Jugendstrafrecht

1. Jugendstrafrecht im Spannungsfeld zwischen Strafen, Erziehen und Helfen

Bereits der Begriff „J.“, das im JGG geregelt ist, verdeutlicht das Spannungsfeld der staatlichen Bestrafung der Jugend. Das J. knüpft einerseits an das allgemeine Strafrecht an, denn für die jungen Menschen sind dieselben Taten strafbar wie für Erwachsene. Wenn auch im Blick auf die Handlung kein Unterschied gemacht wird, so weisen andererseits das Verfahren, seine Rechtsfolgen und deren Vollstreckung gegen Jugendliche Besonderheiten auf, denn auf die strafbaren Handlungen eines Menschen in seiner Jugendphase soll anders reagiert werden als auf die eines Erwachsenen. Der junge Mensch bedarf eines besonderen Schutzes, „damit ihm nichts von der Welt her geschieht, was [ihn] zerstören könnte. Aber auch die Welt bedarf eines Schutzes, damit sie von dem Ansturm des Neuen, das auf sie mit jeder neuen Generation einstürmt, nicht überrannt und zerstört werde“ (Arendt 2015: 266).

Die Gesellschaft will das Bestehende schützen – durch Normverdeutlichung, daher die Anknüpfung an das allgemeine Strafrecht – und darum doch nicht das Neue unmöglich machen – durch bes. Rechtsfolgen, mit denen auf die Jugendphase eingegangen werden soll. Flankierend steht dem JGG dabei das Kinder- und Jugendhilferecht (SGB VIII) zur Seite. In § 1 SGB VIII ist entspr. formuliert: „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.“

Die im SGB VIII angesiedelte Jugendhilfe im Strafverfahren bzw. Jugendgerichtshilfe (§ 38 JGG) wird aus Anlass einer Straftat tätig. Aus Sicht der Jugendhilfe erforscht sie für die Justiz die Persönlichkeit, schlägt gerichtliche Maßnahmen vor und betreut die Jugendlichen (§ 38 JGG; § 72a JGG). Für die Jugendhilfe prüft sie, ob deren Leistungen in Betracht kommen (§ 52 SGB VII).

An dieser Überschneidung wird die zweite Wurzel des J.s deutlich, der Erziehungsgedanke. Nicht verkannt werden darf, dass indessen die erste Wurzel, der Strafgedanke, in § 1 JGG in den Vordergrund gestellt wird: „Dieses Gesetz gilt, wenn ein Jugendlicher oder ein Heranwachsender eine Verfehlung begeht, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist.“ In § 2 Abs. 1 JGG wird weiter klargestellt: „Die Anwendung des Jugendstrafrechts soll vor allem erneuten Straftaten eines Jugendlichen oder Heranwachsenden entgegenwirken. Um dieses Ziel zu erreichen, sind die Rechtsfolgen und unter Beachtung des elterlichen Erziehungsrechts auch das Verfahren vorrangig am Erziehungsgedanken auszurichten.“ Die Erziehung ist das Mittel, um das Ziel der Legalbewährung zu erreichen, also das Verhindern weiterer Straftaten. Strafen, Erziehen und Helfen – diese drei Gesichtspunkte sind in dieser Reihenfolge im JGG zusammengeführt.

2. Jugendstrafrecht im sozialpädagogischen Handlungsraum

Aus Sicht der Jugendhilfe muss das J. dagegen unter dem Begriff der „Subjektorientierung“ interpretiert werden. Bereits 1926 wurde diese pädagogische Festlegung vor dem Göttinger Jugendgerichtshilfetag getroffen: Die „Grundeinstellung der neuen Pädagogik ist entscheidend dadurch charakterisiert, dass sie ihren Augenpunkt unbedingt im Zögling hat, […] dass sie ihr Ziel zunächst in dem Subjekt und seiner körperlichen-geistigen Entfaltung sieht.“ (Nohl 1927: 72) Ihre mögliche kriminalpräventive Wirkung im Sinne von Rechtsgüterschutz und Resozialisierung entfaltet die Sozialpädagogik der Jugendhilfe im Strafverfahren seither nur, wenn sie ihre Zielsetzung – den „Augenpunkt unbedingt im Zögling“ (Nohl 1927: 72) – ernst nimmt. Für die fachliche und ethische Beurteilung ihres sozialpädagogischen Handelns zählt einzig, ob sie die subjektive Entscheidungsfreiheit des jungen Menschen erhöht und erweitert oder eben doch schmälert. Für die Sozialpädagogik der Jugendhilfe ist die Mittel-Zweck Relation umgekehrt zum JGG: Die Erziehung hin zu einem gelingenden Leben ist das Ziel, die bekannt gewordene Straftat nur Mittel für das Erreichen dieses pädagogischen Ziels.