Gute, das
„Das G.“ ist ein Sammelbegriff für alles, was wir als gut bezeichnen, und „gut“ und „schlecht“ sind die allg.sten Begriffe, mit denen wir Sachverhalte in der Welt positiv bzw. negativ bewerten. „Gut“ als allg.ster Begriff positiver Bewertung spielt eine fundamentale Rolle sowohl in der praktischen Philosophie, die das für und durch den Menschen G. zum Thema hat, als auch in der theoretischen Philosophie, insofern auf ontologisch-metaphysischer Ebene das Verhältnis von Sein und Gutsein zur Debatte steht.
Eine breite metaphysische Tradition neigte dazu, das Sein und das Gutsein der Dinge ineinszusetzen (ens et bonum convertuntur) und das Schlechtsein als Mangel an Sein und Gutsein (privatio boni) zu interpretieren. Seiendes wird hier generell auch als Zu-Seiendes verstanden. Etwas ist und ist gut, insofern es das ist und verwirklicht, was es seinem Wesen nach sein kann bzw. zu sein bestimmt ist. Es ermangelt des ihm eigenen Seins und ist schlecht, insofern es die ihm eigenen Möglichkeiten, etwas Bestimmtes zu sein und zu verwirklichen, unterbietet oder verfehlt. Das Blindsein etwa eines Sinnenwesens ist etwas Schlechtes (ein malum physicum); ihm fehlt etwas, was zur Vollkommenheit seines Seins als Sinnenwesen gehört.
Im Zusammenhang einer objektiven Wesensmetaphysik, die das Sein des Seienden als teleologisch strukturierten Ordnungszusammenhang interpretiert, führt der Begriff des G.n als Vollkommenheit und Zweckmäßigkeit des Seins zum Gedanken eines Systems des intrinsischen und relationalen Gutseins der Dinge, das abgeschlossen und begründet wird durch ein zuhöchst G.s (bonum supremum), dem jedes Seiende nach Maßgabe seiner Teilhabe an ihm sein Gutsein verdankt. Jedes Seiende ist wirklich und ist gut in dem Maß, in dem es seinem ihm eigenen Wesen entspricht. Und dieses Wesen ist fundiert in einem letzten Prinzip (beim Begründer Platon in der Idee des G.n, vgl. Politeia, 507a-517 b, in christlicher Tradition in Gott), das jedem Seienden seine Stellung und seine Funktion im All der Dinge und Vorgänge zuweist.
„Gut“ wird in unterschiedlicher Bedeutung verwendet. Klassisch ist einmal die (auf Cicero zurückgehende) materiale Unterscheidung des G.n in Angenehmes (iucundum), Nützliches (utile) und sittlich Lobenswertes (honestum). Diese Unterscheidung wird heute vielfach ergänzt um das menschlich G. i. S. d. Gedeihens und Wohlergehens (well-being). Klassisch ist zweitens die (auf Platon und Aristoteles zurückgehende) formale, an der Zielstruktur unseres Strebens orientierte Gliederung des G.n in solches, was wir um seiner selbst willen, was wir seiner selbst und seiner Folgen wegen und was wir nicht an ihm selbst, sondern nur seiner Folgen wegen schätzen. Klassisch ist schließlich die Unterscheidung von solchem, was bedingt, d. h. nur unter Umständen gut ist, was unbedingt, d. h. unter allen Umständen gut ist, was besser bzw. zuhöchst gut ist neben und im Vergleich zu anderem G.m (bonum supremum) und schließlich, was vollendet gut ist im Sinne eines Ziels aller Ziele, das unser Streben erfüllt und über das hinaus nichts Besseres erstrebt werden kann (das höchste Gut als bonum consummatum).
V. a. die letzteren Unterscheidungen spiegeln sich in der kontrovers diskutierten Frage nach der Abgrenzung und Verhältnisbestimmung des sittlich G.n, Schönen und Ehrenvollen (honestum) zum außermoralisch bzw. „natürlich“ G.n (bonum). Das eindeutige Kriterium der Unterscheidung bildet der Gesichtspunkt des Gebrauchs: Außermoralisch G.s, d. h. solches, was wir unter normalen Umständen seinem Gegenteil vorziehen (in Immanuel Kants Gliederung: Talente des Geistes, Eigenschaften des Temperaments, sowie leibliche und äußere Glücksgaben), ist dadurch gekennzeichnet, dass es sich durch den, der es besitzt, gut oder schlecht gebrauchen lässt bzw. dass es ihm gut oder schlecht bekommt, während moralisch G.s (der gute Wille, Vernunft in Verbindung mit Charaktertugend) den Besitzer vor einem schlechten Gebrauch schützt bzw. sich selbst aufhebt, sollte er versucht sein, es schlecht zu gebrauchen.
Die Frage der Verhältnisbestimmung von moralisch G.m und außermoralisch G.m spielt eine zentrale Rolle in allen Ethiken. Sie meldet sich zum einen zu Wort mit der Frage, was es für einen moralisch Gesinnten an Sachverhalten in der Welt zu verfolgen gilt, zum anderen mit der Frage, was als das höchste, das vollendete Gut (bonum consummatum) für menschliches Leben und Streben zu gelten hat.
In der Beantwortung der zweiten Frage unterscheiden sich nicht nur die eudämonistischen Ethiken der Antike, sondern auch die kantische und die utilitaristische Ethik der Neuzeit sowie ihre deontologischen und teleologischen Varianten und Abkömmlinge der Gegenwart. Aristoteles erklärt die geistige und charakterliche Tugend des Menschen als Menschen zum notwendigen und wesentlichen, wenngleich nicht zureichenden Faktor seines Endziels, des Glücks (eudaimonia). Zu dessen Fülle gehören nach ihm auch glückliche Lebensumstände und schicksalsabhängige Güter. Die hellenistischen Ethiken der Stoa und des Epikureismus sehen dagegen die Erreichung des Endziels allein über die Bildung des Geistes und des Charakters gesichert. Dabei behauptet die Stoa, dass Tugend und tugendhaftes Handeln das einzig seiner selbst wegen Erstrebenswerte sei, dass außermoralisch G.s nur dem sittlich G.n zum Wohl gereiche und dass das Erreichen der Tugendhaftigkeit mit der Fülle menschlichen Glücks ineinsfalle. Ähnlich wie der stoische ist auch der epikureische Weise unter allen Umständen glücklich. Doch im Unterschied zur Stoa formuliert Epikur das höchste Gut in Begriffen der Schmerz- und Leidfreiheit bzw. des Vergnügens und stuft die Tugend zum notwendigen und zureichenden Mittel herab. Der antike Gegensatz zwischen Epikureismus und Stoa schreibt sich in der gegenwärtigen Antithetik eines (mehr) utilitaristisch oder eines (mehr) kantianisch geprägten Verständnisses von Sittlichkeit und der entsprechenden Verhältnisbestimmung von Sittlichkeit und Glück des Menschen fort. Dabei ist diese neuzeitliche und moderne Verhältnisbestimmung durch Züge gekennzeichnet, die die Nähe und Distanz zur jüdisch-christlichen Tradition der Weltsicht und Lebensauffassung zur Voraussetzung haben. Alle großen philosophischen Ethiken der nichtchristlichen Antike sind um den Nachweis bemüht, dass Glück im Sinn eines guten menschlichen Lebens und Amoralität sich ausschließen; und umgekehrt, dass der Tugendhafte, wie schlimm die Umstände auch kommen mögen, wenn schon nicht glücklich, so doch nicht unglücklich sein wird. Dies ist anders in der jüdisch-christlichen Tradition. Hier dominiert nicht die Figur des Sokrates, sondern die Figur eines Hiob oder Jesus, in der Rechtschaffenheit und irdisches Glück auseinanderfallen. Und hier dominiert eine gute Botschaft, die die Selbstbeglückungskraft menschlicher Tugend in Frage stellt, die dem menschlichen Elend und Leid eine immense Bedeutung beimisst, und die einen geschenkhaften und gerechten Ausgleich von Moralität und Glück am Ende „dieser“ Weltzeit bzw. im Jenseits verheißt.
Die (von Jeremy Bentham und John Stuart Mill gegründete) utilitaristische Ethik entnimmt von dieser Tradition die Gewichtung menschlichen, ja des gesamtkreatürlichen Elends und Leids. Sie formuliert das selbstwert- und endzielhaft G. in Begriffen eines Weltzustands, der möglichst frei ist von Schmerz und Leid, und möglichst erfüllt ist von positivem Empfinden des Lebens auf all seinen Stufen. Und sie versteht dieses Ziel als säkulare Aufgabe des Menschen. Sie funktionalisiert das moralisch-rechtlich G. i. S. v. Regeln, Handlungen und Einstellungen, die der effizienten Beförderung eines solchen Weltzustands dienen. Und sie versucht, den für die Realisierung des zielhaft G.n erforderlichen Einstellungen der Rechtlichkeit, des Gemeinsinns und des Altruismus durch gesetzliche Institutionen und durch die Restituierung hellenistischen, insb. epikureischen Tugend- und Glücksverständnisses Geltung zu verschaffen.
I. Kants Welt- und Selbstverständnis steht in der Tradition der jüdisch-christlichen Lehre vom Menschen als Bild Gottes. Diese hatte den unvergleichlichen Wert des Menschen, seine Würde, in sein vernünftiges und freies Subjektsein (Subjekt), in seine Fähigkeit zu vernünftigem Weltverständnis und zu verantwortlicher Selbst- und Weltgestaltung gesetzt. Für I. Kant konstituiert genau diese „Anlage zur Persönlichkeit“ und ihre Aktualisierung im „guten Willen“ dasjenige, was allein „ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden“ (Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten 393). Die Prinzipien des guten Willens eines Menschen und die Prinzipien seiner Glückseligkeit seien heterogener Natur; der moralisch G. sei „in dieser Welt“ nicht eo ipso auch der außermoralisch Glückliche. Gleichwohl fordere Vernunft nach Gesichtspunkten der Gerechtigkeit, dass ein des Glückes bedürftiges und des Glückes würdiges Wesen auch glücklich sei. Das zuhöchst G., die Zuordnung und das Zusammenstimmen von Moralität und Glückseligkeit, wird so gesehen zum Gegenstand einer gläubigen Hoffnung reiner praktischer Vernunft, die nur ein allwissender, allmächtiger und gerechter Gott „in einer anderen Welt“ einzulösen vermag.
Was tun wir, wenn wir etwas oder jemanden als „gut“ bezeichnen? Beziehen wir uns auf etwas in der Welt? Beschreiben wir eine reale Eigenschaft von Objekten? Oder bringen wir nur unsere positiven Empfindungen und Gefühle den Objekten bzw. Sachverhalten gegenüber zum Ausdruck? Klar ist, dass wir mit diesem Wort immer auch unsere Wertschätzung, unsere Zustimmung und unsere Empfehlung von bzw. zu etwas bzw. jemandem zu verstehen geben. Während am einen Extremende der Theoriepositionen der sogenannte Emotivismus die radikal subjektivistische Auffassung vertritt, dass mit dem Wort „gut“ generell nur die subjektive Empfindung, Zustimmung und Empfehlung des Sprechers zum Ausdruck kommt, steht am anderen Ende die extrem realistische Auffassung, dass Gutsein eine objektive Eigenschaft bestimmter Objekte (unabhängig von ihrem Wahrgenommen-, Gewünscht- und Gedachtwerden durch uns Menschen) ist.
Die emotivistische Position versagt bei der Erklärung des Gebrauchs von „gut“ in einem funktionalen Sinn (bei Instrumenten, Geräten, Gebrauchsgegenständen, Organen, Teilen von Maschinen, bei Vermögen, Fachkunden, Berufen und ihrem Einsatz bzw. Vollzug). Hier gibt es z. T. präzise Kriterien, die das objektive Gegebensein von „gut“ i. S. d. guten Eignung, der guten Fähigkeit, des guten Passens zu etwas und der guten Ausführung bzw. des guten Vollzugs von etwas festzustellen erlauben. Die objektive Bestimmung des Was und Wozu seiner Funktion enthält die Kriterien der Feststellung des objektiven Gutseins des Gegenstandes bzw. dessen, was er leistet. Dies ist anders, wenn wir nicht die Verrichtung bzw. den Vollzug einer objektiv bestimmbaren Funktion, sondern wenn wir ein Ziel vor Augen haben, das wir für selbstwerthaft gut halten (wie Gesundheit, Schönheit, Freiheit, Lust etc.), oder wenn wir, ohne Rücksicht auf seine Funktion, von einem guten Menschen oder einem guten Leben sprechen. Ist ein Gebrauch von „gut“ in solchen Urteilen nur Ausdruck persönlichen Empfindens und subjektiver Zustimmung? Und kann es hier, wenn überhaupt, dann nur eine mehr oder weniger breit gestützte empirische Allgemeinheit des subjektiven Urteils geben?
Eine Zurückweisung von Subjektivismus und Relativismus wird diesbezüglich auf drei verschiedenen Wegen gesucht. Die Transzendentalphilosophie in der Tradition I. Kants ist personalistisch und rationalistisch orientiert. Ihr ist das freie, vernünftige Subjekt und sein guter Wille das evidentermaßen höchste und uneingeschränkt G. Ihr gilt als objektiv gut und wertvoll, was eine freie, vernünftige Subjektivität (ihrem Potential und ihrer Aktualität nach) ausmacht und was sie, unter vernünftigen Subjekten konsensfähig, als Zustand und Vorgang in der Welt bejahen kann. Der Utilitarismus ist naturalistisch und rationalistisch orientiert. Gut und schlecht sind nach ihm Grundeigenschaften des sich selbst empfindenden und erlebenden Lebens. Dass Lust etwas objektiv G.s und Schmerz etwas objektiv Schlechtes ist, darüber hat nach dieser Auffassung die Natur mit allen Lebensimpulsen (aller menschlichen Reflexion vorgängig) „entschieden“. Dieses natural G. ist die Quelle all dessen, was inhaltlich als objektiv wertvoll zu betrachten ist. Im utilitaristischen Konzept des moralisch objektiv Richtigen verbinden sich natural G.s mit formal Vernünftigem: Es gilt, durch unser Handeln einen möglichst großen Betrag an Vergnügen, verteilt auf möglichst viele Menschen bzw. empfindende Wesen zu erzielen. Der Utilitarismus macht nicht das freie, vernünftige Personsein, sondern einen welthaften (in Grenzen auch quantifizierbaren) Sachverhalt, das lustvolle bzw. schmerzfreie Erleben des Lebens möglichst vieler empfindungsfähiger Lebewesen zum Ausgangs- und Zielpunkt seiner Theorie des G.n.
Jenseits des Objektivismus von personalistischer Transzendentalphilosophie und naturalistischem Utilitarismus formiert sich gegenwärtig, in gewissem Anschluss an die phänomenologische Wertphilosophie die Position des Wertrealismus. Sprachanalytische Gründe belegen, dass „gut“ nicht „gewünscht“ und nicht „gewollt“ bedeutet. Was immer im Sinne eines Endziels gewünscht wird, kann gut oder schlecht sein. Und nicht deshalb ist, unseren elementaren Intuitionen entspr., etwas gut, weil wir es faktisch oder vernünftigerweise wollen, sondern wir wünschen und wollen etwas, weil es gut ist bzw. weil wir es für gut halten.
In unserer lebensweltlichen Einstellung nähmen wir Wertvolles und Wertwidriges (etwa liebevolles oder grausames Verhalten) unmittelbar wahr. Die Phänomene sprächen für die ontologische Selbständigkeit von Werten. Denn etwas wahrnehmen besagt normalerweise, dass das Wahrgenommene nicht auf eine Subjektivitätsleistung reduzierbar ist. Es ist die Frage, wie stark man diese (in unseren Intuitionen und unserer wertenden Sprache vorausgesetzte) ontologische Selbständigkeit des wahrgenommenen G.n in Ansatz bringt. Man unterscheidet gegenwärtig einen schwachen von einem starken Wertrealismus. Während der starke Realismus Werte als von Subjektivitätsleistungen völlig unabhängige Entitäten versteht, konstruiert sie der schwache Realismus als Relationen, die sich ähnlich deuten lassen wie die sogenannten sekundären Qualitäten von Erfahrungsgegenständen. Diese sind real und objektiv; sie finden sich im Objekt als Objekt der sinnlichen Erfahrung („der Tisch ist braun“), wenngleich nicht real und objektiv in dem Sinne, in dem es etwa die molekulare Struktur des Tisches ist. Doch dass ein realer Gegenstand eine bestimmte Farbe hat, ist eine objektive, auch objektiv feststellbare Tatsache, wenngleich nur objektiv und real für Menschen und ähnlich verfassten Sinnenwesen. Keinen größeren oder geringeren Realitäts- und Objektivitätsanspruch als für sekundäre Qualitäten möchte der schwache Realismus für Werteigenschaften erheben: Eine Handlung ist gut ähnlich wie der Tisch braun ist. Die sekundären Qualitäten sind in Wahrheit relationale Eigenschaften; es sind keine bloßen Projektionen von Subjekten: Es ist etwas Reales, nicht auf Subjektivitätsleistungen Reduzierbares am Gegenstand, das diesen einem Sinnenwesen wie dem Menschen unter bestimmten Bedingungen als so und so beschaffen erscheinen lässt. Analoges soll von objektiven, auch und nicht zuletzt von moralischen Werten gelten.
Literatur
M. Forschner: Das Gute, in: NHphG, Bd. 2, 2011, 1132–1144 • C. Halbig: Praktische Gründe und die Realität der Moral, 2007 (Lit.) • J. McDowell: Mind, Value and Reality, 2001 • G. H. von Wright: The Varieties of Goodness, 1963 • H. Kuhn: Das Sein und das Gute, 1962 • W. D. Ross: The Right and the Good, 1930 • M. Scheler: Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, 1916 • I. Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: AA, Bd. 4, 1781, 385–464.
Empfohlene Zitierweise
M. Forschner: Gute, das, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Gute,_das (abgerufen: 21.11.2024)