Konfessionalisierung

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K. ist ein in den 1970er Jahren entwickeltes makrohistorisches Interpretationsmodell, das die ältere Konfessionskunde gesellschaftsgeschichtlich wendete. Ziel ist es, die Wirkung jener, infolge der Reformation in der lateinischen Christenheit entstandenen, neuzeitlich organisierten und formierten Kirchensysteme umfassend zu analysieren, die sich durch ein formelles, in den meisten Staaten für alle Bürger verpflichtendes Bekenntnis (lateinisch confessio) von einander abgrenzten – die lutherische, tridentinisch-katholische, reformiert-calvinistisch-anglikanischen Konfession. Im Unterschied zu der älteren, an religiöser und kultureller Identität der Konfessionen interessierten „Konfessionsbildung“ (Zeeden 1985) ist das von Wolfgang Reinhardt und Heinz Schilling entwickelte Paradigma „K.“ gesellschafts- und staatsgeschichtlich bestimmt und geht theoretisch-methodisch aus von dem der frühen Neuzeit „eigentümlichen Begriff des Politischen, der im Unterschied zu dem der Gegenwart“ (Schilling 1981: 22) nach der Aufklärung Religion und Kirche nicht aus-, sondern einschließt. Die in der frühneuzeitlichen K.s-Forschung beschriebenen Phänomene sind daher systematisch streng von dem sogenannten zweiten konfessionellen Zeitalter im 19. Jh. zu unterscheiden.

Neben den tiefgreifenden Einflüssen auf das kirchliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben traten damit die staatswissenschaftlichen Zusammenhänge im weitesten Sinne ins Zentrum des geschichtswissenschaftlichen Interesses. Durch die strukturelle Verzahnung von Staat, Kultur und Gesellschaft mit Religion und Kirchen hatte die K. in allen vom lateinischen Christentum geprägten Ländern Europas und der Welt weitreichende Konsequenzen für das öffentliche wie private Leben, wenn auch unterschiedlich in Form und Intensität. Sie wurde zu einem wichtigen Element innerhalb jenes Prozesses neuzeitlicher Erziehung des Menschen und der Gesellschaft, die Immanuel Kant „in drei Stichworten zusammenfaßt: der Mensch soll diszipliniert, kultiviert und zivilisiert werden“ (Maier 1993: 239).

Indem die in der Herausbildung befindlichen Staaten wichtige administrative Befugnisse über die jeweilige National- oder Landeskirche erhielten (direkt im Protestantismus, indirekt und in komplizierter Abstimmung mit Rom im Katholizismus), gewannen sie zugleich neue, ehemals kirchliche Kompetenzen, so namentlich über das Kirchengut, das sie für soziale und Bildungszwecke, teils auch direkt für die Staatsfinanzen einsetzten, sowie über res mixtae, kirchlich-staatliche Misch- oder Zwischendinge wie Ehe, Erziehung und Bildung, Armen-, Kranken- und Sozialfürsorge, für die Formierung der frühneuzeitlichen Gesellschaft bes. wichtige Bereiche. Die konfessionellen Glaubens-, Verhaltens- und christlichen Sozialformen festigten zugleich die sozialen, politischen und institutionellen Spielregeln der frühmodernen Flächenstaaten und gaben ihnen wichtige geistig-sakrale Legitimität. Parallel zur Straffung des kirchlichen Personals und der kirchlichen Gemeinden erfolgte die geistige und institutionelle, nicht selten auch körperliche Formierung der Beamtenschaft, des Hofes, der Armeen (z. B. die Oranische Heeresreform in den calvinistischen Niederlanden), schließlich auch der Bevölkerung insgesamt.

Seit dem letzten Drittel des 16. Jh. trieb die K. vielerorts in eine innerstaatliche (französische Hugenottenkriege, calvinistisch-katholischer Bürgerkrieg der Niederlande) sowie in eine zwischenstaatliche Fundamentalkonfrontation und einen militärischen Flächenbrand, der umso verheerender war, als sich Religions-, Staatenbildungs- und erster gesamteuropäischer Staatenkrieg überlagerten und in zerstörerischer Gewalt addierten (Religionskonflikte). Treibende Kraft waren die Fürsten, die sich von ihren Beichtvätern oder Hofpredigern beraten ließen, bald aber auch breite Bevölkerungsschichten, nachdem sich in einer medial höchst professionellen Propagandaschlacht konfessionell geprägte territorial- oder nationalstaatliche Kollektividentitäten als Vorformen der späteren nationalen Identitäten herausgebildet hatten. In ihnen flossen politische, kulturelle und konfessionelle Selbst- und Fremdeinschätzung zu einem wirkmächtigen Wir-Gefühl zusammen; der katholischen Identität im Falle Spaniens oder Bayerns etwa entsprach die protestantische Identität Englands oder Schwedens.

Die K. von Kirche, Gesellschaft und Politik setzte eine gewaltige Dynamik frei – positiv, indem jene konzentrierenden und organisierenden Kräfte ihren Lauf nahmen, die in Bürokratie, Wirtschaft, z. T. sogar in Bildung und Wissenschaft einen tiefen, neuzeitlichen Wandel bewirkten; negativ, indem inner- und zwischenstaatliche Konflikte sich ideologisch zuspitzten. Mit dem Westfälischen Frieden von 1648 und vergleichbaren inner- wie zwischenstaatlichen Friedensregelungen wurde das fundamentalistische Gewaltpotential der konfessionell formierten christlichen Religion eingehegt und politisch neutralisiert. Indem Politik und Religion durch Rechtsregelungen getrennt wurden, war der Grundstein für die Autonomie und Säkularität des modernen Politikbegriffes gelegt, aber auch für die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von Religion und Kirche gesorgt, denen ein vom Staat zu respektierender und schützender Freiraum zugesichert bleibt (jedenfalls im deutschen Staatskirchenrecht). Das war in erster Linie die Leistung der Juristen und des konfessionsneutralen Rechts. Wesentlich für die Akzeptanz der universell bedeutsamen Neubestimmung des Verhältnisses von Religion und Politik, Kirche und Staat (Kirche und Staat) waren aber auch geistig-theologische Strömungen innerhalb der christlichen Religion: die Ablösung der Orthodoxie und ihres die eigene Wahrheit absolut setzenden Dogmatismus durch eine Herzensfrömmigkeit, die nicht auf Macht und Territorialgewinn, sondern auf Christus und den weltlichen wie himmlischen Frieden ausgerichtet war – symbolisiert durch die Taube als Zeichen des Friedens zwischen Gott und den Menschen sowie unter den Menschen oder durch Maria als Verkörperung des Friedens.

Tiefer noch und langfristig prägend waren die Einflüsse der frühneuzeitlichen K. in Kultur und individuellem Verhalten. Das sind Themen, die die Geschichtswissenschaft zunehmend beschäftigten, nachdem die Gegner makrohistorischer Ansätze das „inhaltliche Scheitern der arrivierten Strukturgeschichte“ postuliert hatten (Dinges 1995: 395).

Alle frühneuzeitlichen Konfessionskirchen, aber auch manche der dissidierenden Religionsgemeinschaften (Täufer) entwickelten einen detaillierten Normenkanon sowie Institutionen und Mechanismen, ihn einzuüben und seine Einhaltung zu kontrollieren. In der Durchführung ging man durchaus getrennte Wege (institutionalisierte Kirchenzucht bei Calvinisten, Beichte und Inquisition bei Katholiken, Visitationen und Ermahnungen durch Predigt und Schrifttum bei Lutheranern). Auch bei den Inhalten gab es Unterschiede, deutlich v. a. bei den Glaubensnormen, während die Abweichungen bei Ethik und Verhaltensnormen eher gering waren. Gleich waren dagegen Funktion und Ziel der kirchlichen Disziplin und Kontrolle, nämlich Einübung, nötigenfalls Erzwingen des „erlaubten“, orthodoxen Glaubens und Denkens sowie des christlich „korrekten“ Verhaltens, das erstmals bis ins kleinste definiert und in ein abgestimmtes System von ethisch-moralischen Normen gebracht wurde. Der tatsächliche Erfolg der konfessionskirchlichen Lehr- und Sittenzucht lässt sich nicht exakt bestimmen. Doch liefern die Quellen hinreichend Anhaltspunkte für eine zunehmende Sensibilisierung für Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Ehrlichkeit, Gewaltverzicht und gezähmte Sexualität.

Schließlich führte die K. zu einer vielfältigen, differenzierten Kultur. Es entstanden zahlreiche Kulturlandschaften, deren Prägung durch die je eigene Ausdrucksweise von Literatur, Musik, Malerei, Architektur in den frühneuzeitlichen Konfessionen auch in der heutigen säkularen Form noch zu erkennen ist.