Aggression

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1. Begriff und sprachliche Verwendungsweisen

Der Begriff der A. (von lateinisch aggredi – sich daranmachen, etwas zu tun; angreifen) nimmt in zahlreichen Wissenschaften eine wichtige Rolle ein, z. B. in den Neurowissenschaften, in der Verhaltensbiologie, in der Psychologie, in der Psychiatrie, in der Kriminologie, in der Soziologie, in der Politikwissenschaft und in der Philosophie. Im Rahmen eines interdisziplinären Ansatzes in der A.s-Forschung kann A. „als Ensemble von Mechanismen […], um sich gegen andere mit schädigenden Mitteln zu behaupten oder durchzusetzen“, verstanden werden (Wahl 2009: 2). Sie ist eine biologisch-evolutionäre Grundgegebenheit von Lebewesen. „Aggressivität“ bezeichnet „das individuelle Potenzial für aggressives Verhalten“ (Wahl 2009: 10). Ein solcher Begriff der A. soll eine wertneutrale empirische Forschung ermöglichen. Stimmen mehrere Lebewesen in ihrer A. überein, sodass die A. von einem Kollektiv getragen wird, kann man von kollektiver A. sprechen. A. wird zumeist als Form von Gewalt aufgefasst. Gewalt kann aber auch als bes. Form von A. verstanden werden, nämlich als jene, die in einem normativ geprägten sozialen Feld stattfindet.

Alltagssprachlich wird bei menschlicher A. der Begriff nicht wertneutral als „Beobachtungsbegriff“ (Tedeschi 2002: 581) gebraucht. Aus einer Perspektive, die u. a. für ethische Überlegungen zweckmäßig sein könnte, kann folgender begrifflicher Zusammenhang versucht werden: A. ist eine Möglichkeit menschlichen Vollzugs. A. und Aggressivität sind einerseits Substantivierungen des Adjektivs „aggressiv“, das wir von Handlungen und Handlungssubjekten (Handlungstheorie) prädizieren können. Andererseits wird unter A. eine bes. Form der Bedrohung verstanden. Bedrohung ist eine bes. Form der Gefahr. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie als Gefahr von einem Menschen ausgeht, der einen oder mehrere andere Menschen bedroht. A. zeichnet sich dadurch aus, dass die Bedrohung, die von einem Menschen gegenüber anderen Menschen ausgeht, absichtlich erfolgt. Absichten sind empirisch undurchsichtig. Sie von außen zu erkennen, erfordert eine Beurteilung und Interpretation des Handlungskontexts. Eine Bedrohung oder eine Gefahr besteht im Hinblick auf ein bestimmtes Gut (bspw. Leben oder Gesundheit). Bedrohung heißt in dieser Hinsicht, dass das Gut mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit untergehen wird, wenn nichts dagegen unternommen wird. Da der A. also (zumeist) eine Schädigungsabsicht zugrunde liegt, ist sie gemeinhin normverletzend. Zum Schutz des bedrohten Gutes und zum Schutz der Norm kann daher verteidigend gegen die A. vorgegangen werden (Notwehr, Nothilfe).

2. Sozialpsychologie

Bes. Bedeutung haben im 20. Jh. sozialpsychologische Theorien der A. erlangt, nicht zuletzt aufgrund ihrer Verheißung, präventiv oder kurativ gegen zwischenmenschliche A. vorgehen zu können. Insb. die sog.e Frustrations-A.s-Hypothese, dass nämlich a) „aggressives Verhalten […] immer eine Folge von Frustration“ sei, und b) „Frustration […] immer zu irgendeiner Form von Aggression“ führe (Baumeister/Bushman 2002: 599), hat die Forschung stark angeregt, aber auch Kritik herausgefordert. Andere psychologische Schulen betonen das Erlernen von aggressivem Verhalten oder stellen auf Zusammenhänge zwischen Emotionen und A. ab. Insgesamt scheint die psychologische Erforschung von A. ein sehr diverses Bild zu ergeben, das es schwer macht, eine zentrale Ursache für A. auszumachen. Aggressionshemmende Maßnahmen müssen daher auf verschiedenen Ebenen ansetzen. Beim Menschen ist eine angemessene Beschreibung der Entwicklung und der Ausprägungen von A. nur möglich, wenn seine kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten einbezogen werden. Interpersonale A. kann durch wechselseitige A.s-Wahrnehmung eine Tendenz zur Eskalation zeigen („A.s-Spirale“) – v. a. dann, wenn in einem zirkulären Kommunikationsprozess jeweils dem Opfer eigener Aggressivität die Rolle des Aggressors zugeschrieben wird. Dies trifft ebenso auf die wechselseitige Wahrnehmung und das Handeln von Kollektiven zu und liefert dadurch ein mögliches Element in der Kriegsursachenforschung und für Wettrüsten.

3. Politik/Völkerrecht

In politischer Hinsicht wird der Ausdruck A. im Zusammenhang mit kriegerischer Gewalt (Krieg) gebraucht. Für Michael Walzer bezeichnet A. „das Verbrechen des Krieges“ als solches und ist ein „Verbrechen, das Staaten gegenüber anderen Staaten begehen können“ (Walzer 1982: 89).

Eine völkerrechtliche Definition (Völkerrecht) von A. erarbeitete die Generalversammlung der UNO im Jahr 1974 in der Anlage zur Resolution 3314: „A. ist die Anwendung von Waffengewalt durch einen Staat, die gegen die Souveränität, die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines anderen Staates gerichtet oder sonst mit der Charta der Vereinten Nationen unvereinbar ist“ (Art. 1). „Der Begriff der Angriffshandlung“ erfasst damit „auch solche Akte, die nach Intensität und Ausmaß hinter Kriegen zurückbleiben“ (Werle 2012: 617). Das unterscheidet jedoch den durch einen Staat verübten Akt der A. vom A.s-Verbrechen, für das Individuen belangt werden können. Zwar hatte man bereits im Römischen Statut von 1998 „das Verbrechen der A.“ neben Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen als völkerstrafrechtlichen Tatbestand aufgeführt (Völkerstrafrecht), auf eine inhaltliche Bestimmung einigte man sich jedoch erst in Kampala im Jahr 2010. Gemäß Art. 8 IStGH-Statut bedeutet „Verbrechen der A.“ „die Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Ausführung einer Angriffshandlung, die ihrer Art, ihrer Schwere und ihrem Umfang nach eine offenkundige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen darstellt, durch eine Person, die tatsächlich in der Lage ist, das politische oder militärische Handeln eines Staates zu kontrollieren oder zu lenken.“ Unter Aufgriff der Definitionselemente aus der Resolution 3314 bedeutet „‚Angriffshandlung‘ die gegen die Souveränität, die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit der Charta der vereinten Nationen unvereinbare Anwendung von Waffengewalt durch einen anderen Staat.“ Zwei Elemente sind hervorzuheben: a) Das Verbrechen der A. ist ein Führungsverbrechen, dessen sich nur Personen strafbar machen können, „die in der Lage sind, einen beherrschenden Einfluss auf die Politik des Aggressorstaats auszuüben“ (Kreß/Holtzendorff 2010: 263). Eine Beihilfestrafbarkeit, bspw. für einfache Soldaten, besteht nicht. b) Damit eine A.s-Handlung als ein A.s-Verbrechen qualifiziert werden kann, muss eine „offenkundige“ Verletzung der UN-Charta (insb. Art. 2 Nr. 2) vorliegen. Diese Schwellenklausel soll dafür sorgen, dass Gewaltanwendung, die sich in einer völkerrechtlichen „Grauzone“ bewegt – wie bspw. präventive Selbstverteidigung oder auch (humanitäre Intervention) –, nicht als Tatbestand erfasst ist. Grundsätzlich können der UN-Sicherheitsrat, ein Vertragsstaat und der Chefankläger des IStGH ein Strafverfahren auf den Weg bringen. In den beiden letztgenannten Fällen bestehen indes hohe prozedurale Hürden.