Regulierungsverwaltungsrecht

1. Begriffsbestimmung

R. umfasst die Regeln, Prinzipien und Institutionen der Regulierung. Diese lässt sich definieren als hoheitliches Handeln, mit dem die Verwaltung auf einen Wirtschaftssektor einwirkt, um sowohl Bedingungen für Wettbewerb zu schaffen und aufrechtzuerhalten als auch anstelle einer staatlichen Eigenvornahme die Gemeinwohlsicherung (Gemeinwohl) im betreffenden Sektor zu garantieren. Statt auf einen Wirtschaftssektor kann auch entspr. auf den wirtschaftlich geprägten Teil eines Lebensbereichs eingewirkt werden.

2. Entstehung und Entwicklung

Das Konzept der Regulierung stammt ursprünglich aus den USA und dem dortigen politisch-rechtlichen Kontext des Vorrangs gesellschaftlicher, v. a. wirtschaftlicher Betätigung vor staatlicher Intervention. Hoheitliche regulation bedarf der Rechtfertigung. Dadurch wird sie zum Synonym für punktuelle, an Einzelproblemen orientierte hoheitliche Maßnahmen – der ursprüngliche Regulierungsbegriff ist weit. In den 1980er Jahren gelangt das Konzept zunächst nach Großbritannien und bezieht insb. Selbstregulierungsprozesse zur Einbindung gesellschaftlicher Gruppen in die Wahrnehmung der Erfüllung öffentlicher Aufgaben als self-regulation mit ein. Dies geschieht vor dem Hintergrund des tiefgreifenden Wandels der britischen Wirtschaftspolitik. Maßgeblich für das deutsche Verwaltungsrecht wird regulation jedoch erst durch die supranationale Regulierungsgesetzgebung der EG/EU. In den frühen 1990er Jahren werden zunächst flächendeckend vorhandene nationale Monopole im Telekommunikationssektor durch wettbewerbsrechtliche Rechtssetzung aufgebrochen. 1996–1998 ergeht dann eine Reihe von Binnenmarktrichtlinien (Europäischer Binnenmarkt), sowohl im Telekommunikationssektor als auch im Energiesektor, sodann auch im Eisenbahnregulierungsrecht. Seit 2002/2003 wird die supranationale Regulierungsrechtsetzung konsolidiert. Eine erneute Weiterentwicklung wurde 2018/2019 von den Unionsinstitutionen verabschiedet. Die begriffliche Verengung des Regulierungsbegriffs vollzieht sich also zunächst durch die supranationale Rechtsetzung. Es geht um die gezielte Privatisierung und Liberalisierung in einzelnen Sektoren der Netzwirtschaften, namentlich Telekommunikation, Post und Energie.

3. Bezug zur Ökonomik

Unbeschadet der begrifflichen Verengung sind auch im europäischen und deutschen Recht Marktversagensphänomene (Marktversagen) Ausgangspunkt von Regulierung und Rechtfertigung für das R. Die Institutionenökonomik kennt seit langem: Externe Effekte (seien es negative oder positive), die nicht im Preis von Produkten abgebildet sind, öffentliche bzw. meritorische Güter und Kollektivgüter, Informationsasymmetrien, moralisches Risiko (moral hazard) sowie – für die Regulierung bes. bedeutsam – natürliche Monopole. Daneben reagiert Regulierung auf Versagensphänomene staatlichen Wirtschaftens (namentlich die Orientierung an organisierten Interessen anstatt an Gemeinwohlzielen). Regulierter Wettbewerb kann dynamische ökonomische Prozesse freisetzen, was die Entwicklung des Telekommunikationssektors der letzten 20 Jahre belegt.

4. Organisation, Verfahren, Instrumente des Regulierungsverwaltungsrechts

4.1 Verwaltungsorganisation

Für die Verwaltungsorganisation charakteristisch sind unabhängige Regulierungsbehörden; in Deutschland die BNetzA. Das Unabhängigkeitspostulat konfligiert mit dem Demokratieprinzip, wenn man den durch Weisungsbefugnisse konstituierten hierarchischen Verwaltungsaufbau als unverzichtbar ansieht. Indes liegt in der Überantwortung von Entscheidungsbefugnissen an unabhängige Behörden eine konkrete organisationsrechtliche Option der Gemeinwohlsicherung, deren halbherzige Umsetzung in Deutschland europarechtlich fragwürdig ist. In der EU sind die unabhängigen nationalen Behörden im Europäischen Verwaltungsverbund zudem organisationsrechtlich miteinander verflochten.

4.2 Verwaltungsverfahren

Verfahrensrechtlich wird das Unabhängigkeitspostulat dadurch verwirklicht, dass Regulierungsentscheidungen kollegialen Organen der BNetzA, den Beschlusskammern, zugewiesen werden. Das BVerwG erkennt den Regulierungsbehörden sogar ein besonderes, weites Regulierungsermessen zu, dass – ähnlich dem Planungsermessen – Elemente eines Beurteilungsspielraums auf der Tatbestands- und des Ermessens auf der Rechtsfolgenseite kombiniert. Diese Konzeption ist auf starke Kritik gestoßen, und in der Tat gibt es keinen Anlass, aus der tradierten Lehre von den Entscheidungsfreiräumen der Verwaltung auszuscheren und die Identifikation der einzelnen Elemente in einem neuen Konzept aufgehen zu lassen.

4.3 Instrumente

Regulierungsspezifische Instrumente der Verwaltung sind die Gewährleistung von Netzzugang (um den Newcomern die Wettbewerbsteilnahme zu ermöglichen), die Garantie des Universaldienstes (als sozialstaatliches Element von Regulierung) und die Preiskontrolle (um die Abschöpfung von Monopolrenten zu unterbinden und Kampfpreise gegen Newcomer zu vermeiden).

5. Grenzen und Entwicklungspotential

Grenzen des R.s sind in seiner Überkomplexität namentlich im Energiesektor offenkundig geworden. Im Telekommunikationssektor hat sich gezeigt, dass stabile Wettbewerbsstrukturen möglicherweise die allgemeine Wettbewerbsaufsicht (Wettbewerbsrecht) anstelle des R.s treten lassen können. Im Postsektor ist offenbar geworden, dass durch R. keine Sozialpolitik zugunsten der Arbeitnehmer betrieben werden kann. Dies bleibt Aufgabe des allgemeinen Arbeits- und Sozialrechts.

Bislang werden Konzepte des R.s allein in den Netzwirtschaften entfaltet. Dabei droht Entwicklungspotential des R.s in anderen Sektoren verlorenzugehen, in denen durch regulierten Wettbewerb die Gemeinwohlsicherung verbessert werden könnte – namentlich im Gesundheitssektor, aber auch in Teilbereichen des Umweltschutzes. Schwierig und umstritten bleibt die Möglichkeit der Übertragung des hier vertretenen Regulierungskonzepts auf die Finanzmärkte. Dort herrscht nach wie vor ein weiter, unspezifischer Regulierungsbegriff vor, mit dem Nachteil, dass Regulierungsziele vielfach diffus bleiben.