Sexualdelikte

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1. Begriff und Schutzgut

Unter S.n werden nur die im 13. Abschnitt des StGB normierten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184j StGB) verstanden. Dies schließt nicht aus, dass andere Delikte – wie insb. die Vorschriften über den Menschenhandel in §§ 232 ff. StGB, die etwa in § 232a Abs. 6 StGB eine Freierstrafbarkeit für Fälle von Zwangsprostitution vorsehen – einen nicht unerheblichen Bezug zu den S.n aufweisen. Zentrales Schutzgut des 13. Abschnitts ist das von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete Recht auf sexuelle Selbstbestimmung als Ausprägung des allg.en Persönlichkeitsrechts. Dabei geht es nach moderner Auffassung weder um den Schutz der positiven freien Entfaltung der Sexualität und der sexuellen Betätigung noch um die Sittlichkeit oder gar Unmoral des Verhaltens, sondern um das Abwehrrecht des Einzelnen, nicht gegen seinen Willen zum Objekt sexuellen Begehrens anderer gemacht zu werden. Bei einzelnen Delikten können spezielle Ausprägungen dieses Schutzguts bedeutsam werden oder weitere Schutzgüter hinzutreten. Dies gilt insb. für Straftatbestände, die sexuelle Handlungen mit Kindern und Jugendlichen unter Strafe stellen, bei denen es auch um den Schutz der ungestörten sexuellen Entwicklung Minderjähriger vor Beeinträchtigungen ihrer Gesamtentwicklung geht.

2. Zentraler Bezugspunkt der Straftatbestände

Die S. knüpfen überwiegend an eine „sexuelle Handlung“ an, die in § 184h StGB freilich nur rudimentär legaldefiniert wird. Eine sexuelle Handlung erfordert stets, dass diese objektiv, d. h. nach ihrem äußeren Erscheinungsbild, einen Sexualbezug aufweist, so dass allein die subjektive Intention des Täters grundsätzlich nicht geeignet ist, die Strafbarkeit zu begründen. Hingegen ist bei Handlungen, die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild ambivalent sind, zusätzlich erforderlich, dass sie durch die Absicht motiviert sind, eigene oder fremde sexuelle Interessen zu befriedigen. Ferner sind nach § 184h Nr. 1 StGB sexuelle Handlungen nur solche, die im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind. Durch das Erfordernis der Erheblichkeit sollen angesichts der hohen Strafandrohungen der Tatbestände des Sexualstrafrechts Bagatellhandlungen ausgeklammert werden. Die Erheblichkeit ist nicht generell, sondern stets tatbestandsbezogen zu bestimmen, so dass etwa bei Tatbeständen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen grundsätzlich geringere Anforderungen zu stellen sind.

Zu unterscheiden sind bei einzelnen Delikten ferner sexuelle Handlungen mit und ohne Körperbezug, d. h. sexuelle Handlungen „an“ und „vor“ einem anderen. Bei Handlungen mit Körperbezug ist weiter zwischen Fällen zu differenzieren, in denen der Täter aktiv sexuelle Handlungen am Opfer vornimmt, und Handlungen, die das Opfer vornimmt; im letzteren Fall ist weiter danach zu unterscheiden, ob der Täter diese Handlungen an sich vornehmen lässt oder ob er das Opfer dazu bestimmt, sie an ihm bzw. einem Dritten vorzunehmen. Bei sexuellen Handlungen vor einer anderen Person kommt es nach § 184h Nr. 2 StGB maßgeblich auf die Wahrnehmung durch eine andere Person an, so dass auch Videoübertragungen erfasst sind.

3. Systematik des 13. Abschnitts des StGB

Der 13. Abschnitt des StGB lässt sich in verschiedene Deliktsbereiche unterteilen, wenngleich es an einer strukturierten Reihenfolge mangelt und insoweit Reformbedarf angemahnt wird (Abschlussbericht Reformkommission Sexualstrafrecht 2017: 180 ff.). In §§ 174 bis 174c StGB ist zunächst der sexuelle Missbrauch in bestimmten Institutionen und Anvertrauensverhältnissen wie z. B. der der Schule, Justizvollzugsanstalten oder Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsverhältnissen geregelt, in denen die Abwehrmöglichkeiten gegen Missbrauch eingeschränkt sind. Der sexuelle Missbrauch von Minderjährigen ist verstreut in §§ 174, 176 bis 176b, 180 und 182 StGB unter Strafe gestellt. Sexuelle Handlungen mit Kindern, d. h. Personen unter 14 Jahren, sind dabei strafbar, ohne dass weitere Merkmale hinzutreten müssen. Hingegen sind sexuelle Handlungen mit Jugendlichen nur unter bestimmten Voraussetzungen strafbar, wie etwa bei Ausnutzung einer Zwangslage oder bei fehlender Fähigkeit des Opfers gegenüber dem Täter zur sexuellen Selbstbestimmung. Seit dem 50. StrÄndG v. 4.11.2016 regelt § 177 StGB als zentraler Straftatbestand den sexuellen Übergriff, die sexuelle Nötigung sowie die Vergewaltigung (dazu sogleich 4.2). Straftaten im Zusammenhang mit Prostitution, insb. Ausbeutung von Prostituierten und Zuhälterei, sind in §§ 180, 180a, 181a, 182, 184f und 184g StGB enthalten. Pornografiedelikte sind in §§ 184 bis 184e StGB unter Strafe gestellt, wobei der praktische Schwerpunkt im Bereich der Kinderpornografie via Internet liegt. Hinzu kommen Straftaten, die Belästigungen zum Gegenstand haben. Hierzu gehört neben §§ 183, 183a StGB nunmehr auch die mit dem 50. StrÄndG eingeführte Vorschrift der sexuellen Belästigung (§ 184i StGB), die Verhaltensweisen erfassen soll, bei denen – mangels Erheblichkeit für das geschützte Rechtsgut – die Anforderungen des § 184h Nr. 1 StGB nicht erfüllt sind, so dass keine sexuelle Handlung vorliegt. Systematisch und verfassungsrechtlich bedenklich im Hinblick auf das Schuldprinzip ist die ebenfalls mit dem 50. StrÄndG geschaffene Vorschrift des § 184j StGB, welche Straftaten aus Gruppen pönalisiert und de facto einem Gruppenmitglied die Sexualstraftat eines anderen Gruppenmitglieds zurechnet.

4. Kriminalpolitisch bedeutsame Entwicklungen

Während das 4. StrReformG v. 23.11.1973 zu einer erheblichen Einschränkung der Strafbarkeit und damit zu einer Liberalisierung des Sexualstrafrechts führte, ist spätestens seit dem 33. StrÄndG v. 1.7.1997 wieder eine deutliche Tendenz zur Pönalisierung und Strafschärfung eingetreten, die in jüngerer Zeit zumindest teilweise auf Vorgaben der EU beruht. Aufgrund der zahlreichen Änderungen der vergangenen Jahre ist das Sexualstrafrecht insgesamt stark zersplittert, unübersichtlich und in größeren Teilen auch widersprüchlich. Daher hat eine vom Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz eingesetzte Reformkommission in ihrem im Jahr 2017 vorgelegten Abschlussbericht die gesamte Überarbeitung des 13. Abschnitts empfohlen. Die beiden zentralen Bereiche aktueller Diskussionen sind neben dem Prostitutionsstrafrecht, das vornehmlich einer Angleichung an die gewerberechtlichen Regelungen des Prostituiertenschutzgesetzes bedarf, das Pornografiestrafrecht sowie die Regelungen in § 177 StGB.

4.1 Pornografiestrafrecht

Nachdem bereits zuvor der Besitz von Kinderpornografie sowie aufgrund europäischer Vorgaben in § 184c StGB auch derjenige von Jugendpornografie, d. h. pornografischen Aufnahmen von Personen zwischen 14 und 18 Jahren, unter Strafe gestellt wurde, hat das 49. StrÄndG, das u. a. der Umsetzung der Richtlinie 2011/93/EU zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie dient, als Reaktion auf den Skandal um den Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy auch das sog.e Posing einbezogen. Gemeint sind Bildaufnahmen, die ein ganz oder teilweise unbekleidetes Kind in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung zeigen oder die sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes eines Kindes beinhalten. Unterhalb dieser Schwelle sind reine Nacktaufnahmen aber weiterhin nicht strafbar, es sei denn, es werden damit kommerzielle Zwecke i. S. d. § 201a Abs. 3 StGB verfolgt. Da bei Computerdateien bislang sehr streitig war, ob das Erlangen der Daten beim Aufrufen von Webseiten im Internet bereits eine Besitzstrafbarkeit begründet, wurde nunmehr in § 184d Abs. 2 StGB der Abruf kinder- und jugendpornografischer Inhalte im Internet unter Strafe gestellt, so dass bereits das „Surfen“ auf solchen Seiten strafbar ist und der schwierige Nachweis des Besitzes solcher Dateien entfällt.

4.2 Die Neuregelung in § 177 StGB

Durch das 50. StrÄndG wurde neben der sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung auch der sexuelle Übergriff in verschiedenen tatbestandlichen Varianten in § 177 StGB aufgenommen, um bestehende Strafbarkeitslücken zu schließen und die Vereinbarkeit mit Art. 36 des Übereinkommens Nr. 210 des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt v. 5.11.2011 (sog.e Istanbul-Konvention) zu sichern. Mit der Verankerung des sog.en „Nein heißt Nein“-Prinzips in § 177 Abs. 1 StGB erfuhr die Vorschrift dabei eine grundlegende dogmatische Umgestaltung, da nunmehr i. S. d. sexuellen Selbstbestimmung als Abwehrrecht jegliche sexuelle Handlungen gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person strafbar sind, während es zuvor stets eines Nötigungselements i. S. v. Gewalt, Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben oder Ausnutzung einer schutzlosen Lage bedurfte. Aufgehoben und in § 177 StGB integriert wurde der bisher in § 179 StGB geregelte sexuelle Missbrauch widerstandsunfähiger Personen, um die zuvor kritisierte Sonderbehandlung von Personen mit Behinderung zu beseitigen. Der Neuregelung werden freilich grundlegende Mängel attestiert, so etwa, dass nicht hinreichend zwischen Missbrauchsfällen, d. h. dem bloßen Handeln ohne den Willen des Opfers, und klassischen Nötigungsfällen differenziert werde, so dass nun eine „Vergewaltigung“ auch dann vorliegen könne, wenn der Täter keine Gewalt einsetze, nicht drohe oder keine schutzlose Lage ausnutze. Zudem wird geltend gemacht, dass die Strafrahmen der Strafschärfungsgründe in § 177 Abs. 5 bis Abs. 8 StGB nicht auf die neuen weiten Grundtatbestände abgestimmt seien und es daher zu überhöhten Strafen komme.