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In der politikwissenschaftlichen Forschung ist P. ein wichtiger Schlüsselbegriff insb. des Historischen Institutionalismus (Paul Pierson/Theda Skocpol) sowie – im Anschluss an diesen – des Evolutorischen Institutionalismus (Werner&nbsp;J. Patzelt). Erforscht werden dort Ursprung, Wandel und die Funktionen politischer [[Institution|Institutionen]], wobei die Grundannahme vertreten wird, dass der Verlauf gesellschaftlicher Prozesse die später jeweils aktuellen Präferenzen sowie Handlungsumstände von Akteuren und somit auch die jeweiligen Entscheidungen (mit-)prägt. Die stets mögliche P. von Prozessen legt somit die Durchführung vergleichender historischer Analysen nahe. Politische Institutionen werden im Historischen und Evolutorischen Institutionalismus als bes. erhellende Untersuchungsfälle von P. angesehen, weil sie als stabilste aller sozial konstruierten Strukturen sich bes. gut zur Untersuchung des Zusammenwirkens von Beharren und Wandel eignen. Als Ursache ihres Beharrungsvermögens werden insb. Mechanismen der institutionellen Selbstverstärkung und positiven Rückkopplung <I>(positive feedback)</I> in den Blick gefasst. P.&nbsp;Pierson, der den Begriff der P. maßgeblich für den Historischen Institutionalismus nutzbar gemacht hat, betonte insb. die folgenden Stärken dieses Konzepts: Es ist geeignet, dauerhafte Differenzen zwischen verschiedenen Nationalstaaten bzw. politischen Regimen zu erklären; mit seiner Hilfe lässt sich zeigen, inwiefern institutioneller Wandel auf langfristigen Prozessen beruht, die eine inkrementelle Fortschreibung der bestehenden Gegebenheiten begünstigen; es weist das Konzept der P. zudem darauf hin, dass politische [[Reform|Reformen]] häufig erst mit Zeitverzug ihre volle Wirkung entfalten, weshalb selbst sich anpassende Institutionen i.&nbsp;d.&nbsp;R. nicht optimal funktionserfüllend sind. Neben der Verwendung des Begriffs im Historischen und Evolutorischen Institutionalismus wird das Konzept auch für politikwissenschaftlich orientierte Modellbildungen und Simulationen verwendet, da es zur Gruppe solcher formalisierter Operationalisierungen gehört, die urspr. in anderen disziplinären Kontexten entwickelt wurden, aber auch mit Gewinn in der Politikwissenschaft angewendet werden können.
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In der politikwissenschaftlichen Forschung ist P. ein wichtiger Schlüsselbegriff insb. des Historischen Institutionalismus (Paul Pierson/Theda Skocpol) sowie – im Anschluss an diesen – des Evolutorischen Institutionalismus (Werner&nbsp;J. Patzelt). Erforscht werden dort Ursprung, Wandel und die Funktionen politischer [[Institution|Institutionen]], wobei die Grundannahme vertreten wird, dass der Verlauf gesellschaftlicher Prozesse die später jeweils aktuellen Präferenzen sowie Handlungsumstände von Akteuren und somit auch die jeweiligen Entscheidungen (mit-)prägt. Die stets mögliche P. von Prozessen legt somit die Durchführung vergleichender historischer Analysen nahe. Politische Institutionen werden im Historischen und Evolutorischen Institutionalismus als bes. erhellende Untersuchungsfälle von P. angesehen, weil sie als stabilste aller sozial konstruierten Strukturen sich bes. gut zur Untersuchung des Zusammenwirkens von Beharren und Wandel eignen. Als Ursache ihres Beharrungsvermögens werden insb. Mechanismen der institutionellen Selbstverstärkung und positiven Rückkopplung <I>(positive feedback)</I> in den Blick gefasst. P.&nbsp;Pierson, der den Begriff der P. maßgeblich für den Historischen Institutionalismus nutzbar gemacht hat, betonte insb. die folgenden Stärken dieses Konzepts: Es ist geeignet, dauerhafte Differenzen zwischen verschiedenen Nationalstaaten bzw. politischen Regimen zu erklären; mit seiner Hilfe lässt sich zeigen, inwiefern institutioneller Wandel auf langfristigen Prozessen beruht, die eine inkrementelle Fortschreibung der bestehenden Gegebenheiten begünstigen; es weist das Konzept der P. zudem darauf hin, dass politische [[Reform|Reformen]] häufig erst mit Zeitverzug ihre volle Wirkung entfalten, weshalb selbst sich anpassende Institutionen i.&nbsp;d.&nbsp;R. nicht optimal funktionserfüllend sind. Neben der Verwendung des Begriffs im Historischen und Evolutorischen Institutionalismus wird das Konzept auch für politikwissenschaftlich orientierte Modellbildungen und Simulationen verwendet, da es zur Gruppe solcher formalisierter Operationalisierungen gehört, die ursprünglich in anderen disziplinären Kontexten entwickelt wurden, aber auch mit Gewinn in der Politikwissenschaft angewendet werden können.
 
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Die Entwicklung des Konzepts der P. geht auf den Ökonomen und Wirtschaftsmathematiker William Brian Arthur sowie den Wirtschaftshistoriker Paul Allan David zurück. Urspr. bezog sich das Konzept auf die Erklärung der Durchsetzung von Technologien. Im Zentrum der Überlegungen stand die Beobachtung, dass sich in Konkurrenzsituationen nicht notwendigerweise die effizienteren Technologien durchsetzen. Der pfadabhängige Verlauf solcher Entwicklungen, in denen an ineffizienten Technologien festgehalten wird, wurde anfänglich insb. mit steigenden Skalenerträgen <I>(increasing returns)</I> erklärt. Steigende Skalenerträge sind dann gegeben, wenn die Anwendung einer Technologie (allg.er: die ansteigende Produktion bzw. Verbreitung eines Gutes) dessen Nutzen zunehmend erhöht. Eine Fokussierung auf <I>increasing returns</I> schränkt den Anwendungsbereich des Konzepts der P. allerdings deutlich ein, denn bei der überwiegenden Mehrzahl ökonomischer Aktivitäten gibt es abnehmende Skalenerträge. Aufgrund dieser Einschränkung hat sich die Forschung zunächst darauf konzentriert, einzelne Beispiele für pfadabhängige Entwicklungen zu finden. Neben der Tastenanordnung von Schreibmaschinen wurden z.&nbsp;B. Computerprogramme, Videosystemtechniken, Kernreaktortypen und Eisenbahn-Spurweiten als Beispiele für P. diskutiert.
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Die Entwicklung des Konzepts der P. geht auf den Ökonomen und Wirtschaftsmathematiker William Brian Arthur sowie den Wirtschaftshistoriker Paul Allan David zurück. Ursprünglich bezog sich das Konzept auf die Erklärung der Durchsetzung von Technologien. Im Zentrum der Überlegungen stand die Beobachtung, dass sich in Konkurrenzsituationen nicht notwendigerweise die effizienteren Technologien durchsetzen. Der pfadabhängige Verlauf solcher Entwicklungen, in denen an ineffizienten Technologien festgehalten wird, wurde anfänglich insb. mit steigenden Skalenerträgen <I>(increasing returns)</I> erklärt. Steigende Skalenerträge sind dann gegeben, wenn die Anwendung einer Technologie (allgemeiner: die ansteigende Produktion bzw. Verbreitung eines Gutes) dessen Nutzen zunehmend erhöht. Eine Fokussierung auf <I>increasing returns</I> schränkt den Anwendungsbereich des Konzepts der P. allerdings deutlich ein, denn bei der überwiegenden Mehrzahl ökonomischer Aktivitäten gibt es abnehmende Skalenerträge. Aufgrund dieser Einschränkung hat sich die Forschung zunächst darauf konzentriert, einzelne Beispiele für pfadabhängige Entwicklungen zu finden. Neben der Tastenanordnung von Schreibmaschinen wurden z.&nbsp;B. Computerprogramme, Videosystemtechniken, Kernreaktortypen und Eisenbahn-Spurweiten als Beispiele für P. diskutiert.
 
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Eine deutliche Erweiterung und zugl. begriffliche Umdeutung hat das P.s-Konzept dann in der Institutionenökonomie durch Douglass North erfahren. Hier wurde es zur Grundlage für die Erklärung von institutionellen Differenzen auf gesellschaftlicher Ebene. <I>Increasing returns</I> werden zwar auch in der Institutionenökonomie als notwendige Bedingung angesehen, aber durch den Bezug auf institutionelle Wechselbezüglichkeiten neu gedeutet. Der institutionelle Wechselbezug führt nämlich, nach D.&nbsp;North, nicht nur in spezifischen Fällen, sondern generell zum gleichzeitigen Fortbestehen unterschiedlich effizienter Institutionen. Die Anpassung an andernorts erfolgreiche institutionelle Ordnungen bleibe deshalb jeweils begrenzt, weil sich Akteure in ihrem Verhalten jeweils an den bereits bestehenden Institutionen orientierten. Auf diese Weise wären also schon die Vorstellungsmöglichkeiten <I>(mental models)</I> von Akteuren in entscheidender Weise durch ihre Vergangenheit geprägt.
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Eine deutliche Erweiterung und zugleich begriffliche Umdeutung hat das P.s-Konzept dann in der Institutionenökonomie durch Douglass North erfahren. Hier wurde es zur Grundlage für die Erklärung von institutionellen Differenzen auf gesellschaftlicher Ebene. <I>Increasing returns</I> werden zwar auch in der Institutionenökonomie als notwendige Bedingung angesehen, aber durch den Bezug auf institutionelle Wechselbezüglichkeiten neu gedeutet. Der institutionelle Wechselbezug führt nämlich, nach D.&nbsp;North, nicht nur in spezifischen Fällen, sondern generell zum gleichzeitigen Fortbestehen unterschiedlich effizienter Institutionen. Die Anpassung an andernorts erfolgreiche institutionelle Ordnungen bleibe deshalb jeweils begrenzt, weil sich Akteure in ihrem Verhalten jeweils an den bereits bestehenden Institutionen orientierten. Auf diese Weise wären also schon die Vorstellungsmöglichkeiten <I>(mental models)</I> von Akteuren in entscheidender Weise durch ihre Vergangenheit geprägt.
 
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Ausgehend von der ökonomischen Forschung hat sich das Konzept der P. dann zu einem in vielen wissenschaftlichen Disziplinen genutzten Erklärungsansatz entwickelt, so z.&nbsp;B. in der Soziologie, Geografie, Management- und Organisationsforschung, Pädagogik, Rechtswissenschaft und – teilweise ganz unabhängig vom ökonomischen Ursprung des Konzepts – auch in der naturwissenschaftlichen Forschung. V.&nbsp;a. die sozial- und kulturwissenschaftliche Evolutionstheorie hat ein neues, sehr komplexes Verständnis von P. gefördert. Im Laufe der Diskussion über P. wurden also auch die Begründungen für die Existenz von P.en vielfältiger. Neben den steigenden Skalenerträgen, positiven Rückkopplungen und institutionellen Wechselbezüglichkeiten wurden z.&nbsp;B. kontingente sowie evolutionäre Ereignissequenzen, asymmetrische Machtbeziehungen ([[Macht]]), Logiken des kollektiven Handelns oder der Glaube an Funktionalitäten und [[Legitimität|Legitimitäten]] als weitere Ursachen von P. benannt. Allerdings gibt es aufgrund der Unterschiedlichkeit der angenommenen Ursachen und Mechanismen von P. inzwischen eine Vielzahl an nicht nur konkreten, sondern auch von einander teilweise widersprechenden Begriffsdefinitionen. Abweichend von der urspr.en Zielsetzung des Konzeptes werden im Sozialkonstruktivismus ([[Konstruktivismus]]) etwa auch die bewusste Kreation von Pfaden oder die gezielte Revision pfadabhängiger Prozesse für möglich gehalten und analytisch thematisiert.
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Ausgehend von der ökonomischen Forschung hat sich das Konzept der P. dann zu einem in vielen wissenschaftlichen Disziplinen genutzten Erklärungsansatz entwickelt, so z.&nbsp;B. in der Soziologie, Geografie, Management- und Organisationsforschung, Pädagogik, Rechtswissenschaft und – teilweise ganz unabhängig vom ökonomischen Ursprung des Konzepts – auch in der naturwissenschaftlichen Forschung. V.&nbsp;a. die sozial- und kulturwissenschaftliche Evolutionstheorie hat ein neues, sehr komplexes Verständnis von P. gefördert. Im Laufe der Diskussion über P. wurden also auch die Begründungen für die Existenz von P.en vielfältiger. Neben den steigenden Skalenerträgen, positiven Rückkopplungen und institutionellen Wechselbezüglichkeiten wurden z.&nbsp;B. kontingente sowie evolutionäre Ereignissequenzen, asymmetrische Machtbeziehungen ([[Macht]]), Logiken des kollektiven Handelns oder der Glaube an Funktionalitäten und [[Legitimität|Legitimitäten]] als weitere Ursachen von P. benannt. Allerdings gibt es aufgrund der Unterschiedlichkeit der angenommenen Ursachen und Mechanismen von P. inzwischen eine Vielzahl an nicht nur konkreten, sondern auch von einander teilweise widersprechenden Begriffsdefinitionen. Abweichend von der ursprünglichen Zielsetzung des Konzeptes werden im Sozialkonstruktivismus ([[Konstruktivismus]]) etwa auch die bewusste Kreation von Pfaden oder die gezielte Revision pfadabhängiger Prozesse für möglich gehalten und analytisch thematisiert.
 
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J. Beyer: Pfadabhängigkeit, in: G. Wenzelburger/R. Zohlnhöfer (Hg.): Hdb. Policy Forschung, 2015, 149–171 • P. Pierson: Power and Path Dependence, in: J. Mahoney/K. Thelen (Hg.): Advances in Comparative-Historical Analysis, 2015, 123–146 • J. Bednar u. a.: Revised-Path Dependence, in: Political Analysis 20/2 (2012), 146–156 • J. Beyer: The Same or Not the Same. On the Variety of Mechanisms of Path Dependence, in: IJoSS 5/1 (2010), 1–11 • W. J. Patzelt (Hg.): Evolutorischer Institutionalismus, 2007 • S. E. Page: Path Dependence, in: QJPS 1/1 (2006), 87–115 • I. Greener: The Potential of Path Dependence in Political Studies, in: Politics 25/1 (2005), 62–72 • B. G. Peters u. a.: The Politics of Path Dependency. Political Conflict in Historical Institutionalism, in: JoP 67/4 (2005), 1275–1300 • C. Crouch/H. Farrell: Breaking the Path of Institutional Development? Alternatives to the New Determinism, in: R&#38;S 16/1 (2004), 5–43 • P. Pierson/T. Skocpol: Historical Institutionalism in Contemporary Political Science, in: I. Katznelson/H. V. Milner (Hg.): Political Science, 2002, 693–721 • R. Garud/P. Karnøe: Path Dependence and Creation, 2001 • P. Pierson: Increasing Returns, Path Dependence, and the Study of Politics, in: APSR 94/2 (2000), 251–267 • D. Foray: The Dynamic Implications of Increasing Returns. Technological Change and Path Dependent Inefficiency, in: IJIO 15/6 (1997), 733–752 • S. J. Liebowitz/S. E. Margolis: Path Dependence, Lock-In, and History, in: JLEO 11/1 (1995), 205–226 • D. C. North: Institutions, Institutional Change and Economic Performance, 1990 • W. B. Arthur: Competing Technologies, Increasing Returns, and Lock-In by Historical Events, in: EconJ 99/394 (1989), 116–131 • Ders. u. a.: Path-dependent Processes and the Emergence of Macro-Structure, in: EJOR 30/3 (1987), 294–303 • P. A. David: Clio and the Economics of QWERTY, in: AER 75/2 (1985), 332–337.
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J. Beyer: Pfadabhängigkeit, in: G. Wenzelburger/R. Zohlnhöfer (Hg.): Hdb. Policy Forschung, 2015, 149–171 • P. Pierson: Power and Path Dependence, in: J. Mahoney/K. Thelen (Hg.): Advances in Comparative-Historical Analysis, 2015, 123–146 • J. Bednar u. a.: Revised-Path Dependence, in: Political Analysis 20/2 (2012), 146–156 • J. Beyer: The Same or Not the Same. On the Variety of Mechanisms of Path Dependence, in: IJoSS 5/1 (2010), 1–11 • W. J. Patzelt (Hg.): Evolutorischer Institutionalismus, 2007 • S. E. Page: Path Dependence, in: QJPS 1/1 (2006), 87–115 • I. Greener: The Potential of Path Dependence in Political Studies, in: Politics 25/1 (2005), 62–72 • B. G. Peters u. a.: The Politics of Path Dependency. Political Conflict in Historical Institutionalism, in: JoP 67/4 (2005), 1275–1300 • C. Crouch/H. Farrell: Breaking the Path of Institutional Development? Alternatives to the New Determinism, in: R&#38;S 16/1 (2004), 5–43 • P. Pierson/T. Skocpol: Historical Institutionalism in Contemporary Political Science, in: I. Katznelson/H. V. Milner (Hg.): Political Science, 2002, 693–721 • R. Garud/P. Karnøe: Path Dependence and Creation, 2001 • P. Pierson: Increasing Returns, Path Dependence, and the Study of Politics, in: APSR 94/2 (2000), 251–267 • D. Foray: The Dynamic Implications of Increasing Returns. Technological Change and Path Dependent Inefficiency, in: IJIO 15/6 (1997), 733–752 • S. J. Liebowitz/S. E. Margolis: Path Dependence, Lock-In, and History, in: JLEO 11/1 (1995), 205–226 • D. C. North: Institutions, Institutional Change and Economic Performance, 1990 • W. B. Arthur: Competing Technologies, Increasing Returns, and Lock-In by Historical Events, in: EconJ 99/394 (1989), 116–131 • Derselbe u. a.: Path-dependent Processes and the Emergence of Macro-Structure, in: EJOR 30/3 (1987), 294–303 • P. A. David: Clio and the Economics of QWERTY, in: AER 75/2 (1985), 332–337.
 
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[[Category:Politikwissenschaft]]

Aktuelle Version vom 16. Dezember 2022, 06:11 Uhr

1. Begriffsdimensionen

P. ist ein analytisches Konzept zur Beschreibung von (sozialen) Prozessen. Der Grundgedanke ist, dass Prozesse durch jeweils vorgängige Ereignisse oder Ereignissequenzen nachhaltig beeinflusst werden können. Je nach Diskussionskontext werden verschiedene Aspekte solcher Beeinflussung hervorgehoben:

a) die Bedeutung der zeitlichen Reihenfolge von Ereignissen (history matters),

b) die potentiell große Relevanz von geringfügigen Ereignissen und Zufällen (small events),

c) die sich selbst verstärkende Tendenz zur Fortführung einmal eingeschlagener Entwicklungsrichtungen (self-reinforcement),

d) die Vielfalt möglicher Zielzustände (non-ergodicity),

e) die Verzweigung von Prozessen zu kritischen Zeitpunkten (critical junctures),

f) die Schwierigkeit der Abkehr von lokalen Gleichgewichtszuständen (multiple equilibria),

g) das Verharren in suboptimalen oder ineffizienten Zuständen (lock-in).

2. Politikwissenschaftliche Anwendung

In der politikwissenschaftlichen Forschung ist P. ein wichtiger Schlüsselbegriff insb. des Historischen Institutionalismus (Paul Pierson/Theda Skocpol) sowie – im Anschluss an diesen – des Evolutorischen Institutionalismus (Werner J. Patzelt). Erforscht werden dort Ursprung, Wandel und die Funktionen politischer Institutionen, wobei die Grundannahme vertreten wird, dass der Verlauf gesellschaftlicher Prozesse die später jeweils aktuellen Präferenzen sowie Handlungsumstände von Akteuren und somit auch die jeweiligen Entscheidungen (mit-)prägt. Die stets mögliche P. von Prozessen legt somit die Durchführung vergleichender historischer Analysen nahe. Politische Institutionen werden im Historischen und Evolutorischen Institutionalismus als bes. erhellende Untersuchungsfälle von P. angesehen, weil sie als stabilste aller sozial konstruierten Strukturen sich bes. gut zur Untersuchung des Zusammenwirkens von Beharren und Wandel eignen. Als Ursache ihres Beharrungsvermögens werden insb. Mechanismen der institutionellen Selbstverstärkung und positiven Rückkopplung (positive feedback) in den Blick gefasst. P. Pierson, der den Begriff der P. maßgeblich für den Historischen Institutionalismus nutzbar gemacht hat, betonte insb. die folgenden Stärken dieses Konzepts: Es ist geeignet, dauerhafte Differenzen zwischen verschiedenen Nationalstaaten bzw. politischen Regimen zu erklären; mit seiner Hilfe lässt sich zeigen, inwiefern institutioneller Wandel auf langfristigen Prozessen beruht, die eine inkrementelle Fortschreibung der bestehenden Gegebenheiten begünstigen; es weist das Konzept der P. zudem darauf hin, dass politische Reformen häufig erst mit Zeitverzug ihre volle Wirkung entfalten, weshalb selbst sich anpassende Institutionen i. d. R. nicht optimal funktionserfüllend sind. Neben der Verwendung des Begriffs im Historischen und Evolutorischen Institutionalismus wird das Konzept auch für politikwissenschaftlich orientierte Modellbildungen und Simulationen verwendet, da es zur Gruppe solcher formalisierter Operationalisierungen gehört, die ursprünglich in anderen disziplinären Kontexten entwickelt wurden, aber auch mit Gewinn in der Politikwissenschaft angewendet werden können.

3. Ursprung und Fortgang der wissenschaftlichen Debatte

Die Entwicklung des Konzepts der P. geht auf den Ökonomen und Wirtschaftsmathematiker William Brian Arthur sowie den Wirtschaftshistoriker Paul Allan David zurück. Ursprünglich bezog sich das Konzept auf die Erklärung der Durchsetzung von Technologien. Im Zentrum der Überlegungen stand die Beobachtung, dass sich in Konkurrenzsituationen nicht notwendigerweise die effizienteren Technologien durchsetzen. Der pfadabhängige Verlauf solcher Entwicklungen, in denen an ineffizienten Technologien festgehalten wird, wurde anfänglich insb. mit steigenden Skalenerträgen (increasing returns) erklärt. Steigende Skalenerträge sind dann gegeben, wenn die Anwendung einer Technologie (allgemeiner: die ansteigende Produktion bzw. Verbreitung eines Gutes) dessen Nutzen zunehmend erhöht. Eine Fokussierung auf increasing returns schränkt den Anwendungsbereich des Konzepts der P. allerdings deutlich ein, denn bei der überwiegenden Mehrzahl ökonomischer Aktivitäten gibt es abnehmende Skalenerträge. Aufgrund dieser Einschränkung hat sich die Forschung zunächst darauf konzentriert, einzelne Beispiele für pfadabhängige Entwicklungen zu finden. Neben der Tastenanordnung von Schreibmaschinen wurden z. B. Computerprogramme, Videosystemtechniken, Kernreaktortypen und Eisenbahn-Spurweiten als Beispiele für P. diskutiert.

Eine deutliche Erweiterung und zugleich begriffliche Umdeutung hat das P.s-Konzept dann in der Institutionenökonomie durch Douglass North erfahren. Hier wurde es zur Grundlage für die Erklärung von institutionellen Differenzen auf gesellschaftlicher Ebene. Increasing returns werden zwar auch in der Institutionenökonomie als notwendige Bedingung angesehen, aber durch den Bezug auf institutionelle Wechselbezüglichkeiten neu gedeutet. Der institutionelle Wechselbezug führt nämlich, nach D. North, nicht nur in spezifischen Fällen, sondern generell zum gleichzeitigen Fortbestehen unterschiedlich effizienter Institutionen. Die Anpassung an andernorts erfolgreiche institutionelle Ordnungen bleibe deshalb jeweils begrenzt, weil sich Akteure in ihrem Verhalten jeweils an den bereits bestehenden Institutionen orientierten. Auf diese Weise wären also schon die Vorstellungsmöglichkeiten (mental models) von Akteuren in entscheidender Weise durch ihre Vergangenheit geprägt.

Ausgehend von der ökonomischen Forschung hat sich das Konzept der P. dann zu einem in vielen wissenschaftlichen Disziplinen genutzten Erklärungsansatz entwickelt, so z. B. in der Soziologie, Geografie, Management- und Organisationsforschung, Pädagogik, Rechtswissenschaft und – teilweise ganz unabhängig vom ökonomischen Ursprung des Konzepts – auch in der naturwissenschaftlichen Forschung. V. a. die sozial- und kulturwissenschaftliche Evolutionstheorie hat ein neues, sehr komplexes Verständnis von P. gefördert. Im Laufe der Diskussion über P. wurden also auch die Begründungen für die Existenz von P.en vielfältiger. Neben den steigenden Skalenerträgen, positiven Rückkopplungen und institutionellen Wechselbezüglichkeiten wurden z. B. kontingente sowie evolutionäre Ereignissequenzen, asymmetrische Machtbeziehungen (Macht), Logiken des kollektiven Handelns oder der Glaube an Funktionalitäten und Legitimitäten als weitere Ursachen von P. benannt. Allerdings gibt es aufgrund der Unterschiedlichkeit der angenommenen Ursachen und Mechanismen von P. inzwischen eine Vielzahl an nicht nur konkreten, sondern auch von einander teilweise widersprechenden Begriffsdefinitionen. Abweichend von der ursprünglichen Zielsetzung des Konzeptes werden im Sozialkonstruktivismus (Konstruktivismus) etwa auch die bewusste Kreation von Pfaden oder die gezielte Revision pfadabhängiger Prozesse für möglich gehalten und analytisch thematisiert.