Stammzellenforschung: Unterschied zwischen den Versionen
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− | Totipotente Stammzellen können einen ganzen Organismus hervorbringen. Dies gilt für die befruchtete Eizelle sowie für jede aus ihr hervorgegangene Zelle in den ersten Tagen nach der Befruchtung. Pluripotente Stammzellen können spezialisierte Körperzellen hervorbringen. Je nach Herkunft werden embryonale und adulte Stammzellen unterschieden. Pluripotente humane embryonale Stammzellen (hES-Zellen) werden aus der inneren Zellmasse des frühen Embryos (Blastozyste) gewonnen, wobei der Embryo zerstört wird. Der Embryo kann durch eine künstliche Befruchtung im Labor (In-vitro-Fertilisation) oder durch den Transfer einer Körperzelle in eine entkernte Eizelle (Klonen) entstanden sein. Adulte Stammzellen kommen im erwachsenen Organismus vor; sie können gewebe- bzw. organspezifische Zelltypen bilden. Durch „Rückprogrammierung“ ist es auch möglich, | + | Totipotente Stammzellen können einen ganzen Organismus hervorbringen. Dies gilt für die befruchtete Eizelle sowie für jede aus ihr hervorgegangene Zelle in den ersten Tagen nach der Befruchtung. Pluripotente Stammzellen können spezialisierte Körperzellen hervorbringen. Je nach Herkunft werden embryonale und adulte Stammzellen unterschieden. Pluripotente humane embryonale Stammzellen (hES-Zellen) werden aus der inneren Zellmasse des frühen Embryos (Blastozyste) gewonnen, wobei der Embryo zerstört wird. Der Embryo kann durch eine künstliche Befruchtung im Labor (In-vitro-Fertilisation) oder durch den Transfer einer Körperzelle in eine entkernte Eizelle (Klonen) entstanden sein. Adulte Stammzellen kommen im erwachsenen Organismus vor; sie können gewebe- bzw. organspezifische Zelltypen bilden. Durch „Rückprogrammierung“ ist es auch möglich, sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) aus normalen Körperzellen herzustellen, die hES-Zellen sehr ähnlich sind und ebenfalls potenziell alle Zellarten des Organismus bilden können. iPS-Zellen werden als Alternative zu hES-Zellen diskutiert; ihnen wird ein großes Potenzial für personalisierte Therapieentwicklungen zugeschrieben. |
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Aktuelle Version vom 16. Dezember 2022, 06:12 Uhr
1. Biologisch-medizinische Grundlagen
Die S. zielt darauf ab, Therapien für Krankheiten zu entwickeln, die auf der Schädigung von Geweben beruhen und bislang nicht oder unzureichend behandelbar sind. Als Stammzellen werden Zellen bezeichnet, die sich einerseits fast unbegrenzt teilen und andererseits potenziell zu allen Körperzellen ausdifferenzieren können.
Totipotente Stammzellen können einen ganzen Organismus hervorbringen. Dies gilt für die befruchtete Eizelle sowie für jede aus ihr hervorgegangene Zelle in den ersten Tagen nach der Befruchtung. Pluripotente Stammzellen können spezialisierte Körperzellen hervorbringen. Je nach Herkunft werden embryonale und adulte Stammzellen unterschieden. Pluripotente humane embryonale Stammzellen (hES-Zellen) werden aus der inneren Zellmasse des frühen Embryos (Blastozyste) gewonnen, wobei der Embryo zerstört wird. Der Embryo kann durch eine künstliche Befruchtung im Labor (In-vitro-Fertilisation) oder durch den Transfer einer Körperzelle in eine entkernte Eizelle (Klonen) entstanden sein. Adulte Stammzellen kommen im erwachsenen Organismus vor; sie können gewebe- bzw. organspezifische Zelltypen bilden. Durch „Rückprogrammierung“ ist es auch möglich, sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) aus normalen Körperzellen herzustellen, die hES-Zellen sehr ähnlich sind und ebenfalls potenziell alle Zellarten des Organismus bilden können. iPS-Zellen werden als Alternative zu hES-Zellen diskutiert; ihnen wird ein großes Potenzial für personalisierte Therapieentwicklungen zugeschrieben.
hES- und iPS-Zellen spielen für die Grundlagenforschung eine wichtige Rolle. So ist es gelungen, aus hES- und iPS-Zellen mit Hilfe geeigneter Signalstoffe dreidimensionale, organähnliche Strukturen zu züchten, mit deren Hilfe Lebensprozesse und therapeutische Wirkstoffe untersucht werden können. Aber auch die Therapieentwicklung schreitet voran. Erste klinische Prüfungen für Behandlungen von Herz-, Stoffwechsel- und Augenerkrankungen auf der Basis von hES- und iPS-Zellen laufen, wenn auch großteils noch in einem frühen Stadium.
Seit der Publikation des neuen Verfahrens der Genomeditierung mit Hilfe des CRIRP/Cas-Systems 2012 werden an dessen Verbindung mit der S. große Erwartungen geknüpft. CRISPR/Cas ermöglicht gentechnologische Veränderungen des Erbguts von Zellen deutlich einfacher, schneller und präziser vorzunehmen, als das mit bisher verfügbaren Verfahren der Fall war. hES- und iPS-Zellen lassen sich im Labor problemlos kultivieren und in verschiedene Gewebe differenzieren. So entstand die Idee, mit Hilfe von CRISPR/Cas bestimmte Mutationen zu erzeugen und ihre krankheitsbedingende Bedeutung zu untersuchen. Möglicherweise lassen sich auch neuartige Therapien mit Hilfe von außerhalb des Körpers gentechnisch (Gentechnik) veränderten Geweben (tissue engineering) entwickeln.
2. Gesellschaftliche, ethische und rechtliche Aspekte
Bei der ethischen Beurteilung der embryonalen S. stehen „die Pflicht Leid zu verhindern oder zu verringern“ und „die Pflicht menschliches Leben zu respektieren“ im Konflikt (Eurostemcell 2016). Aufgrund des Verbrauchs menschlicher Embryonen wird die Herstellung und Nutzung von hES-Zelllinien als ethisch problematisch angesehen und ist in vielen Ländern gesetzlich verboten oder stark reglementiert. In Deutschland ist die Herstellung von hES-Zellen nach dem ESchG von 1990 verboten. Als es 1998 erstmals gelang, aus menschlichen Embryonen Stammzelllinien zu schaffen, löste dies eine ausgesprochen kontrovers geführte Debatte über das Verbot der „verbrauchenden Embryonenforschung“ aus, die letztlich zu einem politischen Kompromiss führte: Mit dem StZG von 2002 wurde der Import von hES-Zellen aus dem Ausland für hochrangige Forschungsziele unter bestimmten Voraussetzungen, deren Vorliegen die dafür eingesetzte Zentrale Ethik-Kommission für S. (Ethikkommissionen) zu prüfen hat, zugelassen. Bis Ende 2017 wurden 132 Genehmigungen erteilt.
Mittlerweile ist es zwar ruhiger um die S. geworden, die ethischen Probleme sind aber nicht gelöst. Insb. über die Schutzwürdigkeit des menschlichen Embryos wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Während für die einen das Menschensein mit der Befruchtung beginnt und „verbrauchende Embryonenforschung“ sowie „Klonen“ eine Missachtung der Menschenwürde darstellt, knüpfen andere die Zuschreibung von Menschenwürde an personale Eigenschaften wie die „Fähigkeit zur freien, vernunftgeleiteten Selbstbestimmung“, die frühe menschliche Embryonen noch nicht aufweisen. Häufig wird ein Unterschied gemacht, ob „überzählige Embryonen“ verwendet werden, die nicht mehr für die Kinderwunschbehandlung eines Paars benötigt werden, oder, wie beim Klonen, Embryonen gezielt für die Forschung erzeugt werden. Es wird aber auch befürchtet, dass fremdnützige Interessen an „gespendeten“ Embryonen und Eizellen, die für das Klonen benötigt werden, zu einem sozialen Druck auf Frauen und Paare in der Kinderwunschbehandlung führen könnten. Insofern iPS-Zellen keinen „Verbrauch“ von Embryonen und Eizellen mit sich bringen, werden sie als ethisch vorzugswürdig gegenüber hES-Zellen diskutiert. Weitere ethisch und rechtlich relevante Aspekte im Kontext der S. betreffen Biopatente sowie den Schutz von Patienten in klinischen Versuchen und im Zusammenhang mit kommerziellen Angeboten ungeprüfter Stammzelltherapien.
Literatur
S. Müller/H. Rosenau: Stammzellen, iPS-Zellen, Genomeditierung, 2018 • M. Zenke/L. Marx-Stölting/H. Schickl: Stammzellforschung, 2018 • Zentrale Ethik-Kommission für Stammzellenforschung: 15. Tätigkeitsbericht, 2017 • Eurostemcell: Embryonale Stammzellforschung. Ein ethisches Dilemma (2016), URL: https://www.eurostemcell.org/de/embryonale-stammzellforschung-ein-ethisches-dilemma (abger.: 31.7.2020) • S. Kühl/M. Kühl: Stammzellbiologie, 2012 • G. Badura-Lotter: Forschung an embryonalen Stammzellen, 2005 • I. Schneider: Gesellschaftliche Umgangsweisen mit Keimzellen, in: S. Graumann/dies.: Verkörperte Technik – entkörperte Frau, 2003, 41–65 • F. Oduncu/U. Schroth/W. Vossenkuhl: Stammzellenforschung und therapeutisches Klonen, 2002 • C. Geyer: Biopolitik, 2001 • S. Graumann: Die Genkontroverse, 2001.
Empfohlene Zitierweise
S. Graumann: Stammzellenforschung, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Stammzellenforschung (abgerufen: 24.11.2024)