Verfassungsschutz

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1. Begriff

Zentraler Schutzgegenstand des V.es ist die freiheitliche demokratische Grundordnung. V. beschreibt den Kern der Schutzmechanismen des Verfassungsstaates gegen Bestrebungen, die auf die Beseitigung dieses zentralen Schutzgutes abzielen und gegen Gefahren für dieses Schutzgut, die aus dem staatlichen Apparat selbst herrühren. Der Begriff V. kann sich sowohl auf gesetzliche Schutzmechanismen in der Verfassung selbst, wie auf die administrativ mit der Umsetzung dieser Mechanismen befassten Behörden beziehen.

V. ist zu unterscheiden vom Staatsschutz. Auch wenn die Begriffe „Staatsschutz“ und „V.“ häufig synonym gebraucht werden und eng zusammenhängen, handelt es sich doch um abweichende Schutzgegenstände und -formen. „Staatsschutz“ ist zu einem Großteil polizeilich organisiert. Während er auf die Sicherung des Staatsbestandes, also der Existenz des Staates und seiner Institutionen abzielt, ist V. auf die Sicherung der besonderen Staatsform des GG mit der Gewährung ihrer politischen Grundlagen gerichtet.

Im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit trägt der Schutzgegenstand zugleich die Begrenzung des Tätigkeitsfeldes des V.es in sich: Demokratisch legitimierter V. baut auf nicht disponiblen Grundwerten der Verfassung selbst auf. Allerdings ist V. eben auf diese Grundwerte beschränkt: Soweit Anliegen des politischen Diskurses diese pluralistischen Grundwerte nicht in Frage stellen, darf ihnen nicht mit Instrumenten des V.es begegnet werden. Art und Umfang des V.es dürfen also die zu schützenden Grundwerte ihrem Wesensgehalt nach selbst nicht antasten. Daher besteht zwangsläufig eine Wechselwirkung zwischen der zu schützenden Freiheit und dem Schutz dieser Freiheit gegen deren Missbrauch mit dem Ziel ihrer Beseitigung.

2. Entwicklung

Der Begriff V. wurde erst im Laufe des 19. Jh. gebräuchlich. Logisch ist er eng mit der Entstehung geschriebener Verfassungen europäischer Staaten im europäischen Konstitutionalismus verbunden. Entgegen der verbreiteten Annahme, der V. der BRD sei ohne Vorläufer, bestand in der Weimarer Republik von 1920 bis 1929 als zentraler Inlandsnachrichtendienst auf Reichsebene das Amt des Reichskommissars für Überwachung der öffentlichen Ordnung. Mit nur geringem Personalbestand und aufgrund von Kompetenzstreitigkeiten zwischen Reichs- und Landesbehörden konnte diese Institution jedoch keine wirksame V.-Funktion entfalten. An die Stelle eines V.es traten von 1933 bis 1945 die zugleich mit Exekutivbefugnissen ausgestatteten Institutionen der Gestapo und des SD, denen ein auf Unterdrückung ausgerichtetes, extensives Staatsschutzkonzept mit dem Ziel der Bekämpfung aller gegen die amtierende Staatsführung gerichteten politischen Opposition zugrunde lag. In der DDR verband von 1949 bis 1990 das MfS (Stasi) ebenso polizeiliche und nachrichtendienstliche Funktionen in einer extensiven Staatsschutzkonzeption. Keine dieser Institutionen kann daher Traditionslinien begründen; vielmehr ist V. als Gegenentwurf zu diesen politischen Polizeibehörden zu verstehen.

3. Verfassungsschutz unter dem Grundgesetz

Das GG hat sich für eine abwehrbereite und wehrhafte Demokratie entschieden, zu deren zentralen Instrumenten der V. zählt. Zu den „konstruktiven“ Sicherungen des gesetzlichen V.es gehören präventive Normen, wie die sogenannte Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG und die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG, die Verfassungsdurchbrechungen bereits auf Ebene der Verfassung selbst ausschließen sollen. Neben diesen Gefahren „von oben“ durch Staatsorgane hat der Gesetzgeber aber auch die Gefahr „von unten“ durch verfassungsfeindliche Bestrebungen gesehen. Das GG räumt daher dem Bund in Art. 87 Abs. 1 S. 2 die Kompetenz ein, Zentralstellen zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des V.es einzurichten. Seit 1972 enthält Art. 73 Abs. 10 GG zudem in der Zuweisung der Gesetzgebungskompetenz an den Bund eine Definition von V. als „Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes“. Das Volkszählungsurteil des BVerfG von 1983 und das darin formulierte Recht auf informationelle Selbstbestimmung machte in der Folgezeit Reformen der gesetzlichen Grundlagen erforderlich und prägt die Arbeit des V.es bis heute.

4. Verfassungsschutzbehörden in der BRD

Im sogenannten „Alliierten Polizeibrief“ von 1949 wurde ein Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten festgeschrieben: Die Gouverneure der westlichen Besatzungszonen versagten dem V. polizeiliche Kompetenzen und schrieben getrennte Einrichtungen von Polizei- und V.-Behörden vor. Auf Bundesebene nimmt das 1950 auf Grundlage des BVerfSchG gegründete Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die Aufgaben eines zentralen Inlandsnachrichtendienstes wahr. Das Amt ist eine dem BMI nachgeordnete Bundesoberbehörde. Daneben verfügen alle 16 Bundesländer über eigene Landesämter für V., die entweder als selbständige Landesbehörden oder als Abteilungen in den Landesinnenministerien organisiert sind. Das BAMAD nimmt die Funktion des V.es innerhalb der Bundeswehr wahr. Diese Behörden bilden gemeinsam den V.-Verbund mit dem BfV als Zentralstelle. Daneben bestehen themenbezogene Kooperations- und Kommunikationsplattformen, die keine eigenständigen Behörden sind, wie seit 2007 das Gemeinsame Internetzentrum zur Beobachtung und Bewertung islamistischer Internetinhalte, seit 2004 das GTAZ und seit 2012 das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum. An ihnen sind nicht nur V.-Behörden, sondern auch andere Sicherheitsbehörden beteiligt. Seit dem Auftreten neuer Formen des Terrorismus ist die Infrastruktur des V.es zunehmend dichter geworden.

5. Tätigkeits- und Beobachtungsfelder

Anders als auf Gefahrenabwehr ausgerichtete Polizeibehörden, setzt der V. bereits im Gefahrvorfeld an. § 3 Abs. 1 BVerfSchG beschreibt die Aufgabe, Informationen über politisch motivierte Bestrebungen zu sammeln, die gegen die fdGO gerichtet sind. Kriminelles oder strafbares Verhalten ist für diese Beobachtung nicht erforderlich. Der V. vollzieht dabei notwendig politische Entwicklungen in der Schwerpunktsetzung seiner Tätigkeit nach. Während von den 1950er bis zu den 1980er Jahren Bestrebungen des Linksextremismus (z. B. die RAF) im Fokus standen, verschob sich ab den 1990er Jahren der Schwerpunkt zum Rechtsextremismus (z. B. NPD). Mit zunehmenden Zuwanderungszahlen ab den 1960er Jahren kam Ausländerextremismus (z. B. die PKK) als Beobachtungsfeld hinzu (Extremismus) und ab den 2000er Jahren der militante Islamismus. Spionageabwehr (Spionage) als Aufklärung gegnerischer nachrichtendienstlicher Aktivitäten in Deutschland zählt ebenso zu den Aufgaben. Dem BfV ist zudem die Information der Öffentlichkeit über solche Bestrebungen zugewiesen (§ 16 BVerfSchG), als Grundlage für den jährlich erscheinenden V.-Bericht.

Zur Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrages dürfen V.-Behörden Methoden der heimlichen Informationsbeschaffung, sogenannte nachrichtendienstliche Mittel einsetzen. Hierzu zählen etwa die verdeckte Beobachtung von Personen (Observation), technische Mittel wie verdeckte Bild- und Tonaufzeichnungen, der Einsatz von Tarn- und Legendenpapieren und die Anwerbung und der Einsatz von menschlichen Quellen mit Kenntnissen oder Zugang zu den Beobachtungsobjekten. Mittel der Fernmeldeüberwachung finden hierbei enge Grenzen im „Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses“ (Artikel 10-Gesetz). In diesem Bereich besteht zudem mit der G-10-Kommission des Bundestages ein besonderes Kontrollgremium.

6. Kontrollmechanismen

Deutsche V.-Behörden sind einem umfassenden Kontrollregime unterworfen, welches alle drei Staatsgewalten umfasst. Die exekutive Kontrolle in Form von Rechts- und Fachaufsicht wird durch die Bundes- und Landesinnenministerien wahrgenommen. Bes. ausgeprägt ist die parlamentarische Kontrolle, da das hierfür zuständige Parlamentarische Kontrollgremium des Deutschen Bundestages gemäß Art. 45 d GG mit Verfassungsrang ausgestattet ist. Schließlich unterliegt der V. judikativer Kontrolle durch die Verwaltungsgerichte, die jedoch nur ex-post-facto wirken kann.