Internationales Meeresumweltrecht

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1. Problemstellung

Die Weltmeere und marinen Ökosysteme sind aufgrund menschlicher Tätigkeiten erheblichen Belastungen ausgesetzt und bereits erheblich beeinträchtigt. Bedeutende Quellen anthropogener Schadstoff- und Abfalleinträge (z. B. Schwermetalle, Öle und Plastik) sind Schifffahrt, Fischerei, Meeresbodenaktivitäten (Rohstoffindustrie), Offshore-Windenergienutzung und landnutzungsbasierte Tätigkeiten, insb. Landwirtschaft und Siedlungen sowie Tourismus.

Zusätzlich zur Verschmutzung der Meeresgewässer werden die lebenden Ressourcen der Meere durch menschliches Handeln in ihren Beständen reduziert und beeinträchtigt. So sind etwa 32 % der untersuchten Bestände als überfischt oder vollständig zusammengebrochen bewertet worden. Derzeit zählen praktisch alle Meeressäugetiere (Wale, Delfine, Robben, Walrosse, Seekühe, Seeotter und Eisbären) zu den gefährdeten Arten. Betroffen sind nicht nur einzelne Bestände, sondern die Funktionsfähigkeit ganzer (Meeres-)Ökosysteme. Nicht zuletzt führt der Klimawandel zur Versauerung und zur Erwärmung der Meere und damit zu Veränderungen und Schäden der marinen Umwelt.

2. Meeresumweltschutz als internationale Aufgabe

Die Bekämpfung der Meeresbeeinträchtigungen unterscheidet sich von der Bekämpfung anderer Umweltbeeinträchtigungen, wie etwa der Boden- oder Wasserverunreinigung, dadurch, dass die Meere keiner oder nur bedingt der Hoheitsgewalt eines Staates unterstehen. Deshalb sind einzelne (Küsten-)Staaten nicht in der Lage, die Meeresbeeinträchtigungen effektiv zu bekämpfen. Die dadurch entstehende Lücke zu füllen, ist daher in erster Linie Aufgabe internationaler Vereinbarungen.

3. Meeresumweltvölkerrecht

3.1 „Die Verfassung der Meere“: das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ)

Herzstück des Meeresumweltvölkerrechts ist das SRÜ vom 10.12.1982, das 168 Vertragsstaaten aufweist (Stand: Juli 2018). Das SRÜ wird als „Verfassung der Meere“ bezeichnet und genießt völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung. Es ist ein Rahmenübereinkommen, das alle in Betracht kommenden Meeresnutzungen adressiert, zugl. aber weiterer Konkretisierung bedarf. Bedeutende Bestandteile des SRÜ sind die Unterteilung der Meere in verschiedene Nutzungszonen, die Zulassung der Ausbeutung von Ressourcen im Tiefseeboden, die der Internationalen Meeresbodenbehörde obliegt, und die Errichtung eines Internationalen Seegerichtshofs.

3.1.1 Die Zonierung der Meere

Die Zonierung der Meere dient dazu, Nutzungsrechte der Ressourcen in den Meeren und im Meeresuntergrund Staaten zuzuweisen. Dabei gilt als Faustregel, dass die nationalen Hoheitsrechte der Küstenstaaten mit zunehmender Entfernung von der Küste abnehmen.

Die inneren Gewässer, Archipelgewässer und das Küstenmeer sind der maritime Teil des Gebiets des jeweiligen Küstenstaates. Innere Gewässer sind Meeresgebiete zwischen dem Land und der Basislinie, die als Niedrigwasserlinie (Linie des durchschnittlichen Ebbestandes) definiert ist (Art. 5, 8 Abs. 1 SRÜ). Archipelgewässer sind die Gewässer, die zwischen einer Gruppe von Inseln liegen, die eine wirkliche geographische, wirtschaftliche und politische Einheit bildet oder die von alters her als solche angesehen wird (Art. 46 lit. b SRÜ). Das Küstenmeer ist ein an die Basislinie angrenzender Küstenstreifen von maximal zwölf Seemeilen Breite (Art. 2 Abs. 1, 2 SRÜ). Das SRÜ erlaubt dem Küstenstaat, ein Küstenmeer bis zu einer Breite von zwölf Seemeilen jenseits der Basislinie quasi als Staatsgebiet zu beanspruchen (Art. 3 SRÜ). In diesem Gebiet übt der Küstenstaat territoriale Hoheitsgewalt aus, die durch das Recht der friedlichen Durchfahrt (Art. 17 ff. SRÜ) eingeschränkt wird.

An das Küstenmeer grenzt seewärts die Anschlusszone, die der Küstenstaat errichten kann, und die sich nicht weiter als 24 Seemeilen von der Basislinie erstrecken darf (Art. 33 Abs. 2 SRÜ). Die Anschlusszone ist nicht mehr Teil des Staatsgebiets, dem Küstenstaat stehen jedoch bestimmte Hoheitsrechte, insb. Kontroll- und Durchsetzungsbefugnisse zu (Zoll- und sonstige Finanzgesetze, Einreise- und Gesundheitsgesetze, Art. 33 f. SRÜ).

Die Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) ist ein jenseits des Küstenmeeres gelegenes und an dieses angrenzendes Gebiet bis zu einer maximalen Breite von 200 Seemeilen ab der Basislinie (Art. 55 SRÜ). Sie wird vom Küstenstaat proklamiert, schließt den Meeresboden und -untergrund ein und gehört nicht zum Staatsgebiet. In der AWZ stehen dem Küstenstaat einzelne, ausschließliche, funktional begrenzte souveräne Rechte und Hoheitsbefugnisse (z. B. Windenergie) zu, inkl. der Nutzung natürlicher Ressourcen (z. B. Fischerei). Allerdings genießen alle Staaten die in Art. 87 SRÜ genannten Freiheiten der Hohen See: die Freiheit der Schifffahrt und des Überflugs, die Freiheit, unterseeische Kabel und Rohrleitungen zu verlegen (Art 58 SRÜ).

Über die AWZ hinaus kann der Küstenstaat den Festlandsockel bis zu einer maximalen Grenze von 350 Seemeilen nutzen. Der Festlandsockel ist die natürliche Verlängerung der unter Wasser gelegenen Landmassen (Meeresboden und -untergrund) bis zum Kontinentalabhang (Art. 76 SRÜ). Der Küstenstaat hat eo ipso das Recht zur Erforschung und Ausbeutung natürlicher Ressourcen (Art. 77 SRÜ).

Die Hohe See ist der Teil der Meere, der weder zur AWZ oder noch zum Küstenmeer zählt (Art. 86 SRÜ). Die Hohe See ist keiner Staatsgewalt zugeordnet. In ihr genießen alle Staaten die in Art. 87 SRÜ bezeichneten Freiheiten. Ebenso ist der Meeresboden und -untergrund (Tiefseeboden) jenseits der AWZ und des Festlandsockels, die gemäß Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 SRÜ als „das Gebiet“ bezeichnet werden, der Staatengemeinschaft zugewiesen.

3.1.2 Meeresumweltrechtliche Vorgaben des SRÜ

Art. 192 ff. SRÜ enthalten inhaltliche Vorgaben für den Meeresumweltschutz. Nach Art. 192 SRÜ sind alle Staaten verpflichtet, die Meeresumwelt zu schützen und zu bewahren. Darüber hinaus haben die Küstenstaaten innerhalb der zuvor genannten Hoheitsbefugnisse die Rechtsetzungsbefugnis, Verschmutzungen zu untersagen und diese Verbote durchzusetzen. Dieser umfassende Schutzansatz bedarf näherer Konkretisierungen v. a. durch völkerrechtliche Vereinbarungen.

3.2 Meeresumweltvölkerrechtliche Vorgaben in sektoralen Verträgen

Die Konkretisierung meeresumweltrechtlicher (Umweltrecht) Pflichten erfolgt zuvörderst durch völkerrechtliche Verträge, deren Regelungen z. T. zu Völkergewohnheitsrecht erstarkt sind.

3.2.1 (Regionales) Meeresumweltvölkerrecht

Zu den hervorzuhebenden völkerrechtlichen Verträgen gehören das „Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen“ (Londoner Konvention), dessen strengeres Protokoll, das MARPOL und Fischereiabkommen, insb. das „UN Fish Stocks Agreement“.

Die Londoner Konvention sowie das strengere Londoner Protokoll untersagen das Einbringen bestimmter Abfälle in die Meere von Schiffen, wobei das dazugehörige Protokoll ein weitergehendes Verklappungsverbot enthält. Ebenso dient MARPOL, motiviert durch Öltankerunfälle, dem Schutz vor Verschmutzung der Meere durch die Schifffahrt. Daneben existieren für verschiedene Meeresregionen Übereinkommen zum langfristigen Schutz, zur Erhaltung und nachhaltigen Bewirtschaftung (Nachhaltigkeit) von Fischbeständen.

Aus meeresökologischer Sicht bedeutsam ist die Möglichkeit des Küstenstaates, bei der zentralen UN-Sonderorganisation des MARPOL-Übereinkommens, der IMO, bes. gebietsbezogene Schutzmaßnahmen zur Verhütung der Verschmutzung durch Schiffe bzw. die Ausweisung von marinen Schutzgebieten in bestimmten Gebieten der AWZ zu beantragen (Art. 211 Abs. 6 lit. a und c SRÜ).

Bedeutende regionale völkerrechtliche Verträge finden sich für die Nord- und Ostsee. Für die Nordsee ist das OSPAR-Übereinkommen vom 22.9.1992 maßgeblich, das als Hauptziel den Schutz der Meeresumwelt des Nordostatlantiks vor Risiken durch anthropogene Verschmutzungen verfolgt. Für die Ostsee wurde am 9.4.1992 das „Übereinkommen über den Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebiets“ (Helsinki-Übereinkommen) geschlossen, das neben dem Schutz vor Umweltbeeinträchtigungen auch eine Verpflichtung zum Ökosystem- und Habitatschutz enthält.

3.2.2 Völkergewohnheitsrecht

Daneben bestehen auch völkergewohnheitsrechtliche Verpflichtungen (Gewohnheitsrecht), die z. T. Eingang in die Verträge gefunden haben. Zentrales umweltvölkerrechtliches Prinzip ist das aus dem Nachbarrecht entstandene Verbot der erheblichen grenzüberschreitenden Umweltbelastung (no-harm-rule). Dieses allg.e Präventionsprinzip verpflichtet sämtliche Staaten dazu, alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung wahrscheinlicher Umweltschäden zu ergreifen, insb. die Einhaltung technischer Standards sicherzustellen.

Weitergehende Verpflichtungen zur Vermeidung von Umweltschäden und -risiken enthält das Vorsorgeprinzip (precautionary principle), das zu Maßnahmen zum Schutz vor Umweltrisiken verpflichtet, selbst wenn noch wissenschaftliche Unsicherheit herrscht. Über dessen gewohnheitsrechtliche Geltung herrscht (noch) Uneinigkeit. Es entfaltet aber dann Bindungswirkung, wenn es völkervertraglich, wie etwa in Art. 3 Abs. 3 UNFCCC, verankert worden ist.

Die Verantwortlichkeit für drohende und eingetretene Umweltschäden behandelt das Verursacherprinzip (polluter pays principle). Demnach ist der Verursacher grundsätzlich zum Tragen der Kosten für die Beseitigung, Minderung oder Verhütung von (drohenden) Umweltschäden verpflichtet. Das Verursacherprinzip ist zwar gewohnheitsrechtlich (noch) nicht anerkannt, jedoch als Kostentragungsregel in einer Vielzahl von völkerrechtlichen Verträgen enthalten.

Die zuvor genannten Prinzipien zur Vermeidung und Beseitigung von Umweltschäden werden von Informations- und Transparenzpflichten flankiert. Diese sind zwar nur bedingt als eigenständige Prinzipien gewohnheitsrechtlich anerkannt, finden sich aber in unterschiedlicher Form in einer Vielzahl von Verträgen wieder und waren wiederholt Gegenstand internationaler Gerichtsbarkeit. Sie dienen als Verfahrensvorschriften der Umsetzung und Einhaltung völkerrechtlicher (Umwelt-)Pflichten.

4. Europarecht

Die EU ist zum einen Vertragspartei internationaler Meeresabkommen und reguliert zum anderen die Nutzungen der Mitgliedstaaten in den unionsweiten Gewässern, das sind die AWZ der Mitgliedstaaten, soweit ihr diesbezüglich eine Kompetenz seitens der Mitgliedstaaten übertragen wurde (Art. 2 AEUV). Sie stützt meeresumweltrechtliche Maßnahmen vornehmlich auf ihre umweltpolitische Kompetenz (Art. 191 f. AEUV). Für die Erhaltung „der biologischen Meeresschätze im Rahmen der gemeinsamen Fischereipolitik“ verfügt die EU über eine ausschließliche Rechtsetzungskompetenz (Art. 3 Abs. 1 lit. d; Art. 43 Abs. 2 AEUV).

Die EU verfolgt mit der Meeresstrategie-Rahmen-RL 2008/56/EG eine integrierte Meerespolitik, die das Erreichen einer guten Meeresumwelt bis 2020 zum Ziel hat (Art. 1 Abs. 1). Die Meeresstrategie-Rahmen-RL koordiniert die Entwicklung mitgliedstaatlicher Meeresstrategien, die Aktionsprogramme einschließlich notwendiger Schutzmaßnahmen vorsehen und von verfahrensrechtlichen Vorgaben flankiert werden. Zudem hat die EU zahlreiche sekundärrechtliche Rechtsakte erlassen, die dem Meeresschutz dienen. So sieht die Fauna-Flora-Habitat-RL 92/43/EWG die Unterschutzstellung ökologisch wertvoller Meeresgebiete vor (vgl. Nr. 1 Anhang I Fauna-Flora-Habitat-RL). Die Fischerei reguliert sie im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik vornehmlich durch Festlegung von mitgliedstaatlichen Fischfangquoten (vgl. VO [EU] Nr. 1380/2013).