Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK, World Council of Churches/WCC)

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1. Rechtsform

Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK), auch „Weltrat der Kirchen“, ist ein internationaler Zusammenschluss von zurzeit 348 nationalen kirchlichen Körperschaften aus mehr als 120 Ländern und der Mehrzahl christlicher Konfessionen. Seine Rechtsform ist die eines Vereins nach § 60 ff. des Schweizerischen Zivilgesetzbuches. Er hat seinen Sitz in Genf/Schweiz und ist vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen als eine internationale NGO mit beratendem Status (Kategorie I) anerkannt.

2. Geschichte

Die Bildung des ÖRK ist eine Frucht der vorinstitutionellen Ökumenischen Bewegung. Durch die Vereinigung der beiden führenden Bewegungen – Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung und Bewegung für Praktisches Christentum – wurde 1938 von einem vorläufigen Ausschuss die Gründung des ÖRK beschlossen und ein Verfassungsentwurf ausgearbeitet. Die ursprünglich für 1941 vorgesehene Gründungsversammlung fand wegen des Kriegs erst 1948 in Amsterdam statt. Die teilnehmenden Delegierten aus 147 Mitgliedskirchen nahmen die Verfassung des ÖRK an, wählten die Leitungsgremien und bestätigten den schon 1938 vorläufig ernannten Dr. Willem Adolf Visser’t Hooft als Generalsekretär. Er übte dieses Amt bis Ende 1966 aus. Der ÖRK hat in den bald 70 Jahren seit seiner Gründung neun weitere Vollversammlungen durchgeführt: in Evanston 1954, Neu Delhi 1961, Uppsala 1968, Nairobi 1975, Vancouver 1983, Canberra 1991, Harare 1998, Porto Alegre 2006 und Busan 2013. Wichtige Weichenstellungen waren der Beitritt der Russischen Orthodoxen Kirche und die Vereinigung mit dem Internationalen Missionsrat bei der Vollversammlung in Neu Delhi (1961), die Aufnahme direkter Beziehungen zur Römisch-Katholischen Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1965) sowie die Ausweitung der Mitgliedschaft durch die Aufnahme von zahlreichen Kirchen aus Asien und Afrika (1971 ff.).

3. Verfassung

Art. I der Verfassung, die sogenannte „Basisformel“, lautet: „Der Ökumenische Rat der Kirchen ist eine Gemeinschaft von Kirchen, die den Herrn Jesus Christus gemäß der Heiligen Schrift als Gott und Heiland bekennen und darum gemeinsam zu erfüllen trachten, wozu sie berufen sind, zur Ehre Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Nach Art. III der Verfassung ist es das „Hauptziel der Gemeinschaft der Kirchen […], einander zur sichtbaren Einheit in dem einen Glauben und der einen eucharistischen Gemeinschaft aufzurufen, die ihren Ausdruck im Gottesdienst und im gemeinsamen Leben in Christus findet, durch Zeugnis und Dienst an der Welt, und auf diese Einheit zuzugehen, damit die Welt glaube“. Zur „Vollmacht“ heißt es in Art. IV: „Der Ökumenische Rat der Kirchen übt eine beratende Funktion aus und bietet Möglichkeiten für ein gemeinsames Vorgehen in Fragen von allgemeinem Interesse“. Der ÖRK hat keine gesetzgebende Gewalt über die Kirchen und handelt nicht im Namen der Kirchen, es sei denn, bestimmte Kirchen übertragen ihm die Vollmacht dazu.

4. Struktur

Das oberste Entscheidungsorgan des ÖRK ist die Vollversammlung, gebildet aus Delegierten der Mitgliedskirchen. Sie tagt i. d. R. alle acht Jahre, wählt die Präsidenten und den Zentralausschuss, legt die allgemeinen Arbeitsschwerpunkte fest und ist zuständig für Änderungen der Verfassung. Der Zentralausschuss, gebildet aus höchstens 145 Delegierten der Vollversammlung, tagt i. d. R. alle zwei Jahre. Er ist zwischen zwei Vollversammlungen das Leitungsorgan und verantwortlich für die Umsetzung der Beschlüsse und Richtlinien der Vollversammlung. Er wählt den/die Vorsitzende(n) sowie die Stellvertreter und einen Exekutivausschuss aus seiner Mitte, der für die laufenden Geschäfte zuständig ist. Die Amtsträger des ÖRK sind von 2013–2021: Dr. Agnes Abuom (anglikanisch, Kenia) als Vorsitzende und als Stellvertreter Metropolit Dr. Gennadios von Sassima (orthodox, Türkei) sowie Bischöfin Mary Ann Svenson (methodistisch, USA). Das Sekretariat des ÖRK befindet sich seit 1966 im Ökumenischen Zentrum in Genf. Es wird geleitet vom Generalsekretär als dem obersten hauptamtlichen Repräsentanten des ÖRK. Gegenwärtig wird das Amt ausgeübt von Dr. Olav Fykse Tveit (lutherisch, Norwegen). Seine Vorgänger waren nach Dr. W. A. Visser’t Hooft: Dr. Eugene Carson Blake (1967–72), Dr. Philip Potter (1972–1984), Dr. Emilio Castro (1984–1992), Dr. Konrad Raiser (1993–2003), Dr. Samuel Kobia (2004–2009).

5. Selbstverständnis

Grundlegend für das Selbstverständnis des ÖRK ist nach wie vor die sogenannte Toronto-Erklärung von 1950 („Die Kirche, die Kirchen und der Ökumenische Rat der Kirchen“). Als Ergebnis eines breiten Konsultationsprozesses nahm die Vollversammlung anlässlich des 50jährigen Bestehens 1998 eine Grundsatzerklärung an mit dem Titel: „Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Verständnis und einer gemeinsamen Vision des Ökumenischen Rates der Kirchen“. Sie baut auf der Toronto-Erklärung auf und entfaltet v. a. die Beschreibung des ÖRK als einer „Gemeinschaft von Kirchen“. Es heißt darin: „Das Wesen des Rates besteht in den wechselseitigen Beziehungen der Kirchen untereinander. Der Rat ist eine Gemeinschaft von Kirchen, die auf dem Weg zur vollen koinonia sind. Er hat eine Struktur und Organisationsform […], darf aber nicht mit dieser Struktur identifiziert werden“ (Abs. 3.5.2, Hervorhebung i. O.).

6. Beziehungen zur Römisch-Katholischen Kirche

Seit 1965 besteht eine Gemeinsame Arbeitsgruppe zwischen dem ÖRK und der Römisch-Katholischen Kirche (RKK; Katholische Kirche) zur Steuerung der Zusammenarbeit. Die RKK nimmt mit delegierten Beobachtern an Tagungen der Vollversammlung und des Zentralausschusses teil. Sie ist mit 10 offiziell benannten Mitgliedern in der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung vertreten und entsendet Mitarbeiter in den Stab der Kommission für Weltmission und Evangelisation sowie des Ökumenischen Instituts Bossey. Nach einem eingehenden Studienprozess verzichtete die RKK 1972 auf eine mögliche Mitgliedschaft im ÖRK. Der 1968 gebildete gemeinsame SODEPAX wurde 1980 einvernehmlich aufgelöst.