetzen können. In der Rentenpolitik haben sie auch die Interessen der ehemaligen Arbeitnehmer vertreten und diese mit denen von beitragszahlenden Arbeitnehmern vermitteln können. Auch auf diesem Wege haben die G. zum Gemeinwohl beigetragen. Dass das G.s-Handeln von Arbeitnehmerinteressen dominiert wird, ist auch systematisch plausibel: Politisch werden die Interessen der Mitglieder vorrangig über deren Arbeitnehmerlage kommuniziert und legitimiert.

Inzwischen gerät den G. die Dominanz der Arbeitnehmerinteressen zum Nachteil, indem bes. starke Berufsgruppen ihre Interessen über berufs- und spartenbezogene G. verfolgen und damit aus der ausgleichenden Tarifpolitik ausscheren oder indem sich Sozialverbände auf die Interessenvertretung von Rentnern spezialisieren und so deren Positionen ohne den für die G. unumgänglichen Interessenausgleich vertreten. Bei zunehmender Konkurrenz zu den stärker von Mitgliedsinteressen bestimmten Verbänden und G. wird es für die großen G. mit umfassendem Vertretungsanspruch schwieriger, zwischen Arbeitnehmer- und Mitgliederinteressen zu vermitteln und diese – sozialethisch gesehen – wertvolle Vermittlungsaufgabe zu erfüllen.

Dass G. Arbeitnehmerinteressen verfolgen, wurde ihnen in Zeiten der verfestigten Massenarbeitslosigkeit abgesprochen. Ihnen wurde vorgeworfen, gemeinsam mit den Arbeitgebern Tarifpolitik zu Lasten von Arbeitslosen zu betreiben und tarifpolitische Einigungen auf Kosten der Allgemeinheit zu suchen. Mit ihrer Vorabdefinition von „eigentlichen“ Arbeitnehmerinteressen wird diese Kritik kaum überzeugen können. Gleichwohl werden darin zwei Sachverhalte manifest:

a) Den G. gelingt es nicht mehr, alle Beschäftigtengruppen gleichermaßen zu organisieren. In der Folge weicht die Mitgliederstruktur von der der Beschäftigten und der Erwerbspersonen insgesamt ab. Darunter leidet die eben beschriebene Vermittlungsfunktion. Auch wird ihr politisches Mandat geschwächt.

b) G. verfügen nicht über originäre Instrumente, um die Belange der auf dem Arbeitsmarkt Benachteiligten zu vertreten.

Der Überhang der Mitgliederinteressen wird den G. auch von anderer Seite vorgehalten: In ihren Tarifabschlüssen seien die deutschen G. unter den volkswirtschaftlichen Möglichkeiten geblieben. Damit hätten sie die Lohnkosten in Deutschland niedrig gehalten und Wettbewerbsvorteile ermöglicht, dadurch die Beschäftigung im eigenen Land und im Interesse der eigenen Mitglieder und zulasten der Arbeitnehmer in anderen Ländern stabilisiert. Auch diese Kritik überschätzt die Möglichkeiten der G., über ihren politischen Raum hinweg Tarifpolitik zu betreiben. Auch wenn Tarifabschlüsse über die eigene Volkswirtschaft hinaus von Relevanz sind, heißt dies nicht, dass diese Relevanz von G. in den Tarifauseinandersetzungen wirksam eingebracht werden kann.

3. Koalitionsfreiheit und Verbandsautonomie

Nicht organisierte Arbeitnehmer kommen in den Genuss gewerkschaftlicher Politik, v. a. von Tarifverträgen, und eignen sich „als ‚Trittbrettfahrer‘ […] unentgeltlich an […], was die Gewerkschaftsmitglieder durch Aufwand von Mühe und Geld und im Fall von Arbeitskämpfen unter empfindlichen Opfern errungen haben“ (Nell-Breuning 1990: 73). Ihnen gegenüber könnte für alle Arbeitnehmer eine ethische Verpflichtung behauptet werden, einer G. beizutreten und deren Aktivitäten mit eigenen Beiträgen zu ermöglichen. Jedoch gründen G. in „Koalitionsfreiheit“, nicht aber in einem „Koalitionszwang“. Damit wird nicht nur die Handlungsfreiheit der Einzelnen, sondern auch die Unabhängigkeit der auf freiwilliger Mitgliedschaft basierenden G. gewährleistet.

Der bes. Grundrechtsschutz der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) ist wegen der für die Arbeits- und Wirtschaftsbeziehungen herrschenden Markt- und Wettbewerbsfreiheit notwendig. Insofern G. als Kartelle wirken, müssen sie in dieser Funktion für die auf Markt- und Wettbewerbsfreiheit beruhende Wirtschaftsordnung ausdrücklich bestätigt werden. Deswegen gilt die Koalitionsfreiheit nicht nur als Unterfall der allg.en Vereinigungsfreiheit. Sie ist zugl. das verfassungsmäßige Gegenstück zur Markt- und Wettbewerbsfreiheit und ein zivilisierendes Korrektiv in einer darauf basierenden Wirtschaftsordnung. In diesem Verständnis hat sie ihre Abkömmlinge in der Tarifautonomie und im Streikrecht.

Auch wenn es zur Koalitionsfreiheit gehört, sich in keiner G. organisieren zu müssen, ist es den G., v. a. in der Tarifpolitik, nicht möglich, nicht organisierte Arbeitnehmer nicht zu vertreten. Ihr Vertretungsanspruch geht notwendig über die eigenen Mitglieder hinaus; zudem werden die mit Arbeitgebern abgeschlossenen Tarifverträge von diesen für alle Arbeitnehmer angenommen, um keine Anreize für G.s-Mitgliedschaft zu schaffen. Deswegen bedeutet „negative Koalitionsfreiheit“ nicht, dass einzelne das Recht besitzen, von den politischen Wirkungen der G. nicht betroffen zu werden. Eine solche Deutung der negativen Koalitionsfreiheit würde die politischen Handlungsmöglichkeiten der G. unterminieren und damit die von G.s-Mitgliedern wahrgenommene „positive Koalitionsfreiheit“ aushebeln.

Eine notwendige Folge der Koalitionsfreiheit ist die innere Verbandsautonomie der G. Sie müssen sowohl die Interessendeutung der Arbeitnehmer als auch ihre politischen Tätigkeiten auf allen ihren Handlungsfeldern unabhängig von äußerer Einflussnahme vornehmen können. Als Folge dieser grundrechtlichen Freiheit müssen intern die Grundrechte der Mitglieder gewährleistet werden, v. a. durch demokratische Organisation. Zugl. darf aber die für gewerkschaftliche Politik notwendige Geschlossenheit und Durchsetzungsfähigkeit nach außen nicht gefährdet werden.

4. Öffentliche Anerkennung

Als notwendiges Korrektiv der auf Markt- und Wettbewerbsfreiheit gründenden Wirtschaftsordnung genießen G. öffentliche und staatliche Privilegien. Dazu bedarf es einer rechtlich belastbaren Vorstellung davon, wann man es mit „echten“ G. zu tun hat. Dies lässt sich v. a. über deren Funktion in der Tarifpolitik auszeichnen.

4.1 Handlungsmacht

Um tariffähig zu sein, müssen G. durch die Anzahl ihrer Mitglieder und deren Loyalität sowie durch ihre finanziellen Ressourcen auf Arbeitgeber das erforderliche Maß an Druck ausüben können, um Tarifverhandlungen aufnehmen und Tarifverträge abzuschließen. In diesem Sinn müssen G. auch zum Mittel des Streiks greifen können. Das Merkmal der „Kampfbereitschaft“ wurde vom BVerfG relativiert – wodurch auch „wirtschaftsfriedliche“ G. anerkannt worden sind.

4.2 (Gegner-)Unabhängigkeit

Als Tarifpartei müssen G. materiell unabhängig von der Arbeitgeberseite sein, dürfen keine Arbeitgeber oder in arbeitgeberähnlicher Funktion Tätige als Mitglieder haben und müssen hinreichend von äußerer Einflussnahme unabhängig sein, v. a. vom Staat und von politischen Parteien. Aus Sicht der G. muss dieses Maß an Unabhängigkeit nicht in der Gegenrichtung bestehen, so dass sie z. B. ihren Einfluss auf politische Parteien nutzen können, um Arbeitnehmerinteressen durchzusetzen.

4.3 Überbetrieblichkeit

Als Tarifpartei kommen nur G. in Frage, die überbetrieblich organisiert und handlungsmächtig sind – und so die über die Betriebe hinausgehenden Arbeitnehmerinteressen in den Blick nehmen und bei deren Vertretung die Konkurrenz zwischen den Arbeitgebern nutzen können.

5. „Ein Betrieb, eine Branche, eine Gewerkschaft“

Die Konstitution der Einheits-G. unter dem Dach des DGB wurde in der christlichen Sozialethik, wenn auch nicht einhellig, positiv beurteilt. Dass die Arbeitnehmer in einem Betrieb und in einer Branche jeweils durch eine G. vertreten werden, erleichtert es ihnen, sich auf Arbeitnehmerinteressen zu konzentrieren, stattet sie mit einer hohen Unterstützung durch die von ihnen Vertretenen aus und befreit Tarifauseinandersetzungen von dem Wettbewerb zwischen G.

Das Prinzip der Einheits-G. steht inzwischen durch Berufs- und Sparten-G. unter Druck. Der von diesen ausgehende Solidaritätsverlust ist offenkundig. Die für einzelne Berufsgruppen erzielten Erfolge werden mit hoher Wahrscheinlichkeit zulasten schwächerer, von diesen G. nicht vertretener Berufsgruppen gehen. Zudem werden die Tarifauseinandersetzungen, zumal für die Arbeitgeberseite, durch die Konkurrenz von G. untereinander komplizierter und unübersichtlich. Darauf müssen die beteiligten G. Antworten und Wege finden, um die Solidarität der Arbeitnehmer auch unter den Bedingungen der G.s-Konkurrenz zu organisieren. Öffentlicher Interventionsbedarf besteht hingegen dann, wenn sich unter die konkurrierenden G. nicht tariffähige Verbände mischen und dadurch ein tarifpolitischer Unterbietungswettbewerb ausgelöst wird.

Eine weitere Belastung der Einheits-G. entsteht durch die Verlagerung tarifpolitischer Materien aus überbetrieblichen in innerbetriebliche bzw. betriebsnahe Verhandlungen. Diese „Verbetrieblichung“ ist einerseits der in Flächentarifverträgen vereinbarten Flexibilität (z. B. Öffnungsklauseln) geschuldet, die auf betrieblicher Ebene verhandelt werden muss. Anderseits sahen sich die G. genötigt, die aus Arbeitgeberverbänden fliehenden Unternehmen durch Haus- oder Ergänzungstarifverträge „einzufangen“. Für die G. entstand dadurch ein mehrstufiges Verhandlungssystem, in dem sowohl die Grenzen zwischen Tarif-, Betriebs- und Mitbestimmungspolitik als auch die zwischen betrieblicher und überbetrieblicher Politik porös geworden sind. Die G. sehen sich gefordert, in diesem mehrstufigen System auch Verhandlungen auf den Ebenen unterhalb von Flächentarifverträgen zu koordinieren und Verhandlungsstände über die Betriebe hinweg abzustimmen.

6. Kirche und Gewerkschaft

Ignoranz gegenüber der Lohnarbeit und der Lage von Arbeitnehmern, aber auch Unverständnis für die politische Logik von G., der Alleinvertretungsanspruch für Kirchenmitglieder und die Sympathie für konservative Parteien, nicht zuletzt auch das religions- und kirchenfeindliche Auftreten sozialistischer G. haben über das 19. Jh. hinweg weite Kreise der katholischen Kirche in ein feindliches Verhältnis zu den G. gebracht. In dem Maße, wie die G. zur tragenden Stütze der Wirtschaftsbeziehungen öffentlich anerkannt und staatlich integriert wurden, baute sich das kirchliche Ressentiment ab. Zum entspannteren Verhältnis haben auch die vielen Glaubenden beigetragen, die sich in den DGB-G. engagierten, ebenso kirchliche Initiativen wie die Betriebsseelsorge mit ihrer Nähe zu den G. sowie die christliche Sozialethik, allen voran das Engagement von O. von Nell-Breuning. In der Enzyklika „Laborem exercens“ (1981, Nr. 20) finden G. ihren späten päpstlichen „Segen“.

Zumindest zwischen „offizieller“ Kirche und G. besteht allerdings bis heute eine kulturelle Differenz: In der katholischen Kirche sind personalistische und harmonistische Vorstellungen weit verbreitet; der ausdrücklich kämpferische Auftrag von G. und deren entspr.e Rhetorik stoßen dort auf geringeres Verständnis. Zudem erhalten Probleme der Erwerbsarbeit (nicht nur) in einer Kirche, die v. a. in der „Freizeit“ der Kirchenmitglieder stattfindet, zu geringe Aufmerksamkeit.

Sperrig ist das Verhältnis insb. im Bereich der kirchlichen Beschäftigung. Die verfassten Kirchen und die kirchliche Wohlfahrtspflege bedienen sich der Lohnarbeit, um ausreichend qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen. Unter dem Schutz von Art. 140 GG haben sie für diese Beschäftigung zugl. ein Sonderdienst- und Sonderarbeitsrecht („Dritter Weg“) geschaffen, das Tarifverträge ausschließt (Kirchliches Arbeitsrecht). Während G. als notwendige Akteure der Wirtschaftsbeziehungen „außerhalb der Kirche“ anerkannt werden, werden sie als Akteure der Arbeitsbeziehungen „innerhalb der Kirche“ ausgeschlossen. In sozialethischer Perspektive kann dieser „Ausschluss“ nicht überzeugen. Sofern die Kirchen mit der Lohnarbeit ein säkulares, gesellschaftlich und rechtlich bestimmtes Verhältnis für ihre Mitarbeiter nutzen, sollten sie auch zur Übernahme der mit diesem Verhältnis verbundenen Regelungen bereit sein.

Zwar hat das BAG 2012 das kirchliche Selbstbestimmungsrecht für den Bereich der kirchlichen Arbeitsverhältnisse bestätigt. Es hat die Kirchen jedoch verpflichtet, die G. an den kollektiven Regelungen der kirchlichen Arbeitsbedingungen zu beteiligen. Durch dieses Urteil werden die Kirchen gefordert, den G. Zugang zu den kirchlich Beschäftigten zu eröffnen und realistische Angebote der tarifpolitischen Verhandlung zu unterbreiten, die „echte“ G. annehmen können.

Literatur