Internationale Konflikte
1. Begriff
I. K. bezeichnen die Form jenes Interessenantagonismus politischer Gruppen (insb. – doch nicht ausschließlich – von Staaten), dessen Dimension über ein einziges Land hinausreicht. Um zum i.n K. zu werden, müssen Antagonismen außerdem eine gewisse Intensitätsschwelle, zumal an Gewaltsamkeit (Gewalt) überschreiten, denn bei den weitaus meisten Interessenunterschieden zwischen zwei oder mehr Regierungen handelt es sich nicht um i. K., sondern um ganz normale Differenzen. Die äußerste Form von i.n K.n sind Kriege, ihrerseits ein zentrales Thema der Rechts-, Geschichts- und Sozialwissenschaften. Relativ zu allen anderen Konfliktfällen sind Kriege aber eher seltene Formen von i.n K.n; viel häufiger kommen gewaltsame Konflikte geringerer Intensität oder „militarized interstate disputes“ (Prins 2010: 4647) vor.
Werner Link definiert den zentralen Begriff des Konflikts wie folgt: „Konflikt ist ein kritischer Spannungszustand bzw. Spannungsprozess, der durch das Auftreten miteinander unvereinbarer (oder unvereinbar erscheinender) Tendenzen in einer (die Akteure) umfassenden (Interaktions-)Einheit verursacht wird und dadurch deren Organisation und Struktur bedroht. […] Spannungen werden ‚kritisch‘, wenn und indem sie sich auf die Struktur des Beziehungszusammenhangs auswirken, insb. wenn sie die Zerstörung oder Desorganisation des die streitenden Parteien übergreifenden Ganzen bewirken können“ (Link 1988: 38 f.). Frank Pfetsch und Christoph Rohloff definieren Konflikt wesentlich konkreter „as the clashing of overlapping interests (positional differences) around national values and issues (independence, self-determination, borders and territory, access to or distribution of domestic or international power); the conflict has to be of some duration and magnitude between at least two parties (states, groups of states, organizations or organized groups) that are determined to pursue their interests and win their case. At least one party is the organized state. Possible instruments used in the course of a conflict are negotiations, authoritative decisions, threat, pressure, passive or active withdrawals, or the use of physical violence and war“ (2000: 27 f.).
Typologisch lassen sich i. K. nach ihrer Ausdehnung, ihrem Gegenstand sowie ihrer Austragungsform und Intensität differenzieren. Hinsichtlich der Ausdehnung unterscheiden sich i. K. danach, ob ihr Bezug auf eine bestimmte Region beschränkt ist oder darüber hinausgeht, ja sich im äußersten Fall auf die Staatenwelt insgesamt erstreckt. Ein struktureller Weltkonflikt liegt vor, wenn große Mächte oder maßgebliche Allianzen „unvereinbare oder unvereinbar erscheinende Tendenzen hinsichtlich der Organisation (Struktur) des internationalen Systems verfolgen, d. h. einander ausschließende Änderungen oder eine Erhaltung der bestehenden internationalen Ordnung anstreben“ (Link 1988: 47). Bei den beiden Weltkriegen (1914–18, 1939–45) und dem Kalten Krieg (1947–89/91) handelte es sich um solche strukturellen Weltkonflikte. Einen Spezialfall an der Grenze zwischen einem innerem Konflikt und einem i.n K. bilden internationalisierte Bürgerkriege: Auch wenn sie nur auf dem Boden eines Staates stattfinden, können sie zu einem i.n K. mit regionaler oder sogar internationaler Dimension werden, falls nämlich auswärtige Mächte in sie eingreifen. Beispiele sind die Bürgerkriege in Spanien 1936–39, im Südvietnam der 1960er Jahre oder in Syrien ab 2011.
2. Konfliktgegenstände
Als „Gegenstand“ bezeichnet man die substanzielle Konfliktursache. Am häufigsten sind Grenz- und Territorialstreitigkeiten; dann folgen Religions-, Ideologie-, Identitäts- und Prestigefragen, Streit um natürliche Ressourcen oder ökonomische Güter, doch auch Streitpunkte wie politische Autonomie bzw. Unabhängigkeit sowie die konkrete Machtverteilung in einem regionalen oder internationalen System. Fragen der Handels- oder Währungspolitik können ebenfalls durch i. K. im obigen Sinn beantwortet werden, falls nämlich Regierungen gewillt sind, bestimmte Strukturen einseitig aufzulösen und der jeweils anderen Seite – um eigene Interessen durchzusetzen – ökonomische Schäden anzudrohen oder zuzufügen. Allerdings lassen sich die Konfliktgegenstände nur idealtypisch leicht auseinanderhalten, denn realtypisch gibt es bei vielen i.n K.n mehr als nur einen einzigen Konfliktgegenstand und ist eine klare Trennung der Streitpunkte nur selten möglich.
3. Austragungsformen und Streitbeilegung
Ferner hängen die Austragungsform und Intensität von i.n K.n eng zusammen. Allgemein lassen sich gewaltsame und nicht-gewaltsame Formen der Konfliktaustragung unterscheiden. Für eine korrekte Wahrnehmung der letzteren ist zu bedenken, dass es vergleichsweise wenig Forschung und Daten zu nicht-gewaltsamen Konflikten gibt. Insgesamt umfassen die Mittel der Austragung von i.n K.n das ganze Spektrum staatlichen und politischen Handelns, im Einzelnen also militärische, ökonomische, diplomatische, psychologische, propagandistisch-kommunikative und geheimdienstliche Mittel. Der Intensitätsgrad bewegt sich auf einem Kontinuum, das von einer Latenzphase, in der sich die Konfliktparteien nur beobachten, bis hin zum „totalen“ Krieg reicht. Konkret klassifizieren F. Pfetsch und C. Rohloff die von ihnen untersuchten Konflikte nach latenter Konflikt, Krise, ernster Krise und Krieg.
Hinsichtlich des Umgangs mit i.n K.n verpflichtet das internationale Recht die Staaten auf eine friedliche Konfliktbeilegung. Während im klassischen Völkerrecht die Staaten das freie Recht zur Kriegserklärung an andere Staaten hatten (ius ad bellum), brach der Briand-Kellogg-Pakt von 1928 mit dieser neuzeitlich-europäischen Tradition: Die vertragsschließenden Staaten erklärten den Verzicht auf Krieg als Mittel zur Austragung i.r K. Die im Juni 1945 – also noch vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Asien – angenommene UN-Charta unterwarf in ihrem Art. 2 sogar alle zwischenstaatlichen Beziehungen einem allgemeinen Gewaltverbot. Davon ausgenommen sind in Art. 51 lediglich das Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung gegen einen bewaffneten Angriff sowie Maßnahmen des UN-Sicherheitsrates zur Erhaltung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Während also hinsichtlich von Staaten die Rechtslage klar ist, sind nichtstaatliche Konfliktakteure völkerrechtlich problematisch.
Ohnehin sehen sich die Bemühungen um eine völkerrechtliche und institutionelle Begrenzung der Austragung von i.n K.n auf friedliche Mittel vor großen faktischen Schwierigkeiten. Allgemein gibt es wegen des Fehlens einer rechtsdurchsetzenden Institution oberhalb der Staaten auf der inernationalen Ebene weniger Mechanismen als innerhalb von (funktionierenden) Staaten, bei einer gegenläufigen Interessenlage zu einer rechtsförmigen und allgemein akzeptablen Konfliktregulierung zu gelangen. Auch wenn eine Vereinbarung gelingt, ist i. d. R. unsicher, ob sich die jeweils andere Konfliktpartei wirklich an sie halten wird.
Welchen Anteil ansonsten die Struktur des internationalen Systems und die Eigenschaften von Staaten an der Entstehung von i.n K.n haben, ist Gegenstand sehr grundlegender Debatten im politikwissenschaftlichen Teilfach Internationale Beziehungen. Vertreter der realistischen (Realismus) und der liberal-idealistischen Schule unterscheiden sich in ihren Einschätzungen, bis zu welchem Grad die internationale Politik überhaupt eine grundsätzliche Neigung zu Konflikten hat. Unstrittig ist allerdings, dass das Konfliktverhalten der Akteure stark vom Konfliktgegenstand mitbestimmt wird. Bei i.n K.n, in denen extreme ideologische Gegensätze (Ideologie) bestehen und elementare Regeln nicht beachtet werden (etwa die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten, die Immunität von Diplomaten und ähnliche), scheint eine friedliche Konfliktbeilegung auf dem Verhandlungsweg ausgeschlossen zu sein. Um einen solchen i.n K. handelt es sich etwa bei dem seit 2001 andauernden Kampf der USA und anderer Staaten gegen diverse dschihadistische Gruppen (Islamismus) und deren dezentrale Netzwerke. Bei Territorialkonflikten, in denen die Anliegen von Bewohnern, Vertriebenen oder Geflüchteten betroffen sind, sind dauerhafte Verhandlungslösungen zwar schwierig, aber durchaus möglich. Wo i. K. dagegen ihre Ursache in materiellen Interessen haben, die sich auf teilbare Güter beziehen (z. B. Fischfangrechte), sind sie i. d. R. friedlich und rechtsförmig lösbar.
4. Beispiele und ihre Lehren
Im 20. Jh. gab es bei i.n K.n in Form von zwischenstaatlichen Kriegen etwa 140 Mio. Tote. Der Zweite Weltkrieg war der bislang destruktivste i. K. der Geschichte. Es hat denn auch seit 1945 keinen „heißen“ Krieg mehr zwischen Großmächten gegeben. Doch es führte das Zerfallen der amerikanisch-britisch-sowjetischen Weltkriegskoalition zwischen 1945 und 1947 zum Kalten Krieg als neuem Weltkonflikt. Als Ost-West-Konflikt 1917 mit der Entstehung der damals auf eine Weltrevolution setzenden UdSSR aufgekommen und von den aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangenen Supermächten weitergeführt, war er ein ständiger „Nicht-Frieden“ zwischen den um die USA und die UdSSR gruppierten Lagern. Unterhalb bilateraler Kriegshandlungen wurde in ihm „alles das eingesetzt […], was man bisher nur aus der militärischen Auseinandersetzung kannte“ (Stöver 2007: 20). Bis zur Erosion und dem Kollaps des sowjetischen Imperiums zwischen 1989 und 1991 bildete der Kalte Krieg nicht nur den wichtigsten i.n K., sondern auch die Grundkonstellation aller internationaler Politik. Er unterschied sich von früheren Weltkonflikten in mindestens drei Aspekten: durch die bipolare internationale Machtkonzentration; durch die neuartige Technologie von Nuklearwaffen und ihren Trägersystemen (ABC-Waffen); sowie durch seine Globalität, denn als erster i. K. erfasste der Kalte Krieg jede Weltregion, u. a. als ideologische Systemkonkurrenz und in Form heißer Stellvertreterkriege.
Auch wenn eine bipolare Systemstruktur im Vergleich zu einer multipolaren oft als stabiler und friedlicher beurteilt wird, gerieten im Kalten Krieg regionale und lokale Konflikte leicht in den Sog des Supermächtekonflikts oder zogen ihrerseits die allenthalben auf Feldvorteile ausgehenden Supermächte an. Insgesamt waren i. K. selten, bei denen die USA und die UdSSR ähnliche Ziele vertraten (z. B. im i.n K. um die Unabhängigkeit Indonesiens von den Niederlanden 1949), oder in denen eine der beiden Seiten keine starke Position bezog (z. B. die UdSSR im Falklandkrieg zwischen Großbritannien und Argentinien 1982). Zuweilen griff die eine Supermacht auch nur deshalb in einen i.n K. ein, weil eben die andere Supermacht an ihm beteiligt war (z. B. im Ogaden-Krieg zwischen Äthiopien und Somalia 1977/78). Die Kriege in Korea (1950–53), Vietnam (1964–75) und Afghanistan (1979–89) gehören zu den bes. gewaltintensiven i.n K.n im größeren Rahmen des Kalten Krieges.
Einen dem Kalten Krieg vergleichbaren „Rahmenkonflikt“ gibt es seit dem Zerfall der 1917 entstandenen UdSSR im Jahr 1991 nicht mehr. Auch wenn sich deutliche Indikatoren dafür finden, dass i. K. in Form von Staatenkriegen seltener werden, haben sich die Hoffnungen nicht erfüllt, es werde in einer sich fortan demokratisierenden Welt eine Art linearen Rückgangs des aggressiven Verhaltens von Staaten gegen andere Staaten oder gar ein Verschwinden gewaltsamer i.r K. geben. Die Struktur der i.n K. nach 1990 ist vielmehr diffuser geworden, die sie tragenden Konfliktakteure vielgestaltiger. Bei vielen inter- oder transnationalen Konflikten sind auch gar nicht mehr Staaten die wichtigsten Akteure; „neue Kriege“ (Münkler 2002), die u. a. von ideologisch motivierten Terrornetzwerken (Terrorismus) und militärisch bewaffneten Kriminellen (Kriminalität) geführt werden, nehmen ihren Ausgang meist dort, wo es keine funktionierende Staatlichkeit mehr gibt oder es sie ohnehin noch nicht gegeben hat.
Die USA hatten aufgrund ihrer unangefochtenen globalen Machtstellung in den 1990er und frühen 2000er Jahren großen Handlungsspielraum, sofern es um die Frage militärischer Interventionen in i.n K.n ging. In westlichen Hauptstädten dominierten deshalb optimistische Einschätzungen dahingehend, durch direktes Eingreifen i. K. erfolgreich lösen zu können. Rückschläge bei den US-geführten Interventionen in Afghanistan (2001) und im Irak (2003) haben diesen Optimismus stark getrübt. Die militärische Überlegenheit der USA und anderer NATO-Staaten (NATO) ließ sich v. a. dann nicht in die gewünschte Lösung eines i.n K.s umsetzen, wenn die eigentlich materiell unterlegene Gegenseite erfolgreich mit „Strategien der Asymmetrierung“ (Münkler 2002: 49) zu operieren verstand. Auch die v. a. von europäischer Seite oder der UNO gerne betonten zivilen Mittel (z. B. Diplomatie, Entwicklungszusammenarbeit) können – gemessen an den Erwartungen der frühen 1990er Jahre – nur bedingt als Erfolgsgaranten bei der Prävention und Lösung von i.n K.n gelten.
Literatur
C. Masala: Weltunordnung, 2016 • S. Sur: The Evolving Legal Aspects of War, in: J. Lindley-French/Y. Boyer (Hg.): Oxford Handbook of War, 2012, 116–131 • K. Adams: The Causes of War, in: ISE, Bd. 1, 214–223 • B. Prins: Interventions/Uses of Force Short of War, in: ISE, Bd. 8, 4646–4669 • K. Rasler/W. Thompson: System Theories of Conflict, in: ISE, Bd. 10, 6670–6687 • B. Stöver: Der Kalte Krieg, 2007 • H. Münkler: Die neuen Kriege, 2002 • F. Pfetsch/C. Rohloff: National and International Conflicts, 2000 • W. Link: Der Ost-West-Konflikt, 21988 • H. Neuhold: Internationale Konflikte, 1977.
Empfohlene Zitierweise
C. Masala, T. Tömmel: Internationale Konflikte, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Internationale_Konflikte (abgerufen: 21.11.2024)