Friedens- und Konfliktforschung
F. u. K. ist ein interdisziplinäres Forschungsfeld, das sich mit den Bedingungen des Friedens, der Überwindung des Krieges und der Möglichkeit gewaltfreier Konfliktbearbeitung befasst. Der Schwerpunkt der F. u. K. liegt in der Politikwissenschaft. Aber auch in Geistes- und Erziehungswissenschaften, Geschichte, Rechtswissenschaft, Psychologie und den Naturwissenschaften sind wichtige Beiträge entstanden. Die F. u. K. hat ein theoretisches und ein praktisches Erkenntnisinteresse: Zum einen sollen die Ursachen, Folgen und Dynamiken gewaltsamer Konfliktverläufe erforscht, zum anderen Ideen und Empfehlungen für eine am Frieden orientierte Politik entwickelt werden.
1. Geschichte und Institutionen
Nach dem Zweiten Weltkrieg bildete sich unter dem Eindruck des Kalten Krieges und der Atombewaffnung eine Bewegung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die ihre Forschung am normativen Ziel des Friedens orientieren und zur Überwindung des Krieges beitragen wollten. So entstanden 1957 das International Institute for Strategic Studies in London, 1959 das Peace Research Institute Oslo und 1966 das Stockholm International Peace Research Institute.
In Deutschland spielte die „Göttinger Erklärung“ von 1957 eine wichtige Rolle, in der 18 namhafte Atomwissenschaftler sich gegen die Bewaffnung der Bundeswehr mit Nuklearwaffen aussprachen und eine am Frieden orientierte Wissenschaft forderten. In diesem Kontext wurden 1958 die FEST und 1959 die Vereinigung deutscher Wissenschaftler als deutscher Ableger der internationalen Pugwash-Bewegung gegründet, die sich zwei Jahre zuvor der Forschung für nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung verschrieben hatte. 1969 forderte Bundespräsident Gustav Heinemann in seiner Antrittsrede eine institutionelle Förderung der F. 1970 wurde auf Vorschlag des Wissenschaftsrates die Deutsche Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung (DGFK) gegründet mit dem Ziel, einerseits die Friedenswahrung in Europa und andererseits Konflikte zwischen Industrie- und Entwicklungsländern zu erforschen. Diese Themen standen gleichzeitig im Zentrum tagespolitischer Kontroversen, wodurch die F. u. K. in hitzige parteipolitische Debatten hineingezogen wurde.
Auch innerhalb der F. u. K. bildeten sich politische Lager. Dabei versuchte sich die „kritische“ von der als „traditionell“ bezeichneten F. abzusetzen. Sie warf der traditionellen F. u. K. vor, nur an der Verwirklichung eines „negativen Friedens“ interessiert zu sein, nicht aber an der Herstellung eines „positiven Friedens“. Sie sei an der Kriegsverhinderung, nicht an der Überwindung des Kriegs als Institution interessiert, setze im Ost-West-Konflikt auf Stabilisierung und nicht auf seine Überwindung, favorisiere Rüstungskontrolle statt Abrüstung. In der Folge kam es zu einer polemischen Entgegensetzung von (kritischer) F. und (traditioneller) Sicherheitsforschung.
Die progressive, mitunter revolutionäre Rhetorik der kritischen F. nahmen konservative Kritiker zum Anlass, die Einstellung der institutionellen Förderung der F. u. K. zu fordern. 1980 trat Bayern aus der DGFK aus, andere CDU-regierte Länder folgten. Der Regierungswechsel 1982/83 bedeutete das Ende der DGFK, und die Förderung friedenswissenschaftlicher Forschung ging in Teilen auf die DFG über.
Trotz des Scheiterns der DGFK waren die 70er Jahre insofern erfolgreich, als eine Reihe neuer Institute gegründet werden konnte: 1970 die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, 1971 das Institut für Frieden und Sicherheit an der Universität Hamburg sowie das privat finanzierte Berghof-Zentrum für konstruktive Konfliktbearbeitung in Berlin. Als allerdings Anfang der 1980er Jahre die Fördermittel der DGFK versiegten, waren diese Institutionen gezwungen, sich über andere Projektmittel zu finanzieren. Dies hatte eine dreifache Wirkung: Erstens führte es zu einer Professionalisierung der F. u. K., weil sie nun mit anderen Fächern um Mittel der Wissenschaftsförderung (z. B. im Rahmen der DFG) konkurrieren musste. Zweitens erfolgte die Wiedereinbindung der F. u. K. in die Ursprungsdisziplinen, weil sich eine eigenständige wissenschaftliche Disziplin als nicht überlebensfähig erwiesen hatte. Drittens führte die Konkurrenz um Fördermittel zu einer Spezialisierung der Institute, die bestrebt waren, eigene Forschungsprofile auszubilden.
Neue Initiativen zur Stärkung der F. u. K. gab es nach dem Ende des Ost-West-Konflikts auf Länderebene, etwa 1991 mit der Gründung des Instituts für Entwicklung und Frieden oder 1994 des Bonn International Center for Conversion. Im Bund etablierte das BMBF im Auftrag der rot-grünen Bundesregierung 2000 die Deutsche Stiftung Friedensforschung mit dem Ziel, F. „dauerhaft zu stärken und zu ihrer politischen und finanziellen Unabhängigkeit beizutragen“ (Deutsche Stiftung Friedensforschung 2016: § 2 Nr. 1). Die vergleichsweise geringen Mittel ließen aber dafür wenig Spielraum, so dass die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD im November 2016 vereinbarten, die F. „weiterhin gezielt zu fördern und ihre Ergebnisse noch stärker in die Arbeit der Bundesregierung auf allen Ebenen einfließen zu lassen“ (BT-Drs. 18/10239: 3). Die institutionelle Form dieser Förderung und wer von ihr profitieren soll, bleibt einstweilen umstritten.
2. Grundbegriffe und Analyseebenen
Ein Großteil der wissenschaftlichen Debatte der F. u. K. dreht sich um die Definition zentraler Begriffe wie Frieden, Gewalt oder Sicherheit. Zu den Grundüberzeugungen insb. der kritischen F. u. K. gehört, dass Frieden mehr ist als Abwesenheit von Krieg, ein Zustand, den man allenfalls als „negativen Frieden“ bezeichnen könne.: „Definiert man Frieden als einen Weltzustand, in dem die Menschheit biologisch existieren kann, so ist der Gegensatz zu Frieden nicht mehr Krieg, sondern Not“ (Picht 1971: 22). „Positiver Frieden“, so Johan Galtung, müsse umfassender verstanden werden, nicht nur als Abwesenheit von personaler, sondern auch von „struktureller Gewalt“, unter der all die Kräfte und Strukturen verstanden werden, die Menschen daran hindern, ihre potentiellen Fähigkeiten zu realisieren. Die Begriffserweiterung folgt der Überzeugung, dass man politische Probleme radikal, an der Wurzel, lösen müsse und sich nicht auf die Linderung von Symptomen beschränken dürfe. Zwar diente diese Erweiterung dazu, auf politische Missstände aufmerksam zu machen und die kritische gegen die traditionelle F. u. K. abzugrenzen, sie fand aber in der tatsächlichen Forschung kaum Anwendung, weil mit der Ausdehnung der Begriffe ihre empirische Diskriminierungsfähigkeit verloren ging.
Ein ähnlicher Prozess hat seit der Jahrhundertwende beim Sicherheitsbegriff stattgefunden. Heute spricht man nicht mehr nur von nationaler militärischer Sicherheit, sondern auch von globaler ökologischer Sicherheit oder gar von „menschlicher Sicherheit“ (human security). In diesem Zusammenhang hat der Friedensbegriff seine utopische Qualität weitgehend eingebüßt und ist von einem erweiterten Sicherheitsbegriff abgelöst worden, der wie früher der Friedensbegriff den Anspruch auf Emanzipation mit dem Versprechen eines besseren Lebens verbindet. Frieden und Sicherheit stehen folglich nicht mehr in einem Konkurrenzverhältnis. Damit hat sich auch die bevorzugte Analyseebene der F. u. K. geändert. Standen früher die Strukturen des internationalen Systems und die Interessen einzelner Staaten im Zentrum, geht es heute stärker um Friedensleistungen lokaler Akteure und die Gewährleistung individueller Menschen– und Freiheitsrechte, kurz: menschlicher Sicherheit. Damit beginnen die politikwissenschaftlichen Nachbardisziplinen Ethnologie, Psychologie und Pädagogik wieder an Bedeutung in der F. u. K. zu gewinnen.
3. Forschungsfelder und Forschungsergebnisse
Die F. u. K. hat sich in zahlreichen Bereichen spezialisiert, etwa in der Kriegsursachenforschung, der Rüstungskontrolle, dem Konfliktmanagement, der Versöhnungspolitik usw. Am Beginn standen große Projekte zur Datensammlung, etwa das Correlates of War-Projekt an der University of Michigan, das seit 1963 statistische Daten zu zwischenstaatlichen Kriegen und Bürgerkriegen sammelt um Konfliktursachen und -dynamiken zu identifizieren. Weil militärische Konflikte aber vielfältige Ursachen und Anlässe haben, stehen zunehmend kausale Mechanismen für spezifische Konflikte im Zentrum. Territorialkonflikte sind z. B. schwieriger zu lösen als andere und eskalieren insb. dann zu Kriegen, wenn sie mit Rüstungswettläufen und Allianzbildungen verbunden sind. Bürgerkriege beginnen nicht nur dann, wenn eine entspr.e Motivation auf Seiten der Aufständischen vorhanden ist, sei diese politisch, religiös oder ökonomisch, sondern erst wenn strukturelle Bedingungen herrschen, die einen Erfolg der Rebellen wahrscheinlich erscheinen lassen. Schwache Staatlichkeit, unübersichtliches Terrain und Bodenschätze, die zur Finanzierung des Aufstandes ausgebeutet werden können, begünstigen ihren Ausbruch und sind für ihre Dauer verantwortlich.
Während die Zahl zwischenstaatlicher Kriege kontinuierlich abgenommen hat, ist die Zahl von Bürgerkriegen und transnationalen Gewaltkonflikten (z. B. Terrorismus) gestiegen. Letzteres wird mit den gewandelten Gelegenheitsstrukturen und einer Zunahme von Finanzierungsmöglichkeiten einerseits und ethnisch-ideologischen Konflikten andererseits erklärt.
Die Abnahme klassischer Kriege wird auf die gewachsenen Kosten der Kriegführung, die friedenspolitische Wirkung internationaler Organisationen und die Verbreitung von Demokratie zurückgeführt. Die Theorie des „demokratischen Friedens“ ist allerdings umstritten. Einerseits gilt als gesichert, dass Demokratien untereinander friedfertig sind und keine Kriege führen. Andererseits sind sie gegenüber Nichtdemokratien konfliktbereit und insb. dann militant, wenn humanitäre Gründe und das Ziel weltweiter Demokratisierung sie anleitet. Auch innenpolitisch wirkt sich Demokratisierung nicht immer friedensfördernd aus, denn junge Demokratien erscheinen als schwach und müssen sich gegen innere und äußere Feinde wehren.
Militär und Rüstung sind in der F. u. K. traditionell kritisch gesehen worden. Rüstungswettläufe haben nachweislich häufig zu Kriegen geführt. Allerdings resultiert die Rüstungsdynamik nicht allein aus wechselseitigen Bedrohungslagen und dem sog.en Sicherheitsdilemma, sondern auch aus technologischen Innovationen, innenpolitischen Interessenslagen (z. B. dem Einfluss des sog.en militärisch-industriellen Komplexes) und Statusüberlegungen von Regierungen und Eliten. F. u. K. hat zahlreiche Ansätze entwickelt, wie Rüstungswettläufe vermieden und Abrüstungsprozesse initiiert werden können. Darüber hinaus hält sie Fachwissen über die unterschiedlichsten Waffenarten vor, auf das nationale Regierungen und internationale Organisationen bei ihren Abrüstungsbemühungen regelmäßig zurückgreifen.
4. Fazit
Die F. u. K. hat sich national und international als interdisziplinäre Wissenschaft etabliert, die forschungsbasierte und anwendungsorientierte Beiträge liefert, die Welt sicherer und friedlicher zu machen. Tatsächlich war sie maßgeblich an der Überwindung des Kalten Krieges beteiligt, indem sie Konzepte wie „Wandel durch Annäherung“ und „gemeinsame Sicherheit“ propagierte. Weil sie damals wie heute in tagesaktuelle Diskussionen eingreift, wird sie selbst immer wieder zum Gegenstand politischer Kontroversen. Um ihre Funktion zwischen Wissenschaft und Politik zu erfüllen, muss F. u. K. beides sein: streitbar und verbindlich, engagiert und distanziert.
Literatur
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Empfohlene Zitierweise
C. Daase, N. Deitelhoff: Friedens- und Konfliktforschung, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Friedens-_und_Konfliktforschung (abgerufen: 21.11.2024)