Weltanschauungsgemeinschaften

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Nach Art. 140 GG/137 Abs. 7 WRV werden den Religionsgesellschaften – als „juristischer Zwilling“ (Heinig 2006: 2683) – „Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen“. Die erstmalige verfassungsrechtliche Verankerung des Topos Weltanschauung 1919 und die Gleichstellung der W. mit Religionsgesellschaften war ein wesentliches Element des Weimarer kulturpolitischen Kompromisses. Der Staat kehrte sich von der seit der Reformation bestehenden ausbalancierten, christlich-paritätischen Fundierung ab, indem er sich auch der Weltanschauung und den sie repräsentierenden „Sinngemeinschaften“ gegenüber öffnet. Im GG fand diese Tendenz in der Freiheit des weltanschaulichen Bekenntnisses (Art. 4 Abs. 1 GG; Weltanschauungsfreiheit) ebenso ihre Fortsetzung wie im beamtenverfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbot Art. 33 Abs. 3 S. 2 GG oder den sogenannten Weltanschauungsschulen als Pendant zu den Bekenntnisschulen (Art. 7 Abs. 5 GG; s. a. § 26 Abs. 4 SchulG NRW).

Der Begriff W. ist ein „säkularer Rahmen- bzw. Mantelbegriff“ (Heckel 2013: 565), der weder nach religiös-konfessionellen noch weltanschaulichen Gesichtspunkten zu interpretieren ist. Als klassisch gilt die Definition von Weltanschauung als diejenige Lehre, „welche das Weltganze universell zu begreifen und die Stellung des Menschen in der Welt zu erkennen und zu bewerten sucht“ (Anschütz 1933: 649). Im Gegensatz zur Religion, die durch die Transzendenz und den Gottesbezug geprägt wird, kennzeichnet die Weltanschauung gerade der Immanenzbezug, wenngleich beide kategoriale Prägefaktoren mittlerweile relativiert werden.

WRV und GG stellen die Begriffe Religion und Weltanschauung einerseits differenzierend gegenüber, andererseits wird diese unterscheidende Gegenüberstellung durch die verfassungsrechtliche Gleichstellung entschärft. Eine juristisch fassbare Unterscheidung zwischen beidem erscheint fast unmöglich, es wird aber angenommen, dass die Abgrenzung auch „nicht ganz offengelassen werden [kann], da die Verfassung die Differenzierung trotz der weitgehenden Gleichstellung nicht völlig eingeebnet hat“ (Heun 2000: 365). Blieb der Art. 137 Abs. 7 WRV in der Weimarer Zeit weit hinter den praktischen Erwartungen zurück, so scheint in den letzten Jahren angesichts solcher Phänomene wie „Pastafari“/„Kirche des fliegenden Spaghettimonsters“ oder den sich aus religiösen Freidenkergruppen entwickelnden Humanistischen Verbänden u. a. die grundgesetzliche „Differenznivellierung“ (Heinig 2006: 2684) fragwürdig geworden zu sein. Das Distinktionsbedürfnis wächst wieder und die Bereitschaft, im Zweifel auf das Selbstverständnis der „Überzeugungsgemeinschaft“ abzustellen, nimmt ab. Ungeachtet der Selbstbezeichnung als Kirche wird den „Pastafari“ gerichtlich attestiert, dass eine (reine) Religionsparodie weder Religion noch Weltanschauung sein kann (BbgOLG Urteil vom 2.8.2017 – Az. 4 U 84/16; s. a. LT Bbg Drs. 6/381).

Der religiös-weltanschaulich neutrale Staat darf zwar an die Definition des Rechtsbegriffs W. keine allzu hohen Erwartungen stellen, eine hinreichende Konsistenz und Geschlossenheit, die der umfassenden Sinngebungskraft von Religionen vergleichbar ist, darf er gleichwohl verlangen (BVerwGE 89, 368 [369, 371]). Nicht ausreichend ist bloß eine Vermittlung bestimmter Lebensformen oder einzelner Handlungspraktiken. Erforderlich ist eine umfassende nichtreligiöse Weltdeutung und Weltsicht, wenngleich dieser Aspekt eine „signifikante Unschärfe“ (Waldhoff 2010: 40) besitzt. Mangels allgemein anerkannter Umschreibungskriterien besteht eine gewisse „Definitionsnot“ (Hollerbach 1989: 928) des Staates. Zu beobachten ist die Tendenz bei den W., Religionen zu imitieren, indem Passagenriten (Jugendweihe u. a.), Feiertage (z. B. Evolutionstag) oder Gottesdienst- und Gebetsformen („Nudelmessen“, „Monster-unser“) konstruiert werden. Widersprüchlich wird dies, wenn die Zielsetzungen der W. hierbei zwischen hergebrachter Kirchenkritik bzw. Plädoyer für ein laizistisches System (Laizismus) und der Forderung nach paritätischer Partizipation an der bestehenden Ordnung von Staat und Religion oszillieren.

Der Umfang der verfassungsrechtlichen Gleichstellung von W. mit anderen Religionsgesellschaften ist im Ergebnis streitig. Weit überwiegend wird sie erstreckt auf die Gewährleistungsdimensionen des Art. 140 GG/137 WRV und umfasst bspw. neben der Option, den Körperschaftsstatus zu erhalten, dann auch z. B. das Steuererhebungsrecht. Einige Bundesländer haben Humanistischen Verbänden u. a. den Körperschaftsstatus nach Art. 137 Abs. 5 WRV verliehen (z. B. Berlin 2018 [ABl. HVD 2018, 39] oder Bayern 1947 dem Bund für Geistesfreiheit). Da das weltanschauliche Profil dieser Verbände als nicht ausgeprägt gilt, wird die Verleihung des Körperschaftsstatus (Körperschaft) kritisiert. In Niedersachsen erhebt der Humanistische Verband Deutschland seit 2019 eine Verbandssteuer (NdsMBl. 2018, 1193). Ob W. auch Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 GG erteilen dürfen, ist strittig (ablehnend Waldhoff: D 39 ff., 172 f.; das Beispiel Berlin ist wegen Art. 141 GG nicht verallgemeinerungsfähig und Brandenburg wegen des LER-Konflikts nach der Wiedervereinigung auch ein Spezialfall; zum weltanschaulichen Bekenntnisunterricht in Brandenburg s. LVerfG Bbg, LKV 2006, 218). Während W. § 11 Abs. 1 WPflG nicht beanspruchen können (BVerwGE 61, 152), werden sie im Strafvollzugsrecht (z.B. § 55 StVollzG, § 42 StVollzG NRW) für den Bereich Anstaltsseelsorge (Art. 140 GG/141 WRV) den Religionsgesellschaften zumindest einfachgesetzlich gleichstellt. Praktische Asymmetrien zeigen sich dann, wenn W. gegenüber anderen religiösen Akteuren mitunter sogar eine höhere Förderung erfahren (vgl. Abgeordnetenhaus von Berlin Drs. 15/11443).