ABC-Waffen
I. Politikwissenschaftlich
Abschnitt drucken1. Begriffsbestimmung
ABC-W. steht für atomare (A), biologische (B) und chemische (C) Waffen. International gebräuchlich ist die Bezeichnung CRBN.CRBN meint chemical, radiological, biological and nuclear weapons. Zunehmend angewandt wird auch CRBNE, wobei das E für explosives steht. Sie werden auch unter der Abkürzung WMD zusammengefasst. Gemeint sind Waffen, deren Zerstörungskraft ausreicht, auch bei einmaligem Einsatz Leben, Gegenstände und Umwelt in erheblichem Umfang und nachhaltig zu zerstören.
2. Waffenarten
2.1 Atomare Waffen
A-W. sind nukleare und radiologische Waffen. Nukleare Waffen sind Kernwaffen, deren Zerstörungskraft durch Kernspaltung (Fission) oder durch Kernfusion entsteht. Fusionswaffen werden auch Wasserstoffbomben genannt. Die Explosion von Kernwaffen setzt gewaltige Energiemengen frei, die durch Hitze, Druck und radioaktive Strahlung Leben vernichten und Materie zerstören. Zudem gibt es Langzeitwirkungen: Die freigesetzte radioaktive Strahlung verursacht in einem begrenzten Umkreis akute Strahlenkrankheit und langzeitlich schwere Gesundheitsschädigungen. Durch den radioaktiven Niederschlag (Fallout) können sogar, abhängig von den Windverhältnissen am Explosionsort, globale Wirkungen eintreten, auf jeden Fall aber größere Gebiete teilweise langzeitig verstrahlt werden.
Radiologische Waffen bestehen aus einem Sprengsatz und radioaktivem Material. Bei ihrer Explosion wird radioaktives Material im Detonationsumkreis und durch Wind verteilt. Größere Gebiete können, abhängig von der Halbwertzeit des verwendeten Materials, für lange Zeit so verstrahlt werden, dass sie unbenutzbar sind.
2.2 Biologische Waffen
B-W. sind WMD bei denen Krankheitserreger oder natürliche Giftstoffe (Toxine) eingesetzt werden, um Menschen und Tiere zu töten und/oder Gebiete unbewohnbar zu machen. Gegenwärtig sind rund 200 Erreger bekannt, die sich als B-W. verwenden lassen. Sie richten sich vorwiegend gegen zivile Ziele, da militärische Ziele durch Schutzausrüstung und durch Schutzimpfungen geschützt werden können.
2.3 Chemische Waffen
C-W. sind toxisch wirkende feste, flüssige oder gasförmige Substanzen, die in Verbindung mit bestimmten Waffentechniken (Bomben, Granaten, Sprühvorrichtungen) genutzt werden, um Menschen oder Tiere in bewaffneten Auseinandersetzungen dauernd oder zeitweilig handlungsunfähig zu machen oder zu töten. Auch die zur Herstellung chemischer Kampfstoffe verwendeten Vorgängerstoffe zählen zu den C-W., sofern sie nicht für eine andere Form der Weiterverarbeitung vorgesehen sind. Man kann die chemischen Kampfstoffe in Augen-, Nasen- und Rachen-, Lungen-, Haut-, Blut-, Nerven- und Psychokampfstoffen einteilen. Im erweiterten Sinn werden auch Brand- (Napalm), Nebel- und Rauchstoffe, Entlaubungsmittel (Herbizide) sowie Nesselstoffe dazu gezählt. C-W. sind als WMD zu sehen, obwohl sie nur räumlich begrenzt eingesetzt werden können und daher im Gegensatz zu den strategisch wirksamen A- oder B-W. eher als taktische Waffen gelten.
3. Geschichte der ABC-Waffen
ABC-W. im heutigen Verständnis sind Waffen des 20. und 21. Jh., wenngleich biologische Kampfmittel bereits vor 3 000 Jahren durch die Hethiter eingesetzt wurden und Brand- und Nebelstoffe als C-W. in vorchristlicher Zeit Verwendung fanden und das Verseuchen von Brunnen mit Tierkadavern oder der Versuch der Verbreitung von Pest und Pocken als frühe Formen der biologischen Kampfführung gelten können.
3.1 Atomare Waffen
Die Entdeckung der neutroneninduzierten Urankernspaltung 1938 durch Otto Hahn und Fritz Strassmann schuf die Grundlage für die seit den 1940er Jahren entwickelten Nuklearwaffen. Die Furcht vor der Entwicklung einer A-W. durch Deutschland führte 1940 zum Manhattan-Projekt der USA. Als ein Teilprojekt wurde seit 1942 im Forschungslaboratorium Los Alamos unter Leitung von Robert Oppenheimer unter größter Geheimhaltung die A-W. kreiert. Der erste Test fand am 16.7.1945 oberirdisch bei Alamogordo statt (Trinity Test). Am 6.8.1945 um 8:15 Uhr warf der Bomber „Enola Gay“ die erste Atombombe (Sprengstoff: Uran-235), Little Boy genannt, über der Küstenstadt Hiroshima ab. Sie hatte eine Sprengkraft von etwa 13 Kilotonnnen und detonierte etwa 600 m über dem Boden. Rund 90 000 Menschen starben sofort, weitere 50 000 innerhalb von Tagen bis Wochen an der Strahlenkrankheit. Das Stadtgebiet wurde weitgehend zerstört. Am 9.8.1945 detonierte die zweite Atombombe (Sprengstoff: Plutonium-239), Fat Man genannt, über Nagasaki. Sie verfehlte ihr Ziel um mehrere Kilometer und führte trotz einer Sprengkraft von 21 Kilotonnen wegen des hügeligen Geländes zu weit weniger Opfern. Dennoch kamen bei diesem Angriff 36 000 Menschen sofort ums Leben, weitere 40 000 wurden so stark verstrahlt, dass sie innerhalb von kurzer Zeit starben. Bedeutung und Notwendigkeit dieser beiden Atombombeneinsätze sind bis heute umstritten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg begannen auch und die UdSSR (Zündung der ersten eigenen Atombombe 1949), Großbritannien (1952) und später Frankreich (1960) eigene A-W. zu entwickeln. Die VR China, durch sowjetische Hilfe unterstützt, zündete ihre erste Waffe 1964.
Der nächste Schritt führte zur Wasserstoffbombe. Die erste mit dem Codenamen Ivy Mike wurde 1952 durch die USA gezündet. Sie setzte die 800fache Energie der Hiroshimabombe frei.
1953 folgte die UdSSR. Sie erprobte 1961 die mit 57 Megatonnen stärkste jemals gezündete Kernwaffe.
Die Notwendigkeit, Plutonium und angereichertes Uran für A-W. herzustellen, führte zur Konstruktion von Urananreicherungsanlagen und Kernreaktoren. Daraus entstand die weltweite zivile Nutzung der Kernenergie.
Während des Kalten Krieges bis 1989 fand v. a. zwischen den USA und der UdSSR ein beispielloses Wettrüsten statt. Insgesamt wurden weltweit deutlich mehr als 70 000 A-W. hergestellt und gelagert. Zudem entwickelten auch Indien, Pakistan, Nordkorea und vermutlich auch Israel eigene A-W. Südafrika hatte sein eigenes Projekt abgeschlossen, gab es aber nach Ende der Apartheid auf. Das iranische Programm soll durch das 2015 abgeschlossene Abkommen begrenzt werden.
Gegenwärtig (2016) gibt es noch mehr als 16 000 A-W. weltweit. V. a. in den USA und in Russland, aber auch in China, Indien, Pakistan, Nordkorea und wohl auch in Israel lagern einsatzbereite A-W. Diese Staaten verfügen auch über die notwendigen Trägermittel.
3.2 Biologische Waffen
Die im 19. Jh. begonnene Forschung an Erregern zum Einsatz im Krieg gegen Mensch und Tier wurde im 20. Jh. fortgesetzt. Deutschland war dabei führend und verfügte bei Beginn des Ersten Weltkrieges über umfangreiche Bestände, setzte sie aber nicht ein. Es stoppte sein Programm 1917. Nach 1919 begannen Frankreich, Russland, Japan, Italien, Ungarn, Kanada, die USA und Großbritannien mit B-W.-Programmen.
Japan setzte im Zweiten Weltkrieg in China Milzbrand-, Cholera-, Typhus-, Pest- und Dysentrie-Erreger ein, Großbritannien und die USA entwickelten Anthrax. Deutschland dagegen hielt sich an das Genfer Protokoll von 1925.
Führende Nation wurde seit 1926 die UdSSR. Sie setzte ihr B-W.-Programm auch nach Unterschrift des weltweiten Verbots dieser Waffen 1971 zumindest bis zum Ende des Kalten Krieges fort. Die USA beendeten ihr Programm 1969 und vernichteten ihre Bestände bis 1972. Das von Südafrika 1983 begonnene Programm, das nur zur Erkrankung bei Farbigen führen sollte, eine ethnische Waffe, wurde mit dem Ende des Apartheid-Regimes eingestellt. Der Irak verfügte in den 90er Jahren über 19 000 Liter Botulintoxin, 8 300 Liter Anthrax und 2 400 Liter Aflatoxin, setzte allerdings niemals eine dieser Waffen ein.
Nach einer Studie des US Congress aus dem Jahre 2008 wird angenommen, dass China, Kuba, Ägypten, Iran, Israel, Nordkorea, Russland, Syrien und Taiwan weiterhin B-W.-Programme betreiben.
3.3 Chemische Waffen
Die ersten modernen C-W. wurden im Ersten Weltkrieg eingesetzt. Sie basierten auf in der chemischen Industrie verwendeten, in großen Mengen vorhandenen Substanzen wie Chlor, Phosgen, Blausäure und Arsen. Sie wurden als Gas eingesetzt. Später ersetzte man Gas durch Aerosole um nachhaltigere Wirkung zu erzielen. Der bekannteste Kampfstoff dieser Art ist Schwefellost oder Senfgas.
Der erste Einsatz solcher Kampfstoffe erfolgte durch die Franzosen im August 1914. Sie verwendeten eine Art Tränengas. Im großen Umfang nutzte das deutsche Heer ab 1915 tödlich wirkende Kampfstoffe. C-W. führten im Ersten Weltkrieg zu insgesamt etwa 90 000 Toten und 1,2 Mio. Verwundete, blieben aber doch eher wenig effektiv. Nach dem Ersten Weltkrieg verwendeten Briten, Italiener und Spanier Giftgas in ihren Kolonialkriegen.
Vergiftende Waffen waren schon vor dem Ersten Weltkrieg durch die Haager Landkriegsordnung (Haager Friedenskonferenz) geächtet, aber nicht eindeutig verboten. Die Gräuel im Ersten Weltkrieg führten dann 1925 zum Genfer Protokoll, das die Anwendung von Giftgasen und bakteriologischen Mitteln ausdrücklich verbietet.
Im Zweiten Weltkrieg besaßen zahlreiche Nationen solche Waffen. Eingesetzt wurden sie jedoch nur von Japan. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden umfangreiche deutsche Giftgasbestände in der Nord- und der Ostsee mitsamt ihren Transportschiffen versenkt. Eingesetzt wurden C-W. im Jemen durch Ägypten und durch den Irak im Krieg mit dem Iran sowie zur Unterdrückung kurdischer Aufstände. Die Technologie dafür stammte aus der UdSSR. Im Vietnamkrieg verwendeten die USA Chemikalien zur Entlaubung der Bäume. Die eingesetzten Herbizide (v. a. Agent Orange) verursachten schwere gesundheitliche Schäden bei der Bevölkerung und den Soldaten beider Seiten, Langzeitwirkungen eingeschlossen.
Literatur
H. H. Kühl: Defense: protection against chemical, biological, radiological and nuclear threats in a changing security environment, 2012 • International Commission on Nuclear Non-Proliferation and Disarmament: Eliminating Nuclear Threats, 2009 • K. Krömer: Massenvernichtungswaffen und die NATO, 2003.
Empfohlene Zitierweise
K. Naumann: ABC-Waffen, I. Politikwissenschaftlich, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/ABC-Waffen (abgerufen: 21.11.2024)
II. Sozialethische Beurteilung
Abschnitt druckenDer Beginn des nuklearen Zeitalters bedeutete eine Krise für die Lehre vom „gerechten Krieg“, der friedensethische Positionsbestimmungen der Kirchen bis 1945 weithin gefolgt waren. Denn stärker noch als für biologische und chemische Kampfmittel galt für A-W., dass im Fall ihres Einsatzes die Einhaltung der ethischen Grenzen des ius in bello (also von Schranken, die beim Einsatz von Gewalt nicht überschritten werden dürfen) schwierig bis unmöglich würde. Die grundsätzlichen ethischen Argumente zu den Grenzen erlaubten Gewalteinsatzes unter Bedingungen moderner Gesellschaften (Gesellschaft) und Kriegsmittel hatte bereits 1944 der amerikanische Jesuit John Cuthberg Ford entwickelt. Er wies auf die Gefahr einer immer weiteren Entgrenzung des für zulässig gehaltenen militärischen Handlungsrahmens hin und arbeitete heraus, dass Vernichtungsangriffe gegen Nonkombattanten dem ethisch wie nach humanitärem Völkerrecht verbindlichen Verhältnismäßigkeitsgebot ebenso widersprachen wie der letztlich aus diesem abgeleiteten Forderung nach „diskriminatorischer“ Anwendung von Gewalt: Diese darf nicht unterschiedslos geschehen, sondern nur den Kombattanten des Gegners, nicht aber unbewaffneten und schutzlosen Nonkombattanten gelten. Weil sich A-W. v. a. für eine unterschiedslose Art des Einsatzes von Gewalt eignen, wurden sie unter dem Begriff „Massenvernichtungsmittel“ subsumiert, der zugleich deren ethische Missbilligung zum Ausdruck bringen sollte.
1. Atomwaffen und nukleare Abschreckung während des Kalten Krieges
Die A-W. der frühen Entwicklungszeit waren ganz überwiegend nur zu unterschiedslosen Angriffen auf „Flächenziele“, also Industrie- und Bevölkerungszentren, verwendbar. Mehr noch als für Bomben, die auf dem Prinzip der Kernspaltung beruhen (also diejenigen vom Hiroshima [Uran]- bzw. Nagasaki [Plutonium]-Typ), galt dies für thermonukleare Sprengkörper, deren vielfach stärkere Zerstörungskraft durch Kernverschmelzung (Fusionsprinzip) bewirkt wird. Auf die Verwerflichkeit einer solchen Kriegführung, gleich ob mit A-, B- oder C-Waffen, wies Papst Pius XII. am 30.9.1954 unmissverständlich hin. Dieses ethische Urteil wurde durch das Zweite Vatikanische Konzil bekräftigt (GS 80: „Jede Kriegshandlung, die auf die Vernichtung ganzer Städte oder weiter Gebiete und ihrer Bevölkerung unterschiedslos abstellt, ist ein Verbrechen gegen Gott und gegen den Menschen, das fest und entschieden zu verwerfen ist“).
Die sozialethische Diskussion über die modernen „wissenschaftlichen Waffen“ (GS 80) konzentrierte sich dennoch, parallel zu den Entwicklungen in Militärpolitik und Strategie, auf Fragen nuklearer Rüstung (Rüstungspolitik). Denn deren praktische Bedeutung in der Entwicklung der Militärpotentiale v. a. der Supermächte USA und UdSSR überwog diejenige der B- und C-Bewaffnung bei weitem. Dabei erwies sich die Theorie, dass mit Hilfe nuklearer Abschreckung der Ausbruch eines Krieges, in dem solche Mittel zum Einsatz kommen würden, gerade verhindert werden solle, als ethisch in hohem Maße problematisch. Denn im Rahmen dieser Theorie erschien eine Aufrüstung („Rüstungsgleichgewicht“) mit Nuklearwaffen um des Friedens willen geradezu gefordert. Zugleich war man sich der Risiken (Risiko) und Kosten bewusst, die diese Art von Rüstungskonkurrenz zur Folge hatte. Sie beschwor die Gefahr herauf, dass Versuche zur Friedenssicherung mittels nuklearer Rüstung kontraproduktiv endeten, indem sie die Kriegsursachen vermehren und Spannungen und Konflikte (Internationale Konflikte) auch in Regionen projizieren, in denen sie nicht ihren Ursprung haben (GS 81). Zudem ging die Annahme, nukleare Abschreckung könne auf Dauer eine Friedensgarantie darstellen, von Rahmenbedingungen aus, die in der Realität kaum anzutreffen waren: allseitige Rationalität, unzweifelhaftes Wissen um die Situation auch in gefährlichen Krisen, Fehlersicherheit der technischen Instrumente zur Verhinderung eines ungewollten Nuklearwaffeneinsatzes usw. Deswegen warnte bereits das Zweite Vatikanische Konzil, die Gefahr gehe weniger davon aus, dass ein Staat willentlich einen alles vernichtenden Krieg beginne, als vielmehr von den Tücken der Eskalation in einer Kette interaktiver, zunächst begrenzter Gewalthandlungen, an deren Ende jene Zerstörung steht, die zu Beginn alle Beteiligten zu vermeiden hofften (GS 80).
Dies warf ein gravierendes ethisches Problem auf, und zwar in doppelter Hinsicht: Welche Aussichten auf Schadensbegrenzung bestanden im eben nicht auszuschließenden Fall, dass die Abschreckung versagt? Der Standpunkt, im Grenzfall dürfe es sogar in Kauf genommen werden, „wenn die Welt untergehen sollte dabei“ (Gundlach 1959: 13), war in der sogenannten Atomkriegsdebatte bereits zu Ende der 1950er/Beginn der 1960er Jahre von einer großen Mehrheit der beteiligten Ethiker als unhaltbar zurückgewiesen worden. Andererseits: Würde die Weise, wie diese Aussichten verbessert werden könnten, ungewollt die Kriegswahrscheinlichkeit erhöhen, indem sie in Krisenzeiten Anreize zu einem Präventivschlag bes. gegen das nukleare Potential des Gegners setzte oder den Gedanken nahelegte, nukleare Kriege könnten „gewonnen“ werden (counterforce-Strategien)? Und konnte man, um kleinere, verbündete Staaten zu schützen (extended deterrence), dem Gegner eine Strategie eskalierender Nuklearkriegführung glaubhaft androhen, wenn dieser in der Lage war, auf allen Ebenen in gleicher Weise zu reagieren? Innerhalb des Rahmens der Abschreckungstheorie wurden diese Zielkonflikte nie gelöst. Auch die Frage, ob sich ein einmal ausgebrochener Nuklearkrieg kontrolliert und bei (relativ zu den noch offenen Möglichkeiten) „niedrigem“ Zerstörungsniveau würde beenden lassen, wurde von Expertenseite überwiegend verneint.
Die ethische Position, die die beiden großen christlichen Kirchen mehrheitlich bereits in den 1950er Jahren dazu erarbeiteten und v. a. in den 1980er Jahren weiterentwickelten und ausdifferenzierten, lief auf eine als zeitlich begrenzt verstandene Tolerierung der Abschreckung hinaus: Noch erschien sie alternativlos, aber zugleich war alles dafür zu tun, dass so schnell wie möglich weniger risikoreiche Wege der Friedenssicherung entdeckt und beschritten wurden. In der Zwischenzeit galt es, das Abschreckungssystem gegen die mannigfaltigen Gefahren seines Versagens so gut abzusichern wie möglich. Zentral für die Überzeugungskraft dieser Position war, ob man im Ernstfall die Unterscheidung zwischen einer Drohung mit Nuklearwaffen und deren tatsächlichem Einsatz für ethisch tragfähig und praktikabel hielt. Nur so konnte erstere auch dann für erlaubt gehalten werden, wenn der Einsatz selbst nicht gerechtfertigt werden konnte.
Eine Minderheit in beiden Kirchen war hingegen der Auffassung, die Dilemmata nuklearer Abschreckung und die aus ihrer Sicht letztlich fiktive Unterscheidung zwischen Drohung und Einsatz zeigten, dass es unmöglich sei, sie ethisch zu rechtfertigen. Daher sei nur ein Nein zu dieser Art von Rüstung und den sich auf sie stützenden Strategien vertretbar („Nuklearpazifismus“).
Bes. Bedeutung in dieser ethischen Positionsfindung kam dem Hirtenbrief der US-amerikanischen katholischen Bischöfe von 1983 „The Challenge of Peace – God’s Promise and Our Response“ zu. Er unterzog zunächst die ethischen Kriterien der überkommenen Lehre vom gerechten Krieg einer kritischen Relecture und teilweisen Neuakzentuierung, damit sie zur Orientierung in den durch die damals aktuelle, von hoher politischer Spannung zwischen Ost und West (Ost-West-Konflikt) gekennzeichnete politische Situation aufgeworfenen ethischen Fragen dienen konnte. Sodann setzte er sich mit der Expertise von Fachleuten für Strategiefragen detailliert auseinander. Das wichtigste Ergebnis dieser Überlegungen bestand in der dringenden Warnung an alle Nuklearmächte, aus welchen Gründen auch immer einen nuklearen Krieg zu beginnen, selbst wenn dieser als „begrenzt“ intendiert sein mochte. Die damit verbundenen Risiken einer Eskalation in allumfassende Vernichtung seien bei weitem zu hoch. Erhebliche Zweifel an der ethischen Vertretbarkeit eines Ersteinsatzes von Kernwaffen äußerten im selben Jahr auch die Bischofskonferenzen in mehreren mit den USA verbündeten sowie weiteren europäischen Staaten, unter ihnen die Bischöfe in beiden deutschen Staaten.
2. Nukleare Abschreckung und Proliferation nach 1990
Nach 1989 geriet die Position einer befristeten Tolerierung der nuklearen Abschreckung zunehmend in die Kritik: Es stellte sich heraus, dass nukleare Waffensysteme zwar im öffentlichen Bewusstsein erheblich an Bedeutung verloren und auch in großem Umfang vertraglich reduziert wurden. Dem entsprach jedoch nicht ein vergleichbarer Bedeutungsverlust innerhalb des strategischen Gefüges militärpolitischer Planungen. Sowohl auf US-amerikanischer wie sowjetischer Seite hielt man an noch immer großen und technisch diversifizierten nuklearen Potentialen fest. Zugleich lässt man Möglichkeiten offen, sie zu modernisieren bzw. ihre Funktionsdauer zu verlängern. Eine grundsätzliche Umorientierung fand offensichtlich nicht statt.
Ein Grund dafür war und ist zweifellos der sich intensivierende Prozess der Weiterverbreitung militärisch nutzbarer Nukleartechnologie in bisher nichtnukleare Staaten (Proliferation). Dabei zeigt sich ein verhängnisvoller Regelkreis: Mit dem erkennbaren Unwillen der großen Nuklearmächte, sich gemäß dem Nichtverbreitungsvertrag für Nuklearwaffen (NPT) (seit 1970 in Kraft, fast alle Staaten haben sich seinen Regeln unterworfen) weitere einschneidende Beschränkungen dieser Rüstung aufzuerlegen, begründen Nichtnuklearstaaten ihr eigenes Streben nach nuklearer Bewaffnung, was umgekehrt den Nuklearstaaten weitere Argumente dafür nahelegt, ihre Handlungsfreiheit in diesem Bereich möglichst nicht selbst einzuengen.
Damit scheinen die Aussichten für eine Überwindung des nuklearen Abschreckungssystems durch ein weniger gefahrvolles Instrument auf absehbare Zeit eher gering zu sein. Zugleich wird dieses System fragiler, da der halbwegs berechenbare Kontext einer im Wesentlichen bipolaren Welt sich aufgelöst hat und sich heute zunehmend fragt, was „Stabilität“ mit immer mehr Atommächten heißt und wie sie erreicht bzw. erhalten werden könnte. Die nächstliegende Antwort auf wahrgenommene Instabilitäten in der Nachbarschaft liegt offenbar für viele Staaten weiterhin in eigener Aufrüstung. Dies führt zu der Befürchtung, dass dadurch die Wahrscheinlichkeit wächst, dass es zu kriegerischen Verwicklungen mit dem Risiko von Nuklearwaffeneinsätzen kommt.
Bes. Aufmerksamkeit in einem ethischen Zusammenhang muss in einer Welt mit zunehmend mehr Atommächten der Frage nach „Krisenstabilität“ gelten: In Krisen (Krise) darf sich aus der Art der verfügbaren militärischen Mittel keine starke Sogwirkung in Richtung eines Ersteinsatzes ergeben, um die eigenen Bestände vor deren Zerstörung durch den Gegner zu bewahren (use it or loose it). Denn Kriegsverhütung muss sich gerade in Krisen bewähren, ihre Instrumente dürfen sich deswegen nicht gegen das ethische Ziel des Friedenserhalts wenden und es aufgrund ihrer eigenen Einsatzcharakteristiken untergraben. Krisenstabilität hat jedoch eine Reihe spezieller Voraussetzungen, die im Fall der meisten nuklearen „Schwellenländer“ nicht oder nur unzureichend gegeben sind.
Angesichts dieser Entwicklungen und der mit ihnen verbundenen Risiken mehren sich Stimmen, die eine (weitere) ethische Tolerierung der nuklearen Abschreckung für nicht mehr vertretbar halten. Anfang 2007 rief ein Zeitungsartikel des ehemaligen US-Außenministers Henry Alfred Kissinger und weiterer außenpolitischer Experten aus den USA zu einer vollständigen Beseitigung von Kernwaffen auf, weil anderenfalls deren Verbreitung und die von ihr ausgehenden Gefahren (einschließlich nuklearen Terrorismus) unbeherrschbar würden. Anders als es bei B- und C-Waffen der Fall war und ist, sind die Aussichten für eine solche Abschaffung bzw. eine völkerrechtliche Ächtung nuklearer Mittel jedoch eher gering, jedenfalls soweit dies über den Rahmen des NPT (v. a. bei weiterreichenden Inspektionsrechten von Nuklearanlagen durch die IAEO) und ein umfassendes Teststoppabkommen hinausginge.
Eine häufig diskutierte Perspektive könnte im Abschluss regionaler Sicherheitsabkommen mit dem Ziel bestehen, den allseitigen Verzicht auf Nuklearwaffen innerhalb der Grenzen dieser Region verbindlich festzuschreiben. Solche „nuklearwaffenfreien Zonen“ haben andererseits nur dort eine Chance, dauerhaft zu regionalem Frieden beizutragen, wo dadurch den berechtigten Sicherheitsinteressen aller Beteiligten in einigermaßen vergleichbarer statt in grob asymmetrischer Weise Rechnung getragen wird.
In sozialethischer Perspektive bleibt der entscheidende Gesichtspunkt, ob und wie es künftig gelingt, die mit mittlerweile vielfältigen militärischen Verwendungsmöglichkeiten verbundenen Gefahren des Nuklearzeitalters, insb. für die Stabilität des Kriegsverhinderungssystems, politisch zu bewältigen. Dieser Gedanke steht auch hinter der Forderung, das System der Abschreckung durch die Errichtung einer Weltfriedensordnung zu ersetzen – eine Forderung, die aber ihrerseits viele offene Fragen aufwirft und daher auf so starke Vorbehalte und Skepsis stößt, dass mit ihrer Realisierung in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist.
Literatur
C. Eisenbart (Hg.): Die Singuläre Waffe, 2012 • H. A. Kissinger u. a.: A World Free of Nuclear Weapons, in: Nuclear Security Project (Hg.): Toward a World without nuclear weapons, 2011, 1–4 • D. Biello: Wozu neue Kernwaffen?, in: Spektrum der Wissenschaft 2 (2008), 90–99 • S. Cimbala: Russia’s Evolving Nuclear Deterrent, in: Defense & Security Analysis 23/3 (2007), 257–279 • C. Guicherd: L’Église Catholique et la Politique de Défense au début des Années 1980, 1988 • F. Böckle/G. Krell (Hg.): Politik und Ethik der Abschreckung, 1984 • D. Hollenbach: Nuclear Ethics. A Christian Moral Argument, 1983 • G. Gundlach: Die Lehre Pius’ XII. vom modernen Krieg, in: StZ 164/7 (1958/59), 1–14 • J. C. Ford: The Morality of Obliteration Bombing, in: Theological Studies 5/3 (1944), 261–309.
Empfohlene Zitierweise
T. Hoppe: ABC-Waffen, II. Sozialethische Beurteilung, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/ABC-Waffen (abgerufen: 21.11.2024)
III. Rechtlich
Abschnitt druckenWegen des hohen Zerstörungspotenzials der ABC-W. hat sich in der völkerrechtlichen Diskussion auf internationaler Ebene inzwischen weitgehend der Begriff „Massenvernichtungswaffen“ (WMD) durchgesetzt. Sein Vorteil besteht darin, dass er sich allein an der Wirkung der Waffen orientiert und damit unabhängig von ihrer technischen Wirkungsweise zur Anwendung kommt.
Aufgrund der historischen Entwicklung ist jedoch im Bereich des Völkervertragsrechts (Völkerrechtliche Verträge) nach wie vor zwischen verschiedenen Regimen für A-, B- und C-W. zu unterscheiden. Neben dem Vertragsrecht bestehen seit einigen Jahren verbindliche Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats, der in auf Kap. VII der UN-Charta gestützten Resolutionen eine Nichtverbreitungsstrategie für WMD verfolgt.
1. Vertragsregime im Bereich der ABC-Waffen
Im modernen Völkervertragsrecht (Völkerrechtliche Verträge) zu ABC-W. steht die Eindämmung von A-W. am Beginn der Rechtsentwicklung. Umfassende vertragliche Regime für B- und C-W. folgten erst in den 1990er Jahren, wenngleich für alle Bereiche die allgemeinen Regeln des humanitären Völkerrechts gelten, die teilweise deutlich älter sind als die Waffenarten selbst. Deutschland hat im Vorfeld des Beitritts zu NATO und WEU 1954 im WEU-Protokoll Nr. III auf ABC-W. rechtsverbindlich verzichtet. Der Verzicht wurde in Art. 3 Abs. 1 des Vertrags über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland („Zwei-plus-Vier-Vertrag“, Deutsche Einheit) vom 12.9.1990 bekräftigt.
1.1 Atomare Waffen
1.1.1 Nichtverbreitungsvertrag
Der wichtigste Vertrag im Rahmen der Kontrolle von A-W. ist der Nichtverbreitungsvertrag (NPT) vom 1.7.1968. Er beruht auf der zentralen Unterscheidung zwischen Kernwaffenstaaten und Nichtkernwaffenstaaten und beinhaltet für die Kernwaffenstaaten ein generelles Weitergabeverbot (Art. I) sowie für die Nichtkernwaffenstaaten ein Verbot des Erwerbs, der Herstellung und der Entwicklung von Kernwaffen (Art. II). Zur Überwachung dieser Verpflichtungen wurden Safeguard-Agreements zwischen den beteiligten Staaten und der IAEO geschlossen (Art. III), die weitgehend reibungslos funktionieren. Wichtige problematische Fälle betreffen allerdings den Iran, den Irak und Nordkorea. Nordkorea hat seine Mitgliedschaft im Nichtverbreitungsvertrag 2003 gekündigt. Ein weiteres Problem besteht darin, dass mit Indien, Pakistan und Israel wichtige potentielle Nuklearmächte nicht am Regime beteiligt sind. Die Grundkonzeption des Nichtverbreitungsvertrags ist aber zentral mit seiner Universalität verknüpft.
Neben dem universellen Nichtverbreitungsregime gibt es verschiedene regionale Verträge, mit denen Stationierungs-, Produktions-, Erwerbs- und Entwicklungsverbote für bestimmte Regionen vereinbart werden. Wichtige Verträge dieser Art sind die Verträge von Taschkent (8.9.2006; Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan), Pelindaba (11.4.1996; 38 afrikanische Staaten), Bangkok (15.2.1995; Brunei, Kambodscha, Indonesien, Laos, Malaysia, Myanmar, die Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam.), Rarotonga (6.8.1985; 13 südpazifische Staaten) und Tlatelolco (14.2.1967; 33 mittel- und südamerikanische Staaten). Durch diese Verträge sind weite Teile der Südhalbkugel atomwaffenfrei.
1.1.2 Testverbote
Ein zweiter Bestandteil der Begrenzung von Kernwaffen besteht in der vertraglichen Vereinbarung von Testverboten. Ein multilaterales Testverbot besteht für den Weltraum, die Atmosphäre und den Unterwasserbereich (Vertrag über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser vom 5.8.1963). An dieses teilweise Testverbot sind derzeit 125 Staaten gebunden. Seit 10.11.1996 gibt es den Kernwaffenteststopp-Vertrag, der von insgesamt 164 Staaten ratifiziert ist. Für sein Inkrafttreten ist allerdings die Ratifikation durch 44 im Annex namentlich genannte Staaten erforderlich, die nach den Informationen der IAEO im Jahr 1995 über Kernwaffentechnologie verfügten. Von diesen Staaten haben acht Staaten noch nicht ratifiziert (Ägypten, China, Indien, Iran, Israel, Nordkorea, Pakistan, USA). Indien, Pakistan und Nordkorea haben den Vertrag gar nicht unterzeichnet. Sein Inkrafttreten ist deshalb derzeit trotz der hohen Gesamtzahl an Ratifikationen nicht absehbar.
1.1.3 Bilaterale Rüstungsbegrenzungs- und Abrüstungsvereinbarungen
Rüstungsbegrenzungs- und Abrüstungsvereinbarungen betreffen schließlich die von den USA und Russland (früher der UdSSR) unterhaltenen Kernwaffenarsenale. Wichtige Meilensteine der Entwicklung waren die SALT-Verträge. Zu diesen gehören der ABM-Vertrag vom 26.5.1972 (SALT-I-Vertrag), der aufgrund einer Kündigung der USA durch die Regierung George W. Bush im Jahr 2002 außer Kraft trat, und der SALT-II-Vertrag, der zwar nie förmlich in Kraft trat, von den Parteien aber weitgehend eingehalten wurde. Sein wesentlicher Gegenstand war die zahlenmäßige Begrenzung von Interkontinentalraketen und bestimmten Trägersystemen. Ab 1983 wurden Verhandlungen zwischen den USA und der UdSSR über echte Abrüstungsmaßnahmen, also nicht nur über Obergrenzen, sondern über die Zerstörung vorhandener Arsenale geführt. Diese mündeten in den START-I-Vertrag vom 31.7.1991. Am 3.1.1993 folgte der START-II-Vertrag, der allerdings aufgrund verschiedener Vorbehalte sowohl des US-Senats als auch der russischen Duma niemals in Kraft trat und 2002 von Russland in Reaktion auf die amerikanische Kündigung des ABM-Vertrags ebenfalls gekündigt wurde. Verhandlungen über ein mögliches START-III-Abkommen führten zu keinem Ergebnis. Nach dem vertragsgemäßen Auslaufen von START-I zum 5.12.2009 wurde am 8.4.2010 ein „Neuer START-Vertrag“ vereinbart, der am 5.2.2011 in Kraft trat und Obergrenzen für Gefechtsköpfe, Abschussrampen und schwere Bomber vorsieht, die zu einem Abbau bestehender Rüstungsarsenale führen.
1.2 Biologische Waffen
Eine frühe vertragliche Regelung über ein Verbot B-W. findet sich im Genfer Giftgas-Protokoll von 1925. Dieses umfasst über seinen Kurztitel hinaus ausdrücklich auch bakteriologische Waffen („Protokoll über das Verbot der Verwendung von erstickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen sowie bakteriologischen Mitteln im Kriege“ vom 17.6.1925). Die Diskussion um ein Verbot biologischer und bakteriologischer Waffen wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst im Kontext des Verbots chemischer Waffen geführt. Nachdem der Vietnamkrieg eine Einigung auf ein Verbot sowohl chemischer wie B-W. verhinderte, wurden die Verhandlungen über B-W. abgetrennt und es kam am 10.4.1972 zur Unterzeichnung des Übereinkommens über das Verbot B-W. Das Übereinkommen trat am 26.3.1975 in Kraft und ist derzeit für 173 Staaten verbindlich. Allerdings fehlen v. a. wichtige Staaten in Afrika und im Nahen Osten, darunter insb. auch Israel und Ägypten. Die zentrale Schwäche des Abkommens besteht im Fehlen eines Überwachungsmechanismus.
1.3 Chemische Waffen
Umfassende Regelung hat das Verbot von C-W. durch die CWC vom 13.1.1993 erfahren. Mit 192 Ratifikationen besitzt das Übereinkommen inzwischen fast universelle Geltung. Von den Unterzeichnerstaaten hat allein Israel die Konvention bislang nicht ratifiziert. Nach seinem Art. 1 untersagt das Übereinkommen den Vertragsparteien, C-W. zu entwickeln, herzustellen, auf andere Weise zu erwerben, zu lagern oder zurückzubehalten oder C-W. an irgendjemanden unmittelbar oder mittelbar weiterzugeben. Außerdem wird der Einsatz von C-W. und jede Vorbereitung für den Einsatz von C-W. verboten. Darüber hinaus werden die Vertragsparteien verpflichtet, jedwede Bestände an verbotenen C-W. zu vernichten. Schließlich werden die Vertragsparteien auch dazu verpflichtet, natürliche Personen an der Herstellung oder Verwendung von C-W. zu hindern und entsprechende Strafbestimmungen in ihrem innerstaatlichen Recht vorzusehen (Art. VII Abs. 1 CWC).
Für die Überwachung der Verpflichtungen hat das Übereinkommen eine eigene internationale Organisation errichtet (Art. VIII CWC). Ihre Aufgabe ist neben der Überprüfung der allgemeinen Verpflichtungen auch die Beaufsichtigung der Vernichtung der vorhandenen Bestände von C-W. In dieser Rolle hat die Organisation bspw. die Vernichtung aller C-W. Syriens überwacht (SC Res. 2118 vom 27.9.2013) und die Bestände im Januar 2016 für vollständig vernichtet erklärt. Darüber hinaus ist sie auch zu sogenannter „Verdachtsinspektionen“ berechtigt. Die Arbeit der Organisation wird sowohl hinsichtlich der allgemeinen Überprüfung als auch in Bezug auf die Vernichtung vorhandener C-W. positiv eingeschätzt.
2. Nichtverbreitungsmaßnahmen des UN-Sicherheitsrats
Aufgrund der von der Verbreitung von WMD ausgehenden Gefahren für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit hat der Sicherheitsrat erstmals im Jahr 2004 die Verbreitung von WMD abstrakt und unabhängig von einer konkreten Gefahrensituation als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im Sinne von Art. 39 UN-Charta qualifiziert und dementsprechend die Mitgliedstaaten zu einer Reihe von abstrakten Gegenmaßnahmen verpflichtet (SC Res. 1540 vom 28.4.2004; SC Res. 1673 vom 27.4.2006; SC Res. 1810 vom 25.4.2008; SC Res. 1977 vom 20.4.2011). Zu den Verpflichtungen der Staaten auf der Basis dieser Resolutionen gehören namentlich die Einführung von Strafbestimmungen, die Durchführung von Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen zum physischen Schutz gefährlicher Stoffe und Substanzen und die Schaffung entsprechender Kontrollmechanismen zur Überwachung von Import und Export. Zu dem vom Sicherheitsrat errichteten System gehört auch die Überwachung durch einen entsprechenden Ausschuss des Sicherheitsrats, an den die Staaten berichten müssen.
3. Ausblick
Der Überblick über die vorhandenen Regeln zeigt zunächst einmal, dass insb. seit dem Ende des Kalten Krieges ein umfangreiches und in weiten Teilen auch erfolgreiches Rechtsregime zur Eindämmung von ABC-W. errichtet werden konnte. Für alle drei Bereiche gibt es jeweils einen zentralen multilateralen Vertrag. Allerdings sind die Durchsetzungsmechanismen unterschiedlich stark ausgeprägt und es bestehen namentlich unter dem Übereinkommen über das Verbot B-W. nicht unerhebliche Defizite bei den Überwachungsmöglichkeiten.
Die größte Herausforderung der letzten Jahre liegt in der Verhinderung der Weitergabe von WMD an nicht-staatliche Akteure. Insb. besteht die Gefahr, dass internationale Terroristen atomare, biologische oder chemische Anschläge durchführen könnten (Terrorismus). In diesem Bereich hat die Aktivität des Sicherheitsrats auf der Grundlage von Kap. VII UN-Charta die vertraglichen Verfahren zumindest teilweise überlagert. Schließlich darf nicht übersehen werden, dass moderne konventionelle Waffen teilweise erhebliche zerstörerische Wirkungen entfalten und damit die von ihnen ausgehenden Gefahren in jüngerer Zeit zu Recht verstärkte Aufmerksamkeit erfahren haben.
Literatur
J. L. Black-Branch/D. Fleck (Hg.): Nuclear Non-Proliferation in International Law, Bd. 2, 2015 • P. Foradori (Hg.): Still the Century of Overkill?, 2015 • J. L. Black-Branch/D. Fleck (Hg.): Nuclear Non-Proliferation in International Law, Bd. 1, 2014 • W. Krutzsch u. a. (Hg.): The Chemical Weapons Convention, 2014 • D. H. Joyner/M. Roscini (Hg.): Non-proliferation Law as a Special Regime, 2012 • J. Hertwig: Die Europäische Union und die Bekämpfung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, 2010 • D. H. Joyner: International Law and the Proliferation of Weapons of Mass Destruction, 2009 • J. Littlewood: The Biological Weapons Convention, 2005.
Empfohlene Zitierweise
C. Walter: ABC-Waffen, III. Rechtlich, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/ABC-Waffen (abgerufen: 21.11.2024)