Political Correctness
1. Begriff und Konzept
Sprache beschreibt und verursacht nicht nur soziale Handlungen. Das Sprechen selbst kann als soziale Handlung interpretiert werden. Positive Sprechhandlungen sind z. B. Loben, Bedanken, Aufmuntern, negative bspw. Beleidigen, Verurteilen oder Drohen. P. c. (PC) weist als Form der Sprachkritik auf diskriminierende und verletzende Sprachpraktiken hin und versucht, diese dauerhaft und strukturell zu überwinden. „Political Correctness […] ist der aus dem angelsächsischen Sprachraum stammende Ansatz, gesellschaftlichen Minderheiten mittels einer verbindlich wirkenden Kodifizierung von bestimmten Sprachmustern einen politischen und gesellschaftlichen Schutz vor sprachlicher Diskriminierung, emotionaler Kränkung und entsprechenden Handlungen zu bieten“ (Schwarz 2017: 145). Seinen Ausgangspunkt nahm diese Form der Sprachpraxis in den späten Ausläufern der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Sie hat sich dort v. a. seit den 1980er Jahren über die Universitäten verbreitet. Bei PC steht nicht im Vordergrund, dass der Sprecher die Gefühle anderer absichtlich verletzten möchte. Zentral ist daher nicht die Intention des Sprechers, sondern die Wirkung auf den bzw. die Angesprochenen, da auch einzeln angesprochene Personen mit der Gruppe identifiziert werden, die der Sprecher durch politisch nicht korrekte Ausdrucksweisen herabsetzt. Der aus der Sprecherperspektive mitgedachte soziale Minderstatus dieser Gruppe wird durch die Benutzung bestimmter Begriffe manifestiert: „Das N-Wort für schwarze Personen verliert seine stark abwertende Kraft zum Beispiel nicht, wenn die Sprecherin sagt, sie hätte es nicht beleidigend gemeint, und auch dann nicht, wenn sich der Adressat nicht verletzt fühlt. Die von diesem Wort ausgehende Abwertung entstammt in erster Linie sozialen Verhältnissen, in denen Schwarze strukturell als minderwertig gegenüber Weissen behandelt werden“ (Mühlebach 2017: 59). Der Sprecher benutzt und übernimmt – ob bewusst oder unbewusst – soziale Konstruktionen der Mehrheitsgesellschaft, um soziale Gruppe, die er mit bestimmten Begriffen belegt, in ihrem Anderssein festzulegen. PC macht darauf aufmerksam, dass schon durch das Sprechen der Mehrheitsgesellschaft die Marginalisierung von Minderheiten und Randgruppen sowie deren gesellschaftliche Ausgrenzung und Diskriminierung vollzogen wird und verdeutlicht die sprachlichen Taktiken, die dafür angewendet werden können. Als Alternative werden Begriffe angeboten, bei deren Gebrauch die diskriminierende Wirkung der bisherigen alltäglichen Sprachpraxis verhindert wird. Dabei kann PC „teilweise abstruse Formen annehmen, wie etwa die amerikanischen Beispiele ‚differentlyabled‘ für ‚handicapped‘ oder ‚cosmetically different‘ für ‚ugly‘ zeigen“. (Bazil 2010: 5). Aber auch literarische Werke rücken in den Fokus der Kritik, wenn in ihnen Formulierungen zu finden sind, die dem Sprachcode sowie dem Verständnis von PC widersprechen. In den USA wurde bspw. über die Romane von Mark Twain diskutiert. Ist es zulässig, dass der Autor die damalige Sprachweise abbildet, oder sollen bestimmte Begriffe konsequent ersetzt werden, wenn ihre Benutzung in der Gegenwart als diskriminierend wahrgenommen wird? In Deutschland sind z. B. in Kinderbüchern von Astrid Lindgren oder Otfried Preußler bestimmte Begriffe geändert worden. Damit sind partiell Überlegungen verbunden, ob die Autoren nicht selbst als rassistisch (Rassismus) anzusehen seien.
PC fügt sich als Konzept zudem in Formen linker Identitätspolitik ein, mittels derer gesellschaftspolitische Anliegen von Minderheiten sichtbarer gemacht und deren Situation verbessert werden soll. Bekämpft werden daher Phänomene wie hate speech oder micro aggressions, aber auch außersprachliche gesellschaftliche Praktiken wie Cultural Appropriation (kulturelle Aneignung). Auch der Ansatz gendergerechter Sprache (Gender) kann als Ausdruck von PC angesehen werden.
2. Kritische Einwände und Verteidigung
PC wird v. a. im konservativ-liberalen bis rechten Meinungsspektrum grundlegender Kritik unterzogen. Im Mittelpunkt steht dabei die Annahme, dass PC die Meinungs- und Redefreiheit untergrabe und so den Korridor des sozial noch akzeptiert Sagbaren (immer weiter) verengen würde. PC entwickelt sich so zum Einfallstor für Denk- und Sprechverbote. In dieser Zuspitzung wird PC mit dem sich totalitär auswirkenden Neusprech-Ansatz orwellscher Manier gleichgesetzt (Totalitarismus). Mit Hilfe von PC solle schon die Möglichkeit unterbunden werden, überhaupt anders zu denken, als dies von den linksliberalen, kosmopolitisch ausgerichteten Eliten gewünscht sei. Der Eingriff in literarische Werke wird als Zensur ausgelegt und abgelehnt. Mit den geforderten sprachlichen Veränderungen stünde die kulturelle Identität, die sich gerade über Sprache vermittle, auf dem Spiel. Ziel sei die völlige Zurückdrängung von Unterschieden zwischen den Individuen und den verschiedenen Gruppen innerhalb und zwischen Gesellschaften. Political incorrectness hingegen avanciert in diesem Zusammenhang geradezu zu einer politischen Tugend. Linke Kritiker stören sich an der mutmaßlichen Folgenlosigkeit des politisch korrekten Sprechens für die soziale Realität. Nur die Umbenennung einer gesellschaftlichen Minderheit führe nicht automatisch dazu, dass diese nicht mehr diskriminiert werde. Zudem vermögen neue, auch oftmals wechselnde Bezeichnungen, es nicht zu verhindern, dass auch diese selbst diskriminierenden Charakter in der alltäglichen Praxis aufwiesen. Auch der Gebrauch neuer Begrifflichkeiten markiert weiterhin eine mehr oder weniger fundamental wahrgenommene Andersartigkeit. Schlimmstenfalls helfe PC bei der Verschleierung von Unterdrückungstatbeständen mit.
Sicherlich greifen diese Kritikpunkte berechtigte Einwände auf, dennoch scheint es, dass im Zeitalter der Globalisierung ein sensibler Umgang mit Sprache eine grundlegende Notwendigkeit des zivilisierten Umgangs von Menschen untereinander darstellt. Hans Ulrich Gumbrecht beschreibt diesen Zusammenhang von gesellschaftlichen und sprachlichen Transformationsprozessen: „Jedenfalls müssen wir davon ausgehen, dass angesichts der globalen demografischen Entwicklung und neuer Dynamiken der Mobilität in hundert Jahren mehr Menschen aus den verschiedensten Kulturen und Sprachen in dramatisch verdichteter räumlicher Nähe zusammenleben. Ereignisse von Gewalt und ein Alltag permanenter Frustrationen werden dann, ungleich drängender als heute, zu Hauptbedrohungen unserer Existenz. Entweder die Individuen entwickeln eine hohe Frustrationstoleranz. Oder aber sie einigen sich auf eine Nulltoleranz gegenüber jeder Form von Gewalt und auf einen Stil des Verhaltens, der das Anderssein der anderen als Normalfall voraussetzt. Im zweiten Fall könnten die lautesten und manchmal lästigsten Forderungen der neuen Political Correctness bis dahin zu Überlebensbedingungen geworden sein – die wir heute einzuüben beginnen“ (Gumbrecht 2016: 43).
Literatur
A. Stefanowitsch: Politisch korrekte Sprache und Redefreiheit, in: APuZ 70/12–13 (2020), 22–27 • Ders.: Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen, 2018 • D. Mühlebach: Gibt es eine politisch korrekte Sprache?, in: Uni Nova, 130 (2017), 58 f. • M. Schwarz: Political Correctness, in: ders./K.-H. Breier/P. Nitschke: Grundbegriffe der Politik, 22017, 145–150 • I. von Münch: Meinungsfreiheit gegen political correctness, 2017 • H. U. Gumbrecht: Die Dialektik der Mikro-Aggression, in: NZZ v. 10.9.2016, 43 • M. Dusini/T. Edlinger: In Anführungszeichen – Glanz und Elend der Political Correctness, 32012 • V. Bazil: Politische Sprache: Zeichen und Zunge der Macht, in: APuZ 8 (2010), 3–6 • G. Hughes: Political Correctness: A History of Semantics and Culture, 2009 • S. Wierlemann: Political correctness in den USA und in Deutschland, 2002 • J. L. Austin: Zur Theorie der Sprechakte (How to do things with Words), 1986.
Empfohlene Zitierweise
B. Schreyer: Political Correctness, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Political_Correctness (abgerufen: 21.11.2024)