Social Entrepreneurship
1. Definition
S. E. bezeichnet einen Prozess, der gesellschaftliche Herausforderungen mit unternehmerischen Herangehensweisen löst. Dabei vereint S. E. Wirkungsorientierung mit unternehmerischem Denken und Handeln. Wirkungsorientiertes Handeln bedeutet, dass das Hauptziel einer Aktivität gesellschaftlichem Mehrwert dient und nicht vornehmlich der Gewinnmaximierung. Weiterhin sollen Veränderungen von Persönlichkeiten durch kreative, gestalterische Prozesse innerhalb bestehender Strukturen hervorgerufen werden. Die Kombination von gesellschaftlicher Wirkung und unternehmerischem Handeln ist darauf ausgerichtet, wirtschaftliche, ökologische und soziale Ziele zu vereinen.
S.-E.-Aktivitäten können unterschiedlich realisiert werden, sei es durch die Gründung eines Unternehmens, eines Vereins oder durch die Initiierung von Projekten innerhalb bestehender Organisationen. Entscheidend ist dabei nicht die organisatorische Firmierung, sondern die Entfaltung gesellschaftlicher Wirkung. Daraus folgt, dass S. E. organisatorisch auch innerhalb von Non-Profit-Gesellschaften abgebildet werden kann, welche nachhaltige finanzielle Geschäftsmodelle anstreben. Dazu gehören u. a. gemeinnützige Kapitalgesellschaften (z. B. gGmbH, Vereine [e. V.], Stiftungen oder Genossenschaften). Auch gewinnorientierte Unternehmen können S. E. praktizieren, indem sie die von ihnen vertriebenen Dienstleistungen oder Produkte bewusst danach ausrichten, gesellschaftliche Wirkung zu entfalten.
Nach dem Grundverständnis von S. E. können gesellschaftliche Probleme durch unternehmerische Ansätze schneller, innovativer, wirkungsvoller und nachhaltiger gelöst werden. S. E. sieht sich gesellschaftlichen Herausforderungen verpflichtet, für die Politik, Wohlfahrt, Entwicklungshilfe oder auch profitorientierte Unternehmen nur unzureichende oder gar keine Lösungen bereitstellen. Dabei setzt S. E. unternehmerische Ansätze wie Innovation oder neuartige Geschäfts- und Skalierungsmodelle allein für die Maximierung gesellschaftlicher Wirkung ein. Hauptziel vieler Sozialunternehmen ist infolgedessen nicht per se der Aufbau eines Unternehmens mit einem möglichst optimierten Ertragsmodell. Die Unternehmensgründung basiert vielmehr auf der Überzeugung, dass dies der wirkungsvollste Weg ist, um eine systemische Veränderung zu erreichen.
Um diese auch plausibel nachzuverfolgen und umzusetzen, sollte S. E. als Prozess zwei Perspektiven verfolgen: Aus Sicht von Motivation und Intention wird er danach bewertet, welche positiven gesellschaftlichen Ziele intendiert sind (Wirkungsorientierung), ohne Beachtung der tatsächlich erwirkten Resultate (Wirkungsanalyse). Die Ergebnisperspektive erforscht dagegen eine Bewertung nach der gesellschaftlichen Wirkung. Die Verknüpfung beider Dimensionen stellt das Idealbild von S. E. dar.
2. Entstehung und Entwicklung
Die Entwicklung lässt sich begriffsgeschichtlich in vier Phasen einteilen. Eine der ersten Verwendungen von S. E. geht auf Howard Rothmann Bowen zurück. Er versteht darunter das Konzept der CSR, also Verantwortung als Teilbereich unternehmerischer Aktivitäten. S. E. gilt noch als integraler Bereich von Unternehmen, in Deutschland einhergehend mit Entwicklungen der sozialen Marktwirtschaft und in Europa ideengeschichtlich auf das Konzept des „ehrbaren Kaufmanns“ zurückzuführen. Dass ab den 1970er-Jahren Unternehmertum und gesellschaftliche Verantwortung auseinanderdriften, kann als wesentliche Triebkraft für die Entwicklung von S. E. als eigenständige Vorgehensweise gesehen werden.
Die zweite Phase prägt der Amerikaner Bill Drayton durch eine Ausdifferenzierung von S. E. in Abgrenzung zu konventionellem Unternehmertum. B. Drayton, Gründer der weltweiten Organisation Ashoka, versteht S. E. nun als spezifische Herangehensweise von Einzelpersonen, sogenannter „Changemaker“, die sich von den Handlungsfeldern und -arten profitorientierter Unternehmer unterscheidet. S. E. wird in dieser Zeit v. a. über Merkmale individueller Persönlichkeiten definiert, deren sozialunternehmerische Motivation und Intention es ist, durch ihr Handeln Veränderungen im System hervorzurufen. Diesen häufig mit der Glorifizierung von Einzelpersonen einhergehenden Ansatz lässt die Forschung in den 2010er Jahren hinter sich. Es entstehen weitere Ausprägungen von S. E., z. B. das Konzept von Social Business nach Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus. Er entwickelte ein neues, teilweise radikales Verständnis eines ganz auf den guten Zweck ausgerichteten Unternehmens, das Gewinne zu 100 % reinvestiert und nicht ausschüttet.
In der dritten Phase, die um 2005 beginnt, löst sich der Begriff S. E. in Deutschland allmählich von der Fokussierung auf Soziales, also Probleme, die sich lediglich zwischen menschlichen Akteuren manifestieren und profiliert sich als effektiverer Ansatz z. B. in der Entwicklungsarbeit. S. E. wird zunehmend als Prozess begriffen und nicht mehr auf die Organisationsform oder die individuelle Gründerpersönlichkeit limitiert.
In der vierten Phase löst sich die Binarität zwischen S. E. und konventionellem Unternehmertum zunehmend wieder auf. Wesentlicher Ausgangspunkt ist die Einsicht, dass Wachstum (Wirtschaftswachstum) nicht nur Wohlstand und Gewinnmaximierung, sondern auch negative Konsequenzen, wie etwa Klimawandel oder soziale Ungleichheit, mit sich bringt. Durch unterschiedliche globalgesellschaftliche Initiativen, wie z. B. die im Jahr 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedeten Nachhaltigkeitsziele (SDG), wächst der gesellschaftliche Druck auf Unternehmer, wirkungsorientiert zu handeln. Diese öffentliche Wahrnehmung führt dazu, dass Unternehmen, Verwaltungen und weitere Organisationen die Ansätze von S. E. adaptieren. Wirkungsorientiertes Handeln und die Generierung gesellschaftlichen Mehrwerts werden als wichtige Messgröße anerkannt und in die (strategischen) Ziele von Organisationen integriert.
Zusammengefasst hat S. E. zu Beginn seiner Entwicklung versucht, sich vom klassischen Unternehmertum zu emanzipieren. Seit Anfang des 21. Jh. konvergieren die zuvor auseinanderklaffenden Bereiche von gesellschaftlichem Mehrwert und Unternehmertum immer mehr.
3. Abgrenzung
Diese rasante Entwicklung, gepaart mit der eingeschriebenen Hybridität des Terminus, hat zur Folge, dass sich S. E. schwer fassen lässt und es zu begrifflichen Doppelungen und Verwirrungen kommen kann. Da S. E. vornehmlich daran gelegen ist, die normalerweise klar getrennten Bereiche von Wirkungsorientierung und Unternehmertum zu vereinen, ist eine Differenzierung gegenüber bestehenden Ansätzen hilfreich.
S. E. lässt sich einerseits von den rein wirkungsorientierten Aktivitätsbereichen abgrenzen – gemeinnützige Institutionen wie Wohlfahrt, Verwaltungen, NGOs oder Entwicklungshilfeorganisationen sind grundsätzlich wirkungsorientiert, da sie das Gemeinwohl im Blick haben. Sie agieren a priori nicht unternehmerisch. Ihre Herangehensweisen an die großen sozialen und gesellschaftlichen Herausforderungen basieren vorwiegend auf ehrenamtlichem Engagement (Freiwilligenarbeit) oder erfordern Finanzierung durch Dritte, wie z. B. Spenden oder öffentliche Gelder.
Andererseits lässt sich S. E. von gewinnorientiertem Unternehmertum abgrenzen, wobei die Priorisierung des gesellschaftlichen Mehrwerts wesentliches Unterscheidungskriterium zum Unternehmertum ist. Zwar schaffen konventionelle Unternehmen ebenfalls Arbeitsplätze, bezahlen Steuern oder produzieren nützliche Produkte und Dienstleistungen; jedoch dient die Hervorbringung gesellschaftlichen Mehrwerts in erster Linie der Gewinnmaximierung, Wirkung ist damit nachgeordnetes Ziel.
Aktivitäten, die die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen ausfüllen und darstellen, sind im Rahmen von CSR-Maßnahmen oftmals nur ein Teilbereich der Leistungen und dienen der Begrenzung negativer Auswirkungen im Kerngeschäft (z. B. durch Imageverbesserung). Bei S. E. liegt dagegen der gesellschaftliche Mehrwert klar im Fokus. Positive gesellschaftliche Wirkung stellt die Kernaktivität dar und wird nicht getrennt zu anderen Aktivitäten gesehen. S. E. wird konzeptionell oft als Unterkategorie von „Entrepreneurship“ eingeordnet und steht klassischem Unternehmertum untergeordnet neben anderen Subdisziplinen, wie Sustainable Entrepreneurship. Im Einklang mit der begriffsgeschichtlichen Evolution kommt dem Wort „social“ in S. E. jedoch die Bedeutung von „gesellschaftlich“ zu. Zum einen entfaltet jede Art von Unternehmertum gesellschaftliche Wirkung, denn sie schafft Beziehungen und hat positive wie negative Auswirkungen in sozialen Gefügen. Zum anderen ist Unternehmertum an sich eine neutrale Struktur, deren ethische Unzulänglichkeiten nicht a priori vorhanden, sondern eher historisch und kulturell erklärbar sind. Demnach kann S. E. auch als Überbegriff für alle Varietäten von Entrepreneurship bzw. als Aufhebung dieser Trennung verstanden werden.
Literatur
K. Osbelt: Social Entrepreneurship – Entstehung und Bedeutung, 2019 • A.-K. Achleitner: Social Entrepreneurship (2018), in: Gabler Wirtschaftslexikon, URL: https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/social-entrepreneurship-52240/version-275382 (abger.: 16.2.2021) • D. Papi-Thornton: Reclaiming Social Entrepreneurship (2017), in: TedX, URL: https://www.youtube.com/watch?v=RdrfMqBRfEQ (abger.: 16.2.2021) • Dies.: Tackling Heropreneurship (2013), in: SSIR, URL: https://ssir.org/articles/entry/tackling_heropreneurship (abger.: 16.02.2021) • C. Volkmann/K. Tokarski/K. Ernst (Hg.): Social Entrepreneurship and Social Business, 2012 • D. Bornstein/S. Davis: Social Entrepreneurship, 2010 • M. Yunus: Building Social Business. The New Kind of Capitalism That Serves Humanity’s Most Pressing Needs, 2010 • R. L. Martin/S. Osberg: Social Entrepreneurship. The Case for Definition, in: SSIR 5/2 (2007), 29–39 • B. Drayton: Leading Social Entrepreneurs Changing the World, 2004 • J. G. Dees: The Meaning of Social Entrepreneurship, 1998 • H. Bowen: Social Responsibilities of the Businessman, 1953.
Empfohlene Zitierweise
K. Sailer, K. Notz, S. Planck: Social Entrepreneurship, Version 08.06.2022, 09:10 Uhr, in: Staatslexikon8 online, URL: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Social_Entrepreneurship (abgerufen: 21.11.2024)