Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Co-operation and Development, OECD): Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 12. Juni 2023, 13:41 Uhr
1. Historische Perspektive: Die OEEC als Träger des Marshall-Plans
Die Geburtsstunde der OECD wird in der Literatur auf das Jahr 1961 datiert, aber die eigentliche Entstehung geht auf das Jahr 1948 zurück, als die OEEC gegründet wurde, der anfänglich 18 Mitglieder angehörten. Die OEEC hatte das primäre und klar umrissene Ziel, die Mittel des amerikanischen Marshall-Plans in den zerstörten Ländern Europas zu verteilen und die wirtschaftliche Kooperation in Europa neu zu begründen. Weitere Ziele waren u. a. die Abschaffung von Zöllen und Handelshemmnissen sowie die Entwicklung eines multilateralen Zahlungssystems, da v. a. die Währungszersplitterung ein großes Handelshemmnis darstellte. Lange vor der Gründung der EGKS im Jahre 1951 und der Gründung der EWG im Jahre 1957 hatte die OEEC eine zentrale Bedeutung zur Wiederbelebung des europäischen Handels, der als Folge des Zweiten Weltkrieges fast vollkommen zum Erliegen gekommen war.
Zu Beginn der OEEC hatten die USA als damaliger Vertreter des Freihandels und als Geldgeber des Marshall-Plans großen politischen und wirtschaftlichen Einfluss. Die historische Bewertung der OEEC für die Stabilisierung Europas fällt uneingeschränkt positiv aus. Nach dem Auslaufen des Marshall-Plans im Jahre 1952 und der Gründung der EWG ließ der Einfluss der OEEC jedoch nach.
2. Von der OEEC zur OECD
Gerade die USA als Freihandelshegemon der Nachkriegszeit und als zentrale Schutzmacht der NATO wollten das Netzwerk der OEEC jedoch erhalten. So kam es nach längeren Verhandlungen zwischen 18 europäischen Staaten sowie den USA und Kanada am 16.12.1960 zur Unterzeichnung der OECD-Konvention, die im September 1961 in Kraft trat. Im Gegensatz zu ihrer Vorgängerorganisation hatte sie jedoch ein weniger klar definiertes Ziel. Oftmals wird die OECD als „Club der Reichen“ bezeichnet, was in den 1980er und 1990er Jahren zumindest wirtschaftlich stimmte: Damals fanden etwa 80 % des Welthandels zwischen den hoch entwickelten OECD-Staaten statt. Im Jahre 2017 ist dieser Anteil trotz des Anstiegs auf 35 Mitglieder deutlich auf ca. 60 % des Welthandels zurückgegangen, was in erster Linie auf den wirtschaftlichen Aufstieg der asiatischen Länder und v. a. Chinas zurückzuführen ist.
3. Ziele und Instrumente der OECD
Die wichtigsten Ziele der OECD, die ihr Hauptquartier in Paris hat und ca. 2 500 Mitarbeiter beschäftigt, sind in der Konvention festgeschrieben. Es geht um die Verbesserung des Lebensstandards der Migliedsländer, um finanzielle Stabilität, um Wachstum durch Innovation, Umweltschutz und nicht zuletzt um Bildung als Voraussetzung für wirtschaftlichen Aufstieg und Teilhabe am gesellschaftlichen Fortschritt. Allerdings ist der Wirkungskreis der OECD längst nicht mehr nur auf die Mitgliedsländer beschränkt: Insb. mit den wirtschaftlich und bevölkerungstechnisch stark wachsenden BRICS-Staaten hat die OECD die Zusammenarbeit intensiviert. Auch in der Entwicklungshilfe setzt das DAC wichtige Impulse, um die betroffenen Länder bei der Armutsbekämpfung, bei der Entwicklung zivilgesellschaftlicher Institutionen (Zivilgesellschaft) und nicht zuletzt beim Aufbau einer leistungsfähigen Wirtschaftsordnung zu unterstützen.
Wie die meisten anderen internationalen Organisationen verfügt auch die OECD über keine Sanktionsinstrumente zur Durchsetzung ihrer Ziele. Gleichwohl sollte die Bedeutung und Wirkung von weichen Instrumenten der Regeldurchsetzung nicht unterschätzt werden, wie bspw. der Erfolg des GATT nachdrücklich unterstreicht. Durch ihre weltweit und überparteilich anerkannte Forschungsarbeit schafft die OECD eine kritische Öffentlichkeit und ermuntert die Mitglieder zu freiwilliger Mitarbeit. Regelabweicher werden mit shaming and blaming bestraft – und kein Staat der Welt steht gerne am Pranger der OECD. Wie effektiv diese Strategie sein kann, hat gerade Deutschland nachdrücklich erfahren. Eine sehr effektive und öffentlichkeitswirksame Aktion der OECD war die sogenannte PISA-Studie, bei der Deutschland als Bildungsstandort sehr schlechte Noten ausgestellt wurden. Als Ergebnis des „PISA-Schocks“ wurde das Bildungssystem in Deutschland gründlich reformiert.
4. Aufbau und Organe der OECD
Die Struktur und der organisatorische Aufbau der OECD ähneln dem anderer internationaler Organisationen. Zwischen dem Rat (Council), dem Sekretariat (Secretariat and Secretary General) und den Ausschüssen (Commissions) besteht ein Dreieck mit wechselseitigen Beziehungen. Im Rat sind alle Mitgliedsländer sowie die Europäische Kommission vertreten. Die zahlreichen Ausschüsse leisten die eigentliche fachliche Arbeit, in dem sie zu allen Fachgebieten Zahlen und Fakten sammeln und Vorschläge entwickeln. Die wissenschaftliche Grundlage dieser Arbeit ist stark empirisch geprägt. Durch die Entwicklung von best practices sind die OECD-Ausschüsse quasi ein Instrument des weltweiten Systemvergleichs geworden.
Eine bes. Position innerhalb der OECD stellt das Sekretariat und sein Generalsekretär dar. Diese Position besetzt seit Juni 2006 der Mexikaner José Ángel Gurría, der sowohl als Außenminister wie auch als Finanzminister Mexikos die Beitrittsverhandlungen seines Landes zur OECD begleitete. Die Tatsache, dass die OECD derzeit von einem freihändlerisch orientierten Mexikaner geführt wird, hat dem Ansehen der Organisation sehr genützt und die historisch bedingte stärkere Orientierung an hoch entwickelten europäischen Staaten auch auf andere Regionen der Welt ausgeweitet.
5. Die zukünftige Bedeutung der OECD
Unter den internationalen Organisationen ist längst eine Art Wettbewerb um eine dominante Vormachtstellung in einer zunehmend multipolaren Welt entstanden. Ob sich etwa die G20, die EU 28 oder EU 27 nach dem Brexit als Orientierung durchsetzen wird, ist unklar. Für die OECD könnte die klare ordnungspolitische Positionierung für einen zukünftigen Bedeutungszuwachs und neue Mitglieder sprechen: Voraussetzung für die Mitgliedschaft ist die Einhaltung der Menschenrechte, eine demokratische Grundordnung (Demokratie) sowie ein marktwirtschaftliches System. Unklar ist jedoch, ob die USA als größter Geldgeber der OECD mit 20,6 % (2017) des Budgets nach dem Amtsantritt des bekennenden Freihandelsgegners, Donald John Trump, noch eine ordnungspolitische Führungsmacht sein kann. Deutschland übernimmt derzeit 7,4 % des Budgets (2017) und ist damit der größte europäische Beitragszahler.
Im Vergleich zu anderen internationalen Organisationen ist die OECD vergleichsweise wenig erforscht. Dies mag auch daran liegen, dass die OECD als Thinktank selbst sehr viel publiziert – ca. 250 größere Publikationen pro Jahr – und eine der wichtigsten und zugleich vertrauenswürdigsten Datenquellen der Welt darstellt. Die OECD ist zudem eine Institution, die weltweit viel Zustimmung und vergleichsweise wenig Kritik erfährt. Anders als bspw. der IWF oder die Weltbank, die mit ihren konditionierten Krediten direkt in nationale Wirtschaftspolitiken einzelner Länder eingreifen, erfüllt die OECD beratende Funktionen.
Literatur
D. Wentzel: Internationale Organisationen: Historische Entwicklung, theoretische Begründungen und Entwicklungsperspektiven, in: ders. (Hg.): Internationale Organisationen: Ordnungspolitische Grundlagen, Perspektiven und Anwendungsbereiche, 2013, 1–28 • K. Martens/G. Schulze: OECD – Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, in: K. Freistein/J. Leibinger (Hg.): Hdb. internationale Organisationen, 2012,184–191 • R. Woodward: The Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD), 2009.
Empfohlene Zitierweise
D. Wentzel: Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Co-operation and Development, OECD), Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Organisation_f%C3%BCr_wirtschaftliche_Zusammenarbeit_und_Entwicklung_(Organisation_for_Economic_Co-operation_and_Development,_OECD) (abgerufen: 24.11.2024)