Geldpolitik
1. Definition
G. bezeichnet die Gesamtheit aller Maßnahmen zur Steuerung der Geld- und Kreditversorgung (Kredit) mit dem Ziel, gesamtwirtschaftliche Stabilität zu verwirklichen. Sie bildet neben der Fiskalpolitik das zweite wichtige stabilitätspolitische Instrument. Träger der G. sind die Notenbanken, die darüber hinaus häufig auch mit der mikro- und makroprudenziellen Bankenaufsicht betraut sind oder als Lender of Last Resort temporäre Liquiditätshilfen an Geschäftsbanken (Banken) vergeben.
2. Eurosystem
Verantwortlich für die Durchführung der G. ist in den Mitgliedsstaaten der Eurozone das Eurosystem. Es ist zweistufig aufgebaut und besteht aus der EZB (Sitz in Frankfurt/Main) und den NZBen der Teilnehmerländer an der Europäischen Währungsunion (EWWU). Begrifflich vom Eurosystem zu unterscheiden ist das ESZB, das aus der EZB und den NZBen aller Mitgliedsländer der EU besteht.
2.1 Beschlussorgane
Oberstes Entscheidungsorgan des Eurosystems ist der EZB-Rat (Governing Council), dem der EZB-Präsident, der EZB-Vizepräsident, die vier weiteren Mitglieder des Direktoriums und die Gouverneure der NZBen im Eurosystem angehören. Der EZB-Rat tagt zweimal im Monat und trifft neben geldpolitischen Entscheidungen auch alle anderen Entscheidungen im Aufgabenbereich der EZB. Die Mitglieder des EZB-Rats verfügen jeweils über eine Stimme, wobei das Stimmrecht rotiert und bei Stimmengleichheit die Stimme des EZB-Präsidenten den Ausschlag gibt. Das Direktorium (Executive Board), dessen Mitglieder zugl. auch im EZB-Rat vertreten sind, bereitet die Sitzungen des EZB-Rats vor und führt dessen Beschlüsse aus. Solange noch nicht alle EU-Mitgliedsländer den Euro als nationale Währung eingeführt haben, existiert mit dem Erweiterten Rat (General Council) ein drittes Beschlussorgan, das als Bindeglied zwischen dem Eurosystem und den NZBen der Nichtteilnehmerländer fungiert. Ihm gehören der EZB-Präsident, der EZB-Vizepräsident und die Gouverneure der NZBen aller EU-Mitgliedsländer an.
2.2 Geldpolitische Ziele und Notenbankunabhängigkeit
Vorrangiges Ziel des Eurosystems ist gemäß Art. 127 Abs.1 AEUV, Preisstabilität zu gewährleisten. Soweit es ohne Beeinträchtigung dieses Ziels möglich ist, soll das Eurosystem die allg.e Wirtschaftspolitik in der EU unterstützen, um zur Verwirklichung der Ziele des Art. 3 AEUV beizutragen. Bei der Umsetzung dieses Ziels ist das Eurosystem politisch und funktional unabhängig und darf gemäß Artikel 7 ESZB-Satzung bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben von EU-Organen (EU) und Mitgliedsstaaten weder Weisungen einholen noch entgegennehmen.
Zentralbankunabhängigkeit ist dabei kein Selbstzweck, sondern ein Instrument, das in demokratisch organisierten Gesellschaften hilft, die Inflationsrate (Inflation) niedrig zu halten, indem es die Geld- und Kreditversorgung dem politischen Wettbewerb entzieht. Diesem Ziel dient auch das Verbot einer direkten Staatsfinanzierung gemäß Artikel 123 AEUV, wonach das Eurosystem den Regierungen weder Überziehungsfazilitäten einräumen noch Staatsanleihen am Primärmarkt ankaufen darf (wohingegen Ankäufe am Sekundärmarkt erlaubt sind).
3. Strategien der Geldpolitik
Eine geldpolitische Strategie bezeichnet das längerfristige Verfahren, nach dem die Notenbank über ihren Instrumenteneinsatz entscheidet. Geldpolitische Strategien lassen sich dahingehend differenzieren, ob die G. diskretionär oder regelgebunden erfolgt. Regelgebundene G. lässt sich weiter unterscheiden, ob eine passive oder aktive Regel verfolgt wird und ob ein Geldmengenziel oder ein Inflationsziel verfolgt wird.
3.1 Diskretion v Regelbindung
Bei diskretionärer G. entscheidet die Notenbank fallweise, d. h. in jedem Zeitpunkt neu und nach eigenem Ermessen über den Instrumenteneinsatz. Damit kann sie flexibel auf unvorhergesehene Ereignisse und makroökonomische Schocks reagieren, unterliegt aber einem Glaubwürdigkeitsproblem; sie setzt sich der Gefahr aus, eine im Zeitablauf zu hohe Inflationsrate herbeizuführen. Dieser Inflationsbias resultiert daraus, dass der private Sektor sich durch Abschluss längerfristiger Verträge häufig selbst bindet und deshalb Inflationserwartungen bilden muss. Damit wird für die Notenbank nach Vertragsabschluss ein Anreiz geschaffen, eine andere G. zu betreiben als urspr. angekündigt, um durch eine überraschende Zunahme der Inflationsrate bspw. positive Einkommens- und Beschäftigungseffekte zu erzielen. Kennen die Marktteilnehmer diesen Anreiz für die G., sich „dynamisch inkonsistent“ zu verhalten, werden sie dies von vornherein bei Abschluss ihrer Verträge berücksichtigen und eine Inflationsrate vereinbaren, von der abzuweichen für den Träger der G. nicht optimal ist.
Eine solche Inflationsneigung vermeidet eine regelgebundene G., bei der sich die Zentralbank einmalig und endgültig für eine geldpolitische Formel entscheidet und diese in jeder Periode umsetzt. Bei einer passiven Regel reagiert die Notenbank nicht auf von ihr wahrgenommene Umweltzustandsänderungen und legt das zukünftige Geldmengenwachstum verbindlich fest. Demgegenüber reagiert die Notenbank bei einer aktiven Regel oder Feedback-Regel in von ihr verbindlich festgelegter Form auf Schocks.
3.2 Inflationsziele und „Zwei-Säulen-Strategie“
Eine Alternative zu Geldmengenregeln sind (strikte oder flexible) Inflationsziele. Dabei gibt die Regierung der Notenbank eine normative Inflationsrate (von bspw. 2 % p. a.) vor. Diese muss bei einem strikten Inflationsziel in jeder Periode erreicht werden; demgegenüber muss bei einem flexiblen Inflationsziel die tatsächliche Inflationsrate nur im zeitlichen Durchschnitt mit dem Zielwert übereinstimmen, kann aber in einzelnen Perioden (nach oben oder unten) davon abweichen.
Auch das Eurosystem erfüllt ein (selbst gesetztes) Inflationsziel und versucht, die Preissteigerungsrate im Eurowährungsgebiet mittelfristig auf einem Wert von unter (aber nahe bei) 2 % p. a. zu stabilisieren. Dazu verfolgt es eine Zwei-Säulen-Strategie und kündigt an, wie es mit Änderung seiner Leitzinssätze auf von ihm für die Zukunft erwartete Datenänderungen und auf Gefahren für die Preisstabilität reagieren wird. Dabei enthält diese Reaktionsfunktion zwei Gruppen von Indikatoren, nämlich eine Reihe realwirtschaftlicher Indikatoren (wirtschaftliche Analyse) und die Entwicklung der Geldmenge M3 (monetäre Analyse). Anliegen der wirtschaftlichen Analyse ist, die für die kurze bis mittlere Sicht bestehenden Risiken für die Preisstabilität zu identifizieren, während die monetäre Analyse darauf abzielt, die auf mittlere bis längere Sicht bestehenden Preisstabilitätsrisiken zu erkennen.
4. Geldpolitischer Handlungsrahmen
Um ihre Strategie umzusetzen, steuern Notenbanken den Zinssatz (Zins) auf dem Interbankenmarkt und versuchen, diesen möglichst nahe an einem angestrebten Zielwert zu halten. Dazu verfügen sie über eine Reihe von Instrumenten, die auf Initiative der Zentralbank oder ihrer Geschäftspartner durchgeführt werden. Sie werden für das Eurosystem näher dargestellt, wobei zunächst auf die bis zum Ausbruch der Finanzmarktkrise dominanten, konventionellen Instrumente eingegangen wird.
4.1 Konventionelle geldpolitische Instrumente
Das Eurosystem führt Offenmarktgeschäfte durch, bietet zwei ständige Fazilitäten an und verlangt von den Kreditinstituten, eine Mindestreserve auf Konten im Eurosystem zu halten. Um Wettbewerbsneutralität zu gewährleisten, betreibt das Eurosystem seine geldpolitischen Geschäfte mit einem großen Kreis von Kreditinstituten. Gemäß EZB-Satzung müssen die Geschäftspartner für alle liquiditätszuführenden Geschäfte ausreichende Sicherheiten bestellen, die im Verzeichnis notenbankfähiger Sicherheiten aufgeführt sind.
4.1.1 Offenmarktgeschäfte
Offenmarktgeschäfte beinhalten die vorübergehende Kreditgewährung der Notenbank an seine Geschäftspartner. Sie lassen sich im Falle des Eurosystems nach Rhythmus, Laufzeit und Zweck weiter unterteilen:
a) Hauptrefinanzierungsgeschäfte (Main Refinancing Operations) werden wöchentlich mit einer Laufzeit von zwei Wochen abgewickelt, wobei die Geschäftspartner den Hauptrefinanzierungssatz zahlen. Mit ihnen will das Eurosystem die Marktliquidität und den Marktzinssatz beeinflussen und Signale über seinen geldpolitischen Kurs geben.
b) Längerfristige Refinanzierungsgeschäfte (Longer-term Refinancing Operations) werden grundsätzlich monatlich mit einer Laufzeit von drei Monaten zum längerfristigen Refinanzierungssatz durchgeführt. Sie sollen den längerfristigen Refinanzierungsbedarf des Finanzsektors decken.
c) Feinsteuerungsoperationen (Fine-tuning Operations) dienen dem Ausgleich von unerwarteten Liquiditätsschocks auf die Zinssätze; sie erfolgen unregelmäßig mit nicht-standardisierten Laufzeiten.
d) Strukturelle Operationen (Structural Operations) sollen die langfristige Liquiditätsposition des Finanzsektors beeinflussen und sind sowohl regelmäßig als auch unregelmäßig durchführbar, wobei die Laufzeiten nicht-standardisiert sind.
Alle Offenmarktoperationen werden entweder im Tenderverfahren oder als bilaterale Geschäfte abgewickelt. Tendergeschäfte sind Versteigerungsverfahren, bei denen die Notenbank dem Finanzsektor Liquidität auf Basis konkurrierender Gebote zuführt oder von dort absorbiert. Bilaterale Geschäfte sind geldpolitische Geschäfte, ohne dass ein Versteigerungsverfahren genutzt wird. Tenderverfahren können als Standard- oder Schnelltender durchgeführt werden. Im ersten Fall wird die Versteigerung innerhalb von 24 Stunden mit potenziell allen Geschäftspartnern abgewickelt. Beim Schnelltender erfolgt die Versteigerung innerhalb einer Stunde mit einer begrenzten Zahl ausgewählter Geschäftspartner.
Sowohl der Standard- als auch der Schnelltender können grundsätzlich als Mengentender oder als Zinstender abgewickelt werden. Beim Mengentender gibt die Notenbank den Geschäftspartnern den Zinssatz vor, zu dem sie das Geschäft abwickeln will, und teilt den von ihnen gewünschten Kreditbetrag teilweise oder voll zu. Beim Zinstender geben die Geschäftspartner verschiedene Gebote ab, wobei sie neben dem gewünschten Betrag auch den Zinssatz benennen, zu dem sie den Betrag aufnehmen wollen. Die Zentralbank stellt die Gebote zusammen und teilt sie in absteigender Reihenfolge so lange zu, bis der von der Notenbank angestrebte Zuteilungsbetrag erreicht ist.
Das Eurosystem hat seine Hauptrefinanzierungsgeschäfte anfänglich im Mengentender mit teilweiser Zuteilung der Gebote betrieben. Im Juni 2000 ist es zum Zinstenderverfahren übergegangen und betreibt seit Oktober 2009 einen Mengentender mit Vollzuteilung der Gebote, wodurch den Geschäftspartnern unbegrenzt Liquidität zur Verfügung steht.
4.1.2 Ständige Fazilitäten
Ständige Fazilitäten werden auf Initiative der Geschäftspartner und grundsätzlich unbegrenzt in Anspruch genommen. Sie bestehen aus der Spitzenrefinanzierungsfazilität und der Einlagefazilität und dienen dem kurzfristigen Liquiditätsmanagement der Kreditinstitute. Im Rahmen der Spitzenrefinanzierungsfazilität (Marginal Lending Facility) können Kreditinstitute (zum Spitzenrefinanzierungssatz) über Nacht unbegrenzt Liquidität beim Eurosystem aufnehmen. Die Einlagefazilität (Deposit Facility) erlaubt es umgekehrt, über Nacht (zum Einlagesatz) nicht benötigte Liquidität beim Eurosystem anzulegen. Die beiden Zinssätze bilden einen Korridor, in dem sich der Zinssatz auf dem Geld- bzw. Interbankenmarkt normalerweise bewegt.
4.1.3 Mindestreservepflicht
Das Eurosystem verlangt von seinen Geschäftspartnern, dass sie einen bestimmten Prozentsatz (von urspr. 2 %, derzeit 1 %) ihrer Einlagen als Mindestreserve auf Girokonten bei den NZBen halten. Mindestreservepflichtig sind alle im Euro-Währungsgebiet ansässigen Kreditinstitute, wobei die zu der Geldmenge M3 zählenden Verbindlichkeiten die Bemessungsgrundlage bilden. Die EZB erlaubt eine Durchschnittserfüllung der Mindestreservepflicht, d. h. die Kreditinstitute können das stichtagsbezogene Mindestreservesoll während einer (zeitlich versetzten) einmonatigen Mindestreserveerfüllungsperiode erfüllen. Mindestreserveguthaben werden in Höhe des Hauptrefinanzierungssatzes verzinst; Guthaben, auf Reservekonten, die das Mindestreservesoll übersteigen, werden (derzeit) zum Einlagesatz verzinst.
4.2 Geldpolitische Sondermaßnahmen
Seit Ausbruch der Finanzkrise hat das Eurosystem eine Reihe geldpolitischer Sondermaßnahmen ergriffen, die temporär angelegt sind. Im Rahmen der Offenmarktgeschäfte ist es dazu übergegangen, temporär längerfristige Refinanzierungsgeschäfte mit längeren Laufzeiten (von sechs Monaten, einem Jahr und drei Jahren) durchzuführen. Zudem begann die EZB im Juni 2014, gezielte längerfristige Refinanzierungsgeschäfte (Targeted Longer-Term Refinancing Operations) durchzuführen, bei denen den Geschäftsbanken zinsgünstige längerfristige Liquiditätshilfen gegen das Versprechen gewährt werden, ihre Kreditvergabe an die privaten Nichtbanken auszuweiten.
4.2.1 Wertpapierankaufprogramme
Im Mai 2010 beschloss das Eurosystem ein Ankaufsprogramm für private und öffentliche Wertpapiere (Security Markets Programme; SMP), das im Gesamtvolumen beschränkt war. Das Programm ermöglichte es der EZB, Anleihen am Sekundärmarkt anzukaufen; Ankäufe am Primärmarkt wurden wegen des Verbots der monetären Staatsfinanzierung nicht getätigt. Im September 2012 wurde das Programm für die Wertpapiermärkte durch Outright Monetary Transactions (OMT) abgelöst, die es dem Eurosystem erlauben, am Sekundärmarkt unbegrenzt Staatsanleihen anzukaufen. Voraussetzung für den Ankauf von Staatsanleihen im Rahmen des OMT-Programms ist, dass der betreffende Staat sich Auflagen im Rahmen eines fiskalischen Hilfsprogramms unterwirft.
Für OMTs ist vorgesehen, das durch die Wertpapierkäufe geschaffene Zentralbankgeld zu „sterilisieren“, und dem Geldmarkt (Geld- und Kapitalmarkt) dieses Geld wieder zu entziehen. Im Januar 2015 beschloss der EZB-Rat ein Programm zum Ankauf von Vermögenswerten (Quantitative Easing II), in dessen Rahmen seit März 2015 öffentliche und private Schuldtitel in Höhe von zunächst 60 Mrd. Euro pro Monat (seit April 2016: 80 Mrd. Euro monatlich) angekauft werden. Die Ankäufe sollen bis zu einem festgelegten Termin und in jedem Fall so lange erfolgen, bis die Inflationsentwicklung den Zielwert von mittelfristig unter, aber nahe 2 % p. a. erreicht hat.
4.2.2 Forward Guidance
Wie einige andere Notenbanken auch, betreibt die EZB (seit Sommer 2013) eine Forward Guidance und hat damit begonnen, die künftige Entwicklung der Leitzinsen anzukündigen, um Einfluss auf die Zinserwartungen der Marktteilnehmer zu nehmen. Dies ist darin begründet, dass die Zentralbank mittels ihres Instrumentariums direkt allenfalls die kurzfristigen Zinssätze beeinflussen kann, während die mittel- und langfristigen Zinssätze neben den aktuellen, auch von den von den Marktteilnehmern für die Zukunft erwarteten kurzfristigen Zinssätzen abhängen. Mit der Ankündigung, wie sie künftig ihre Leitzinsen setzen wird, versucht die Notenbank, die Zinserwartungen der Marktteilnehmer zu steuern. Sie beabsichtigt, damit auch die langfristigen Zinssätze zu beeinflussen, die für Investitionsentscheidungen und für längerfristige Konsumentscheidungen von großer Bedeutung sind.
5. Weitere Notenbankaufgaben
Neben ihrer Funktion als Trägerin der G. fungieren Notenbanken oftmals als Lender of Last Resort und sind in vielen Ländern mit der mikro- und makroprudenziellen Bankenaufsicht betraut, wodurch Konflikte mit ihren geldpolitischen Zielen auftreten können.
5.1 Lender of Last Resort
Als Lender of Last Resort vergeben Notenbanken während einer Finanzkrise vorübergehende Liquiditätshilfen an illiquide, aber solvente Geschäftsbanken, um einen Bank-Run oder eine Bankenpanik zu vermeiden. Eine Lender of Last Resort-Funktion ist notwendig, weil es bei hohem Kontrahenten- und Liquiditätsrisiko zu Funktionsstörungen am Interbankenmarkt kommen kann, auf dem sich Geschäftsbanken normalerweise gegenseitig Liquidität zur Verfügung stellen. Die Liquiditätshilfe kann über den Interbankenmarkt erfolgen oder sich auf dem Wege der Emergency Liquidity Assistance direkt an einzelne Banken wenden. Die Liquiditätshilfe erfolgt häufig gegen Stellung von Sicherheiten und gegen Zahlung eines Strafzinses, um zu verhindern, dass Geschäftsbanken in risikobehaftete Projekte investieren.
5.2 Mikro- und makroprudenzielle Bankenaufsicht
In vielen Ländern sind die Notenbanken auch mit der mikro- und makroprudenziellen Bankenaufsicht betraut. Im Rahmen der mikroprudenziellen Aufsicht, die einzelne Geschäftsbanken betrifft, erteilen oder entziehen sie Banklizenzen und übernehmen die laufende Überwachung und Prüfung des Betriebs von Geschäftsbanken in Hinblick auf Solidität und Sicherheit. Diese Aufgaben übernimmt auch die EZB, die im Rahmen der Europäischen Bankenunion seit November 2014 zusammen mit den nationalen kompetenten Aufsichtsbehörden die signifikanten Banken in der Eurozone überwacht. Betroffen sind v. a. Großbanken mit einer Bilanzsumme von mehr als 30 Mrd. Euro oder von mehr als 20 % des BIPs ihres Heimatlandes (und mindestens 5 Mrd. Euro). Im Rahmen der makroprudenziellen Aufsicht, die den gesamten Bankensektor betrifft, ermitteln Zentralbanken Risiken für das Finanzsystem als Gesamtheit, sprechen Warnungen vor Risiken und Fehlentwicklungen aus und leiten, falls erforderlich, Gegenmaßnahmen ein.
Kontrovers ist, ob G. und Bankenaufsicht zusammen in Händen der Notenbank liegen oder institutionell voneinander getrennt werden sollten. Für ein Zusammenlegen beider Funktionen bei der Notenbank sprechen v. a. Synergieeffekte, denn als Lender of Last Resort sollte die Notenbank finanzielle Hilfen nur an illiquide, aber solvente Geschäftsbanken vergeben und nicht an Banken mit negativem Ertragswert. Die hierfür erforderlichen Informationen über die Solvenz von nach Krediten suchenden Geschäftsbanken erhält die Notenbank zügig und unverfälscht nur, wenn sie selbst an der Bankenaufsicht beteiligt ist. Gegen die Übertragung von aufsichtsrechtlichen Funktionen auf die Notenbanken sprechen mögliche Interessenkonflikte mit der G. Möglicherweise verzichtet die Zentralbank auf eine restriktive G., die zur Erreichung von Preisniveaustabilität erforderlich ist, um die Stabilität des Finanzsektors nicht zu gefährden. Umgekehrt kann es sein, dass die Notenbank geldpolitisch notwendige Zinssenkungen unterlässt, um die Profitabilität der Geschäftsbanken nicht zu gefährden.
Literatur
E. Görgens/K. Ruckriegel/F. Seitz: Europäische Geldpolitik, 62013 • EZB: Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank, 32011 • EZB: Die Reaktion der EZB auf die Finanzkrise, in: Monatsbericht 10 (2010), 63–79 • C. E. Walsh: Monetary theory and policy, 32010 • U. Vollmer: Geld- und Währungspolitik, 2005 • X. Freixas u. a.: Lender of last resort. What have we learned since Bagehot?, in: Journal of Financial Services Research 18/1 (2004), 63–84 • C. Goodhart/D. Schoenmaker: Should the functions of monetary policy and banking supervision be separated?, in: Oxford Economic Papers 47/4 (1995), 539–560 • R. J. Barro/D. B. Gordon: A positive theory of monetary policy in a natural-rate model, in: JPE 91/4 (1983), 589–610 • W. Bagehot: Lombard Street. A description of the money market, 1873.
Empfohlene Zitierweise
U. Vollmer: Geldpolitik, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Geldpolitik (abgerufen: 25.11.2024)