Risiko

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  1. I. Konzept und Umsetzung im Regulierungsprozess
  2. II. Akzeptabilität aus sozialethischer Sicht
  3. III. Rechtswissenschaftliche Perspektive

I. Konzept und Umsetzung im Regulierungsprozess

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Die Beschäftigung mit Risiken (R.en) setzt ein Mindestmaß an Gestaltbarkeit der Zukunft und damit Vermeidbarkeit von unerwünschten Ereignissen durch vorsorgendes Handeln voraus. Das R.-Konzept beruht maßgeblich auf der Annahme, dass R.en mentale Konstrukte, also Produkte des menschlichen Geistes sind. R.en entstehen wie andere sinnbezogene Konzepte auch als Bestandteil menschlicher Erfahrung im Alltagshandeln. Im Gegensatz zur konstruktivistischen Sichtweise von R.en als mentale Vorstellung sind die Auswirkungen des Schadensfalls real und intersubjektiv nachprüfbar. Diese Manifestationen von R.en sind in dem Sinne wirklich, als Menschen, Umwelt oder wertgeschätzte Güter zu Schaden kommen. Schadensfälle erlangen aber erst in dem Maße Einfluss auf die soziale Welt, wie über sie kommuniziert wird und sie dadurch Eingang in die kognitive Wahrnehmung von Individuen finden.

1. Risikokonzepte in den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen

R. erweist sich in den verschiedenen Disziplinen als ausgesprochen schillernder Begriff. Die Berechnung von R.en als Funktion von Eintrittswahrscheinlichkeiten bzw. relativen Häufigkeiten und dem dazu korrespondierenden Schadensumfang gehört ohne Zweifel in die Domäne der Naturwissenschaften, Medizin und angewandten Mathematik sowie deren Anwendung in Sicherheitstechnik und Versicherungswesen. Die Reaktionen der Menschen auf riskante Situationen sind wiederum zentraler Untersuchungsgegenstand der Psychologie, Anthropologie und der Sozialwissenschaften. Wie Organisationen, Steuerungssysteme und ganze Gesellschaften R.en regeln und institutionelle Verfahren der Regulierung ausbilden, wird von den Disziplinen der Politikwissenschaft, der Rechtskunde und der Soziologie näher analysiert. Um zu entscheiden, welche Maßnahmen zur R.-Reduktion angebracht und effizient sind, geben die Wirtschaftswissenschaften Anleitung. Die Umsetzung der Maßnahmen in aktive Sicherheitssysteme setzt wiederum Kenntnisse der Ingenieurwissenschaften, der Ergonomie und der Organisationslehre voraus. Kurzum, es gibt keine Disziplin, die nicht zum Thema R. direkt angesprochen wäre. Darüber hinaus ist R. sowohl ein spannendes theoretisches Thema, das bis in die Grundlagen der Philosophie und der Anthropologie hineinreicht, wie auch ein zutiefst praktisches Anliegen, denn der richtige Umgang mit R.en kann Menschenleben retten, Krankheiten verhindern und unser Leben sicherer machen.

2. Die Risikogesellschaft nach Ulrich Beck

Nicht ohne Grund hat der Soziologe Ulrich Beck unsere moderne Gesellschaft als „Risikogesellschaft“ bezeichnet (Beck 1986), denn das Thema hat in der öffentlichen und veröffentlichten Meinung eine erstaunliche Karriere gemacht: Obwohl Gefährdungen der menschlichen Gesundheit und der Umwelt durch natürliche oder technische Ereignisse zu allen Zeiten bestanden haben, ist R. erst in jüngster Zeit zu einem Dauerbrenner der aktuellen Debatte um Technik, Lebensstil und Moderne geworden. Mit der Verbesserung der Prognosefähigkeit (Prognose) und der zunehmenden moralischen Selbstverpflichtung der modernen Gesellschaft, R.en zu begrenzen, wachsen die Ansprüche der Bürger an gesellschaftliche Gruppen und v. a. an politische Entscheidungsträger, die Zukunft aktiv zu gestalten und antizipativ auf mögliche Gefährdungen durch die natürliche und technische Umwelt zu reagieren.

3. Vom Risikokonzept zur Risiko-Steuerung (Governance)

Um diesem Anliegen nach genauer Erfassung und effektiver Regelung von R.en Rechnung zu tragen, hat der IRGC im Jahre 2005 einen Prototyp einer R.-Regulierungskette (Risk Governance Cycle) entworfen. Ausgehend von der Analyse von rund 50 offiziellen Dokumenten zu Analyse, Bewertung und Management von R.en wurde ein vierstufiges Verfahren entwickelt, das alle wesentlichen Aspekte eines effektiven und gegenüber den Anliegen der Öffentlichkeit sensiblen Umgangs mit R.en umfasst. Ziel der IRGC-Veröffentlichung war zum einen, die oft verwirrenden Begrifflichkeiten in der Erforschung und Regulierung von R.en in ein konsistentes terminologisches Gerüst zu bringen und zum anderen eine Art Evaluierungsinstrument (Evaluation) für eine vollständige, effektive, effiziente und sozial verträgliche Steuerung durch private und öffentliche Institutionen zur R.-Abschätzung und zum R.-Management zur Verfügung zu stellen.

Das IRGC-Risikosteuerungsmodell ist in vier Phasen aufgeteilt. In einem idealisierten Ablauf des Steuerungsprozesses steht an erster Stelle das sog.e Pre-Assessment, im Deutschen auch oft Vorphase genannt. Hier geht es um die Rahmenbedingungen für die Abschätzung und Bewertung von R.en. Die zweite Phase ist der wissenschaftlichen Erfassung der R.en (risk appraisal) gewidmet. Dabei wird zwischen der Abschätzung (risk assessment) und der Wahrnehmung von R.en (concern assessment) unterschieden. Auf Grundlage dieser Unterscheidung sollen die physischen R.en wie auch die mit dem R. verbundenen Anliegen der Bevölkerung nach den besten wissenschaftlichen Methoden analysiert und, wo möglich, quantifiziert werden. Bes. schwierig ist drittens die Einbeziehung von Unsicherheiten in die Abschätzung von R.en. Kennt man die stochastische Verteilung der Folgen, können die ermittelten Wahrscheinlichkeiten als Gewichtungen für die Folgenanalyse einbezogen werden. Bei noch unbekannten oder schwer kalkulierbaren R.en ist das nicht möglich. Hier können Bewertungen aufgrund von subjektiven Einstellungen gegenüber unsicheren Folgen getroffen werden. Bei vielen, v. a. unsicheren Folgen ist eine Quantifizierung kaum durchzuführen. Hier ist man auf die Bildung von plausiblen Szenarien angewiesen. Die vierte Phase betrifft das R.-Management. Es geht um die Auswahl von Maßnahmen oder Strategien, um ein nicht tolerierbares R. zu vermeiden, bzw. so weit zu reduzieren, dass es als akzeptabel gelten kann. Der IRGC setzt hier auf entscheidungsanalytische Methoden zur Maßnahmenauswahl.

Alle vier Phasen sind durch intensive Kommunikation geprägt. Anders als dies noch in älteren Anleitungen empfohlen wird (etwa: National Research Council 1983), sieht der IRGC die Kommunikation als einen kontinuierlich verlaufenden Prozess an, der von der Vorphase bis zum Management andauert. Frühzeitige und umfassende Kommunikation über R.en gilt nicht nur als demokratisches Postulat, sondern bereichert auch den Managementprozess und ermöglicht eine Kopplung von effektiver Steuerung und fairer Beschlussfassung.

4. Schlussfolgerungen

Das IRGC-Modell, das hier skizziert wurde, bezieht die physischen wie die gesellschaftlichen Dimensionen von R. in das Steuerungsmodell ein. Es erweitert die technisch-naturwissenschaftliche Analyse um gesellschaftliche Werte, Anliegen und Wahrnehmungen. Diese sind häufig genauso wichtig für die Ermittlung, das Verständnis und das Management von R.en und müssen daher mit berücksichtigt werden. Der IRGC-Ansatz setzt auf einen frühzeitigen, offenen und konstruktiven Dialog mit der Bevölkerung. Dabei gehört zur gegenseitigen Vertrauensbildung auch die Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, Vor- und Nachteile einer jeden Handlungsoption ungeschminkt darzustellen.

II. Akzeptabilität aus sozialethischer Sicht

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Bei der ethischen R.-Bewertung geht es um die Bestimmung der individuellen und kollektiven Akzeptabilität eines gegebenen R.s. Dabei müssen in einer pluralistischen Gesellschaft (Pluralismus) unterschiedliche Sichtweisen zu einem Gesamturteil zusammengefügt werden, es sei denn, man kann die riskante Handlung vollständig auf individuelle Anwendungen und Wirkungen begrenzen. Dann fallen Nutzen und R. bei der gleichen Person ohne Ausstrahlung auf andere Personen zusammen. Treten aber bei Risiken (R.en) Auswirkungen auf Dritte (Externe Effekte) auf oder kann der Einzelne die Höhe des R.s aus eigener Kraft nicht steuern, sind kollektive Urteile notwendig, die in einer demokratischen Gesellschaft öffentlich legitimiert (Legitimität) werden müssen. Regulierungsbehörden müssen ethisch begründete Kriterien dafür angeben, nach welchen Maßstäben die Akzeptabilität eingestuft und bewertet werden soll.

Im Mittelpunkt steht dabei die Auswahl einer Handlungsoption aus der Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten, die beim Vorliegen eines R.s zur Entscheidung anstehen. Beim Abwägen der Vor- und Nachteile von verschiedenen Handlungsmöglichkeiten unter Unsicherheit haben sich entscheidungsanalytische Verfahren (Entscheidung) bewährt. Durch sie werden R.en und Nutzen systematisch und explizit bewertet. Sie zeichnen sich durch eine geregelte Vorgehensweise aus, die für ein rationales und nachvollziehbares Abwägen sinnvoll und notwendig sind. Diese Regeln einzuhalten bedeutet jedoch nicht, sich auf eine bestimmte R.-Höhe oder einen bestimmten Grenzwert definitiv festzulegen, zumal es dazu keinen „automatischen“ Algorithmus gibt. R.en werden immer auch nach subjektiven Gesichtspunkten als akzeptabel oder nicht akzeptabel eingestuft.

1. Entscheidungsanalytische Vorgehensweise

Der entscheidungsanalytische Ansatz erfolgt in drei Schritten:

a) Festlegen von Zielen, die dem Schutz von Leben, Gesundheit, Vermögen, Kulturwerten und Umwelt dienen und es weiterhin ermöglichen, gesellschaftliche Chancen effektiv zu nutzen;

b) Wissenschaftliche Abschätzung der Folgen, die sich beim Verwirklichen dieser Ziele ergeben können;

c) Abwägen zwischen dem zu erwartenden Nutzen und möglichen Schaden, der zu befürchten, bzw. dem Aufwand, der zu erbringen ist, um das R. zu reduzieren.

Als erster Schritt müssen die Ziele und Kriterien festgelegt werden, anhand derer man R.en beurteilen und v. a. Reduktionsmaßnahmen bewerten kann.

Der nächste Schritt ist die möglichst quantitative Abschätzung der Konsequenzen, die sich durch die einzelnen Regulationsmöglichkeiten ergeben. Für jedes Kriterium ist zu bestimmen, welche Folgen Grenzwerte, Abgaben, freiwillige Vereinbarungen aber auch der Verzicht auf politische Maßnahmen haben. Wird das gesteckte Ziel grundsätzlich erreicht? Wie effektiv sind die eingesetzten Mittel? Welche Nebenwirkungen treten auf?

Der dritte Schritt ist das Abwägen zwischen Nutzen und Schaden, bzw. R. Dafür müssen die in den Profilen vorliegenden natürlichen Einheiten in sog.e Nutzeneinheiten umgewandelt werden. Theoretisch muss der Entscheidungsträger die Messwerte in Nutzenwerte umwandeln. Bei mehreren Entscheidungsträgern – was meist Realität ist – wird dies schwierig, weil jeder die Nutzenwerte subjektiv anders zuweist und auch die Nutzengewinne bzw. -verluste anders interpretiert. Hier bieten sich diskursive und partizipative (Partizipation) Verfahren an, bei denen die notwendigen relativen Gewichtungen der Nutzen- und R.-Aspekte deliberativ, d. h. im Konsens der betroffenen Gruppen, getroffen werden.

2. Ethische Bewertung

Ob ein R. akzeptabel ist oder nicht, lässt sich also nicht aus den Profilen für Nutzen und R. einer geplanten Aktivität oder einer technischen Anlage logisch ableiten. Vielmehr müssen die Vor- und Nachteile in einen Abwägungsprozess eingebunden werden. Eine solche Abwägung erfordert Kriterien und Prinzipien. So kann es mögliche Auswirkungen geben, die unabhängig von allen anderen Wirkungen als inakzeptabel erscheinen (etwa ein erheblich erhöhtes Todes-R. für unbeteiligte Personen). Andere negative Auswirkungen lassen sich dagegen mit positiven Wirkungen ausgleichen (kompensatorische Folgen). Um einen solchen Ausgleich vornehmen zu können, ist eine relative Gewichtung der jeweiligen Auswirkungstypen notwendig. Bspw.: Wie hoch darf ein Erkrankungs-R. durch die Eingabe eines Impfstoffes sein im Vergleich zu der Verringerung des R.s, durch die Impfung die damit verbundene Krankheit (etwa Masern) zu vermeiden? Relative Gewichte beruhen auf moralischen Urteilen über Prioritäten und vorrangige Prinzipien, die trotz subjektiver Anteile auf Konsistenz, Kohärenz und Relevanz zu überprüfen sind.

3. Zusammenfassung

R.en erfordern sowohl Strategien der wissenschaftlichen Erfassung und – wenn möglich– Quantifizierung wie auch der Bewusstseins- und Vertrauensbildung in die Instanzen und Institutionen, die für das R.-Management zuständig sind. Ziel ist es, relevante Akteure in die Lage zu versetzen, R.en zu erkennen und nach Maßgabe der innerhalb einer Organisation oder Gesellschaft vereinbarten Schutzziele zu reduzieren.

Dabei ist die R.-Analyse ein geeignetes und wichtiges Mittel zur Verringerung der verbleibenden Ungewissheiten. Aufklärung über Fakten ist jedoch nicht ausreichend. Notwendig ist eine transparente entscheidungsanalytische Gegenüberstellung von Nutzen und R.en. Bei diesem Urteil müssen auch die Betroffenen einbezogen werden, so dass die verbleibenden Ungewissheiten und Mehrdeutigkeiten in einem diskursiven Verfahren interpretiert und in entspr.e Handlungsanweisungen überführt werden.

III. Rechtswissenschaftliche Perspektive

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1. Begriffliche Vielschichtigkeit

Ungeachtet vielfältiger Konkretisierungsbemühungen hat sich der R.-Begriff die ihm eigene Ambivalenz erhalten. Etymologisch auf griechische oder auch arabische Ursprünge rückführbar, verbinden sich bereits in dem Begriff selbst die gegenpoligen Ausgangsmöglichkeiten eines Geschehens: einerseits die Aussicht auf hohe Chancen, andererseits aber auch die Möglichkeit erheblicher Schäden. Diese Offenheit und Ambiguität macht den Begriff adaptabel für unterschiedliche Lebenssachverhalte, die von der Kernenergie über Gen- und Nanotechnik, Mobilfunkstrahlen, neue medizinische und pharmazeutische Entwicklungen, die selbstlernende und mit nicht vorhandenen oder probabilistischen Informationen umgehende künstliche Intelligenz bis zum Klimawandel reichen, aber auch systemische Krisen des Finanzmarktes (Finanzmarktkrise) umfassen. Dementsprechend ist auch die Verwendung des R.-Begriffs keineswegs auf rechtliche Fragestellungen beschränkt, vielmehr prägen verschiedene Disziplinen je eigene Verständnisperspektiven (s. o. I. und II.).

2. Risiko im Rechtssinn

Die rechtliche Perspektive ist keineswegs gänzlich frei. Der verfassungsrechtliche Rahmen wird durch das Spannungsverhältnis von grundrechtlichen Abwehrrechten mit dem Übermaßverbot, insb. hinsichtlich der Berufs- und Wissenschaftsfreiheit, auf der einen und den grundrechtlichen Schutzpflichten mit dem Untermaßverbot, insb. hinsichtlich Leben und Gesundheit, auf der anderen Seite bestimmt. Zudem gilt es, das R. vom klassischen, das Polizeirecht prägenden Begriff der Gefahr abzugrenzen, die weitgehend einhellig als eine Lage verstanden wird, in der bei ungehindertem Geschehensablauf ein Zustand oder ein Verhalten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden führen würde. Mit dem naturwissenschaftlichen und technischen Fortschritt entstanden zunehmend Situationen, die sich mithilfe dieses traditionellen Instrumentariums nicht mehr angemessen erfassen ließen, weil sie durch eine hohe Ungewissheit hinsichtlich des möglichen Schadens oder seiner Eintrittswahrscheinlichkeit gekennzeichnet sind. Hierunter fallen sowohl Schäden mit einer äußerst geringen Wahrscheinlichkeit, aber katastrophal hohem Schadensausmaß als auch zeitlich oder räumlich weit entfernt liegende Gefährdungen mit ungeklärten Kausalzusammenhängen oder die Kumulation vieler, im Einzelnen unbedeutender, in der Summe aber bedenklicher Beeinträchtigungen. Diese durch Nichtwissen und Unbestimmbarkeit gekennzeichneten Situationen wurden mit dem Begriff R. erfasst – prägend wurde seine Charakterisierung als „Gefahr einer Fehleinschätzung der Gefahr“ (Scherzberg 1993: 498).

3. Konstruktionen

Angesichts der Schwierigkeit einer präzisen Abgrenzung gegenüber dem traditionellen Gefahrverständnis wird um die dogmatische Einhegung des R.-Begriffs bis heute gerungen. Mit Blick nicht zuletzt auf den Immissionsschutz ist eine dreigeteilte Unterscheidung zwischen klassischer Gefahrenabwehr, im Vorfeld ansetzender R.-Vorsorge und der Akzeptanz eines theoretisch zwar denkbaren, praktisch aber ausgeschlossenen Rest-R.s entwickelt worden (Rüdiger Breuer). Dem ist unter Bezug auf die Kernenergie und ihre bes. hohe Schadensintensität, deren Verwirklichung es unbedingt zu vermeiden gilt, ein zweistufiges Konzept gegenübergestellt worden, das das R., verstanden als Möglichkeit eines Schadenseintritts, zum Oberbegriff erhebt, innerhalb dessen die Gefahr nur noch einen, wenn auch speziellen Unterfall bildet (BVerfGE 49, 89, 139; Dietrich Murswiek; Michael Kloepfer). Ergänzt werden diese bereichsspezifischen Differenzierungen (zu weiteren R.-Typen s. BT-Drs. 14/3285) um weitere rechtstheoretische Diskussionen wie auch verwaltungsrechtliche Untersuchungen. Die Bedeutung des Experiments und der Erfahrung für die menschliche Erkenntnis betonend wird darauf hingewiesen, dass allein mit theoretischen Mitteln Gewissheit nicht erreicht werden könne, sowie vor einer Naturalisierung wie auch Vergesellschaftung von Risiken gewarnt (Oliver Lepsius). An die Veränderungen des naturwissenschaftlichen Weltbildes und die Entwicklung moderner Technologien anknüpfend wird ein netzwerkorientiertes R.-Verständnis gefordert, das auf dem Umgang mit Variablen, Revidierbarkeit und einer „Logik des Provisorischen“ basieren soll (so Karl-Heinz Ladeur; Arno Scherzberg; anders Karsten Schneider). Komplementär hierzu entwickelt Udo Di Fabio in sorgfältigen Analysen des Sicherheitsrechts ein kohärentes verwaltungsrechtliches System zur Bewältigung von R.-Sachlagen, das durch administrative Beurteilungsspielräume, die Nutzung vorläufiger Verwaltungsakte, die Notwendigkeit einer Nutzen-R.-Bilanz wie auch die Einbindung externen Sachverstandes und Beibringungspflichten des Antragstellers geprägt wird. Ein die verwaltungsrechtliche Analyse mit dem rechtstheoretischen Hintergrund verbindender Ansatz konstruiert den traditionellen Gefahrbegriff unter Bezug auf Ralf Poscher anhand des objektiven Wissenshorizontes eines idealen Beobachters, dem das gesamte Weltwissen zur Verfügung steht und der aufgrund dieser Basis die klassischen polizeirechtlichen Sachlagen adäquat beurteilen kann. Diesem wird ein normativ-subjektiv gefasstes R.-Verständnis gegenübergestellt, das durch die naturwissenschaftlich begründeten Grenzen eben dieses Weltwissens gekennzeichnet ist und verwaltungsrechtlich komplexe Entscheidungsprozesse unter Einbeziehung fremdgenerierten Wissens sowie vorausschauenden Agierens erfordert (Liv Jaeckel).

4. Ausblick

Die begriffliche Ambivalenz und das Ringen um die dogmatische Einordnung setzen sich in der Diskussion um die nähere Handhabung und die weiteren Folgen fort. Während einerseits mehr Partizipation gefordert und – freilich bezogen auf das überaus hohe Schadensausmaß im Atomrecht – die Frage aufgeworfen wird, ob die vom BVerfG aufgestellten Grundsätze zum hinzunehmenden Rest-R. noch vertretbar sind, wird andererseits – insb. zum Lebensmittel- und Gentechnikrecht – unter Bezugnahme auf das Übermaßverbot vor einer Überdehnung des R.-Begriffs und des Vorsorgeprinzips durch eine „Heuristik der Furcht“ (Bickenbach 2015: 191) und einem reinen „Gefühlsschutz“ (Meyer 2015) gewarnt. In struktureller Hinsicht wird der anglo-amerikanische Risk-Based Approach diskutiert, wobei einerseits der Wert einer an Rationalität und nachvollziehbarer Begründung orientierten R.-Regulierung hervorgehoben, aber entgegen gewisser Tendenzen des Risk-Based Approach auch auf die Bedeutung einer wertenden Abwägung anhand der Gesetzeszwecke bei verbleibender Ungewissheit hingewiesen wird (Ivo Appel/Sebastian Mielke). In der Tat wird sich angesichts der Vielfalt der Lebenssachverhalte eine angemessene Bewältigung zwar auf der Basis allg.er Strukturen, aber letztlich nur unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Regelungsmaterie erreichen lassen, um einerseits legitimen, auf tatsächliche Anhaltspunkte gestützten Schutzinteressen Rechnung zu tragen, andererseits aber Innovationen nicht zu behindern.