Religionskrieg

1. Begriff

Im Zeichen aktueller Entwicklungen der Weltpolitik nimmt seit Anfang des 21. Jh. das öffentliche Interesse für die Thematik des R.s merklich zu, was auch zur größeren wissenschaftlichen Aufmerksamkeit für historische R.e beigetragen hat. In diesem Zusammenhang wird auf die Notwendigkeit hingewiesen, zu einem präziseren Begriffsverständnis von R. zu gelangen. Lange Zeit dominierte ein eher vages Bild von R. als Kriegen, in denen Religion für die Motive der Akteure, die Art der Kriegsführung oder den Gegenstand eine Rolle gespielt habe. Dem wurde entgegengehalten, dass R. so gar nicht mehr als distinkter Kriegstyp zu fassen, darüber hinaus die quellenmäßig fundierte Erfassung der tatsächlichen Kriegsgründe häufig schwierig und auch die Abgrenzung vom „Kreuzzug“ und vom „Heiligen Krieg“ kaum noch möglich sei.

Als Weg zu einer schärferen Begriffsdefinition von R. werden inzwischen der Darstellung und Wahrnehmung eines Kriegs als R. durch die Zeitgenossen entscheidende Bedeutung zugemessen. Dabei ist wichtig, sich nicht allein auf offizielle Kriegslegitimationen oder den Begriff R. im engeren Sinne zu konzentrieren, sondern die allgemeinen zeitgenössischen Erfahrungen und Zuschreibungen zugrunde zu legen. Ist doch in der jüngsten Frühneuzeitforschung überzeugend nachgewiesen worden, dass in dieser Epoche ein Krieg offiziell fast nie mit der Religions- bzw. Konfessionsverschiedenheit des Feindes begründet worden ist und der Begriff R. erst seit der zweiten Hälfte des 17. Jh. verstärkte Verwendung in der politischen Alltagssprache gefunden hat.

2. Religionskonflikte in der Frühen Neuzeit

Legt man dieses Begriffsverständnis zugrunde, dann sind in der Frühen Neuzeit zwei Arten von R.en zu unterscheiden, nämlich die innerchristlichen R.e als Konfessionskriege (a) und die R.e zwischen christlichen und islamischen Staaten, konkret mit dem Osmanischen Reich (b).

a) Frühe Schauplätze innerchristlicher R.e waren bereits in der ersten Hälfte des 16. Jh. die Eidgenossenschaft (Kappeler Krieg 1529–31) und das Heilige Römische Reich deutscher Nation (Schmalkaldischer Krieg 1546–48). Letzterer wurde von den Zeitgenossen unzweifelhaft als R. gesehen, obwohl er kaiserlicherseits in bezeichnender Weise nicht mit Religion, sondern mit der Exekution des Landfriedens begründet worden ist. Auf diese frühen R.e folgten die ersten Religionsfriedens-Schlüsse (Religionsfrieden), in denen der Versuch unternommen wurde, die unvermindert fortbestehenden konfessionellen Gegensätze auf weltlicher Ebene durch Gewaltverbote und Sicherheitsordnungen auf der Basis von Landfriedensregelungen einzuhegen (Zweiter Kappeler Landfriede 1531; Augsburger Religionsfriede 1555).

Zum Schauplatz weitgreifender R.e wurde in der zweiten Hälfte des 16. Jh. das Königreich Frankreich (1562–98, mit Folgekonflikten in der ersten Hälfte des 17. Jh.). In der Konfrontation zwischen Krone sowie der katholischen Partei und den calvinistisch geprägten Hugenotten wurden das enorme Gewalt- bzw. Zerstörungspotential und die sich radikalisierende Dynamik der frühneuzeitlichen R.e in vollem Umfang sichtbar. Der französischen Krone gelang es erst nach mehreren vergeblichen Anläufen, diese R.e 1598 in einem mühsam ausgehandelten Religionsfrieden, dem Edikt von Nantes, vorläufig zu pazifizieren. Im spezifischen Kontext der reformierten Bundestheologie gewann die Qualifikation des R.s als „Heiliger Krieg“, die keineswegs allen R.en eigen war, an Bedeutung. Es ist überzeugend nachgewiesen worden, dass die publizistischen Argumentationsmuster der französischen R.e dann in den 1640er Jahren in den englischen Bürgerkriegen (1642–1651) aufgegriffen worden sind, bei denen es sich in der Sicht der Protagonisten gleichfalls um R.e handelte, die in die Machtübernahme der protestantisch-„puritanisch“ ausgerichteten Parlamentsarmee unter Oliver Cromwell, der Hinrichtung des Königs und der Errichtung des Commonwealth (1649) mündeten. Während dem aus dem englischen R. erwachsenen Versuch einer republikanisch-protestantischen Staatsbildung nur eine kurze Lebensdauer beschieden war und bereits 1660 die Monarchie wieder restauriert wurde, zeigten die niederländischen R.e, dass R.e auch in einer dauerhaft erfolgreichen, stabilen Staatsbildung münden konnten. Diese R.e wurzelten in Konflikten zwischen den regionalen niederländischen Eliten und der spanischen Krone um traditionelle Freiheitsrechte und die verschärfte katholische Konfessionspolitik, mit der Philipp II. auf radikal protestantische Bewegungen antwortete. Im Verlaufe des sogenannten „Achtzigjährigen Kriegs“ (1568–1648) orientierten sich die politisch-militärischen Frontlinien schließlich entlang der konfessionellen Grenzen, indem sich die nördlichen, calvinistisch dominierten Provinzen von den südlichen, katholischen trennten und ein eigenes Staatsgebilde, die Republik der Vereinigten Niederlande, begründeten, die zu einer Großmacht aufstieg und schließlich 1648 von Spanien als unabhängiges Staatswesen anerkannt wurde.

Der von seinen Dimensionen her weitgreifendste R. der Frühen Neuzeit war zweifellos der Dreißigjährige Krieg im Römisch-deutschen Reich (1618–48), der seinen Ausgang nahm von konfessionell geprägten Konflikten in Böhmen und im Reich. Obwohl sich die kriegerischen Auseinandersetzungen seit den 1620er/30er Jahren mit traditionellen, nichtkonfessionellen europäischen Großmachtkonflikten verbanden, wurde der Dreißigjährige Krieg bis zu seiner Beilegung im Westfälischen Frieden durchgehend als R. wahrgenommen.

Das Trauma dieses R.s, der zu einem Bevölkerungsrückgang um 30 % geführt hatte, und die detaillierten reichsreligionsrechtlichen Regelungen des Westfälischen Friedens waren der Grund, weshalb es im Reich trotz fortbestehender konfessioneller Gegensätze zu keinem R. mehr gekommen ist. Jenseits der Reichsgrenzen wurden dagegen auch nach 1648 erbitterte R.e ausgetragen, so in der Eidgenossenschaft, in Ungarn, Großbritannien und Frankreich. Seit dem letzten Drittel des 17. Jh. ist sogar eine erneute Verschärfung der konfessionellen Gegensätze und erhöhte Bereitschaft zur Führung von R.en festzustellen. Vor diesem Hintergrund ist es dann zum Aufstieg des Begriffs R. (Guerre de Religion, War of Religion) gekommen, in erster Linie als propagandistischer Vorwurf an die jeweilige konfessionelle Gegenseite.

Erst seit der Mitte des 18. Jh. verloren die innerchristlichen Kriege im zeitgenössischen Verständnis ihren Charakter als R.e, selbst dann, wenn – wie im Siebenjährigen Krieg (1756–63) – einzelne Protagonisten propagandistische Anstrengungen zur Konfessionalisierung der Konflikte unternahmen.

b) Als R.e galten auch die militärischen Auseinandersetzungen zwischen den christlichen Staaten und dem Osmanischen Reich, das als „Erbfeind christlichen Namens“ firmierte und mit dem aus religiösen Gründen kein Friedensschluss, sondern bis zum 18. Jh. nur befristete Waffenstillstände möglich waren. Dies hinderte christliche Mächte andererseits nicht daran, mit dem Osmanischen Reich wirtschaftlich und politisch zusammenzuarbeiten.

Dieses Verständnis fand seine Entsprechung auf islamischer Seite, nach der die Welt zwischen einem unter islamischer Herrschaft stehenden „Gebiet des Islam“ (dār al-islām) und einem nichtislamischen „Gebiet des Krieges“ (dār al-ḥarb) unterschieden wurde. Die militärischen Auseinandersetzungen mit letzterem wurden von islamischer Seite bis ins 18. Jh. als R. eingestuft (Dschihad [vornehmlich für Verteidigungskriege] oder gāzwā bzw. osmanisch gāzī [für gleichfalls als religiös legitim erachtete Offensivkriege]). Für das Selbstverständnis des Osmanischen Reichs war die Stellung ihrer Herrscher, etwa Sultan Süleyman I., als „gāzī“-Sultane von erheblicher Bedeutung. Trotz wachsender Einbindung des Osmanischen Reichs in die europäischen Mächtebeziehungen behielt in diesem Sinne die prinzipielle Bereitschaft zum R. im Osmanischen Reich seine religionsrechtliche Verbindlichkeit. Dem entsprach, dass der Widerstand gegen die koloniale Expansion europäischer Mächte bis zum frühen 19. Jh., etwa in Algerien, im Sudan, im Kaukasus oder in Nordindien, von islamischer Seite als R. im Sinne des Dschihad gedeutet wurde.

3. Fortwirkungen in der Moderne

Es sind seit dem 19. Jh. immer wieder Versuche unternommen worden, militärischen Konflikten sowohl innerhalb der christlichen Welt als auch zwischen christlichen und nichtchristlichen Mächten religiöse Deutungen zu geben oder den Kriegsanstrengungen sakrale Weihe zu verleihen. Dies gilt etwa für die „Befreiungskriege“ gegen Napoléon Bonaparte (1813/15) oder den Ersten Weltkrieg (1914/18). Das hat allerdings nicht dazu geführt, dass es sich nach vorherrschendem Verständnis bei einem der militärischen Konflikte seit dem 19. Jh. um einen R. gehandelt hätte. Es ist in der Moderne zu keiner Wiederkehr des R.s gekommen.