Päpstliches Gesandtschaftswesen
Die einleitenden Worte „De Romani Pontificis legatis“ im V. Kapitel des II. Buchs des CIC/1983 weisen schon auf die vornehmste Aufgabe des Papstes und seiner Gesandten hin. Der Ausdruck „Pontifex“ beinhaltet die Begriffe „Pons“ (Brücke) und „facere“ (machen), von denen sich die volksetymologische Bezeichnung des Papstes als „oberstem Brückenbauer“ (Pontifex Maximus) der katholischen Kirche ableitet. Kirchenrechtlich kommt ihm aufgrund seiner höchsten, vollen, unmittelbaren und universalen ordentlichen Gewalt (vgl. can. 331 CIC) neben der Leitung der Gesamtkirche die Aufgabe zu, Brücken zwischen den Teilkirchen zu bauen. Daraus leitet sich auch der Auftrag ab, Beziehungen zu allen Völkern und Kulturen zu pflegen. Um die Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staat (Kirche und Staat) im Dienst am Gemeinwohl zu fördern, bedient sich der Papst der bilateralen und multilateralen Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und den Staaten sowie verschiedenen internationalen Organisationen und Institutionen. Hierfür wird dem Hl. Stuhl als Völkerrechtssubjekt eine Sonderstellung im diplomatischen Verkehr zuerkannt, was auch die Vertretung durch päpstliche Gesandte umfasst.
1. Geschichtliche Entwicklung
Die Entstehung des Gesandtschaftsrechts des Papstes steht in einem engen Zusammenhang mit der Ausgestaltung sowie der Sicherung des päpstlichen Jurisdiktionsprimats. Von der Spätantike bis zur Gegenwart bezeugen die Rechtsinstitute der Apokrisiare, der Apostolischen Vikare und Legaten (Legati a latere, legati missi, legati nati) sowie der seit der frühen Neuzeit bei den Staaten und nach dem Zweiten Weltkrieg auch bei den internationalen Organisationen präsenten päpstlichen Gesandten die ununterbrochene Kontinuität dieser Praxis des Hl. Stuhls.
2. Geltendes Recht
Der CIC/1983 stellt in cann. 362–367 ein Rahmenrecht dar, das von anderen Bestimmungen des Codex (vgl. cann. 377 § 3; 450 § 2; 1401; 1405 § 1 n. 3) ergänzt wird. Überdies kommt den im MP Sollicitudo omnium Ecclesiarum, 24.6.1969 sowie in der Apostolischen Konstitution „Pastor bonus“ (Art. 45–46), im „Regolamento generale della Curia Romana“ (Art. 8 § 1), im „Regolamento per le Rappresentanze Pontificie“, im Grundgesetz des Staates der Vatikanstadt vom 26.11.2000 (Art. 2) sowie im WÜD geregelten Normen wesentliche Bedeutung zu, um das p. G. ausführlich zu erschließen.
Can. 362 CIC/1983 stellt die grundlegende Norm des päpstlichen Gesandtschaftsrechts dar. Darin geht es um die Stellung des Bischofs von Rom als oberstem Hirten der katholischen Kirche und das Recht des Papstes, Gesandte zu ernennen und zu entsenden, welches als ius nativum et independens bezeichnet wird. Die Formulierung drückt kirchliches Selbstverständnis aus, das im völkerrechtlichen Verkehr nicht genügt. Das heißt: Die Rechtssubjektivität des Hl. Stuhls im Völkerrecht ist nicht ex ipsa ordinatione divina, sondern sie liegt darin begründet, dass der katholischen Kirche als einziger Religionsgemeinschaft Völkerrechtssubjektivität zugesprochen wird. Diese Rechtsstellung geht auf ein originär mit dem Papst verbundenes Recht zurück, das ihm kraft seiner weltweiten Mission zukommt. Innerkirchlich sowie völkerrechtlich beruht dieses Recht des Bischofs von Rom nicht auf Zugeständnissen und Genehmigungen seitens des Staates bzw. der Staaten. Die Ernennung, Entsendung, Versetzung oder Abberufung der päpstlichen Gesandten erfolgen daher frei, vorbehaltlich völkerrechtlicher Regeln, die der Papst im Rahmen diplomatischer Missionen bei Staatsregierungen beachten muss. Hierbei geht es aber nicht um rechtliche Selbstbindung, die das ius nativum et independens beeinträchtigt, sondern um zwei voneinander zu unterscheidende Bereiche, nämlich Völkerrecht einerseits und Jurisdiktionsgewalt andererseits. Letztere ist dem Papst als Primatialgewalt für die Universalkirche gegeben.
Je nach Aufgabenstellung unterscheidet can. 363 § 1 zwischen zwei Arten von ständigen päpstlichen Gesandten: solche, die nur zu den Teilkirchen, und andere, die darüber hinaus auch zu den Staaten entsendet werden. Es kommen noch diejenigen hinzu, die gemäß can. 362 § 2 als Geistliche oder Laien im Auftrag des Papstes an internationalen Organisationen, Konferenzen und Kongressen teilnehmen. Diese „werden Delegaten oder Beobachter genannt, je nachdem, ob der Hl. Stuhl als Mitglied der Konferenz mit oder ohne Stimmrecht teilnimmt“ (Art. II, n. 1 Sollicitudo omnium Ecclesiarum). Auch Kardinäle gehören zu den päpstlichen Gesandten, wenn sie gemäß can. 358 als legati a latere oder als Sondergesandte vom Papst mit bestimmten Aufgaben betraut werden.
Grundsätzlich sind apostolische Gesandte Titularerzbischöfe (vgl. can. 376). Sie gehören von Rechts wegen nicht zu den Mitgliedern der Bischofskonferenz (can. 450 § 2), genießen aber innerhalb ihres Amtsbereiches das Recht der Präzedenz vor den Erzbischöfen und Bischöfen, nicht jedoch vor den Mitgliedern des Kardinalskollegiums, ebenfalls nicht vor den Patriarchen der Ostkirchen sowohl in deren Gebieten als auch, wenn sie – außerhalb ihres Gebietes – im eigenen Ritus zelebrieren (Art. XII Sollicitudo omnium Ecclesiarum). Es gibt zusätzlich noch Rechte und Privilegien, die päpstlichen Gesandten mit Rücksicht auf den bes.n Charakter ihrer Mission verliehen werden. Wegen des bes.n Charakters der Aufgaben des Apostolischen Legaten (can. 364 n. 2) genießt der Sitz der päpstlichen Gesandtschaft im gesamten Gebiet des Diözesanbischofs eine Exemtion, so dass der päpstliche Legat in der Residenz der päpstlichen Vertretung gleichsam „Ortsordinarius“ ist. Mit Ausnahme von Eheschließungen unterstehen die Legaten daher nicht der Leitungsgewalt des zuständigen Ortsoberhirten (can. 366 n. 1; Art. XII Sollicitudo omnium Ecclesiarum).
Die innerkirchliche Dienstfunktion des päpstlichen Gesandten besteht in erster Linie gemäß can. 364 hauptsächlich darin, die Bande der Einheit zwischen dem Hl. Stuhl und den Teilkirchen ständig zu stärken und wirksam zu gestalten. Damit liegt die vorrangige Aufgabe der Legaten, anders als im CIC/1917, nicht mehr in ihrer Funktion als diplomatische Vertreter bei den Staatsregierungen. Aus kirchlicher Sicht hebt sich nach dem geltenden Recht die geistliche Natur dieses Amtes von den übrigen diplomatischen Vertretungen ab. Die päpstlichen Gesandten sind damit an erster Stelle die Vertreter des Papstes bei den Teilkirchen und erst in zweiter Linie, soweit ihnen in den einzelnen Staaten diese Funktion zukommt, diplomatische Vertreter des Hl. Stuhls.
Darüber hinaus wird innerkirchlich auf die Aufgaben gegenüber Bischöfen, Bischofskonferenz, Lebensverbänden der evangelischen Räte sowie auf Ernennungen von Bischöfen hingewiesen. Päpstliche Gesandte dürfen nicht unmittelbar in die Leitung der Diözese eingreifen. Sie sollen die Arbeit der Bischöfe in vielfältiger Weise fördern und sie mit brüderlichem Rat unterstützen. Im Vergleich zum CIC/1917 ist die Pflege von Beziehungen zu den anderen christlichen Gemeinschaften und zu den nichtchristlichen Religionen völlig neu im geltenden Gesetzbuch.
Im diplomatischen Dienst bestehen die Aufgaben des päpstlichen Gesandten darin, die Beziehungen zwischen dem Hl. Stuhl und den staatlichen Autoritäten (can. 365 § 1 n. 1) zu fördern sowie bei Fragen des Verhältnisses von Kirche und Staat, insb. bei Konkordatsabschlüssen (Konkordat) und Verträgen, zwischen der Teilkirche, dem Hl. Stuhl und der Staatsregierung zu vermitteln und zu verhandeln (can. 365 § 1 n. 2 und § 2). Ferner ist auf die diplomatischen Beziehungen zu den internationalen Organisationen hinzuweisen, deren offizielle Regelungen erstmals im MP Sollicitudo omnium Ecclesiarum erfolgten und in can. 363 § 2 kodifiziert sind. Insgesamt gibt es vier Rechtsformen der Teilnahme des Hl. Stuhls an den internationalen Organisationen: Vollmitglied, Beobachter, ständiger Vertreter, der mitarbeitet, oder Vertreter, der nur gelegentlich beteiligt ist. Diese in aller Knappheit genannten und in can. 364 CIC kodifizierten Aufgaben der päpstlichen Gesandten werden explizit und detailliert im MP Sollicitudo omnium Ecclesiarum (Art. II, X, XI) geregelt.
Das Amt des päpstlichen Gesandten endet mit der Erfüllung des Auftrags, mit der dem Gesandten mitgeteilten Abberufung sowie mit dem vom Papst angenommenen Amtsverzicht (vgl. can. 367 CIC). Es erlischt jedoch nicht mit Vakanz des Hl. Stuhls, wenn dies nicht im päpstlichen Ernennungsschreiben ausdrücklich vorgesehen ist. Hinsichtlich der Altersgrenze sind die päpstlichen Gesandten in ordentlicher Weise gebeten, mit Vollendung des 75. Lebensjahres dem Papst ihren Amtsverzicht anzubieten.
Literatur
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Empfohlene Zitierweise
Y. Kingata: Päpstliches Gesandtschaftswesen, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/P%C3%A4pstliches_Gesandtschaftswesen (abgerufen: 24.11.2024)