Subjekt
1. Wortbedeutung
S. leitet sich von lateinisch subiectum (griechisch hypokeimenon) ab und bedeutet das „Daruntergeworfene“ bzw. „Zugrundeliegende“. In logischer Hinsicht bezieht sich S. auf das, worüber etwas ausgesagt wird, was die Unterscheidung von S. und den ihm zugesprochenen Prädikaten impliziert. In ontologischer Hinsicht bezieht sich S. sowohl auf das einzelne Seiende als Träger der Eigenschaften als auch auf das, was dem einzelnen Seienden als dessen Prinzip zugrunde liegt; hier besteht ein Bezug zu den Begriffen „Substanz“, „Wesen“ und „Natur“. In der Philosophie der Neuzeit wurde S. mit dem „ich denke“ als Prinzip aller Erkenntnis gleichgesetzt bzw. mit dem transzendentalen Ich (Transzendenz) als Möglichkeitsbedingung von Erkennen, Wollen und Handeln (Handlungstheorie). Dieser Bedeutung von S. entspricht die Unterscheidung von (erkennendem) S. und (erkanntem) Objekt, wenn S. mit einem reflexiv tätigen Ich identifiziert wird. Im Blick auf die ursprünglich lateinische Bedeutung von subiectum als „Daruntergeworfenes“ hat sich insb. in subjektkritischer Perspektive eine weitere Bedeutung von S. als „Unterworfenes“ entwickelt. Wird in der Alltagssprache S. oft mit „Individuum“ und „Person“ gleichgesetzt, so sind diese Begriffe philosophisch zu unterscheiden: „Individuum“ bedeutet ein jegliches einzelne Seiende, „Person“ ein von Ding und Ereignis unterschiedenes bewusstes Dasein, und S. die Singularität der „Erste-Person-Perspektive“ des Bewusstseinsvollzuges von Personen.
2. Begriffsgeschichte
Sowohl in seiner logischen wie ontologischen Bedeutung wird S. detailliert von Aristoteles reflektiert. In logischer Hinsicht ist für Aristoteles S. dasjenige, dem etwas prädiziert wird, selbst aber nicht prädiziert werden kann, was dessen Eigenständigkeit bedeutet. Ontologisch wird zunächst das einzelne Seiende als S. bezeichnet, insofern es Träger von Eigenschaften ist, zugleich aber den vier Seinsgründen unterworfen, die es aktualisieren; des Weiteren die passive Materie bzw. der Stoff als Zugrundeliegendes der aktiven Form und deren Bestimmungen, und schließlich das Wesen bzw. die Substanz eines einzelnen Seienden, das es in seiner spezifischen Differenz zu anderem auszeichnet und es in seinem Selbststand gründet. Diese dreifache Bedeutung von S. prägte die scholastische Philosophie und Theologie (Scholastik). Allerdings gibt es in der antiken und mittelalterlichen Philosophie bereits Konzeptionen, deren S.-Verständnis als Vorform des neuzeitlichen S.-Begriffs interpretiert werden kann. So finden sich z. B. in Platons Dialog „Charmides“ W urzeln eines reflexionstheoretischen Bewusstseinsverständnisses, ebenso in Plotins Bestimmung des nous als sich selbst denkendes Denken. Auch die neuplatonische Referenz auf das unum in nobis (Proklos) lässt sich analog zur prinzipiellen Funktion des Ichs in neuzeitlichen Philosophien verstehen, ebenso der stoische Begriff des hegemonikon (Seelenfunke). Augustinus nimmt den cartesischen Gedanken der aus der Gewissheit des Zweifels stammenden Selbstgewissheit vorweg, ebenso wird man in seinen Überlegungen zur memoria und zum magister intereor W urzeln eines neuzeitlichen S.-Gedankens entdecken können, gleichfalls in Boethius’ Definition des Personbegriffs. In der aristotelischen Tradition mittelalterlicher Philosophie können die im Kontext der Seelenmetaphysik vertretenen Intellekttheorien des Averroes, Albertus Magnus, Dietrichs von Freiberg und auch von Thomas von Aquin als Momente eines S.-Verständnisses begriffen werden, das die neuzeitliche Philosophie detailliert entfaltet. Diese Theorien diskutierten den ontologischen Status und die epistemologische Funktion von intellectus agens und possibilis und deren Verhältnis zueinander, und insb. Dietrichs Begriffsprägung des ens conceptionale für die erkenntniskonstituierende Funktion des aktiven Intellekts und dessen Herauslösung aus einer Ding- bzw. Substanzontologie weist auf spätere neuzeitliche Gedanken hin, des Gleichen die Differenzierung zwischen Seelengrund und einzelnen Seelenvermögen bei Dietrich und dann bei Meister Eckhart in dessen Lehre von der Geburt Gottes im Grund der Seele.
Die häufig als Initialmoment neuzeitlicher S.-Philosophie gedeutete Reflexion von René Descartes über das ego cogito als unerschütterliches Fundament aller Gewissheit ersetzt zwar das subiectum des Einzeldings bzw. des Stoffs durch die prinzipielle Funktion des ego cogito als fundamentum inconcussum absolutum veritatis, verbleibt aber in ihrem Substanzdualismus zwischen res cogitans und res extensa grundsätzlich noch in der Tradition der Substanzmetaphysik. Die cartesische Identifikation von S. mit dem „ich denke“ ebnet den Weg für reflexionstheoretische Bestimmungen des Bewusstseins und dessen mit dem S.-Begriff bezeichneten „Träger“ (das denkende Ich), verbunden mit einer Entgegensetzung von erkennendem S. und erkanntem Objekt, die dem reflexiven Akt des Intellekts stets zu eigen ist. S. ist das vom Objekt unterschiedene intelligible, d. h. auf die Vermögen Intellekt und Wille bezogene Ich, und als solches ist es „Zugrundeliegendes“ der Objekte. Gegen diese Form einer S.-Philosophie wenden sich sogenannte Strom- bzw. Bündeltheorien des Bewusstseins, die die Annahme eines S. von Bewusstsein i. S. eines persistierenden Ichs als Träger des Bewusstseins verneinen, so z. B. bei David Hume. In reflexionstheoretischer Tradition steht auch Immanuel Kants Bestimmung des transzendentalen Ichs als Möglichkeitsbedingung sowohl der Erkenntnis und deren synthetisierender Funktion als auch aller Handlungen und der auf sie bezogenen Urteile. Jenes transzendentale S. wird von I. Kant jedoch nicht mehr als ontologische Größe und damit auch nicht mehr als Substanz verstanden, sondern als rein formales Prinzip der Erkenntnis. In diesem Zusammenhang kritisiert I. Kant die Seelenmetaphysik, insb. den cartesischen Substanzdualismus, da diese sich in die Verwechslung von Phänomenon und Noumenon verstricke und über etwas Urteile zu fällen suche, was kein Gegenstand möglicher Erkenntnis sein könne, und so die lediglich regulative Idee des transzendentalen Ichs zu einer Seelensubstanz hypostasiere.
Anders als reflexionstheoretische Perspektiven auf den S.-Begriff identifizieren präreflexive Theorien S. mit einem dem Einzelvermögen des Intellekts noch vorausliegenden Prinzip aller einzelnen Vermögen der Vernunft (Vernunft – Verstand); dieses wird mit einem unmittelbaren, nichtreflexiven Wissen um sich (Selbstgewissheit) als Grund reflexiver Selbsterkenntnis und letztlich des Bewusstseins überhaupt gleichgesetzt. Dieter Henrich markiert dies als „Fichtes ursprüngliche Einsicht“ (1967), da Johann Gottlieb Fichte das absolute Ich in seiner Einheit mit dem absoluten Wissen und der absoluten Freiheit als noch der Reflexion vorausgehend bestimmt und zum Vermögen der intellektuellen Anschauung in Bezug gesetzt habe. Damit ist auch die Überwindung der schon von Friedrich Hölderlin kritisierten S.-Objekt-Spaltung intendiert, die im reflexiven Akt aufkommt, S. impliziert absolute Einheit, so etwa Friedrich Wilhelm Joseph Schelling in seiner Spätphilosophie. D. Henrich nennt zudem zwei sogenannte Schwierigkeiten der Reflexionstheorie, den mit ihr verknüpften infiniten Regress und den Zirkelschluss. Gleichwohl ist das vorreflexive S. des Bewusstseins D. Henrich (und vor ihm bereits Jean-Paul Sartre) zufolge nicht Prinzip des Bewusstseins, dieses ist vielmehr nichtegologisch zu verstehen; das Ich also gerade kein „Träger“ der Akte des Bewusstseins. Der Grund im Bewusstsein ist laut D. Henrich ichlos und das S. somit Moment des Bewusstseins, nicht aber dessen Grund. Die absolute Einheit des S.s (inkl. der Aufhebung der S.-Objekt-Differenz) wird auch von Georg Wilhelm Friedrich Hegel vertreten, wiewohl wiederum reflexionstheoretisch als eine begrifflich gewonnene Identität von S. und Objekt, Ich und Anderem formuliert, die sich im Akt der Selbstsetzung des absoluten Geistes als Anderes seiner selbst vollzieht. Wenn G. W. F. Hegel auch in Bezug auf seinen Gedanken der Geschichtlichkeit des Zu-sich-selbst-kommens des Geistes S. von Substanz unterscheidet, so erfolgt bei ihm doch eine Reontologisierung des S.-Begriffs als Prinzip nicht nur (wahrer) Erkenntnis, sondern von Wirklichkeit überhaupt.
Im 20. Jh. begegnen sowohl subjektkritische Entwürfe als auch Transformationen des S.-Begriffs. Für Friedrich Nietzsche z. B. ist der S.-Gedanke nichts anderes als eine Illusion der prinzipiell sich täuschenden Vernunft. Martin Heidegger kritisiert den S.-Begriff als zentrales Motiv neuzeitlicher Metaphysik, in deren Fokus ihm zufolge das vorstellende Denken und dessen Bedürfnis nach Sicherheit und Gewissheit steht. Postmoderne und poststrukturalistische Philosophien (Strukturalismus) führen den S.-Begriff auf ein Identitäts- und Ursprungsdenken sowie auf eine Metaphysik der (Selbst-)Präsenz zurück. Michel Foucault (und mit ihm radikalkonstruktivistische Philosophien [ Konstruktivismus ] wie diejenigen von Humberto Maturana, Francisco Varela und Judith Butler) definieren S. als Unterworfenes des ihm immer schon als vorgängig zu denkenden Diskurses bzw. als Resultat autopoeitischer Vollzüge des Bewusstseins und geben das Verständnis von S. im Sinne eines Prinzips bzw. eines Trägers von Erkennen, Wollen und Handeln auf, des Gleichen reduktionistische, insb. physikalistische Theorien des Bewusstseins. Dagegen halten etwa Entwürfe Kritischer Theorie unbeschadet ihrer Kritik an der als Herrschaftsdenken und als identitätslogische Struktur interpretierten S.-Objekt-Dichotomie am Begriff eines „entmächtigten“, „qualitativen Subjekts“ (Adorno 1970: 182, 52) bzw. an einem in intersubjektive Verhältnisse und in kommunikatives Handeln eingebetteten S. (Jürgen Habermas) fest, des Gleichen Emmanuel Levinas in seiner Philosophie der Alterität, wiewohl dieser S. als Unterworfenes des Anderen versteht und dessen Unersetzbarkeit und Unvertretbarkeit in der Stellvertretung und Verantwortung für den Anderen gegeben sieht. Eine Transformation erfährt S. auch in den leibphänomenologischen Reflexionen von Maurice Merleau-Ponty, Bernhard Waldenfels und Hermann Schmitz. S. ist hier weder mit einem mentalen, intelligiblen Ich noch mit einem rein formalen Prinzip identisch, sondern ist leiblich verankert: Der vom objektivierbaren Körper zu unterscheidende und in der Perspektive Erster Person erlebte und gespürte Leib ist Möglichkeitsbedingung der Relation des einzelnen Daseins zur Welt und zu den konkreten Anderen, von denen das leibliche verfasste Selbst sämtliche Gehalte empfängt und zu denen es in einem responsorischen Verhältnis steht. Ein „Revival“ erfährt der S.-Begriff auch in der Analytischen Philosophie als Bezeichnung für die Unhintergehbarkeit der Erste-Person-Perspektive des Sprach- und Bewusstseinsvollzuges (Thomas Nagel, Roderick Chisholm, Sydney Shoemaker) bzw. für die Akteursperspektive des Handelns aus Freiheit (Robert Kane, Randolph Clarke, Timothy O’Connor).
3. Systematischer Ausblick
Die Probleme reflexionstheoretischer Bestimmungen des Bewusstseins und des S.-Begriffs sind durch die Differenzierung zwischen vorreflexiver Selbstgewissheit und reflexiver Selbsterkenntnis überwunden: S. bezeichnet die Singularität der Erste-Person-Perspektive sämtlicher Vollzüge des Bewusstseins, und dies entgegen eines nichtegologischen Verständnisses von Bewusstsein nicht als Moment, sondern als formales (nicht ontologisches bzw. substanzielles) Prinzip aller Vermögen. In diesem Zusammenhang ist auch die praktische Funktion des S.s als mit Freiheit gleichursprünglich verknüpftes Handlungsprinzip agierender Personen hervorzuheben. Zugleich sind zwei zentrale Transformationen der S.-Philosophie des 20. Jh. mit aufzunehmen: die Bestimmung des S.s sowohl als „inkarniert“ als auch „qualitativ“ auf kommunikatives Handeln hin eröffnet. Für Ersteres sind jedoch nicht primär subjektphilosophische, sondern bewusstseinstheoretische Reflexionen über die Verhältnisbestimmung von Mentalem und Physischem und deren Einheit im Grund des Bewusstseins in Form einer coincidentia oppositorum sowie kognitionstheoretische Überlegungen über die Verknüpfung von Erkennen und Körperpraxen entscheidend, und für Letzteres die Differenzierung zwischen formaler S.-Perspektive (Zur-Welt-sein) und dem konkreten interpersonalen Verhältnis des Daseins i. S. der unauflöslichen Relation zu Anderen und Anderem (In-der-Welt-sein).
Literatur
J. Fingerhut u. a. (Hg.): Philosophie der Verkörperung, 2013 • T. Nagel: Der Blick von Nirgendwo, 2012 • D. Henrich: Denken und Selbstsein. Vorlesungen über Subjektivität, 2007 • S. Wendel: Inkarniertes Subjekt. Die Reformulierung des Subjektgedankens am ‚Leitfaden des Leibes‘, in: DZP 51/4 (2003), 559–569 • Dies.: Affektiv und inkarniert. Ansätze Deutscher Mystik als subjekttheoretische Herausforderung, 2002 • B. Waldenfels: Das leibliche Selbst. Vorlesungen zur Phänomenologie des Leibes, 2000 • T. Kobusch: Die Entdeckung der Person. Metaphysik der Freiheit und modernes Menschenbild, 21997 • K. Oehler: Subjektivität und Selbstbewußtsein in der Antike, 1997 • M. Frank (Hg.): Selbstbewußtseinstheorien von Fichte bis Sartre, 21993 • Ders.: Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis. Essays zur analytischen Philosophie der Subjektivität, 1991 • T. W. Adorno: Negative Dialektik, 1970 • D. Henrich: Fichtes ursprüngliche Einsicht, 1967.
Empfohlene Zitierweise
S. Wendel: Subjekt, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Subjekt (abgerufen: 21.11.2024)