Gemeinwohl

  1. I. Sozialethisch
  2. II. Philosophisch
  3. III. Juristische Aspekte

I. Sozialethisch

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1. Gemeinwohl in der Tradition der katholischen Soziallehre

G gehört zu den klassischen Sozialprinzipien der katholischen Soziallehre. Es zeigt sich jedoch, dass dieses in der wissenschaftlichen Sozialethik auf unterschiedliche Weise interpretiert und eingeordnet wird. Zunächst und für lange Zeit wurden als Sozial- oder Ordnungsprinzipien „Subsidiarität“, „Solidarität“ und „G.“ präsentiert. Später kommen Prinzipien wie „Personalität“ bzw. „Würde der Person“, „Gerechtigkeit“ und „Nachhaltigkeit“ hinzu. Fasst man die verschiedenen Ansätze aus unterschiedlichen Etappen der sozialethischen Forschung zusammen, so ist festzuhalten, dass der Kanon der Sozialprinzipien weder formal (definitiv) noch material (quasi als Prinzipientafel) festgelegt ist. So ist es sinnvoll, heute anstelle von Prinzipien von „normativen Orientierungen“ (Veith 2004: 263) zu sprechen respektive Sozialprinzipien implizit als normative Orientierungen der Gesellschaftsordnung zu verstehen. Dafür gibt es gute Gründe: Zum ersten handelt es sich um prinzipielle und inhaltlich belastbare Aussagen, die zum zweiten konsequenterweise hinsichtlich ihrer Positionierung und Bewertung einen hochverbindlichen Charakter tragen. Diese Bewertung ist allerdings drittens zu betrachten als dynamischer Erkenntnis- und Verstehensvorgang, der abhängig ist von Tradition und Situation, die sowohl einen Wandlungsprozess von Orientierungen als auch ein wechselndes Beziehungsgeflecht jener Orientierungen untereinander evozieren. Viertens wird ihnen die Potenz zugesprochen, in basaler Weise richtungsweisend für gutes soziales und politisches Zusammenleben zu sein. Diese Dynamik gilt es sowohl in formaler als auch in materialer Hinsicht für die Einordung und das Verständnis von G. zu beachten.

2. Gemeinwohl in der Sozialethik

Im Wesentlichen zeigen sich in der aktuellen sozialethischen Debatte sechs unterschiedliche Tendenzen im Umgang mit dem G., die sich teilweise wiederum überschneiden.

Erstens ist festzustellen, dass das G. zunächst unhinterfragt ein wesentlicher Bestandteil der katholischen Soziallehre sowie der christlichen Sozialethik ist. Dies gilt für frühe Vertreter wie Eberhard Welty oder Joseph Höffner, aber auch immer noch für Ursula Nothelle-Wildfeuer und für die Kompilatoren des „Sozialkompendiums“. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs finden sich zunehmend Vertreter, die zwar vom G. reden, es aber nicht mehr unter dem Dach der Sozialprinzipien subsummieren.

Zweitens wird ein engerer Zusammenhang zwischen dem G. und dem Sozialprinzip der Solidarität hergestellt. Sowohl Oswald von Nell-Breuning als auch Arno Anzenbacher zeigen dies auf. G. ist für sie kein Sozialprinzip, es ist vielmehr dem Sozialprinzip der Solidarität untergeordnet.

Drittens wird G. als „Dienstwert“ verstanden, da ihm kein Selbstzweck eignet, sondern es sowohl der Verwirklichung des Letztziels der Person dient als auch dem universalen G. der Schöpfung.

Viertens werden Sozialprinzipien als – ggf. damit auch das G. – als „normative Orientierung“ bezeichnet. Damit wird kein neues Kriterium eingeführt, sondern die ursprüngliche Bezeichnung durch eine neue ersetzt, die offener ist. Es ist sinnvoll, das jeweils Spezifische der unterschiedlichen Orientierungen auszumachen, sie als solche mehr oder weniger gleichwertig nebeneinander zu stellen und nach Sinn und Bedeutung von Orientierungen zu fragen. So haben nicht nur Prinzipien wie Personalität, Solidarität und Subsidiarität einen orientierenden Charakter, sondern auch Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und G. Diese (und möglicherweise andere) Orientierungen stehen in ihrem jeweiligen Selbststand in wechselseitigen Beziehungen zueinander, weil „normative Orientierung“ letzten Endes nichts Anderes bedeutet, als die Zuschreibung eines hohen verbindlichen Charakters hinsichtlich der Gestaltung von Gesellschaft in der Balance zwischen gemeinschaftlicher Handlungsfähigkeit und den individuellen Freiheitsrechten der Person.

So wird fünftens eine Beziehung zwischen G. und Wohl des Einzelnen hergestellt. Die Korrelation wird dabei recht unterschiedlich bewertet und dies führt zu Konflikten in der Einschätzung. Für den Dominikaner E. Welty ist G. Ziel und Ordnung der Gemeinschaft. Nicht zuletzt im Zuge der Debatten zwischen dem dominikanischen und jesuitischen Ansatz wird die Dominanz des G.s vor dem Einzelwohl seitens E. Weltys und weiterer Dominikaner wie Arthur Fridolin Utz durchaus vertreten, indem sie theologisch bewusst einem metaphysisch begründeten Ansatz folgen und sich dabei auf Thomas von Aquin als Autoritätsargument berufen. Auf ihn beruft sich aber auch Jacques Maritain und kommt zu einem differierenden Ergebnis: Der Mensch ist qua Individuum der Gemeinschaft untergeordnet, qua Person aber nur Gott. Der Jesuit O. von Nell-Breuning – am Ansatz des Aquinaten prinzipiell desinteressiert – zeigt dagegen die Bedeutung des Individuums auf, das nicht durch ein kollektivistisch verstandenes G. an den Rand gespielt werden sollte. Deshalb interpretiert er das G. konditional, als Gesamtheit der Bedingungen, die für die volle Entfaltung des Menschen als Person zuträglich sind. Mit dem Abstand des 21. Jh. stellt sich heute die Frage, wie hilfreich und weiterführend diese Debatten sind, die recht ideologisiert geführt wurden. Ist es wirklich sinnvoll, das G. dem Wohl des Einzelnen gegenüberzustellen, um daraufhin zu bewerten, welches gegenüber dem jeweils anderen vorgeordnet ist? Es erscheint heute naheliegend, sowohl der Gemeinschaft als auch dem Einzelnen jeweils einen Platz einzuräumen und das Verhältnis zueinander nicht im Sinne einer Über- oder Unterordnung, sondern eher qualitativ korrelativ zu betrachten und ein Zusammenspiel der Wohle anzunehmen.

Sechstens gilt es, den Zusammenhang von G. und Gerechtigkeit zu betrachten. Bereits O. von Nell-Breuning hat diesen Konnex gesehen und betrachtete soziale Gerechtigkeit und G. als „geradezu zwei Namen für ein und dieselbe Sache“ (Nell-Breuning 1985: 342). Damit ist G. respektive Gesetzesgerechtigkeit nicht mehr nur Sache der Obrigkeit im Dienste der Untertanen, sondern die Aufgabe aller. Es gilt zu entscheiden, was für das G. getan oder nicht getan werden muss – sowohl formalrechtlich als auch gegenüber dem eigenen Gewissen (Gewissen, Gewissensfreiheit). Günter Wilhelms führt die Gerechtigkeit zum einen explizit als Sozialprinzip auf und identifiziert, unter dezidierter Berufung auf entsprechende Stellen bei O. von Nell-Breuning, das G. quasi als anderen Begriff für Gerechtigkeit. Markus Vogt vertieft ein solches Verständnis, indem er auf die „Sonderstellung“ des G.s verweist und es der allgemein Gerechtigkeit zuordnet. Ebenso wie diese lasse sich das G. seiner Herkunft nach den „statischen Gesellschaftsmodellen“ (Vogt 2009: 462 f.) zuordnen und in Verbindung mit den Sozialprinzipien für moderne, offene Gesellschaften neu erschließen. Die Spannung zwischen unterschiedlichen Verortungen des G.s kann man dadurch auflösen, dass man sich auf die gemeinsame Ebene von normativen Orientierungen verständigt.

Die Debatte um das G. entfachte neu im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses, für den die Balance zwischen der Stärkung kollektiver Handlungsfähigkeit einerseits und der Wahrung der Autonomie der Nationalstaaten andererseits von entscheidender Bedeutung ist. G. ist hier zunehmend föderal zu konzipieren und gleichzeitig auf unterschiedliche Ebenen zu beziehen, sodass die Souveränität von Nationen und Regionen zwar begrenzt, zugleich aber auch subsidiär gestärkt wird und kontinentale Interessen im Horizont des Welt-G.s interpretiert werden.

II. Philosophisch

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1. Begriffserläuterungen

Mit dem Begriff G. werden Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens bezeichnet, die das Wohl einer Gemeinschaft abbilden, insofern sie den Einzelnen und den Gruppen einer Gesellschaft ein Zusammenleben erleichtern und den Beteiligten gemeinsame Möglichkeiten für das Erreichen von Lebenszielen und -gütern bereiten. G. drückt damit gemeinschaftliche Interessen und Bedürfnisse aus, die häufig im Terminus Gemeingut (bonum commune) zusammengefasst werden. G. kann als ein Gegenbegriff zu Individual- oder Partikularinteressen aufgefasst werden.

In der Auslegung des Begriffs im Detail lassen sich jedoch historisch und aktuell große Unterschiede ausmachen. G. kann als ein normatives Ideal verstanden werden, das an ein Verständnis für eine bestimmte religiöse Ordnung oder eine bes. Staatsform angelehnt ist. In dieser Form impliziert der Begriff einen dichten materialen Gehalt, der zwar sehr viel zur Identitätsstiftung und Sinnfindung einer Gemeinschaft beiträgt, gleichwohl aber auch zur ideologischen Verengung und fundamentalistischen Aufladung bis hin zu totalitären Konsequenzen führen kann, wenn das so aufgefasste G. jede Individualität übermäßig dominiert. Neutraler gefasst kann sich der Begriff auf die instrumentelle Institutionalisierung und Organisation derjenigen Bedingungen beziehen, die zu einer Verwirklichung des Wohls Aller notwendig sind und die vielfache Deutungen und Nutzungen einzelner Güter zulassen. Gleichwohl kommt auch diese Auffassung nicht umhin, Diskussionen über Grundwerte für die Organisation des G.s anzustoßen, da ohne eine Mindestform an materialen Vorstellungen über das G. keine Verständigung über seine Konkretion möglich ist.

2. Historische Entwicklungslinien

Platon verdeutlicht in seiner „Politik“, dass wahre Staatskunst notwendigerweise nicht das Einzelne, sondern das Gemeinsame zu besorgen hat, da das Gemeinsame vor dem Hintergrund der Idee der Gerechtigkeit bindend wirkt und das Einzelne Staaten und Gemeinschaften zu trennen droht. In der Scholastik wird der Gedanke der sozialen Partizipation mit der kollektiven Teilnahme an der göttlichen Vollkommenheit, die jeder Einzelne in Orientierung am universalen Gut göttlicher Gerechtigkeit empfängt, verbunden.

Mit den Begründungen staatlicher Rechtsordnungen über einen Gesellschaftsvertrag bekommt der Ausdruck des G.s in der Neuzeit eine andere Wendung. In diesem Modell setzt etwa Jean-Jacques Rousseau dem bloßen Willen aller (volonté de tous) den Gemeinwillen (volonté générale) entgegen, der als ein gemeinschaftliches Ich nicht die Einzelinteressen in den Blick nimmt, sondern vielmehr das G. Dieses wird daher nicht verstanden als die Summe individueller Bestrebungen, sondern als eine kollektive Willensbemühung, das G. partizipativ zu konstituieren, indem der Einzelne der Gemeinschaft überantwortet wird. Für Immanuel Kant hat der Staat die vornehmliche Aufgabe individuelle Freiheit durch Recht zu sichern. Die Forderung nach Fürsorge im Gemeinwesen richtet sich hingegen an die ethischen Tugenden im Privaten.

Die Verarmungserscheinungen durch ungleiche Verteilung des Wohlstands in den industrialisierten Gesellschaften der späten Neuzeit und frühen Moderne veranlassen marxistische Theorien (Marxismus), zu einer stärker am G. orientierten Nutzung der Produktivkräfte und des Kapitals aufzurufen. Die gesellschaftlichen Missstände führen zudem in der Praxis zu neuen Formen von Sozialpolitik (Sozialversicherung, soziale Marktwirtschaft). Die katholische Soziallehre rückt das G. als partizipativen Gedanken in den Mittelpunkt sozialethischer Diskurse (z. B. „Rerum novarum“, „Quadragesimo anno“, GS). Die Gesellschaft soll solidarisch Mittelpartizipation und Chancengleichheit (Chancengerechtigkeit, Chancengleichheit) gewährleisten, damit jede Person die Möglichkeiten erhält, menschenwürdig einen vernünftigen Lebensplan zu realisieren. Zum Organisationsprinzip der Verwirklichung des G.s in den komplexen Gesellschaften wird das Subsidiaritätsprinzip (Subsidiarität). Eine verstärkte Partizipation der Armen betont die lateinamerikanische Befreiungstheologie (Theologie der Befreiung).

Im Rahmen von gerechtigkeitstheoretischen Modellen im späten 20. Jh. plädiert John Rawls für einen liberalen Sozialstaat in dem das G. insb. Chancengleichheit garantieren soll. Unter den fiktiven Bedingungen des veil of ignorance entscheiden Menschen über die zukünftige Gesellschaftsordnung, ohne selbst zu wissen, an welcher Stelle dieser Ordnung sie sich später befinden werden. Libertäre Positionen verlegen die Realisation des G.s in private solidarische Aktivitäten und Kräfte des Marktes. Kommunitaristische Ansätze (Kommunitarismus) hingegen betonen die Stellung des Menschen als Gemeinschaftswesen und die konstitutive Verbindung zwischen Vorstellungen des guten Lebens mit Gerechtigkeitsprinzipien zur Sicherstellung von Partizipation und Solidarität.

3. Herausforderungen in der modernen Gesellschaft

In politischer Theorie und Praxis kollidieren oftmals libertäre mit kommunitären Auffassungen über die Zuständigkeiten für das G. Die modernen Gesellschaften sind aktuell herausgefordert, die Organisation des G.s (insb. in den Bereichen Umwelt, Gesundheit, Arbeit und Entwicklung) nicht mehr ausschließlich als eine nationalstaatliche Angelegenheit aufzufassen. Angesichts globaler Migrationsbewegungen (Migration) existieren zwischenstaatliche Regelungen, die staatsübergreifende Partizipationsmöglichkeiten am G. bereithalten. Dies hat sich auch aus der Überzeugung heraus entwickelt, dass das G. einer Weltgesellschaft nicht zuletzt von einer nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und Modellen von access and benefit sharing abhängt. Zudem sind partizipative Anstrengungen erkennbar, etwa Menschen mit Behinderung aktiver am G. zu beteiligen (vgl. UN-Behindertenrechtskonvention).

Literatur

III. Juristische Aspekte

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Der Missbrauch, der in der NS-Zeit mit G.-Formeln vielfach getrieben worden ist, hat in der Jurisprudenz nach 1945 zu einer erheblichen Verunsicherung im Umgang mit dem Begriff G. geführt. Er ist zwar in der Form der Generalklausel eine Kategorie des positiven Rechts geblieben, wissenschaftlich bedurfte es aber einer gewissen Rehabilitation. Dazu haben (aus der Analyse des Topos „öffentliches Interesse“) Peter Häberle und (aus der Perspektive der Diskussion über Interessengruppen und Pluralismus) Hans Herbert von Arnim Wesentliches beigetragen. Es wurde deutlich, dass der Begriff nicht aus dem Zusammenhang der verfassungsmäßigen Ordnung und auch nicht aus dem jeweiligen konkreten Kontext herausgelöst werden darf, in dem er gebraucht wird. Er darf ferner nicht von dem Verfahren getrennt werden, in dem G. konkretisiert und aktualisiert wird. Er bezeichnet nicht eine substanzhafte Vorgegebenheit, sondern ein aufgegebenes Ziel (sogenanntes prozedurales G.-Verständnis). In wertender Betrachtungsweise sind die jeweiligen sachhaltigen Gesichtspunkte zu erarbeiten und in den Entscheidungsprozess einzubringen, die G. konstituieren. Dabei geht es i. d. R. um den Ausgleich zwischen individuellen Interessen und Rechtspositionen einerseits, öffentlichen Belangen und Erfordernissen andererseits, denen der Staat um seiner Aufgabe willen, Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit zu gewährleisten, gerecht werden muss. Bei der Bestimmung des Verhältnisses von Staat und Kirche (Kirche und Staat) wird oft die spezifische Verantwortung des Staates, für (irdisches) G. zu sorgen, hervorgehoben. Auch das Prinzip des Sozialstaats verweist auf diese G.-Verantwortung des Staates.

Unter den einzelnen Rechtsbereichen und -instituten ist die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie ein klassisches Anwendungsfeld für den G.-Gedanken. Der Gebrauch des Eigentums „soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“; andererseits ist aber auch nur unter diesem Kriterium eine Enteignung zulässig (Art. 14 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1 GG). Ein anderes Beispiel findet man in dem signifikanten Katalog von „öffentlichen Belangen“, die nach § 1 Abs. 6 BauGB bei der Bauleitplanung als Elemente des „Wohls der Allgemeinheit“ zu berücksichtigen sind (z. B. gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse, soziale und kulturelle Bedürfnisse der Bevölkerung, Eigentumsbildung weiter Kreise der Bevölkerung, Umweltschutz u. a.); er ist verbunden mit dem Gebot, bei der Planaufstellung „die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen“ (§ 1 Abs. 7 BauGB).

G.-Erfordernisse sind auch der Generalnenner für die im einzelnen freilich sehr differenzierten Begrenzungen der Grundrechte. Für den speziellen Zusammenhang des Grundrechts der Berufsfreiheit hat das BVerfG die Formel entwickelt, dass die Freiheit der Berufsausübung beschränkt werden kann, „soweit vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls es zweckmäßig erscheinen lassen“, während die Freiheit der Berufswahl nur eingeschränkt werden darf, „soweit der Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter es zwingend erfordert“ (BVerfGE 7, 377, 405). Im Verfassungsprozessrecht erscheint das G. als Kriterium für den Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 32 BVerfGG: wenn „zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten“).

Hochkonjunktur hatte der G.-Begriff im Zusammenhang mit der kommunalen Gebietsreform der 1970er Jahre. Verfassungen und Gesetze lassen eine Änderung des Gebiets von Gemeinden und Gemeindeverbänden (nur) „aus Gründen des öffentlichen Wohls“ zu. In den zahlreichen darüber entstandenen Rechtsstreitigkeiten hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass der Gesetzgeber einen weiten Raum eigenverantwortlicher Gestaltungsfreiheit besitzt. Anders als die Verwaltung ist der Gesetzgeber dabei nicht an ein inhaltlich schon ausgefülltes G.-Gebot gebunden, sondern hat das von der Verfassung nicht näher umschriebene G. erst selbst zu finden und zu kontrollieren. Die (Verfassungs-)Gerichte bleiben zwar zur Prüfung befugt, ob eine Neugliederung durch Gründe des öffentlichen Wohls gedeckt ist. Aber soweit dabei Wertungen und Erwägungen des Gesetzgebers von Bedeutung sind, könnte sich das Gericht über sie nur dann hinwegsetzen, wenn sie eindeutig widerlegbar oder offensichtlich fehlsam sind oder der verfassungsrechtlichen Wertordnung widersprechen.