Abgaben
A. sind hoheitlich auferlegte Geldzahlungspflichten zur Finanzierung von Hoheitsaufgaben. Diese Finanzierung der öffentlichen Haushalte (Staatshaushalt) ist eine der Entstehensbedingungen moderner Staatlichkeit (Staat). Früher hatte der Herrscher seine Herrschaft aus eigener Finanzkraft zu finanzieren. Bei besonderem Finanzbedarf – dem Bau von Befestigungsmauern, die Hochzeit der ersten Tochter, die Auslösung des Herrschers aus Gefangenschaft – konnte der Herrscher seine Untertanen allenfalls um einmalige Finanzbeiträge bitten (Bede). Die Ziele der Politik wurden vielfach von den Finanzinstrumenten bestimmt. Das Römische Reich finanzierte sich lange aus der Kriegsbeute. Die Feudalherrschaft (Feudalismus) begründete Leistungs- und Zahlungspflichten im Rahmen von Abhängigkeitsverhältnissen. Heute stützt sich der Staat nicht auf Eroberung und Unfreiheit, sondern finanziert sich durch rechtlich geregelte und begrenzte A.-Erträge. Der Untertan wird zum Bürger (Bürger, Bürgertum) und Grundrechtsberechtigten, entscheidet – repräsentiert durch Abgeordnete in Landständen und Parlamenten – selbst über Art und Höhe der A. Dieses Verfahren garantiert – das ist das Ideal der Demokratie – die maßvolle und gleichmäßige Last. Finanziert sich der Staat sodann – verstärkt seit dem 19. Jh. – durch Steuern, lösen sich die A.-Erträge von der Gegenleistung, verstetigen sich beim Staat und machen sie von der Person des Herrschers unabhängig. In der modernen Geldwirtschaft schont die Geldzahlungspflicht die Pflichtigen und befreit sie von Hand- und Spanndiensten, Naturalleistungen und ökonomisch veranlassten Staatsvorbehalten wie Ehe- und Gewerbeverboten. Die Steuer belastet die individuelle finanzielle Leistungsfähigkeit, macht die staatlich auferlegte Zahllast für freiheitliche Mäßigung und gleichheitsrechtliche Verteilungsgerechtigkeit zugänglich, gibt dem Parlament Verfügungsmacht über die Steuererträge ohne Vorbedingungen und Zweckbindungen. Der Steuerzahler gewinnt mit seiner Zahlung keinen Einfluss auf die staatliche Politik.
Der Staat erbringt seine Leistungen nach Bedarf, verkauft sie nicht um des Entgelts willen. Der Verfassungsstaat beansprucht Hoheitsgewalt, um das Gemeinwesen durch Recht zu ordnen, Distanz gegenüber Bürgern und Inländern zu wahren und in Unabhängigkeit und Unbefangenheit gleiches Recht gegenüber Jedermann – Armen und Reichen – zu gewähren. Jeder Inländer beansprucht polizeiliche Sicherheit (Innere Sicherheit), mag er Millionär oder Bettler sein. Jedes Kind nimmt an schulischen Bildungs- und Ausbildungssystemen teil, darf nicht durch Gebührenvorbehalte an der Entfaltung seiner Talente gehindert werden. Der soziale Staat (Sozialstaat) sichert dem Bedürftigen das Existenzminimum, weil dieser seinen Bedarf aus eigener Kraft nicht finanzieren kann. Auch der austeilende und umverteilende Staat braucht eine vom Leistungstausch unabhängige Finanzausstattung, um Einkommens- und Strukturpolitik zu betreiben und Vermögen, Wirtschaftsabläufe und Konjunktur zu steuern. In dieser Freiheitskonzeption ist eine Steuerfinanzierung angelegt, die den Staat am Erfolg privaten Wirtschaftens teilhaben lässt, ihn nicht in den Leistungstausch drängt und nicht in der Entgelterwartung Befangenheit begründet. Die Steuer ist das Finanzierungsmittel des gleichheitsgebundenen Rechtsstaates, des dem Bedürftigen verpflichteten Sozialstaates, der allen Bürgern verantwortlichen Demokratie, der das Gemeinwohl verwirklichenden Republik. Die Finanzverfassung des Grundgesetzes erwartet den steuerfinanzierten Staat (Steuerstaat).
Auch wenn die Steuer dem freiheitlichen Verfassungsstaat die innere Unabhängigkeit und Distanz zu seinem Finanzier sichert, kennt das deutsche A.-Recht traditionell neben der Steuer auch die Gebühr und den Beitrag, sind Gebühr und Beitrag heute als Vorteilsausgleich, auch als Lenkungsmittel geläufig. Wer eine öffentliche Einrichtung nutzen, ein faires Gerichtsverfahren beanspruchen, Gas und Wasser empfangen darf, soll die Dienst- und Sachleistung erhalten, die darin vermittelte ökonomische Bereicherung aber durch Entgelt-A. an den Staat zurückgeben. Der Austausch von Leistung und Gegenleistung setzt diesen A. ein Maß, ermöglicht Kontrolle, fördert einen wirtschaftlichen Umgang mit dem A.-Aufkommen, erübrigt Ausweichstrategien und vermindert Erhebungskosten.
Gebühren und Beiträge sind Entgelt-A., die sich aus der Tauschgerechtigkeit rechtfertigen. Die Gebühr ist der „Verwaltungspreis“, folgt dem Prinzip der Entgeltlichkeit, bezahlt eine individuell empfangene Staatsleistung. Der Beitrag entgilt demgegenüber ein bevorzugendes Leistungsangebot, trägt zum Bestand einer Einrichtung bei, die dem Schuldner zur Benutzung zur Verfügung steht. Die Gebühr schöpft den Vorteil einer individualdienlichen Leistung ab oder überwälzt einen individuell zurechenbaren Aufwand. Der Beitrag fordert die Mitfinanzierung einer individualdienlichen öffentlichen Einrichtung. Beide A. entgelten einen Vorteil oder einen öffentlichen Aufwand, der einem Einzelnen (Gebühr) oder einer Gruppe (Beitrag) zugerechnet werden kann. Der Tatbestand der Entgelt-A. braucht von Verfassung wegen eine klare, justitiable Abgrenzung von der Steuer, weil der grundrechtliche Schutz der Freiheits- und Gleichheitsrechte (Grundrechte) für die steuerliche Gemeinlast und den abgabenrechtlichen Ausgleich von Individualvorteilen unterschiedlich wirkt, die kumulative Belastung mit Steuern und Entgelt-A. systematisch gerechtfertigt werden muss, die Gesetzgebungs-, Ertrags- und Verwaltungshoheit für die Entgelt-A. außerhalb der Finanzverfassung – als Annex zur Sachmaterie – geregelt ist. Gebühren werden insb. als Verwaltungsgebühren für Verwaltungsleistungen, als Gerichtsgebühren für ein faires gerichtliches Verfahren, als Nutzungsgebühren für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen, auch als Lenkungsgebühren – insb. im Umweltrecht zur Verteuerung umweltbelastender Transportmethoden und Flächennutzungen – erhoben. Die Daseinsvorsorgegebühren – für die Lieferung von Energie und Wasser, die Entsorgung oder für Verkehrsleistungen – kommen dem Preis eines privatrechtlichen Leistungstausches nahe. Beispiele für einen Beitrag bieten die Anliegerbeiträge, die Kurtaxe, der Rundfunkbeitrag und die Kammerbeiträge.
Neben dem Regelfinanzierungsinstrument der Steuer und den Entgelt-A. kennt das A.-Recht als seltene Ausnahme auch die Sonder-A.. Diese A. durchbricht das Prinzip der steuerlichen Lastengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) und bürdet dem A.-Schuldner neben der die Allgemeinheit treffenden Steuerpflicht eine zusätzliche Sonderlast ohne individuelle Gegenleistung auf. Die Sonder-A. ist nur gerechtfertigt, wenn eine Gruppe von A.-Schuldnern für eine bestimmte Finanzierungsaufgabe – die Berufsausbildung, die Beschäftigung von Schwerbehinderten – verantwortlich ist. Das Aufkommen aus einer Sonder-A. fließt deshalb nicht in den allgemeinen Staatshaushalt, sondern in einen Sonderfonds, der den A.-Ertrag einer bestimmten, der Gruppe der A.-Schuldner zugutekommenden Sachaufgabe vorbehält. Die Einzelmerkmale der Sonder-A. – die Sonderlast, die Haushaltsflüchtigkeit des Aufkommens und die Nichtanwendung der Finanzverfassung – begründen einen besonderen Rechtfertigungsbedarf, fordern eine regelmäßige parlamentarische Überprüfung und Legitimation der A. Die Sonder-A. sind zum Schutz des parlamentarischen Budgetrechts in einer dem Haushaltsplan beigefügten Anlage zu dokumentieren. Beispiele einer Sonder-A. bieten die Schwerbehinderten-A., die Feuerwehr-A., die Landesabfall-A., der Ausgleichfonds, die Altenpflege-A., der Klärschlamm-Entschädigungsfonds.
A. von besonderer sozialrechtlicher und finanzwirtschaftlicher Bedeutung sind die Sozial-A.. Dieser eigenständige A.-Typ begründet Sonderlasten, die zweckgebunden in die Sonderhaushalte von Sozialversicherungsträgern fließen, als Versicherungsprämie nach dem generellen Risiko der jeweiligen Versichertengemeinschaft berechnet und in sozialen Abstufungen bemessen, den Pflichtversicherten hoheitlich auferlegt werden. Insgesamt wird das A.-System von der Steuer dominiert, durch Entgelt-A. ergänzt, in Sonder-A. als seltenen Ausnahmen strukturell bestätigt, in Sozialversicherungsbeiträgen durch ein gewichtiges eigenständiges Finanzierungssystem flankiert.
Literatur
E. Reimer: Abgaben, in: FS für Paul Kirchhof, Bd. 2, 2013, § 136 • E. Reimer/C. Waldhoff: Verfassungsrechtliche Vorgaben für Sonderabgaben des Banken- und Versicherungssektors, 2011 • P. Kirchhof: Die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, 2010 • P. Kirchhof: Nichtsteuerliche Abgaben, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hg.): HStR, Bd. 5, 32007, § 119 • C. v. Stockhausen: Gesetzliche Preisintervention zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben, 2007 • C. Waldhoff: Grundzüge des Finanzrechts des Grundgesetzes, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hg.): HStR, Bd. 5, 32007, § 116 • P. Selmer: Ökologische Steuerreform, Verfassungsrecht und Bundesverfassungsgericht, in: K. Tipke: GedS für Christoph Trzaskalik, 2005, 411–430 • H. Kube: Finanzgewalt in der Kompetenzordnung, 2004 • A. Schmehl: Das Äquivalenzprinzip im Recht der Staatsfinanzierung, 2004 • J. Becker: Transfergerechtigkeit und Verfassung, 2001 • U. Sacksofsky: Umweltschutz durch nicht-steuerliche Abgaben, 2000 • C. Trzaskalik: Inwieweit ist die Verfolgung ökonomischer, ökologischer und anderer öffentlicher Zwecke durch Instrumente des Abgaberechts zu empfehlen?, in: Verhandlungen des 63. Deutschen Juristentages, Bd. 2, 2000, E1-E120 • J. Wieland: Die Konzessionsabgaben, 1991 • F. Kirchhof: Die Höhe der Gebühr, 1981 • J. Isensee: Steuerstaat als Staatsform, in: FS für Hans-Peter Ipsen, 1977, 409–436.
Empfohlene Zitierweise
P. Kirchhof: Abgaben, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Abgaben (abgerufen: 23.11.2024)