Strafprozessrecht

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1. Einleitung

Das S. beinhaltet alle rechtlichen Regeln und Prinzipien des Strafprozesses. Das hiervon erfasste staatlicherseits betriebene Erkenntnisverfahren dient dazu, über die strafrechtliche Verantwortlichkeit eines Menschen und ggf. über die Verhängung einer strafrechtlichen Rechtsfolge zu befinden. Nach teilweise vertretener Ansicht, die hier geteilt wird, sind die Begriffe S. und Strafverfahrensrecht gleichlautend. Mitunter wird in der Literatur aber auch eine Bedeutungsdivergenz angenommen: Danach umfassen beide Termini das Recht des Erkenntnisverfahrens, jedoch soll nur das Strafverfahrensrecht auch für das Vollstreckungsverfahren gelten, das sich im Fall einer Verurteilung an das Erkenntnisverfahren anschließt.

2. Aufgaben

Der Strafprozess dient mindestens drei Aufgaben, die sich gegenseitig ergänzen, mitunter aber auch begrenzen: Erstens dient er dazu, die tatsächliche Grundlage einer strafrichterlichen Entscheidung zu ermitteln. Allerdings darf es hierbei keine Wahrheitsfindung um jeden Preis geben, da der Strafprozess – zweitens – der Rechtsstaatlichkeit (Rechtsstaat) verpflichtet ist, also der „Sicherung der gebotenen Schutzrechte des Beschuldigten“ (Hellmann 2006: 2). Als dritte Aufgabe ist die Schaffung von Rechtsfrieden zu nennen. Diese Aufgabe kommt u. a. darin zum Ausdruck, dass ein Strafprozess nur unter erschwerten Bedingungen bzw. gar nicht betrieben werden kann, nachdem bereits eine rechtskräftige Entscheidung in derselben Sache ergangen ist.

3. Ablauf

3.1 Ordentliches Verfahren

Das erstinstanzliche Erkenntnisverfahren unterteilt sich in das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren (Vorverfahren), das gerichtliche Zwischenverfahren und das gerichtliche Hauptverfahren. Ein Strafverfahren gelangt nur dann in den nächsten Verfahrensabschnitt, wenn es in dem jeweils vorangegangenen Verfahrensabschnitt nicht (durch Einstellung oder in sonstiger Weise) beendet wurde. Die Person, gegen die sich der betreffende Tatvorwurf richtet, wird Beschuldigter gen. Unter diesen Begriff fallen drei weitere Termini: Je nach Verfahrensabschnitt unterscheidet das Gesetz begrifflich zwischen dem Beschuldigten im engeren Sinne (vor Erhebung der öffentlichen Klage), dem Angeschuldigten (ab Erhebung der öffentlichen Klage) und dem Angeklagten (ab Eröffnung des Hauptverfahrens).

Ein Ermittlungsverfahren wird eingeleitet, soweit ein Anfangsverdacht besteht – also die konkrete Möglichkeit, dass eine Straftat begangen wurde. Das Ermittlungsverfahren führt zur Anklageerhebung, wenn ein hinreichender Tatverdacht gegen einen Beschuldigten – also eine überwiegende Verurteilungswahrscheinlichkeit – besteht und soweit keine Verfahrenseinstellung wegen Geringfügigkeit etc. (§§ 153 ff. StPO) in Betracht kommt. Kommt es zur Anklageerhebung, so geht der Strafprozess in das gerichtliche Zwischenverfahren über. Dieses dient dazu, das Vorliegen des hinreichenden Tatverdachts von gerichtlicher Seite überprüfen zu lassen, bevor (bei Annahme eines solchen Tatverdachts) das eingriffsintensive Hauptverfahren eröffnet wird. Dessen Kern besteht in der öffentlichen Hauptverhandlung, die mit einer Verurteilung endet, soweit sämtliche Verfahrensvoraussetzungen bejaht werden und das Gericht von der Täterschaft und der Schuld des Angeklagten überzeugt ist.

Nach einem erstinstanzlichen Urteil kommt die Durchführung eines Rechtsmittelverfahrens in Betracht. Je nach Konstellation können eine Berufung (weitere Tatsacheninstanz) oder eine Revision (Rechtskontrolle) statthaft sein. Soweit ein Urteil in Rechtskraft erwächst, ist es vollstreckbar.

3.2 Besondere Verfahrensarten

Bes. Verfahrensarten sind etwa das Privatklageverfahren (§§ 374 ff. StPO), das Verfahren bei Strafbefehlen (§§ 407 ff. StPO) und das beschleunigte Verfahren (§§ 417 ff. StPO).

4. Grundsätze und Prinzipien

Die folgenden Grundsätze und Prinzipien gelten zwar keineswegs ohne Einschränkungen, prägen jedoch das Wesen des S.s maßgeblich:

a) Nach dem Rechtsstaatsprinzip und dem Fair-Trial-Prinzip muss der Strafprozess rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechen und unter Wahrung der „Verfahrensbalance als regulativem Generalprinzip“ (Roxin/Schünemann 2017: Rdnr. 4) ablaufen.

b) Das Offizialprinzip bestimmt, dass die Strafverfolgung von Amts wegen (ex officio) erfolgt.

c) Gemäß dem Anklagegrundsatz (Akkusationsprinzip) setzt die Eröffnung einer gerichtlichen Untersuchung voraus, dass eine Klage erhoben wurde. I. d. R. handelt es sich hierbei um eine öffentliche Klage der Staatsanwaltschaft, in Betracht kommt aber auch eine Privatklage des Verletzten.

d) Das Legalitätsprinzip besagt u. a., dass die StA bei Vorliegen der Voraussetzungen zur Aufnahme von Ermittlungen bzw. zur Anklageerhebung verpflichtet ist.

e) Nach dem Untersuchungsgrundsatz (Instruktionsprinzip, Ermittlungsgrundsatz, Inquisitionsgrundsatz, Prinzip der materiellen Wahrheit) wird die Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen betrieben.

f) Gemäß dem Mündlichkeitsgrundsatz darf das Urteil i. d. R. nur auf solchen Tatsachen basieren, die in der Hauptverhandlung mündlich erörtert wurden.

g) Aus dem Unmittelbarkeitsgrundsatz folgt u. a., dass das Urteil grundsätzlich nur auf eigenen Wahrnehmungen des Gerichts aus der Hauptverhandlung beruhen darf. Diese Wahrnehmungen können sich etwa auf Zeugenaussagen und Einlassungen des Angeklagten beziehen oder auf richterlichem Augenschein beruhen.

h) Der Öffentlichkeitsgrundsatz bestimmt, dass die Hauptverhandlung i. d. R. öffentlich ist.

5. Rechtsquellen

Das S. ist u. a. in folgenden Rechtsquellen normiert: StPO (Regelungen zu Ermittlungsmaßnahmen und zum Ablauf des Strafprozesses); GG (allgemeine Grundrechte, Bestimmungen über die Rechtsprechung und bes. strafprozessuale Rechte wie Schweigerecht des Beschuldigten); EMRK (Folterverbot, Unschuldsvermutung und Recht auf ein faires Verfahren); GVG (Regelungen zur sachlichen Gerichtszuständigkeit und zum Aufbau der Staatsanwaltschaft); StGB (materieller Verfahrensgegenstand, Regelung einzelner Prozessvoraussetzungen und -hindernisse [z. B. Strafverfolgungsverjährung, Strafantrag, Anwendbarkeit deutschen Strafrechts]); JGG (Regelungen über Jugendstrafverfahren und Verfahren gegen Heranwachsende).