Konkordat: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 16. Dezember 2022, 06:09 Uhr
1. Begriff, Eigenart und Verfahrensweise
K. bedeutet zunächst ganz allgemein eine Übereinkunft zwischen zwei Partnern, doch wird herkömmlich darunter ein Vertrag zwischen der (katholischen) Kirche und dem Staat verstanden. Der Begriff wird auch verwendet, wenn das Abkommen selbst eine andere Bezeichnung führt (z. B. Conventio, Accordo, Vertrag, Vereinbarung). Er ist in einem weitgefassten Sinne nicht auf bestimmte kirchliche und staatliche Vertragspartner beschränkt, sondern wird für jeglichen Vertrag zwischen dem Staat und einem kirchlichen Partner, z. B. auch einem Bistum, gebraucht.
In einem engeren und präziseren Sinn bezeichnet K. einen (quasi) völkerrechtlichen Vertrag des Heiligen Stuhls mit einem Staat, der in feierlicher Form abgeschlossen wird und in welchem möglichst alle Fragen des beiderseitigen Interesses rechtlich geregelt sind. Das K. soll die Grundlage für ein dauerhaftes Zusammenleben von Staat und Kirche in Frieden und Ordnung bilden. Demnach sind Verträge zwischen einem Staat und dem Hl. Stuhl, in dem nur einzelne Fragen geregelt werden, keine K.e, ungeachtet derselben völkerrechtlichen Qualität. Ebenso sind Verträge des Hl. Stuhls mit Internationalen Organisationen keine K.e. Gleiches gilt für Verträge des Staates der Vatikanstadt mit anderen Staaten. Für Staat-Kirchen-Verträge anderer Konfessionen ist der Ausdruck K. ungebräuchlich.
Dagegen wird der Begriff K. in der Schweiz auch zur Bezeichnung von Staatsverträgen zwischen Kantonen verwendet.
Das K. wird als echter Vertrag betrachtet und kommt entspr. zustande; ältere Sichtweisen wie die kuriale Privilegientheorie oder die etatistische Legaltheorie sind überholt. Ein K. zwischen dem Hl. Stuhl und einem Staat wird, nach dem Beschluss zur Aufnahme von Verhandlungen, von Bevollmächtigten der beiden Partner inhaltlich festgelegt und nach Billigung der Ergebnisse durch das Päpstliche Staatssekretariat und die betroffene Regierung durch die Beauftragten unterzeichnet (Paraphierung). Die Ratifikation erfolgt auf kirchlicher Seite durch den Papst, auf staatlicher Seite i. d. R. durch Parlamentsbeschluss mit entsprechender Ausfertigung durch das zuständige Organ. Mit dem Austausch der Ratifikationsurkunden wird das K. rechtswirksam. K.s-Recht genießt Vorrang vor dem innerkirchlichen Recht (can. 3 CIC; can. 4 CCEO; Kirchenrecht). Der staatliche Legislator ist gehalten, in seiner Gesetzgebung die Bestimmungen des K.s nicht zu beeinträchtigen.
K.e werden regelmäßig unbefristet abgeschlossen. Durch eine Freundschaftsklausel verpflichten sich die Partner, bei Bedarf auftretende Probleme einvernehmlich zu lösen. Die Beendigung eines K.s oder einzelner konkordatärer Bestimmungen ist durch einseitige Kündigung oder aufgrund völliger Änderung der Verhältnisse (clausula „rebus sic stantibus“) möglich. Kennzeichnend für K.e ist auch ihr territorialer Charakter.
2. Geschichtlicher Rückblick
Für die Entwicklung des K.s als Instrument zur Regelung der Beziehungen von geistlicher und weltlicher Macht bzw. Kirche und Staat (Kirche und Staat) ist das „Wormser Konkordat“ (1122) grundlegend, womit Papst Calixt II. und Kaiser Heinrich V. den Investiturstreit beigelegt haben. Weitere wichtige Stationen sind im Spätmittelalter die K.e, die Papst Martin V. beim Konzil von Konstanz 1418 mit den dort vertretenen „Nationen“ abschloss, die deutschen Fürsten-K.e (1447), das Wiener K. über die Verleihung kirchlicher Ämter (1448) und die französischen K.e (1472, 1516).
Eine neue Epoche der K.s-Geschichte begann nach den grundlegenden Umbrüchen, die durch die Französische Revolution ausgelöst worden sind. Papst Pius VII. und Napoleon Bonaparte schlossen am 15.7.1801 ein K. ab, das dann durch die am 8.4.1802 einseitig vom Staat erlassenen Organischen Artikel in seiner Geltung wieder eingeschränkt worden ist. Diese Vorgehensweise steht exemplarisch für den bis in das 20. Jh. und z. T. in manchen Ländern bis in die Gegenwart geltend gemachten Anspruch des Staates auf Kirchenhoheit, welchem ein K. nachgeordnet bleiben soll. Ähnlich verhielt es sich mit dem Bayerischen K. vom 5.6.1817, das durch das staatliche Religionsedikt (1818) zurückgestuft wurde. Der daraus resultierende Konflikt wurde durch die „Tegernseer Erklärung“ (1821) des Königs nur äußerlich überbrückt und blieb bis zum Ende der Monarchie in Bayern virulent. In nichtkatholischen deutschen Ländern erfolgte die Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse durch päpstliche Zirkumskriptionsbullen, die inhaltlich zuvor zwischen Staat und Kirche ausgehandelt worden sind und damit sachlich K.en nahekommen; sie wurden auch als Staatsgesetze verkündet. Dies galt für Preußen (1821), die Länder im Südwesten auf dem Gebiet der Oberrheinischen Kirchenprovinz (1821/27) und für Hannover (1824). 1855 wurde ein für die Kirche sehr günstiges K. mit Österreich abgeschlossen, das aber infolge der Beschlüsse des Ersten Vatikanischen Konzils vom Staat unter den Vorzeichen des Kulturkampfs 1870 wieder gekündigt wurde. Eine vertragliche Regelung kirchlicher Fragen mit dem Staat erfolgte im 19. Jh. auch für Gebiete der Schweiz und mit katholischen Ländern in Südeuropa sowie in Mittel- und Südamerika.
Als nach dem Ersten Weltkrieg in vielen Ländern eine Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse notwendig war, setzte im Pontifikat Pius’ XI. eine „K.s-Ära“ ein. In Deutschland war das Bayerische K. vom 29.3.1924 das erste von drei Länder-K.en; es folgten Verträge mit Preußen (1929) und mit Baden (1932). Parallel kam es auch zu Vertragsabschlüssen mit den evangelischen Kirchen. Am 20.7.1933 wurde das deutsche Reichs-K. abgeschlossen, das der Kirche eine Sicherung ihrer Rechte garantieren sollte, sich in der NS-Diktatur aber nur als bescheidener Schutz erwies. Für Österreich wurde am 5.6.1933 ein K. abgeschlossen, das aber nach dem „Anschluss“ Österreichs an Deutschland 1938 während der NS-Zeit nicht mehr als geltend angesehen wurde. Weitere K.e wurden unter Pius XI. mit Lettland (1922), Polen (1925), Rumänien, Litauen und der Tschechoslowakei (1927) abgeschlossen. 1929 wurde mit dem Königreich Italien die seit dem Untergang des Kirchenstaates 1870 offene „Römische Frage“ mittels des Abschlusses von drei Abkommen (Staatsvertrag, Finanzvertrag, K.) gelöst. 1940 kam ein K. mit Portugal zustande. Mit anderen Ländern schloss der Hl. Stuhl verschiedene Verträge zur Regelung von Einzelfragen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in Deutschland die umstrittene Geltung des Reich-K.s durch Urteil des BVerfG vom 26.3.1957 als bestehend geklärt. In Österreich wurde das K. von 1933 nach einem zähen politischen Ringen 1957 förmlich anerkannt und mit Ausnahme der Ehebestimmungen wieder angewandt. Neue K.e wurden mit Spanien (1953) und der Dominikanischen Republik (1954) abgeschlossen.
Das Zweite Vatikanische Konzil (1962–65) brachte mit der Neuorientierung der Kirche in ihrem Verhältnis zum Staat auch Konsequenzen für deren K.s-Politik. Die Anerkennung der Religionsfreiheit und die Distanzierung vom früheren Selbstverständnis der Kirche als „societas perfecta“ sowie das Postulat einer guten Kooperation von Staat und Kirche schufen hierfür eine neue Basis. Privilegien für den Staat bei der Besetzung kirchlicher Ämter sollten der Vergangenheit angehören. Neue K.e wurden abgeschlossen mit Venezuela (1964), Argentinien (1966), Kolumbien (1973), Spanien (1976, mit Folgeverträgen 1979), Peru (1980), Haiti und Italien (1984). Zu Vertragsabschlüssen kam es auch mit den kommunistischen Ländern Ungarn (1964) und Jugoslawien (1966) sowie den islamischen Staaten Tunesien (1964) und Marokko (1983). In Deutschland wurde das Niedersachsen-K. (1965) abgeschlossen, das sachlich einem vorausgehenden evangelischen Kirchenvertrag folgte. Das Bayerische K. von 1924 wurde bzgl. Bildungsfragen mehrfach durch Änderungsverträge novelliert, zuletzt 2007 durch ein Zusatzprotokoll.
3. Jüngere Entwicklungen
Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus hat sich die bereits in den ersten Jahren des Pontifikats von Papst Johannes Paul II. erkennbare Tendenz zu K.s-Abschlüssen noch verstärkt. Nicht nur im Bereich des ehemaligen Ostblocks, sondern auch in anderen Regionen der Erde wurde das K. als Instrument zur Regelung anstehender Fragen genutzt. Daneben wurden vielfach auch mit anderen Staaten spezielle Themen durch weitere Verträge geregelt, die hier nicht einzeln aufgeführt werden können.
In Europa (zu Deutschland und Österreich s. u. 4.) hat der Hl. Stuhl mit folgenden Staaten K.e abgeschlossen: Malta (1991), San Marino (1992), Polen (1993), Kroatien (1996/98, vier Einzelverträge), Lettland (2000), Litauen (2000, drei Einzelverträge), Slowakei (2000), Slowenien (2001), Albanien (2002), Portugal (2004), Bosnien und Herzegowina (2006), Andorra (2008) und Montenegro (2011). In Afrika waren bes. in den letzten Jahren mehrere K.s-Abschlüsse zu verzeichnen, nämlich mit Gabun (1997), Mosambik (2011), Äquatorial-Guinea (2012), Burundi (2012), Kap Verde (2013), Tschad (2013), Kamerun (2014), Benin (2016), der Demokratischen Republik Kongo (2016), der Zentralafrikanischen Republik (2017) und der Republik Kongo (2017). Die jüngsten Abkommen sind z. T. noch nicht ratifiziert. Auf dem amerikanischen Kontinent kam 2008 ein K. mit Brasilien zustande. In Asien wurden K.e abgeschlossen mit Israel (1993, Grundlagenvertrag), Kasachstan (1998), Aserbaidschan (2011) und Ost-Timor (2015). Im Jahr 2000 hat der Hl. Stuhl mit der PLO ein Grundsatzabkommen geschlossen, das 2015 durch einen umfassenden Vertrag mit dem Staat Palästina abgelöst wurde.
4. Gegenwärtige Konkordatslage in Deutschland und in Österreich
In Deutschland wurden nach der 1990 erfolgten Wiedervereinigung des Landes zahlreiche Verträge zwischen dem Hl. Stuhl und deutschen Ländern abgeschlossen. Der deutsche Gesamtstaat kam wegen der Kompetenzaufteilung des GG zwischen Bund und Ländern als Vertragspartner nicht mehr in Betracht. Nachdem die Neuordnung der Bistümer im Norden und Osten Deutschlands (Errichtung der Kirchenprovinzen Berlin und Hamburg sowie der [Erz-]Diözesen Erfurt, Görlitz, Hamburg und Magdeburg) 1994 durch Verträge mit den betroffenen Ländern vorbereitet worden war, wurden in der Folge K.e mit den staatlich erneuerten östlichen Ländern abgeschlossen: Sachsen (1996), Thüringen (1997), Mecklenburg-Vorpommern (1997), Sachsen-Anhalt (1998) und Brandenburg (2003). Es folgten noch weitere K.e mit seit der Gründung der BRD bestehenden Ländern, für die bisher noch kein derartiges Abkommen galt, nämlich mit Bremen (2003), Hamburg (2005) und Schleswig-Holstein (2009).
Außerdem sind die erwähnten älteren Verträge, nämlich das Bayerische K. (1924), das Preußen-K. (1929), das Badische K. (1932), das Reichs-K. (1933) und das Niedersachsen-K. (1965) in Geltung.
Demnach bestehen gegenwärtig Länder-K.e des Hl. Stuhls mit zehn der 16 deutschen Länder, nämlich mit Bayern, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen. Im Land Baden-Württemberg wird der badische Anteil durch das Badische K. erfasst; im Übrigen ist das Reichs-K. maßgeblich. Mit den Ländern Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Saarland hat der Hl. Stuhl seit den 1960er Jahren verschiedene Verträge abgeschlossen, in denen Fragen bzgl. Schule und Hochschule geregelt werden. Keine förmlichen Verträge bestehen zwischen dem Hl. Stuhl und den Ländern Berlin und Hessen; doch kommen auch in diesen beiden Ländern prinzipiell das Reichs-K. (soweit nicht in den ehemals preußischen Gebieten die Bestimmungen des Preußen-K.s fortgelten) sowie bes. Abreden zur Anwendung.
Das österreichische K. von 1933, dessen Geltung, ausgenommen die eherechtlichen Bestimmungen, ab 1957 definitiv nicht mehr in Frage stand, wurde 1960 durch den (bis 2009 mehrfach fortgeschriebenen) Vermögensvertrag und 1962/71 durch den Schulvertrag ergänzt. Ferner wurden vertraglich die Voraussetzungen für die Errichtung der Bistümer Eisenstadt (1960), Innsbruck (1964) und Feldkirch (1968) geschaffen.
5. Ausblick
In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche K.e neu abgeschlossen. In Deutschland sind auch mehrere evangelische Staatskirchenverträge und Verträge mit anderen Religionsgemeinschaften neu in Kraft getreten. Unter Bedingungen des religiös neutralen und das Grundrecht der (korporativen) Religionsfreiheit achtenden säkularen Staates hat sich der Vertrag als ein probates rechtliches Instrument zur Regelung der Verhältnisse von Staat und Religionsgemeinschaften erwiesen. Auch gemäß dem modernen Selbstverständnis der katholischen Kirche ist es legitim, das K. zur Sicherung und Förderung ihrer geistlichen Sendung einzusetzen.
Aufgrund der bisherigen Erfahrungen kann dem K.s-Recht, auch unter Berücksichtigung der fortschreitenden Tendenz zur gesellschaftlichen Säkularisierung und Pluralisierung, eine günstige Zukunft vorausgesagt werden. Entscheidend für die angemessene Fortbildung dieses Rechts ist die Bereitschaft beider Partner, die legitimen Interessen des jeweils anderen realistisch und wohlwollend wahrzunehmen und darauf einzugehen.
In Europa hat sich mit der EU ein neuer politischer Akteur etabliert. Die EU schafft Recht, das die Mitgliedsstaaten in bestimmtem Umfang bindet und die Religionsgemeinschaften betreffen kann. Auch wenn die EU generell die rechtliche Stellung der Religionsgemeinschaften in den einzelnen Staaten anerkennt und keine Kompetenz auf dem Gebiet des Staatskirchenrechts besitzt, können durch europäische Rechtsetzung mittelbar Bestimmungen des Staatskirchenvertragsrechts in Frage gestellt werden. Die EU ist aber nicht nur als mögliche Gefährdung des K.s-Rechts zu sehen. Gerade für die übernational strukturierte katholische Kirche, die mit COMECE auf dieser Ebene ein eigenes Organ eingerichtet hat, kommt die EU durchaus als Partner für den Abschluss eines eigenen „Europa-K.s“ in Betracht.
Literatur
Konkordatssammlungen:
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Weitere Literatur:
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Empfohlene Zitierweise
S. Haering: Konkordat, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Konkordat (abgerufen: 24.11.2024)